Deutschlandradio Kultur, Zeitfragen 24. September 2012, 19.30 Uhr Eine geheime Truppe. Die GSG 9 wird 40 Von Wolf-Sören Treusch ATMO 01 GSG-9-Übung An alle eingesetzten Kräfte: Sprengung in drei Sekunden, ich zähle rückwärts: drei, zwo, eins, Zündung! (Knall) Stark Die GSG 9 ist in Einsätzen in aller Regel die Einheit, die die Tür aufbricht im wahrsten Sinne des Wortes, die aber gleichzeitig erstaunlich wenig von der Schusswaffe Gebrauch macht, ... Lindner ... wir stehen für minimalinvasive, für verhältnismäßige und für intelligente Lösungen. SPRECHER v.D. Eine geheime Truppe. Die GSG 9 wird 40. Wegener Die Ausbildung, die heute über zehn Monate geht, die hat's in sich, das kann ich Ihnen sagen. Stark Dieser Moment, wenn von einem Hubschrauber ein Trupp schwarz vermummter, schwer bewaffneter Männer abspringt, über die man wenig weiß und die immer dann kommen und als Ausputzer fungieren, wenn die Bundesregierung nicht weiter weiß. SPRECHER v.D. Ein Feature von Wolf-Sören Treusch. Tophoven Was die Zugriffskräfte angeht, die polizeitaktischen Zugriffskräfte, ist die GSG 9 wohl die Nummer 1. Weidenbach Und von einer Rambotruppe Lichtjahre entfernt. ATMO - GSG-9-Übung Polizei. Hände hoch. Waffen fallen lassen. ... Braucht jemand noch Unterstützung? MUSIK AUTOR St. Augustin bei Bonn. Hier befindet sich das Hauptquartier der GSG 9 - auf einem riesigen Gelände der Bundespolizei, gesichert durch hohe Zäune und Wachposten. Ihr Auftrag ist die Bekämpfung von Terrorismus und schwerster Gewaltkriminalität. Die Öffentlichkeit erfährt über ihre Einsätze so gut wie nichts. Geheimhaltung gehört zum Grundprinzip. Die Elitepolizisten selbst nennen sich "Neuner" - das Kürzel "GSG 9" steht für "Grenzschutzgruppe 9". Als sie vor 40 Jahren gegründet wurde, war sie die neunte Einheit des Bundesgrenzschutzes. Der wurde 2005 in Bundespolizei umbenannt, die Truppe behielt ihr Kürzel. Sie hatte inzwischen Weltruf erlangt. Stark Der Einsatz der GSG 9 in Mogadischu 1977 ist natürlich ein absolut einzigartiger, außergewöhnlicher Einsatz gewesen, der bis heute sich in die Platine einer ganzen Generation eingebrannt hat. AUTOR SPIEGEL-Redakteur Holger Stark, Jahrgang 1970. Stark An den man selbst sich dann noch erinnert, wenn man zur damaligen Zeit sehr klein und sehr jung gewesen ist, das ist ein Showdown gewesen, wie er spektakulärer nicht hätte sein können, das ist für mich immer ein Mythos gewesen, aber auch ein bisschen unheimlich, wer eigentlich diese Menschen sind, die unter diesen Masken stecken. MUSIK ATMO Arbeitszimmer Wegener Ja ja, das sind alles so Erinnerungen, da sind ein thailändischer Orden, den höchsten thailändischen Orden habe ich mal gekriegt, da war ich bei der NATO, links haben wir die ersten Fallschirmlehrgänge gemacht usw., was alles so war. AUTOR Spurensuche nicht weit von Bonn entfernt, in einem kleinen Ort zwischen Siebengebirge und Westerwald. Hier wohnt Ulrich Wegener, der erste Kommandeur der GSG 9. Die Wände in seinem Arbeitszimmer sind voll gehängt mit Fotos, Wimpeln, Urkunden, Medaillen und wieder Fotos. Dennoch ist der 83-jährige GSG-9- Veteran niemand, der mit den Reliquien an die gute alte Zeit protzt. Bilder von der triumphalen Rückkehr aus Mogadischu? Fehlanzeige. Erinnerungsstücke an die Anfänge der Truppe? Keine Spur. Stattdessen sein Bekenntnis, das es ihn immer noch juckt in den Fingern. Wegener Ja. Wenn ich bei der GSG 9 bin und ich sehe so, wie einiges läuft, dann denke ich: "oh verdammt noch mal, war doch eine interessante Zeit, hier möchtest du eigentlich noch mal