Länderreport 10.10.2012 Dorfgeschichten - Possen aus Stadt und Land Autoren: Claudia Altmann, Ludger Fittkau, Blanka Weber, Günter Rohleder Redaktion: Heidrun Wimmersberg ________________________________________________________________________ Schulrebellen in Seifhennersdorf / Claudia Altmann Anmoderation Im ostsächsischen Seifhennersdorf gehen 22 Kinder seit Anfang September illegal in die Schule. Die Eltern organisieren den Unterricht mit pensionierten Lehrern und wehren sich so gegen die Entscheidung des Kultusministeriums und des Verwaltungsgerichtes, keine 5. Klasse mehr einzurichten. Seit mehr als zehn Jahren kämpft die Mittelschule in Seifhennersdorf gegen die Schließung. Die Bürgermeisterin der ostsächsischen Gemeinde und die Eltern werfen Sachsens Kultusministerin Kurth Wortbruch vor. Noch im April habe sie fest zugesagt, dass es die fünften Klassen im Ort geben werde. Doch die Ministerin beruft sich auf die Entscheidung des Verwaltungsgerichts. Das hatte bestätigt, dass es kein öffentliches Interesse gebe und die Voraussetzungen für die Einrichtung der fünften Klasse nicht gegeben sei. _________________________________________________________________________ Atmo Unterricht Sprecher Ein Klassenraum mit 22 wissbegierigen Schülern, vor der Tafel eine Lehrerin, die ihnen gerade die englische Sprache beibringt. Man könnte meinen, dass in der Seifhennersdorfer Schule ganz normaler Schulalltag herrscht. Aber dem ist nicht so. Der Unterricht ist illegal. Die fünfte Klasse ist die einzige in dem Gebäude und laut sächsischem Kultusministerium darf es sie gar nicht geben. Der Grund: Zu wenig Anmeldungen. Anstatt aber ihre Kinder auf die zugewiesenen Schulen im Umland zu schicken, setzen sich die Eltern zur Wehr. Seit sechs Wochen organisieren sie den Unterricht mit acht pensionierten freiwilligen Lehrern selbst. Vor der Schule halten sie täglich Mahnwache. Atmo Mahnwache Mütter Seit heute morgen Schulbeginn, viertel acht, stehen wir hier. Und bleiben stehen. Wir bleiben. Bis endlich der gescheite Bescheid rauskommt. Bei Wind und Wetter. Wir stehen auch bis in den Winter. Sprecher Auch Renate Arlandt und Katrin Erler gehören zu den Schulrebellen. Katrin Erler 1 Also meiner würde in Ebersbach in die Schule gehen und da hätte der einen Anfahrtsweg von 45 Minuten, weil sie über kleine Dörfer noch fahren müssen, um die anderen Kinder einzusammeln. Und der wäre dann erst halb fünf abends zu Hause. Und das wollte ich meinem Kind nicht antun. Sprecher Die Eltern sind auf die Behörden wütend und fühlen sich von ihnen verschaukelt. Denn zum Stichtag im März gab es die erforderlichen Anmeldungen und damit bereits die Zusage, dass zwei fünfte Klassen eingerichtet werden. Plötzlich jedoch wurden im Sommer für vier Schüler Bildungsempfehlungen fürs Gymnasium ausgesprochen. Damit waren es nur noch 38 Fünftklässler. Das Ministerium widerrief seine Entscheidung, strich das Geld für die Lehrer und teilte die Kinder auf umliegende Schulen auf. Die Seifhennersdorfer erfuhren davon wenige Tage vor Schulbeginn. Der Streit um den Erhalt der Mittelschule tobt schon seit sechs Jahren. Die Schließung ist im Schulnetzplan des Landkreises beschlossene Sache und soll durchgezogen werden. Sechst- und Siebtklässler gibt es schon nicht mehr. Auch die Tochter von Dirk Schöneich vom Schulförderverein muss seit einem Jahr eine Stunde zur Schule in den Nachbarort fahren. Wie viele Bewohner des Dorfes ist er solidarisch mit den Ungehorsamen und hält ebenfalls Mahnwache. Er hat die Worte der frisch gebackenen Kultusministerin noch im Ohr. Schöneich 2 Wir waren auch bei der Frau Kurth bei der Vereidigung, haben uns nachher mit ihr getroffen