Zeitreisen - Deutschlandradio Kultur 13. April 2011: Eichmann vor Gericht - Hintergründe und Folgen eines Jahrhundert- prozesses Autorin: Gaby Weber Redaktion: Winfried Sträter Erzählerin: Am 11. April 1961 begann in Jerusalem der Prozess gegen Adolf Eichmann. Kurz vor neun betrat er seinen Glaskäfig. Er wirkte wohl- genährt und nervös. Elf Monate vorher sei er aus seinem Versteck in Buenos Aires entführt und nach Israel verschafft worden, berichtete ein Reporter. Die Anklageschrift war in Hebräisch verfasst und ins Deutsche übersetzt worden. O-Ton 1: "Sie betreffen Verbrechen gegen das jüdische Volk, Eichmanns Verantwortung an der Endlösung, an den Konzentrationslagern und Einsatzgruppen, an den unmenschlichen Massentransporten und den Ghettos, an der Aushungerung und der Sterilisation. Die weiteren Punkte betreffen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und Mitgliedschaft in Organisationen, die in Nürnberg als verbrecherisch verurteilt wurden". Erzählerin: Das Verfahren wurde ein Jahrhundertprozess, an dem sich die Mei- nungen spalteten. Die Einen feierten es als einen Akt der Gerechtigkeit. Endlich wurde jemand, der an der Ermordung von Millionen Unschuldiger mitgewirkt hatte, zur Rechenschaft gezogen, im Land seiner Opfer, in Israel. In einem rechtstaatlichen Verfahren! Andere standen dem Prozess ablehnend gegenüber, die Argentinier etwa, die sich ärgerten, weil offensichtlich ein ausländischer Geheim- dienst auf ihrem Territorium operiert und sogar Menschenraub be- gangen hatte. Die Bundesregierung unter Kanzler Konrad Adenauer sah das Verfahren in Jerusalem mit Sorge. Sie fürchtete, dass in der öffentlichen Beweisaufnahme Dinge zur Sprache kommen könnten, die dem Ansehen der jungen Republik Schaden zufügen konnten. Dass der Angeklagte Personen nennen würde, die schon ihrem "Führer" treu gedient hatten und nunmehr in den Bonner Regierungsstuben saßen: Verkehrsminister Hans-Christoph Seebohm und der allmächtige Staatssekretär im Kanzleramt, Hans Globke. Letzterer hatte die Nürnberger Rassengesetze kommentiert und als Ministerialdirigent im Reichsinnenministerium dafür gesorgt, dass diese in den von der Wehrmacht besetzten Gebieten durchgesetzt wurden. Würde Eichmann in Jerusalem auspacken und sich nur als Befehlsempfänger darstellen? Die bundesdeutsche Bevölkerung wollte mehrheitlich nichts mehr von der unrühmlichen Zeit des Nationalsozialismus hören. Sie wollte in die Zukunft schauen und das Wirtschaftswunder genießen. Sogar in Israel waren die Meinungen geteilt. Die Regierung von David Ben Gurion hatte anfangs den Kriegsverbrecher gar nicht haben wollen. Ab März 1960 hatte der Ministerpräsident heimlich mit Bun- deskanzler Adenauer über die Finanzierung des Baus eines Atom- kraftwerkes in der Negev-Wüste verhandelt, vorbei am Parlament - nicht einmal der bundesdeutsche Finanzminister wusste davon. Diese vertraulichen Gespräche wurden durch das plötzliche Auftauchen von Adolf Eichmann in israelischer Haft ausgesetzt. Und auch die Be- völkerung war alles andere als begeistert. Die Israelis wollten ihren Staat aufbauen und nicht den Finger in die immer noch offene Wunde legen - so erinnert sich der jüdische Argentinier Leopoldo Schiffrin: O-Ton 2: "En la opinion interna ... Übersetzer: In der israelischen Öffentlichkeit war (damals) das Thema der Judenverfolgung nicht präsent. Nicht dass es unterdrückt oder verboten wurde, aber niemand sprach darüber. Es ging nur einen sehr kleinen Kreis von Fachleuten an. Die Akademiker kümmerten sich von Berufs wegen darum. In den USA oder Kanada hingegen wurde darüber offener gesprochen. Und dann passierte dieser Prozess gegen Eichmann, der die Leute zwang, sich mit diesen schmerzhaften