mitgehen". Ist klar, ich kann nicht aus meiner Haut. MUSIK ATMO Nie wieder München. Deswegen gibt es uns. AUTOR Rückblick. Das Trauma von München ist nicht nur beliebter Filmstoff, es ist vor allem der Startschuss für die GSG 9. Am 05. September 1972 überfallen palästinensische Terroristen das Olympische Dorf. Der Versuch, die Geiseln zu befreien, endet in der Katastrophe. Insgesamt 17 Menschen sterben, darunter elf israelische Sportler. Der chaotische Einsatz der Polizei zeigt: die Bundesrepublik Deutschland ist auf einen terroristischen Anschlag nicht vorbereitet. Drei Wochen später, am 26. September 1972, wird die GSG 9 gegründet. Wegener Für uns war der Ausgang von München die schrecklichste Geschichte überhaupt. Für mich war das mehr als ein Trauma. Weil ich das alles miterlebt hatte, ich habe damals zu Minister Genscher gesagt: "so etwas darf in Deutschland nicht noch mal passieren". AUTOR Ulrich Wegener, zu dem Zeitpunkt Verbindungsoffizier im Büro von Bundesinnenminister Hans-Dietrich Genscher, erhält den Auftrag, das Spezialkommando aufzubauen. Keine Büroeinheit - eine richtige Kampftruppe will er. Wegener Es war für mich klar: wir mussten etwas aufbauen, was über die Konventionalität der Polizei oder der Armee hinausging. Sonst wären wir mit dem Terrorismus nicht fertig geworden. Denn das hat sich ja gezeigt, dass die sehr unkonventionell gearbeitet haben, überraschend kamen, Guerillataktiken angewendet haben usw. Und dann habe ich Genscher Gott sei Dank überzeugen können, wobei er mich zuerst ein bisschen für verrückt erklärt hat, dass ich nach Israel gegangen bin. Da sagt er: "da werden Sie aber nicht sehr willkommen sein". - "Ja, das kann schon sein, aber ich traue mir zu, wenn wir unter Offizieren sprechen, mit Taktikern sprechen, dann komme ich mit denen klar". AUTOR Wegener behält Recht. Mehrere Monate lang lässt sich der deutsche Offizier von israelischen Militärs im Antiterrorkampf ausbilden. Ein absolutes Novum - so kurz nach Olympia-Attentat und Holocaust. 6,3 Millionen Mark stellt das Bundesinnenministerium als Startkapital zur Verfügung. Nach wenigen Jahren Aufbauarbeit ist die GSG 9 einsatzbereit. Am 18. Oktober 1977 schlägt die Stunde X in Mogadischu: 28 Männer der GSG 9 stürmen die Lufthansa-Maschine "Landshut" und erschießen drei Terroristen, die vierte überlebt schwer verletzt. Alle 90 Geiseln kommen frei. Der Einsatz dauert genau sieben Minuten und geht als "Operation Feuerzauber" in die Annalen der Bundesrepublik ein. Wegener Wir haben unsere Pflicht getan. Mehr nicht. Bitte haben Sie Verständnis dafür, wenn ich keine Einzelheiten preisgebe. Das ist im Interesse auch von späteren Terroranschlägen, denen wir ja begegnen wollen. AUTOR Ulrich Wegener damals nach der Rückkehr aus Somalia. Heute erzählt der Ex- Kommandeur mehr. Wegener Das endgültige Okay für den Einsatz habe ich erst in Somalia gekriegt. Und zwar am Telefon. Von Helmut Schmidt. Da habe ich mir gedacht: "na Gott sei Dank, wenn wir jetzt alles zurückdrehen müssten, das wäre also schlimm". Man konnte Verletzungen oder irgendwelche Geschichten, die möglicherweise zum Tod einer Geisel oder eines Mannes von mir geführt hätte, nicht ausschließen, ist keine Frage. Dazu ist die Geschichte zu gefährlich gewesen. Aber ich war 100 Prozentig überzeugt, dass das klappen würde. Weil meine Leute eben 100 Prozentig geübt waren, ne Flugzeugtür war für sie doch lächerlich. Das kannten die aus dem Effeff. ATMO Drei, zwo, eins, Zündung! (Knall) Wegener Das wäre natürlich eine Katastrophe gewesen, wenn wir