und da hatte sie gesagt, über die 5. Klassen brauchen wir nicht reden. Sie sind über 40 Kinder und damit dürfen die gehen. Sprecher Hinter den Eltern steht auch Bürgermeisterin Karin Berndt. Da die Gemeinde die Trägerschaft für die Schule innehat, hat sie den Zutritt zum Gebäude erlaubt. Berndt 2 2 Gerade hier in einer Region wo viele alte Leute geblieben sind, viele schwache Leute geblieben sind, die Leistungsträger abwandern mussten, --- dann braucht diese Region auch eine besondere Förderung vor allen Dingen der wenigen Kinder und Jugendlichen, die wir noch da haben, und eine hochwertige Bildung und Kultur. Sprecher Einst lebten in dem Lausitzer Ort an der Grenze zu Tschechien 10.000 Menschen. Seit der Wende ist die Zahl der Einwohner auf knapp 4000 geschrumpft. Die Zukunft des Ortes hängt auch vom Schulerhalt ab, sagt die parteilose Politikerin. Deshalb klagt sie auch schon seit sechs Jahren gegen den Schulnetzplan, bisher vergeblich. Berndt 1 Und wenn man bloß Arroganz und Desinteresse und dann das harte Vorgehen der Behörden spürt, dann regt sich Widerstand. Das ist irgendwo auch eine ganz normale Gesetzmäßigkeit des menschlichen Miteinanders. Sprecher Im Kultusministerium aber bleibt man hart. Es sei alles geprüft worden. Mögliche Ausnahmeregelungen kämen für die Seifhennersdorfer nicht in Frage. Auch das in Sachsen geltende Schulschließungsmoratorium, für das eigentlich nur 20 Anmeldungen reichen würden, greife nicht, da hier der Schulnetzplan gelte. Der Bürgermeisterin hat die Rebellion mittlerweile ein Disziplinarverfahren eingebracht, weil sie öffentliche Räume für gesetzwidrige Handlungen freigeben würde. Das Oberverwaltungsgericht Bautzen hat den Behördenentscheid bestätigt und den Eltern teils bis zu 1250 Euro Strafe aufgebrummt. Auch den pensionierten Lehrern drohen Bußgelder, weil sie den Verstoß gegen die gesetzliche Schulpflicht unterstützen. Zahlen muss bisher noch niemand. Die Begründung ist für Renate Arlandt auch nicht nachvollziehbar. Arlandt 3 Unsere Kinder sind Schulschwänzer. Sie fehlen unentschuldigt, stand da drinne. Sie fehlen unentschuldigt im Unterricht. Sie wissen aber genau, dass die Kinder hier sind. Also das ist ihnen mitgeteilt worden. Das ist nicht so, dass sie nicht wüssten, wo die Kinder sind. Die fehlen nicht irgendwo unentschuldigt und sie werden beschult. (Erler) Und sind im Lehrstoff mitunter schon weiter wie andere Schulen. Sprecher Angst vor der Obrigkeit habe sie nicht. Arlandt 5 (1) Nee, nu nicht mehr. Nu gar nicht mehr. Ja, uns war das alles heikel und das ist ja immer noch heikel, aber nu sind wir richtig wütend. Bisher sind wir immer noch davon ausgegangen: Es muss ja auch ein Recht geben. Und das sehen wir jetzt ein bisschen anders. Wir haben eigentlich gelernt, dass man für seine Interessen eintreten muss. Und das wollen die auch. Die stehen dazu. Also wenn man die Kinder fragt, die wollen das weitermachen. Also ich frag jeden Tag, gibt's zu Hause Diskussionen: Machen wir weiter oder hören wir auf. Wir sind aber gewillt, das durchzuhalten. An die Spritze, Citoyen! / Ludger Fittkau - Im rheinhessischen Tiefenthal ist die Feuerwehr jetzt Bürgerpflicht - Stichworte zur Anmod: Rund zehn Leute braucht ein funktionierender Feuerwehr-Löschzug. Weil sich im 140-Einwohner-Dorf Tiefenthal in Rheinland-Pfalz nicht mehr genug Freiwillige für die Ortsfeuerwehr finden, werden jetzt alle gesunden Einwohner des Ortes zwischen 18-und 60 Jahren zum Feuerwehrdienst verpflichtet - bei Androhung eines Bußgeldes. Weil viele Dörfer ähnliche Probleme mit ihrer freiwilligen Feuerwehr haben wie Tiefenthal, findet diese Maßnahme bundesweit Beachtung. Ludger Fittkau