Erlebnissen während des Dritten Reiches auseinander zu setzen. Die öffentliche Meinung Israels war gegen das Verfahren. Erst nach seiner Eröffnung, 1961, wurde die Shoá zu einem nationalen israelischen und jüdischen Thema. Erzählerin: Leopoldo Schiffrin ist einer der angesehensten Richter Argentiniens - jenes Landes, in dem Eichmann bis zu seiner Verhaftung 1960 gelebt hatte. Er war einer der wenigen Juristen, die während der Mili- tärdiktatur der siebziger Jahre den Generälen nicht zu Diensten war, sondern in die Bundesrepublik, ins Exil, ging. Heute leitet er das "Wahrheitstribunal" in La Plata, das die Menschenrechtsverletzungen der Diktatur untersucht. 1960, als Eichmann als Gefangener in Israel auftauchte, war die jüdi- sche Gemeinde in Buenos Aires - eine der größten der Welt - begeis- tert, so Schiffrin. Aber man trug diese Freude besser nicht offen zu Tage. Schließlich war die Souveränität des Landes verletzt worden, die argentinische Regierung brachte den Fall sogar vor den Sicher- heitsrat der Vereinten Nationen. Schiffrin hatte gerade sein juristi- sches Staatsexamen abgelegt: O-Ton 3: "Yo me acuerdo ... Übersetzer: Ich habe damals im Büro des Generalstaatsanwalts gearbeitet, und das Klima war tolerant. Als die Eichmann-Geschichte passierte, wurde ich von älteren Kollegen gefragt: Würden Sie die Waffen ergreifen, um Argentinien gegen Israel zu verteidigen? Nein, natürlich nicht, antwortete ich. So kam das, was uns Juden immer vorgeworfen wird, plötzlich wieder hoch: die Frage, wem gegenüber wir loyal sind. Erzählerin: Damals sei er begeistert über die Entführung des Kriegsverbrechers gewesen. Heute, nach fünfzig Jahren, wisse man mehr über die Hin- tergründe. Und dass die Regierungen - die deutsche, die israelische, die argentinische, die russische und auch die US-amerikanische in Washington - ihre Eichmann-Akten weiterhin geheim halten, stimmt Schiffrin nachdenklich. O-Ton 4: "Se produce una situacion desagradable ... Übersetzer: Es ist ein unangenehmes Gefühl. Der an sich so wichtige Prozess gegen Eichmann hat einen schwachen Ausgangspunkt, der vertuscht wird und mit Spionage zu tun hat. Es wirkt so, als sei gepokert oder etwas erkauft worden, damit bestimmte Dinge weiterhin verborgen bleiben. Erzählerin: Einer der "schwachen Ausgangspunkte" war Eichmanns bis heute nicht offengelegte Überführung nach Israel. Später schrieben mehre- re Mossad-Agenten Bücher darüber, wie sie jahrelang den Kriegsverbrecher gesucht und in einer heldenhaften Operation gekidnappt hätten. An dieser Darstellung stimmt etwas nicht: Spätestens, nachdem mir der Bundesnachrichtendienst auf höchst- richterliche Anordnung einige seiner Eichmann-Akten überreichen musste, ist nachweisbar, dass die Geheimdienste von Ost und West auch im argentinischen Nazi-Milieu ihre Finger im Spiel hatten. Der zum Tode verurteilte Kriegsverbrecher Willem Sassen soll nach BND- Unterlagen regelmäßig in der US-Botschaft in Buenos Aires zum Rapport erschienen sein. Sassen hatte monatelang Eichmann interviewt. Auch andere "alte Kameraden" aus dem Umkreis von Adolf Eichmann sprachen wiederholt in Ost-Berlin beim Ministerium für Staatssicherheit vor, Hans-Ulrich Rudel etwa, hochdekorierter Stuka-Flieger im Zweiten Weltkrieg, Gründer des "Freikorps Deutschland" und die wichtigste Figur im argentinischen Nazi-Exil. Und Eichmann selbst soll sogar zum sowjetischen Geheimdienst Kontakte unterhalten haben, besagt ein Vermerk des BND, der selbst in Südamerika zahlreiche V-Leute hatte. Eichmanns Strafverteidiger, der Kölner Rechtsanwalt Robert Serva- tius, nahm den "schwachen Ausgangspunkt" des Prozesses zum Anlass, um die Eröffnung der Verhandlung in Jerusalem abzulehnen. O-Ton 5: "Die Unzuständigkeit