den Einsatz nicht erfolgreich beendet hätten. Das wäre das Ende der GSG 9 gewesen, keine Frage. Man hätte natürlich an der Führung gezweifelt und an den Ausbildungsrichtlinien, die bei der GSG 9 bestanden usw. keine Frage, das wäre das Ende der GSG 9 gewesen. Tophoven Es hat ja damals Skeptiker gegeben nach dem Aufbau der Truppe, AUTOR Rolf Tophoven, Leiter des Instituts für Terrorismusforschung und Sicherheitspolitik. Tophoven ... die sagten etwas herablassend: die GSG 9 trainiert nur, sie sind Weltmeister im Training. Aber sie haben noch keine ernsthafte Operation durchgeführt. Die Stunde X kam in Mogadischu. Und es wurde in glänzender Weise bestätigt, was die GSG 9, und ich behaupte, bis heute eigentlich am besten durchführen kann. Was eine Art GSG-9-spezifische Domäne ist: nämlich der Sturm eines von Terroristen gekaperten Flugzeuges. AUTOR Mogadischu gilt als Meilenstein in der Geschichte des bundesdeutschen Antiterrorkampfes. Über Nacht wird die GSG 9 zur Legende, die Beamten zu den "Helden von Mogadischu". [Vor allem aber hatte die Bundesregierung damit die Scharte der Olympischen Spiele 1972 ausgewetzt.] Wegener Da habe ich natürlich an München gedacht, "jetzt werden einige Leute sich ganz schön umgucken". Habe ich mir gedacht, "jetzt wissen sie, dass sie in Zukunft mit uns rechnen müssen". MUSIK Stark Die GSG-9er pflegen natürlich auch ein bisschen ihr Image. ... AUTOR SPIEGEL-Redakteur Holger Stark: Stark ... Treten in der Öffentlichkeit immer nur dunkel maskiert auf, mit Sturmhauben über den Kopf, mit schutzsicheren Westen, mit dicken Pistolen oder Gewehren umgehangen, da ist so ein kleines bisschen der Mythos auch mit dabei, die GSG 9 ist die Einheit, die aber gleichzeitig erstaunlich wenig von der Schusswaffe Gebrauch macht, die also in aller Regel versucht, mit überraschenden Zügen den Gegenüber zu paralysieren und nicht ihn glattweg niederzuschießen. Der optimale Einsatz ist ein möglichst smarter mit möglichst wenig Gegenwehr. Der GSG-9-Mann von heute ist kein Haudrauf. AUTOR Sondern "Polizeivollzugsbeamter für besondere Verwendung" - so die offizielle Berufsbezeichnung. Dieser Beamte ist für eine ganze Generation von Jugendlichen zum Actionhelden geworden. Kilometerweit taucht er im trüben Meer, er entert Schiffe, aus zweihundert Metern Höhe seilt sich er vom Hubschrauber ab. In der Schießanlage in St. Augustin verballert er jährlich eine Viertel Million Patronen. Tatsächlich eingesetzt hat er die Schusswaffe dagegen erst sechs Mal. In insgesamt etwa 1.700 realen Einsätzen in 40 Jahren. Lindner Die GSG 9 erfüllt ja Aufträge für alle Sicherheitsbehörden in Deutschland. AUTOR Der jetzige Kommandeur Olaf Lindner. Lindner Das heißt sie kann eingesetzt werden zur Unterstützung anderer Dienststellen der Bundespolizei, weiterhin für das Bundeskriminalamt und für die Bundeszollverwaltung, für die Landespolizeien oder aber auch für das Auswärtige Amt im Ausland. AUTOR Nur wer geistig und seelisch topfit ist, so der Kommandeur, schaffe den Sprung zur Truppe. Einen großen Durchhaltewillen sollte er haben, teamfähig sein, flexibel, intelligent und gewitzt. Und er sollte mit dem Schlimmsten rechnen. Lindner Also jeder, der zur GSG 9 geht, muss wissen, dass das eine stark Risiko geneigte Tätigkeit sein kann, und dass man sich diese stark Risiko geneigten Tätigkeiten auch nicht aussuchen kann. Wenn dann ein Einsatz ansteht, dann gibt es zwar immer wieder eine individuelle Prüfung, ob man an dem Tag auch gut in Form ist und für den Einsatz zur Verfügung steht, das ist gar