berichtet. ___________________________________________________________________________ Tiefenthal liegt idyllisch. In der Rheinhessischen Schweiz, dem Hügelland süd-östlich von Bad Kreuznach, dass größte deutsche Weinbaugebiet ist greifbar nahe. Das Gemeindehaus von Tiefenthal ist aus dem ockerfarbenen Sandstein gebaut, der dieser Gegend schon ein sehr südliches Gepräge gibt. Die Ortsbürgermeisterin heißt Gerlinde Freithofer - Hohenegger und kommt ursprünglich aus Wien. Zurzeit geben sich bei ihr bundesdeutsche Medien die Klinke in die Hand, weil die Gemeindeverwaltung bald Einberufungsbescheide verschicken wird - zur un-freiwilligen Feuerwehr: Eingezogen werden könnte zwischen 18 und 60 Jahren, das sind bei uns ca. 40-50 Personen, davon sind aber viele, die gar nicht in Frage kommen. Alleinerziehende mit kleinen Kindern oder eben durch Krankheit und so weiter. Also es wird sehr schwierig, aber wir müssen diesen Weg gehen, um den Brandschutz hier sicher zu stellen. Das rheinland-pfälzische Brandschutzgesetz schreibt nämlich vor, dass ein Löschzug in 8 Minuten einsatzbereit sein muss. Am Feuerwehrhaus und auch einem Feuerwehrauto mangelt es in Tiefenthal nicht - aber eben an Freiwilligen. Deswegen wird jetzt auf die ebenfalls gesetzlich festgelegte Bürgerpflicht zum Feuerwehrdienst zurückgegriffen. Wer der Einberufung nicht Folge leistet, zahlt. Bürgermeisterin Gerlinde Freithofer - Hohenegger: Das Bußgeld liegt bei 250 Euro aber dann gibt es auch noch Zwangsgeld, dass dann höher anfallen kann. Darauf wird es Michael Lippner nicht ankommen lassen. Wenn der Einberufungsbescheid kommt, ist der 53-Jährige, der mal bei der Jugendfeuerwehr war, dabei. Dann werde ich meiner Bürgerpflicht nachkommen. Es ist mit Sicherheit nicht nur ein Tiefenthaler Problem. Bei uns ging es als erstes los, weil wir nur 140 Einwohner haben. Viele, die nun zum Feuerwehrdienst verpflichtet werden können, arbeiten jedoch in den gut eine Autostunde entfernten Städten im Rhein-Main-Gebiet. Das Dorf ist tagsüber oft wie ausgestorben. Aber das ist ein Problem, das nicht nur die Tiefenthaler haben, betont Bürgermeisterin Gerlinde Freithofer - Hohenegger: Das ist auch in anderen Gemeinden so, nicht nur in Tiefenthal. Dieser Tageseinsatz ist auch in anderen Gemeinden nicht gewährleistet. Auch wenn wir jetzt eine Pflichtfeuerwehr hätten, wie viel dann wirklich vor Ort sind tagsüber - das ist fraglich, ob das wirklich machbar ist. Deshalb plädiert der Tiefenthaler Michael Lippner dafür, bei der Neuaufstellung der Feuerwehr mit der zwei Kilometer entfernten Nachbargemeinde zusammen zu arbeiten. Auch wenn die in einem anderen Landkreis liegt. Wenn es brennt, sollte das die Löschpartnerschaft nicht behindern, findet er: Wir müssen zusammengehen, Ausrückgemeinschaften bilden. Das geht bei uns nicht, nur weil eine Kreisgrenze dazwischen ist. Und da liegt meiner Meinung das Problem, nicht das in Tiefenthal von 140 Leuten nicht die neun Mann finden lassen. Das ist in Gemeinden mit 3000 oder 4000 Einwohnern ein geringeres Problem, deshalb geht das in den kleinsten Gemeinden halt los. Eine weitere Idee macht jetzt in Tiefenthal die Runde: Man könnte die Altersgrenze von 63 Jahren für die Feuerwehr lockern und auch rüstige Rentner in den Löschzug integrieren. Michael Lippner: Ein erfahrener alter Feuerwehrmann, der -zig Brände gelöscht hat, der jungen Leuten noch was beibringen kann. Der muss ja nicht die schweren Arbeiten machen. Aber der kann, so wie es in der Industrie ist, die Erfahrung der Alten zu nutzen, das auch in der Feuerwehr machen. Auch die ehrenamtliche Bürgermeisterin Gerlinde Freithofer - Hohenegger reizt dieser Gedanke, obwohl sie selbst