ergibt sich einmal aus der völkerrechtswidrigen Natur des Gesetzes zur Bestrafung von Nazihelfern. Und zweitens aus der gewaltsamen Entführung des Angeklagten und seiner Gestellung vor dieses Gericht. Wenn hier moralisch zu sühnen ist, dann muss es der deutsche Staat sühnen, der durch den Angeklagten gehandelt hat. Der Staat war verwickelt in die Taten, er muss auch moralisch für die Folgen einstehen. Es ist eine Haftung ohne Schuld, genauso wie hier der Angeklagte ohne Schuld für Vorgänge einstehen soll, in die er durch den Staat hineingezogen wurde". Erzählerin Servatius lehnte die Richter als befangen ab und schlug vor, Eich- mann vor ein internationales Gericht zu bringen. Dies hatte zuvor schon Nahoum Goldmann gefordert, der Präsident des Jüdischen Weltkongresses. Die Nazis, so Goldmann, hätten ja nicht nur Juden umgebracht. Ben Gurion aber versetzte Goldmanns Bitte in Rage. Zi- tat: Zitator: "Ich bin glücklich, dass unserem kleinen Volk Gelegenheit gegeben wird, den Verbrecher im eigenen Land der Gerechtigkeit zuzuführen. ... Amerikanische Journalisten, die nicht unter den Schreckenstaten der Nazis gelitten haben, können sich erlauben, "ganz objektiv" zu sein und Israel das Recht abzusprechen, einen der größten Ver- brecher abzuurteilen. Das ist vielleicht das erste Mal in der Geschichte der Menschheit, dass sich die Gerechtigkeit offenbart". Erzählerin: Ben Gurion bestand auf einem Prozess vor ausschließlich israelischen Richtern. Nur so konnte er die Kontrolle über das, was in der Hauptverhandlung zur Sprache kommen würde, behalten. Nicht zuletzt hing davon die deutsche Finanzierung des Atomkraftwerks Dimona ab. Auch die Bundesregierung in Bonn wollte kein internationales Tribu- nal. Unter dem Titel "Geheim, dem Bundeskanzler vorzulegen!" be- richtete der deutsche Botschafter in Washington, mit Kopie an den BND, über die Absicht der israelischen Behörden, mit Eichmann - so wörtlich - "kurzen Prozess" zu machen: Zitator: "Ich habe gestern mit dem iraelischen Botschafter Avraham Harman ein Gespräch über die publizistische Behandlung des Eichmann- Prozesses geführt. Die israelische Regierung habe keinerlei Interesse daran, dass der Prozess von unberufener Seite zu einem anti- deutschen Propagandaschaustück gemacht und ausgebeutet werde. Ben Gurion gehe von der klaren These aus, dass das heutige Deutschland nicht mit dem Deutschland Hitlers identisch sei, er habe das anlässlich seiner Begegnung mit dem Herrn Bundeskanzler in New York klar zum Ausdruck gebracht. (...) In Hinblick auf die Weltöffentlichkeit könne man aber nicht umhin, das Verfahren so zu gestalten, dass es als ein fairer Prozess anerkannt werden wird. Dies setze ein gewisses Mindestmaß an Öffentlichkeit der Verhandlungen voraus. Man werde (auch) Vertreter der internationalen Presse zulassen. Die israelische Regierung sei nachdrücklich bestrebt, dem Verfahren nicht den Charakter eines großen Schauprozesses zu geben. Foto- und Fernsehreporter sollen nur einmal vor Beginn des Verfahrens zugelassen werden. Die israelische Anklagebehörde strebe ein kurzes Verfahren an. Gez(eichnet) Grewe". Erzählerin Botschaft Wilhelm Grewe war übrigens, wie Eichmann den israeli- schen Polizisten gegenüber ausgesagt hatte, schon im Dritten Reich ein "erfolgreicher" Diplomat gewesen. Bundeskanzler Adenauer wollte natürlich auch wissen, wie Eichmann so überraschend nach Israel gekommen war. Sein Gesprächspartner Ben Gurion hatte ihn nicht einmal vorgewarnt, als er dessen Verhaftung bekannt gegeben hatte. Dies sollte der Bundesnachrichtendienst herausbekommen, über den Globke im Bundeskanzleramt die Aufsicht führte und der zu diesem Zeitpunkt schon enge Kontake mit dem Mossad unterhielt. Der