keine Frage, das ist auch Aufgabe von Führungskräften, das noch mal zu überprüfen, aber die grundsätzliche Bereitschaft, sich Gefahren auszusetzen und Risiken einzugehen, die muss bei GSG 9 da sein. Sonst hat man dort seinen Platz verfehlt. AUTOR Am 27 Juni 1993 wird die Bereitschaft, im Einsatz sein Leben zu riskieren, Realität. Eine Hundertschaft von Polizisten, darunter auch 37 GSG-9-Beamte, wollen die beiden RAF-Terroristen Birgit Hogefeld und Wolfgang Grams dingfest machen. Im Bahnhof von Bad Kleinen kommt es zu einer wilden Schießerei. Grams tötet den GSG-9-Beamten Michael Newrzella, anschließend sich selbst. Der "Spiegel" zitiert einen Zeugen, der gesehen haben will, wie Grams von den GSG-9-Beamten aus Rache für ihren ermordeten Kollegen regelrecht hingerichtet worden sei. Deutschlandressortchef Holger Stark. Stark Das ist ein Einsatz gewesen, der von Anfang bis Ende nicht gut geplant war, eigentlich genauso war, wie er nicht sein sollte, es gab keine schusssicheren Westen, der Einsatz ist zu früh durch einen Funkbefehl ausgelöst worden, am Ende hat er zwei Menschenleben gekostet, was tragisch ist, er hat aber der GSG 9 vor allem massiv an Reputation gekostet, dazu hat sicherlich auch die öffentliche Diskussion beigetragen, wo die GSG 9 als Killertruppe dastand, es ist in der öffentlichen Wahrnehmung das Gefühl geblieben, dass es maximal daneben gegangen ist, dass es Menschenleben gefordert hat und dass es so nicht sein darf. Lindner Es gibt immer einen Rest, den man nicht planen kann. Hundert Prozent kann man einen Einsatz nie planen, da haben Sie völlig Recht. Aber ich hatte nicht das Gefühl, dass die GSG 9 damals vor der Auflösung stand, sie stand im Zentrum öffentlicher Kritik, heute wissen wir, das ist ja nun belegt, unberechtigter Kritik, dazu gibt es inzwischen Rechtsgutachten, die das eindeutig belegen, und diejenigen, die damals unwahre Behauptungen angestellt haben, die dann leider auch sofort abgedruckt worden sind, die haben sich inzwischen von dem damals Berichteten persönlich distanziert und sich sogar dafür entschuldigt. AUTOR Für einige der Beamten, die damals dabei sind, kommen die Rechtsgutachten und Entschuldigungen jedoch zu spät. Sie sind bis heute traumatisiert. Berichtet Uli Weidenbach - er hat fürs ZDF einen Dokumentarfilm über die GSG 9 gedreht. Weidenbach Ich habe beispielsweise einen aktiven GSG-9-Beamten gesprochen, der in dem Spezialeinsatztrupp war, der Grams im Tunnel festnehmen sollte, was nicht gelungen ist, und er war derjenige, der dann auch als erstes mehr oder weniger bei Grams und auch beim verstorbenen Kameraden Newrzella war. Und gerade jener GSG-9- Beamte ist bis heute sehr stark emotionalisiert durch dieses Ereignis, und das ist bis heute eine offene Wunde. Zum einen die Vorwürfe, die damals im Raum standen, nämlich dass man Wolfgang Grams quasi mit einem aufgesetzten Schuss regelrecht hingerichtet habe, aber auch der Verlust eines unmittelbaren Kameraden. Und das schmerzt bis heute. Stark Das Problem für viele GSG-9-Leute ist, dass es ihnen verboten ist, auch mit ihren engsten Angehörigen ihre Einsätze zu teilen, das heißt es ist nur klar, dass sie weg gehen, sie möglicherweise ins Ausland gehen oder auf eine besonders heikle Mission, es ist selten klar, wohin es geht, [und es ist ihnen auch nicht erlaubt, über die Risiken des Einsatzes zu sprechen, weder davor noch danach,] sodass die psychologische Komponente, also die Betreuung, das Debriefing nach Einsätzen innerhalb der Truppe wahnsinnig wichtig ist, wie kompliziert das