schon im Pensionsalter ist und auch weiß, dass der Feuerwehreinsatz körperlich sehr anstrengend sein kann: Ich bin leider nicht mehr an der Altersgrenze, ich bin schon lange drüber. Natürlich hätte ich mir das sofort überlegt, ich bin auch jedes Mal, wenn die Sirene angeht, bin ich immer vor Ort - also ich würde das auf jeden Fall machen. Doch im Augenblick sieht es eher so aus, dass der etwas jüngere Michael Lippner in den nächsten Wochen für insgesamt acht Samstage in die Feuerwehrausbildung muss - gemeinsam mit rund einem Dutzend anderen dienstverpflichteter Tiefenthaler. Vielleicht, so hofft Michael Lippner, stärkt das ja auch wieder den dörflichen Zusammenhalt, der nach seinem Geschmack in den letzten Jahren etwas zu stark gelitten hat: Früher war man gezwungenermaßen aufeinander angewiesen, Nachbarschaftshilfe war Gang und gäbe. Nun könnte die un-freiwillige Feuerwehr von Tiefenthal wieder dafür sorgen, dass die Nachbarn enger zusammenrücken. Eine obrigkeitsstaatliche Notmaßnahme stärkt den sozialen Zusammenhalt - das wäre die List der Vernunft in der rheinhessischen Idylle. "Tschüß Thüringen" / Blanka Weber Anmoderation: Die Ministerpräsidentin von Thüringen Christine Lieberknecht (CDU) hat im Oktober den Vorsitz der Ministerpräsidentenkonferenz übernommen. Schon vorab ließ sie wissen, sie wolle sich um den Länderfinanzausgleich kümmern - den Finanzstrom zwischen den Geber- und Nehmer-Ländern. Doch auch in ihrem eigenen Bundesland gibt es aufgrund des *Finanzstroms* Ärger. Das betrifft den Landeshaushalt ebenso wie die Zahlungen an die Kommunen. Zudem, wird kleinen Kommunen nahe gelegt zu fusionieren oder sich größeren Städten anzugliedern. Aktueller Fall: 2 kleine Dörfer der Gemeinde Vogtländisches Oberland. Gleich dahinter beginnt Sachsen. Die beiden kleinen Ortschaften haben vom vielen Hin und Her so die Nase so voll, dass sie jetzt - mit Hilfe eines Staatsvertrages - Thüringen verlassen wollen. ___________________________________________________________________________ Die Welt scheint hier in Ordnung. Gepflegte Häuser, Straßen, alte Vierseit-Höfe - meist seit Generationen in Familienbesitz. Auch wenn Jugendliche abwandern, leben noch 150 Menschen in den Orten Tremnitz und Pansdorf, die meisten haben Arbeit, auch wenn sie pendeln müssen. Es könnte eigentlich alles schön sein sagt Ute Trommer, die frühere Bürgermeisterin. Doch die Neugliederungs-Idee und der passende Gesetzentwurf machen die Lage kompliziert: "Der Gesetzentwurf zur Neugliederung des Vogtländischen Oberlandes sieht vor, dass wir ein ländliches Anhängsel von Greiz werden sollen und das lehnen unsere Bürger komplett ab." Ute Trommer ist seit 22 Jahren in der Kommunalpolitik, erst hauptamtlich und jetzt ehrenamtlich. Sie kennt die Region und die Befindlichkeiten. `Der Gesetzentwurf geht uns zu weit`, sagt sie im Namen einer Initiative. Denn die beiden Kommunen wollen alles, nur nicht zu Greiz gehören - einer 22.000 Einwohnerstadt in Ostthüringen - die dann vielleicht das *ländliche Anhängsel* vernachlässigen würde, so die Befürchtung. Und da ist noch etwas, sagt Ute Trommer, `was uns das Gefühl gibt: Wir sind die verkaufte Braut`: "Wenn die Ortsteile des Vogtländischen Oberlandes in die Stadt Greiz eingegliedert werden, erhält die Stadt Greiz eine Hochzeitsprämie in Höhe von einer Million." ... vom Land Thüringen. Und weil das Vertrauen in ein gutes Miteinander nicht besteht, lehnen 75 Prozent der Einwohner von Tremnitz und Pansdorf diese Idee ab. Sie wollen stattdessen lieber zur Kommune Langenwetzendorf gehören, die genauso weit entfernt ist, wie Greiz, nur eben viel kleiner und ländlicher. Doch das - lehnt das Land ab - schon