Dienst, mit Sitz in Pullach bei München, nahm einen Journalisten unter Vertrag, der ohnehin über den Prozess in Jerusalem berichten wollte: Rolf Vogel. Der reiste schon im Vorfeld auf Staatskosten mehrere Male nach Tel Aviv. Seine Mission war nicht nur die Unterrichtung des Bundeskanzleramtes, Hauptaufgabe war die Entlastung von Hans Globke und anderer noch im Dienste Adenauers tätiger Alt-Nazis. Der BND fürchtete unter anderem, dass der legal in Bremen lebende Geschäftsmann Kurt Becher - einst Eichmanns Vorgesetzter im besetzten Budapest - belastet würde, notierte ein Agent: Zitator: "... bis zu welchem Grade Gefahr besteht, dass Becher im Zusam- menhang mit Eichmann auffliegt und mit ihm einige Geschäftsverbindungen vornehmlich Richtung ... Regie: hier ein Piepen einfügen, da etwas gelöscht wurde Erzählerin: (leise eingefügt): ...die Angabe fehlt in den Akten... Zitator: ... bloßgestellt werden, scheint mir damit noch nicht sicher. Becher, Händler in Getreide, im Dritten Reich rechte Hand von Eichmann in Budapest, heute finanziert von Regie: Piepen Zitator: Bankhaus Pferdmenges, hat sich soeben neu verheiratet und ist zur Hochzeitsreise nach Argentinien gefahren. Böse Zungen behaupten, es wäre eine Absatzbewegung." Erzählerin Eichmann packte im Verhör, wie der BND festhielt, über etliche NS- Diplomaten aus, die noch ihren Dienst versahen. Vor Gericht aller- dings wiederholte er ihre Namen nicht. Und der BND-Spitzel Vogel sollte die israelischen Behörden davon überzeugen, diese Aussagen nicht in öffentlicher Verhandlung zu erörtern. Staatssekretär Globke benutzte den BND wie eine private Detektei, die Beweismittel gegen das gegen ihn anhängige Ermittlungsverfah- ren der Bonner Staatsanwaltschaft sammeln sollte. Obwohl der Pul- lacher Dienst gar nicht gegen den "inneren Feind" tätig sein darf, durchforstete er nun Archive und ließ die Mitglieder der Eichmann- Komitees wie Staatsfeinde überwachen. Ihre Ausstellungen über die Judenverfolgung im Dritten Reich wurden beschlagnahmt, ihre Ver- anstaltungen gestört oder verboten. Auch die politischen Geschehnis- se in Israel wurden beobachtet und Meldung nach Pullach erstattet. Was Eichmanns Zelle verließ, wurde bis ins Letzte von den israeli- schen Behörden zensiert, auch seine Briefe und seine Memoiren. Von allem erfuhr umgehend der BND. Zitat aus den BND-Akten: Zitator: "Eichmann wird (mit seinen Memoiren) nach Abschluss der Beweis- aufnahme beginnen. Um den Veröffentlichungen den nötigen famili- ären Anstrich zu geben und um zu verhindern, dass seitens der Fami- lie Eichmann irgendwelche gegenteiligen und unkontrollierbaren Veröffentlichungen vorgenommen werden, wird Frau Vera Eichmann Ende Juli nach Deutschland fliegen. Die ersten Manuskriptseiten soll Dr. Servatius bereits am 8. August mitbringen." Erzählerin: Sogar den Stil schreiben die israelischen Zensurbehörden ihrem Ge- fangenen vor. Er solle sich an den Erinnerungen des KZ- Kommandanten Höss ein Vorbild nehmen, erfuhr der BND. Zitator: "Die Israelis wollen Eichmann zwingen, seine Bekenntnisse nicht nur in Stil und Inhalt à la Höss niederzuschreiben, sondern sie wollen ihre Zustimmung zur Freigabe nur dann geben, wenn (die Gedenkstätte) Yad Vashem den Verlag bestimmt, in dem das Eichmann-Buch er- scheint." Erzählerin: Die Gespräche zwischen Anwalt und Mandant wurden abgehört und landeten bei Ministerpräsident Ben Gurion. Der erzählte sie brüh- warm dem BND-Agenten Vogel, und der wiederum leitete sie zur Entlastung Globkes an die bundesdeutschen Behörden weiter. Allerdings: Wie Eichmann nach Israel gebracht wurde - darüber konnte der BND nicht viel in Erfahrung bringen. Jedenfalls geht das aus den bisher freigegebenen Unterlagen nicht