teilweise ist und dass es eben auch nur begrenzt gut funktioniert, hat der Tod von zwei GSG-9- Beamten im Irak, von Tobias Retterath und Thomas Hafenecker, gezeigt, wo danach die Familien zerbrochen sind, dass ihre Söhne nicht wieder gekommen sind. ATMO Drei, zwo, eins, Zündung! (Knall) AUTOR Doch wofür dieser Einsatz: fürs große Geld? Wohl eher nicht. Ein 23-jähriger Polizeivollzugsbeamter, unverheiratet, erhält monatlich 1.700 Euro netto - 400 Euro Sonderzulage für besondere Verwendung inklusive. Fürs Ego? Schon eher. GSG-9- Beamte zählen zur absoluten Weltspitze der Elitepolizisten, für die meisten ist es ein besonderer "Thrill", am Limit zu arbeiten. Aber es gibt noch einen Grund. Weidenbach Das Zusammengehörigkeitsgefühl innerhalb der GSG 9 ist schon gewaltig. Wegener Das stimmt. Das sehen Sie schon daran, dass wir eine GSG-Kameradschaft haben, die heute aus 500, 600 Mitgliedern besteht. Wo die meisten pensioniert sind. Und jedes Jahr kommen wir ja ein Mal zusammen, da ist alles da, kann ich Ihnen sagen. Dieser Zusammenhalt ist ein ganz wesentlicher Faktor für die Kampfkraft der GSG 9. Weidenbach Ich hatte den Eindruck, dass für viele GSG-9-Beamte der Verband GSG 9 die tatsächliche Familie ist. MUSIK ATMO GSG-Einsatz Geh durch, geh durch! AUTOR Der Kampf der GSG 9 gegen Terror und schwerste Gewaltkriminalität ist zumeist ein Kampf im Stillen. Wann ihre Präzisionsschützen, Fallschirmjäger und Taucher tätig werden, erfährt die Öffentlichkeit erst nach einem Einsatz. Wenn überhaupt. Filmaufnahmen gibt es so gut wie keine - sie könnten potenziellen Gegnern taktische Tipps geben. Dennoch tauchen im Internet immer wieder Videos von Sondereinsätzen auf, darunter sogar Originalaufnahmen der GSG 9 selbst. ATMO GSG-Einsatz ... einfach in Ruhe abtasten! Nach Waffen durchsuchen! ... Sie sind jetzt ruhig und warten, was wir sagen! AUTOR Schnell und aggressiv, überraschend und diskret: so sieht der perfekte Einsatzplan der GSG 9 aus. In den vergangenen Jahren haben das in Deutschland vor allem Rockerbanden und extremistische Gruppierungen aus dem rechten und islamistischen Umfeld zu spüren bekommen. Ist ein Einsatz im Ausland geplant, muss die Politik ihr Okay geben. Das ist kompliziert und wird leicht zur "mission impossible". Beispiel: am 4. April 2009 wird das deutsche Containerfrachtschiff "Hansa Stavanger" vor der somalischen Küste gekidnapped. SPIEGEL-Redakteur Holger Stark. Stark In den ersten 24, 48 Stunden hätte es eine schnelle Gelegenheit gegeben zuzugreifen, eine deutsche Fregatte war in der Nähe der "Hansa Stavanger", die hätte eingreifen können, aber die Bundeswehr braucht ein Bundestagsmandat für einen Eingriff, sodass die etwas skurrile Situation entstand, dass eine deutsche Fregatte brav parallel schipperte und die "Hansa Stavanger", deren Kommando Piraten übernommen hatten, de facto in ihren Heimathafen begleitete. AUTOR Außen- und Innenministerium sind sich einig: diesmal soll kein Lösegeld gezahlt werden, das ist ein Auftrag für die GSG 9. Ein Vorauskommando fliegt nach Mombasa in Kenia. Und wartet. Die Bundeswehr sieht sich logistisch nicht in der Lage, die sechs Spezialhubschrauber der GSG 9 nach Afrika zu bringen. Stark Der Einsatz der GSG 9 in Somalia ist skurrilerweise aufgeflogen und bekannt geworden dadurch, dass sich die Elitepolizisten einquartierten in Mombasa in einem TUI-Ferienressort und jeden Morgen durch das Schwimmbecken pflügten, Muskelbepackte Männer, präzise rasiert, die auf einmal drei Minuten unter Wasser waren und Tauchübungen machten, das ist den