zum 2.Mal und die Bürger ziehen nun Konsequenzen: "Zwei Mal komplettes Ignorieren ihres Bürgerwillens hat gereicht, um zu sagen, OK liebe Thüringer. Vielleicht werden wir in Sachsen glücklicher." Gesagt - getan. Aus Sachsen kam sofort Post, man würde sich über die beiden neuen Kommunen freuen. In Erfurt war das nicht so: "In Thüringen hat man sehr, sehr lange überlegt, so lange, das wir es noch anmahnen mussten und noch mal anmahnen mussten, aber jetzt haben wir eine Nachricht erhalten." Die besagt, dass zunächst die 300 Stellungnahmen der Bürger beachtet werden sollen, dann will man in Erfurt entscheiden. Dem Vogtländischen Oberland schwant Schlimmes und nicht nur Ute Trommer befürchtet, dass man sich mit dem neuen kommunalen Gebilde nie identifizieren wird. Mit Sachsen wär' alles besser, heißt es. Schließlich gehörten beide Orte bis 1952 auch schon dazu. Dann kam die DDR, später die Entscheidung, zu Thüringen zu gehören - und jetzt öffnet der Bürgermeister der sächsischen Kommune Elsterberg die Arme. "Der Bürgerwille ist für uns als Stadt, als aufnehmende Stadt, natürlich entscheidend. Der Stadtrat von Elsterberg hat dazu genickt, das ist gar kein Thema." Volker Jenennchen ist seit 25 Jahren in der Politik, gelassen blickt er durch die Brille. Er gehört keiner Partei an, sagt er, sondern der AHL - der Alternative Heimatliste. Wenn jetzt die beiden neuen Orte hinzukämen, würde sich nichts ändern für seine Kommune: "Der Bürgermeister bekommt auch kein höheres Gehalt. Das bleibt alles, so wie es ist, nur das wir dann eine größere Fläche hätten und 150 Einwohner mehr." Kein Gewerbegebiet kommt dazu, keine Einnahmen, die finanziellen Vorteile seinen- gleich Null, sagt Volker Jenennchen. Auch Sachsen würde nichts zahlen für die Neuen. Vielleicht ja Thüringen: "Höchstens es gibt durch Zusammenschlüsse so genannte Morgengaben durch einzelne Länder. Wenn da was kommen sollte, dann wär`s nicht schlecht - das täten wir gerne mitnehmen und würden das natürlich in den Dörfern anlegen." Doch erstmal müsse schließlich der Staatsvertrag geändert werden. Und: Eines scheint für ihn außer Frage: Spätestens mit dem Auslaufen der Solidarpaktmittel muss über ganz andere Strukturen entschieden werden - nämlich über die Frage, ob nicht aus drei Ländern das Bundesland Mitteldeutschland werden sollte. Das wäre nicht mal so groß wie Bayern und hätte sogar 3 Mio Einwohner weniger. Kulturpolitik und Sparzwang in Sachsen-Anhalt / Günter Rohleder Anmoderation Sachsen-Anhalt ist mit 20 Milliarden Euro verschuldet. In diesem Jahr sollen keine neuen Kredite aufgenommen werden und ab nächstem Jahr soll mit der Schuldentilgung begonnen werden. Der Kulturetat soll im nächsten Jahr um 5,2 Millionen schrumpfen. Die Kommunen stehen unter Sparzwang. Günter Rohleder: _________________________________________________________ Autor Nördlich von Magdeburg, am Mittellandkanal, liegt Haldensleben, eine Kreisstadt von gut 18.000 Einwohnern. Ein großes Willkommensschild auf Bahnhofsplatz zeigt, was die Kommune zu bieten hat: Das Barockschloss, die Ausstellung über die Brüder Grimm, die historische Altstadt. Ein Stadtmaskottchen lädt zum Rundgang ein. Atmo Kinder Erste Station: Kulturfabrik. Zwanzig Erstklässer warten vor dem riesigen Aquarium im Foyer. Gleich wird die Leitern Janina Otto mit den Kindern losgehen: Take 1 Die Kulturfabrik gibt es seit 1999 hier im Herzen von Haldensleben der Kreisstadt des Landkreises Börde und die Kinder, die sind jetzt gerade angekommen zu unserer Rolli-Runde. Das ist die Stadtführung für Kinder mit dem Stadtmaskottchen Rolli. Autor In Gründerzeitjahren wurde hier Keramik gebrannt, heute beherbergt das schön