hervor. Zitat aus einer "Eigenfeststellung" unter dem Titel "Viele Geheimnisse im Prozess gegen Eichmann": Zitator: "Der Ministerpräsident (Ben Gurion) ist froh, dem Geheimdienst all- gemeine Anerkennung zukommen zu lassen. Mehrere Misserfolge der Organisation haben in den letzten Jahren schwere Krisen in Par- lament und Regierung heraufbeschworen. Im Verfahren wird nur das behandelt werden, was Israel für vertretbar hält. Wie der Geheim- dienst ihn fasste, welches Land ihm Aufenthalt gewährt hatte und welche Staatsbürgerschaft er bei der Ergreifung besaß, das alles und noch viel mehr soll Staatsgeheimnis bleiben." Erzählerin: Ob Eichmann Deutscher war oder nicht, war bei der Entscheidung wichtig, ob die Bundesrepublik für seine Verteidigerkosten aufkom- men musste - so wie sie es in anderen Fällen bereitwillig getan hatte, als im Ausland Deutsche als Kriegsverbrecher festgesetzt wurden. In solchen Fällen sprang die Zentrale Rechtschutzstelle des Auswärtigen Amtes ein und gewährte rechtlichen Beistand. Doch bei Eichmann wollte die Zentralstelle nicht einspringen. Vielleicht, weil man ihm Verbindungen zum KGB nachsagte? Aus den Akten des Auswärtigen Amtes geht das nicht hervor. Dort finden sich aber zahlreiche Doku- mente über Rechtsanwalt Servatius, den die Familie des Verhafteten mit der Verteidigung beauftragt hatte. Der Anwalt wurde daraufhin von BND und Verfassungsschutz überprüft und am Ende als "zuver- lässig" eingestuft. Es sprach wohl für ihn, dass er während des Krieges Offizier der Abwehr gewesen war, ein alter Kamarad also. Servatius wollte für seine Verteidigung bezahlt werden, und von Eichmanns Familie war wenig zu holen. So stellte Servatius einen An- trag bei der Rechtsschutzstelle. Doch die lehnte ab. Daraufhin klagte er vor dem Kölner Verwaltungsgericht. Irgendwie war das Gerücht aufgekommen, dass Eichmann gar nicht mehr Deutscher war. Unstrittig war, dass er 1906 in Solingen geboren wurde und dann mit seinen Eltern nach Linz zog. Sein Vater nahm die österreichische Staatsangehörigkeit an - da war aber sein Sohn Adolf schon volljährig. Trotzdem wurde im April 1961 die Klage auf Übernahme der Anwaltskosten abgelehnt. Zitat aus dem Urteil: Zitator: "Ob der Kläger die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, muss sehr bezweifelt werden, kann aber dahingestellt werden. Denn der Kläger ist nicht als Kriegsgefangener oder von einer Feindmacht in Gewahr- sam genommen worden. Er hat sich unter falschem Namen nach Ar- gentinien begeben und sich dort aufgehalten. Er hat sich der Straf- verfolgung entzogen und muss nun die dafür die Folgen tragen". Erzählerin: Doch war es wirklich um die Frage der österreichischen Staatsbür- gerschaft gegangen? Oder um eine andere? Tatsache ist, dass viele in Südamerika untergetauchte Nazis die argentinische Staatsbürger- schaft angenommen und rechtlich damit automatisch die deutsche verwirkt hatten. Der Generalmajor der Waffen-SS, Ludolf von Al- vensleben, etwa war 1952 Argentinier geworden, er war in Polen we- gen des Mordes an 30.000 Juden zum Tode verurteilt worden. Als argentinischer Staatsbürger war er vor einer Auslieferung geschützt. Ob auch Eichmann eine argentinische Staatsbürgerschaft angenom- men hatte, wollte ich vom zuständigen Wahlgerichtshof in Buenos Aires wissen. Die Antwort war: unter dem Namen Adolf Eichmann sei keine Einbürgerung erfolgt. Vielleicht aber unter dem Namen Ricardo Klement? Auf Klement lautete Eichmanns argentinischer Per- sonalausweis. Die Antwort der Behörde steht noch aus. Das Auswärtige Amt beauftragte damals die Deutsche Botschaft in Buenos Aires mit Nachforschungen über die Frage der Staatsbürger- schaft. Und die meldete nach Bonn, was ihnen das Außenministerium