Touristen nicht verborgen geblieben und das ist auch dem Spiegel-Korrespondenten, der zu der damaligen Zeit in der Region war, nicht verborgen geblieben, sodass man schon sagen kann: so dezent und diskret die Truppe operiert, in diesem Fall ist sie dadurch aufgeflogen, dass die Logistik einfach nicht ausreichend gut war. Marx Ich stieg aus dem Flieger in ein Taxi und bat den Taxifahrer auf Englisch, dass er mir ein gutes Hotel empfehlen kann, wo ich unterkommen kann, ... AUTOR Deutschlandradio-Korrespondent Peter Marx. Marx ... und entweder war mein englisch so schlecht oder mein Akzent so deutlich, auf jeden Fall sprach er mich auf deutsch zurück: "sind Sie Deutscher"? Und ich sage "ja", "ach", sagt er, "dann gehören Sie auch zur GSG 9". "Wie kommen Sie denn auf die Idee"? "Ja, das wisse hier jeder", und es wäre ihm eine Freude, mich gleich in das Hotel, in dem die GSG 9 wohnte, hinzufahren. Und da war mir schon etwas komisch, "jeder Taxifahrer in Mombasa weiß darüber Bescheid, dass die GSG 9 hier ist", und wenn man weiß, dass die Hälfte der Taxifahrer in Mombasa Somalis sind, konnte man sich relativ einfach vorstellen, dass es da auch Familiengespräche nach Hause gegeben hat. Mit diesen Hinweisen. AUTOR Als die Hubschrauber und der Rest der Truppe endlich in Mombasa sind, taucht das nächste Problem auf. Die "Neuner" dürfen nicht von den deutschen Fregatten nach Haradere, ins Piratennest, gebracht werden, wo die "Hansa Stavanger" liegt. Dafür fehlt das Bundestagsmandat. Wie auch sonst, das Ganze gilt immer noch als eine Geheimoperation. Die US-Amerikaner helfen: sie stellen ihren Hubschrauberträger "USS Boxer" zur Verfügung. Stark Es ist auf der "Boxer" geübt worden, trainiert worden, wo am Ende Olaf Lindner, der Kommandeur der GSG 9, der Meinung gewesen ist, ein Einsatz ist machbar, es ist dann präzise durchgestoppt worden, wie lange das Spezialkommando brauchen würde, um die "Hansa Stavanger" zu erreichen, wie lange es dauern würde, das Schiff zu entern, an Bord sich durch die verschiedenen Decks zu kämpfen, und Lindner kam zu dem Ergebnis, dass es eine Operation von wenigen Minuten sein könnte und hätte den Einsatz gerne durchgeführt. AUTOR Zu einer komplett anderen Lagebeurteilung kommt man 6.000 Kilometer entfernt im Bundespolizeipräsidium in Potsdam, der vorgesetzten Behörde der GSG 9. Zu riskant, heißt es dort. Man wisse nicht, wo genau an Bord sich die Geiseln befänden, zudem werde der Zugriff viel zu lange dauern. Potsdam rät von der Operation ab. Auch Außen- und Verteidigungsministerium machen ein Rückzieher. Am Ende ziehen die USA die Reißleine. Die GSG-9-Männer müssen die "USS Boxer" verlassen. Knapp vier Wochen nach der Entführung der "Hansa Stavanger" ziehen etwa 200 deutsche Elitepolizisten unverrichteter Dinge wieder ab. Weitere drei Monate später kommen Schiff und Besatzung frei - gegen Zahlung eines Lösegeldes in Höhe von etwa 2 Millionen Euro. Lindner Ich denke, dass zu diesem Einsatz sehr viel geschrieben und auch sehr viel gesprochen worden ist, und dabei möchte ich es heute auch bewenden lassen. AUTOR Während sich der aktuelle Kommandeur, Olaf Lindner, bedeckt hält, findet Ex- General Ulrich Wegener klare Worte. Wegener Sagen wir so. Die GSG 9 war vor Ort. War an Bord der "USS Boxer", hatte geübt, Lindner war überzeugt davon, dass es 100 Prozentig klappen würde, er hatte auch bei Nacht geübt. Und ich habe hinterher mit den Amerikanern gesprochen, mit dem Kommandanten der "Boxer". Der sagte, er war völlig fassungslos, dass die Deutschen das dann nicht