restaurierte Fabrikgebäude die Stadt- und Kreisbibliothek und bietet Raum für eine Vielzahl von Kulturveranstaltungen. Im Vergleich mit hochverschuldeten Kommunen ist die Kultur in Haldensleben in guter Verfassung. Eine handvoll ansässiger Unternehmen zahlen immerhin Gewerbesteuern. Maskottchen Rolli führt zum Marktplatz. Vor dem Rathaus sitzt ein steinerner Roland hoch zu Ross. Amtsleiterin Doreen Scherff ist für Bildung, Kultur, Soziales, Jugend und Sport zuständig. Take 2 Wir befinden uns Gottseindank nicht in einer richtigen Haushaltskonsolidierung, haben aber von Jahr zu Jahr auch größere Schwierigkeiten, den Haushalt auszugleichen. Und dann kommt es logischerweise zu Sparzwängen und dann muss man zusammen Verwaltung und Stadtrat gucken in welchen Maße Einsparungen, die nötig sind, vollzogen werden. Autor Gespart wird zuerst bei den freiwilligen Aufgaben. Darunter fallen fast alle Kultur- und Bildungsangebote, die über die gesetzlich geregelte Grundversorgung der Schulen und Kitas hinausgehen. Die Kommunen sind mit ihren begrenzten Einnahmemöglichkeiten auf Landesmittel angewiesen. Doreen Scherff: Take 3 Gerade im Bereich der Bibliothek sind wir auch davon abhängig, dass von Landeseite auch Fördermittel fließen. Auch im Bereich der Jugendclubs fällt es den freien Trägern zunehmend schwer, den Haushalt in jedem Jahr auszugleichen. Es gibt auch Zuschüsse vom Landkreis für die Personalkosten. Das wird auch von Jahr zu Jahr mehr in Frage gestellt. Es gab da auch schon Kürzungen. Wir haben immer noch ne Möglichkeit gefunden, den Zuschuss stabil zu halten, aber die Finanzierung wird zunehmend schwieriger Autor Sparpolitik wie Einwohnerschwund setzen Städte, Landkreise und Gemeinden in Sachsen-Anhalt unter Druck: Steuergelder, die vom Land an die Kommunen fließen, werden nach Einwohnerzahlen gewichtet. Dagegen wehren sich die Gemeinden: Ein Schulbus wird im Unterhalt nicht billiger, wenn weniger Kinder mitfahren. Was die kulturelle Infrastruktur angeht, haben die größeren Städte wie Halle, Magdeburg, Dessau grundsätzlich andere Probleme als kleine Städte und Gemeinden. Dessau etwa verantwortet mit Bauhausstiftung und Anhaltischem Theater ein riesiges Kulturerbe. Schwer zu bewältigen für die relativ kleine, stetig schrumpfende Stadt von noch knapp achtzigtausend Einwohnern. Linke und Bündnisgrüne im Magdeburger Landtag befürworten deshalb eine Politik, die sich statt an Gemeindegrenzen am Finanzierungsbedarf eines bestimmten Kulturraums ausrichtet. Die Reichweite kultureller Leuchttürme wie des Anhaltischen Theaters könnte so besser finanziell berücksichtigt werden, argumentieren sie. Außerdem gelte es, durch höhere Steuern die Einnahmen zu vergrößern, statt bei der Kultur zu sparen. Auch Haldensleben unterhält einen Leuchtturm. Auf einem Hügel wenige Kilometer vom Stadtzentrum entfernt thront das Märchenschloss Hundisburg. Mit feinem englischem Garten und riesigem Landschaftspark. 1990 noch Brandruine, inzwischen ein prächtiges Kulturzentrum. Harald Blanke leitet den Verein Kultur-Landschaft Haldensleben im Schloss Take 4 Das geht über Märkte, so wie die Obsttage, die jetzt gerade durch sind. Wo sich aus einer kleinen Zelle, einem Obstbestimmungsabend heraus, inzwischen ein zweitägiges Markttreiben mit über 7000 Besuchern herausgebildet hat, was hier in der Region auch sehr gut angenommen wird. Also, es gibt ganz vielfältige Angebote, Konzerte unterschiedlicher Art, Literatur. Autor Die Kultur sei der Motor gewesen für die Instandsetzung und Entwicklung des Schlosses, sagt Harald Blanke, nicht das Sahnehäubchen oben drauf. Und was die Kultur für die Region bedeute, das lasse sich in Zahlen nicht ausdrücken.