vor Ort mitgeteilt hatte: Zitator: "Hier liegen keine Unterlagen über eine argentinische Staatsangehö- rigkeit des Adolf Eichmann vor." Erzählerin: Offensichtlich wollte man es auch nicht so genau wissen. In der bis vor kurzem geheimen Handakte von Staatssekretär Karl Carstens hingegen findet sich der aufschlussreiche Vermerk: Zitator: "Der Minister hat entschieden, dass seitens des Auswärtigen Amtes kein Antrag auf Einleitung des Staatsangehörigkeits- Feststellungsverfahrens im Fall Eichmann gestellt werden soll. Cars- tens". Erzählerin: Der Schluss liegt nah, dass man sich hinter den Kulissen geeinigt hat. Den Kölner Verwaltungsrichtern teilte man dies aber nicht mit, son- dern ließ sie einfach verhandeln. Allenfalls die US-Regierung wurde informiert, dass der Gefangene seine Staatsbürgerschaft verloren ha- be und dass sich, so heißt es in einem Vermerk der US-Botschaft in Buenos Aires, Zitator: "die deutsche Regierung deshalb nicht verpflichtet sehe, ihm zur Seite zu stehen". Erzählerin: Am Ende zahlte die israelische Regierung 20.000 Dollar an den An- walt. Dafür kooperierte er eng mit den israelischen Behörden. Eich- mann erklärte vor Gericht, Hans Globke nicht zu kennen. Willem Sassen, der Mann der US-Botschaft, konnte seine Interviews mit Eichmann gewinnbringend verkaufen, bei der Veröffentlichung in Life sorgte CIA-Chef Allen Dulles persönlich dafür, dass dort der Name Globke entfernt wurde. Vor Gericht zeigte sich Eichmann reuig. O-Ton 7: "Ich habe die Transporte befehlsgemäß durchführen müssen. Und ich habe auch gewusst, dass ein Teil dieser Menschen in den Lagern ge- tötet wird, das muss ich wahrheitsgemäß bekennen". Erzählerin: Er schwieg über alle heiklen Geschehnisse nach Kriegsende. Auch seine Mittäter bei der Judenverfolgung - etwa die aus der Industrie - erwähnte er nicht. In seinen Aussagen, jedenfalls in denen, die der Öffentlichkeit zugänglich sind, beschuldigte er Tote oder Unterge- tauchte. Neue Erkenntnisse für die Strafverfolgungsbehörden erga- ben sich nicht. Flüchtige Nazis wurden nicht verhaftet, neue Prozesse nicht eröffnet. Im Bundeskanzleramt war man zufrieden. Der Zahlung der ersten Rate für den Atommeiler in der Negev-Wüste stand nun nichts mehr im Wege, heißt es in einem Vermerk des Auswärtigen Amtes. Zitator: "Sie sollte aber erst nach Beendigung des Eichmann-Prozesses erfol- gen, worunter die Beendigung der eigentlichen Gerichtsverhandlun- gen, also nicht etwa der Urteilsspruch selbst verstanden worden sei. Der Eichmann-Prozess hätte am 14. dieses Monats seinen Abschluss gefunden. Eine Woche später hätte daher auch Staatssekretär Globke bestätigt, dass nunmehr die Voraussetzung für die Kredithingabe ge- geben sei." Erzählerin: Der Eichmann-Prozess dauerte von April bis Dezember `61. Der An- geklagte stellte sich während des ganzen Verfahrens als Befehlsemp- fänger dar und hoffte, mit einer Haftstrafe davon zu kommen. In sei- nem Schlusswort sagte er: O-Ton 8: "Dann muss ich erklären, dass ich diesen Mord, diese Vernichtung an den Juden für eines der kapitalsten Verbrechen innerhalb der Menschheitsgeschichte betrachte. Ich habe abschließend zu erklären, dass ich persönlich diese gewaltsame Lösung schon damals als nicht zu Recht betrachtet habe, schon damals als eine grässliche Tat be- trachtet habe, zu der ich bedauerlicherweise, gebunden durch Fah- neneid, auf meinem Sektor die transporttechnischen Angelegenheiten mitbearbeiten musste und von diesem Eid nicht entbunden wurde." Erzählerin Die Hoffnung, mit dieser Argumentation die israelischen Richter gnädig zu stimmen, war indes vergebens. Am 15. Dezember 1961 wurde Adolf Eichmann zum Tode verurteilt, am 31. Mai 1962 hinge- richtet. Es war ein