durchgeführt haben. "Die waren exzellent, die Jungens", sagt er. Und: "das hätte geklappt". Und das ist etwas, was ich der Führung der Bundespolizei vorgeworfen habe, dass sie sich eingemischt hat in ein Verfahren, das sie gar nichts angegangen ist. Was völlig blödsinnig war. Die konnten das gar nicht. Erstmal hatten die keinen Einblick in die Lage vor Ort und hatten auch keine Erfahrung mit der GSG 9. Das war völlig idiotisch, ich darf es mal so hart ausdrücken. MUSIK Wegener Dass die GSG 9 sich nach diesem Schlag wieder erholt hat, das war ein wahres Wunder. Das darf ich Ihnen ganz offen sagen. Ich habe selten meine Jungs so verunsichert gefühlt wie danach. AUTOR Die harten Jungs haben sich nicht nur wieder erholt. Sie gehen gestärkt aus dem interministeriellen Kompetenzgerangel hervor. Um sich in Erinnerung zu rufen, inszeniert die GSG 9 noch im Juli 2009, das Schiff "Hansa Stavanger" und mit ihm 5 deutsche Besatzungsmitglieder sind zu dem Zeitpunkt noch immer in der Hand der Piraten, für das ARD-Morgenmagazin einen Showeinsatz. ATMO 07 ARD-Morgenmagazin , dann drunter (Lindner) Guten Morgen, Herr Sonne. Wir werden hier gleich eine Geiselnahmesituation simulieren, wir sehen hier, wie der Täter die Geisel mit der Schusswaffe bedroht, und es kommt jetzt darauf an, diese Geisel so schnell wie möglich zu befreien. - (Sonne) Und im Hintergrund sehen wir schon Ihre Hubschrauber anfliegen, das sind Live-Bilder, das müssen wir betonen, ... AUTOR Der nicht stattgefundene Einsatz vor der Küste Somalias hat vor allem eines gezeigt: es gibt Defizite in der deutschen Sicherheitsarchitektur. Wer entscheidet letztlich, ob die GSG 9 im Ausland eingesetzt wird oder nicht? Das Kompetenzgerangel dreier Fachminister - Innen, Außen und Verteidigung - macht schnelle Entscheidungen in Extremsituationen fast unmöglich. ATMO 07 ARD-Morgenmagazin (Sonne) Dann kommen Ihre Männer und versuchen, diese Geiselnahme zu beenden. (kräftiger Bumms mit Kommando "Hände hintern Kopf") Das sind jetzt ein paar Bilder, die für sich selber sprechen, und das könnte natürlich nicht nur hier in Deutschland, das könnte weltweit passieren. Marx Spezialeinheiten brauchen alle paar Jahre auch einen Erfolg, ... AUTOR Der Deutschlandradiokorrespondent Peter Marx. Marx ... und da reicht es eben nicht, hier in Hamburg ein paar Rocker festzunehmen, das ist Niveau Verkehrspolizei, nicht Niveau GSG 9. Ihnen fehlen die Terroristen im Land, oder sonst irgendwas, wo sie sich einfach einen Namen schaffen können, wo man sagt: "boa, gut, dass wir die haben". Jetzt sagt man: "ach, die gibt es immer noch". Das ist der Unterschied. AUTOR Doch es geht nicht nur um Showeffekte. Tatsächlich entwickelt die Bundesregierung mittlerweile eine neue Anti-Kidnapper-Strategie. Noch 2009 hatte der damalige Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble als Reaktion auf die Somalia-Pleite per Erlass festgelegt: zukünftig werde allein in seiner Verwaltung über einen möglichen Einsatz der GSG 9 entschieden - auch im Ausland. Unverständnis bei der Opposition. Omid Nouripour, sicherheitspolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag. Nouripour Gerade bei Auslandseinsätzen der GSG 9 ist eine alleinige Federführung beim Bundesinnenminister grottenfalsch. Weil jeder einzelne dieser Einsätze natürlich auch international und diplomatisch Implikationen mit sich bringt. Dafür braucht man mindestens das Auswärtige Amt. Das heißt: ein jeder Einsatz von Deutschen mit Waffen in der Hand, und das ist nicht nur bei der Bundeswehr so, muss tatsächlich