Jahrhundertprozess, der weltweites Aufsehen erregte und der nicht zuletzt in der Bundesrepublik maßgeblich dazu beitrug, dass nach Jahren der Tabuisierung eine öffentliche Auseinandersetzung über die Verbrechen der Nazizeit allmählich in Gang kam. Nach fünfzig Jahren sind aber immer noch viele Fragen nicht geklärt. Der argentinische Richter Leopoldo Schiffrin hofft, dass die Hinter- gründe vollständig aufgeklärt werden. Denn dass das Verfahren in Jerusalem ein Jahrhundertprozess war - daran bestehe kein Zweifel. Er erinnert daran, dass die aus New York angereiste Prozessbeobach- terin Hannah Arendt - bei aller Kritik - einen zukunftsweisenden As- pekt hervorhob: O-Ton 9: "Hannah Arendt quien observó como ... Übersetzer: Hannah Arendt lobte ausdrücklich die Einstellung der israelischen Richter, die sich auf eine römisch-christliche Doktrin des Völker- rechts stützten. Diese Doktrin der "universellen Strafgerichtsbar- keit" begann mit dem Eichmann-Prozess und wurde später als Rechtsgrundlage für den spanischen Auslieferungsantrag bezüglich des in England weilenden Diktators Pinochet herangezogen. Auch argentinische Folterer konnten so vor spanischen Gerichten ange- klagt werden. Erzählerin Die israelischen Richter hatten sich in einer schwierigen Rechtslage befunden, denn seit der Französischen Revolution galt der Grundsatz: keine Verurteilung ohne ein bestehendes gesetzliches Verbot. Und Eichmanns Untaten waren nach den Gesetzen des Nazi-Regimes nicht verboten gewesen. Außerdem konnte ihm ein eigenhändig be- gangener Mord nicht nachgewiesen werden, er war ein "Schreibtisch- täter". O-Ton 10: "Si la ley penal que debe estar presente ... Übersetzer: Das Strafgesetz, das zum Zeitpunkt des Delikts in Kraft ist, regelt ja auch die Verjährungsfrist. Es bestimmt, bis wann der Staat eine Straftat verfolgen darf. Das war bei den Nürnberger Prozessen kein Problem. Sie wurden ja zeitnah an den Verbrechen des Dritten Rei- ches durchgeführt. Aber in den 60-er Jahren drohten diese Delikte zu verjähren. Das änderte man, indem man sie zu Verbrechen gegen die Menschheit erklärte, die niemals verjähren. Erzählerin Eichmann wurde in Jerusalem der Prozess gemacht: Selbstverständ- lich war das nicht. Warum sollte Israel Gerichtsstand sein? Zum Zeitpunkt der Geschehnisse hatte der Staat noch gar nicht einmal existiert. Die israelischen Richter befanden, dass es sich bei Völker- mord, der systematischen Vernichtung einer ganzen Volksgruppe, um derart grausame Verbrechen handelte, dass sie die gesamte Menschheit betrafen. Juristisch werden sie seitdem "crimes against humanity" genannt, Verbrechen gegen die Menschheit. Wenn aber die ganze Menschheit betroffen ist, dann sollen auch alle Gerichte der Welt über sie urteilen dürfen. Das war damals ein mutiger Schritt, sagt Richter Schiffrin. Inzwischen habe sich diese Auffassung durch- gesetzt, die Einrichtung des Internationalen Strafgerichtshofes beru- he auf dieser Doktrin. Aber entstanden sei sie vor fünfzig Jahren, in Jerusalem. O-Ton 11: "Mal acontecimiento .... Übersetzer: Aus einem schlechten Ereignis wird oft ein gutes Ereignis. Das war auch bei uns so. Es gab während der argentinischen Diktatur diese furchtbare Folter und die Ermordung gesellschaftlicher Gruppen. Aber inzwischen ist daraus nicht nur eine sehr fortschrittliche Ge- setzgebung entstanden, sondern auch das Bewusstsein in der Gesell- schaft, dass Folter und Mord unter gar keinen Umständen zu tole- rieren seien. Den Leuten, die Eichmann - wie auch immer - nach Is- rael brachten, gratuliere ich nicht. Aber den Richtern, die ihn wegen seiner Verbrechen aburteilten, spreche ich aus ganzem Herzen mei- nen Respekt aus. Regie: O-Ton am Ende hoch und Absage drauf 1