von der Bundesregierung getragen werden und nicht von einem Fachminister. AUTOR Inzwischen aber, so heißt es, haben sich Innen- und Verteidigungsministerium auf eine gemeinsame Strategie verständigt. Holger Stark. Stark Als Konsequenz aus der Hansa Stavanger Entführung hat die GSG 9 ganz klar das Prä bekommen, das liegt auch daran, dass für Bundeswehreinsätze ein Mandat im Bundestag notwendig wäre, das heißt also, die GSG 9 ist im Sicherheitskonzept der Bundesregierung ein ganz entscheidender Baustein, weil klar ist, dass im Zuge internationaler Krisen Situationen wie die Entführung der Hansa Stavanger, wie im Irak immer auch wieder auftreten werden, und es gibt eine Absprache zwischen dem Innenministerium und dem Verteidigungsministerium, dass in solchen Fällen gerade bei Geiselnahmen die GSG 9 die allererste Wahl sein wird, beispielsweise das Kommando Spezialkräfte, die Eliteeinheit der Bundeswehr in solchen Fällen zurücksteht, das heißt die GSG 9 wird die Truppe sein, die weltweit gerufen werden wird, wenn es irgendwo brennt. ATMO Hände hoch! Polizei! Hinlegen! AUTOR Vor allem soll die Truppe künftig schneller eingreifen können. Gerade Großraumflugzeuge für Langstreckentransporte standen bisher zu wenig zur Verfügung. Das soll anders werden: die Bundespolizei kooperiert neuerdings mit einer russischen Frachtfluggesellschaft, die auch schon für die Bundeswehr unterwegs ist. Ziel: innerhalb von 48 Stunden soll die GSG 9 von Leipzig aus an jedem Einsatzort der Welt sein. Und mit ihr alles, was sie für den Einsatz braucht: Hubschrauber, Aufklärungsgeräte und moderne Kommunikationstechnik. Doch die GSG 9 hat nicht nur Freunde und Unterstützer. Pünktlich zum 40-jährigen Gründungsjubiläum hat die Bundestagsfraktion der Linken zwei Kleine Anfragen an die Bundesregierung gestellt. Darin geht es unter anderem um die Aufrüstung der GSG 9 und die Finanzmittel, die insgesamt seit 1972 in die Truppe geflossen sind. Die Antwort der Bundesregierung war knapp und förmlich. Die Ausstattung der GSG 9 werde permanent an die einsatztaktischen Bedürfnisse angepasst, heißt es, für 2012 seien dafür etwa 2 Millionen, für das Jahr 2013 2,6 Millionen Euro eingeplant. Im Übrigen, so die Bundesregierung, äußere sie sich nicht zu konkreten Fragestellungen in Bezug auf Einsatz und Ausstattung der GSG 9, Zitat: "nach sorgfältiger Abwägung zwischen dem Auskunfts- und Informationsrecht der Abgeordneten und dem Wohl des Bundes, das durch Bekanntwerden geheimhaltungsbedürftiger Informationen gefährdet werden könnte". Zitat Ende. Geheimniskrämerei gehört nicht erst seit ihrer Gründung zur GSG 9 dazu. Sie ist Teil ihres Mythos. ATMO 08 hoch Braucht jemand noch Unterstützung? Wegener Die GSG 9 ist heute ein wichtiger Teil des Sicherheitskonzepts der Bundesrepublik, und man kann sich nicht mehr vorstellen, dass es die GSG 9 nicht gibt. Ohne die GSG 9 wären viel mehr schwere Terrorismusfälle in der Bundesrepublik passiert. Allein die Gegenwart der GSG 9, dass die GSG 9 existiert, hat viele Terroristen davon abgehalten, in der Bundesrepublik tätig zu werden. Da bin ich fest von überzeugt. SPRECHER v. Dienst Eine geheime Truppe. Die GSG 9 wird 40. Ein Feature von Wolf-Sören Treusch. Es sprach: der Autor Ton: Ralf Perz Regie: Stefanie Lazai Redaktion: Martin Hartwig Produktion: Deutschlandradio Kultur 2012 Nächste Woche hören Sie an dieser Stelle: Einsame Spitze - Warum der Elite die Ostdeutschen fehlen Manuskripte und weitere Informationen zu unseren Zeitfragen-Sendungen finden Sie im Internet unter www.dradio.de 1