COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur Länderreport 3.7.2012, 13.07 Uhr Integration mit Multikulti-Reklame Wie in Hamburg Werbung für Migranten gemacht wird Autor Petra Marchewka Red. CS Rehfeld Sdg. 03.07.2012 - 13.07 Uhr Länge 18'41" Moderation Eine Agentur in Hamburg befindet: Die übliche Reklame sei, kulturell gesehen, farblos, weil sie Menschen mit ausländischem Hintergrund ausklammere. Die Lösung: "Ethno-Marketing". Zahnpasta in arabischer Tube, Broschüren auf türkisch, Migranten als Models. Dann verkaufe sich fast alles wie "geschnitten Brot". Kann Reklame-Multi-Kulti auf türkisch, russisch oder polnisch Motor sein für bessere Integration, gar mehr Interesse an kultureller Vielfalt wecken? Wollen bei uns lebende Einwanderer - 30 Prozent in Hamburg - überhaupt mit subtilen Marketing-Botschaften in Muttersprache und -kultur umworben werden? Oder bedient "Machst Du kaufst Du"-Marketing bestehende Ressentiments und Klischees? Petra Marchewka gibt uns die Hamburger Antwort darauf. -folgt Script Beitrag- Script Beitrag Musik 1: "Eski Sille", Interpret und Komponist: Silifke Folklor Ekibi, Label: Coskun Plak San, Album: Silifke Folklor Ekibi - Turkish Folklor Music, KB 34-Ü-044, LC: / , Länge (Titel freistehend): 0'10'' liegt unter folgenden Texten, O-Tönen und Collagen: 1. O-Ton: Erturan 1: "Ethno und Marketing. Ethno: griechisch, Volk." Collage: sehr kurze Schnipsel aus türkischer, polnischer und russischer TV-Werbung, schnell geschnitten, mit Musik vermischt, liegen zwischen den O-Tönen: 2. O-Ton: Erturan 1: "Es konzentriert sich dabei auf bestimmte Völkergruppen, auf bestimmte Ethnien in einer Bevölkerung." weiter Collage und Musik 3. O-Ton: Erturan 1: "Und Marketing ist halt, wie man es kennt, eine Vermarktung, Werbung, Offenbarung..." Text: Mesut Erturan reicht Espresso "à la George Clooney". Na, mit Clooney ist dem Kaffeeröster aber ein wirklich toller Werbe-Coup gelungen, bemerkt der adrette Mann jovial. Collage, Musik läuft weiter Text: Halstuch, Hemd, korrekte Frisur: Der Werber mit den türkischen Wurzeln gibt sich makellos und kulturell übergreifend. Die Kampagne eines Weißwaschmittels für die deutsche Frau Saubermann traut man ihm ebenso zu wie Reklame für Döner Kebab. Zu seinen Kunden gehören ein paar größere deutsche Elektronikfirmen, verschiedene Ministerien und auch eine Zahnpastamarke. Collage endet hier, weiter Musik Text: Ethnomarketing: Das braucht die Multi-Kulti-Gesellschaft, sagt Mesut Erturan. 4. O-Ton: Erturan 2: "Die Ursache dafür ist eigentlich, dass verschiedene Völker ihre eigenen kulturellen Hintergründe mitbringen und dadurch natürlich auch unterschiedliche Affinitäten, unterschiedliche Lebensarten, unterschiedliches Medienkonsumverhalten, unterschiedliche Essgewohnheiten und Konsumverhalten allgemein sich entwickeln. Und wenn man jetzt ein allgemeines Marketing macht und auf die Besonderheiten keine Rücksicht nimmt, erreicht man diese Menschen auch nicht." Musik 1, steht kurz frei, endet dann. Atmo 1: im türkischen Restaurant, Stimmen, Musik im Hintergrund, Geschirr klappert, darauf: Text: Während Mesut Erturan nun erstmal anhand von selbstgemachten Schautafeln über Marketing im Allgemeinen und die Ethno-Sparte im Besonderen referiert, rührt Kerim Pamuk in seinem türkischen Stammlokal im Hamburger Schanzenviertel nachdenklich in einem goldfarbenen Tee. 5. O-Ton: Kerim Pamuk 15: "Werbung ist Werbung, der Produktname wird etwa 50 Mal wiederholt, damit es auch der größte Schwachkopf begreift..." Text: Der Autor und Kabarettist betrachtet die Dinge des Lebens berufsbedingt mit skeptischer Distanz: Beim Stichwort "Ethnomarketing" bekommt sein ernsthafter Gesichtsausdruck so einen ganz bestimmten, spöttischen Zug. 6. O-Ton: Kerim Pamuk 21: (liest:) "Telekom sei Dank." Text: Schon 2003 war Kerim Pamuk aufgefallen, dass sich die Wirtschaft für ihn und seine Landsleute zu interessieren beginnt. 7. O-Ton: Kerim Pamuk 21: (liest:) "Große Erkenntnisse bedürfen langer Vorlaufzeiten. So brauchen die allwissenden Marktforscher knappe drei Jahrzehnte, um Türken als Konsumenten zu entdecken." Text: Der Hamburger mit türkischen Wurzeln, wie er sich selbst unter Vermeidung des Begriffs "Migrationshintergrund" gerne nennt, erzählt in seinen Büchern und bei seinen Bühnenprogrammen "Burka & Bikini" und "Leidkultur", mit denen er zur Zeit durch Deutschland tourt, viel vom türkisch-deutschen Zusammenleben. Die Geschichte, die dem 42-Jährigen zum Thema Ethnomarketing aus der Feder floss, ist in seinem Buch "Sprich langsam, Türke" bei Nautilus veröffentlicht. 8. O-Ton: Kerim Pamuk 21: (liest:) "Das Staunen war groß. Der türkische Teilbürger hortet also nicht jeden Cent und transferiert ihn sofort in die Heimat. (...) Türkmann gibt sein Geld aus. In Deutschland. Sofort wurde die kollektive Kaufkraft berechnet, Ergebnis: eine verdammt große Summe. Was tun? Erst einmal ein neues Wort erfinden: Ethnomarketing. Motto des Ethnomarketings: Lebst du hier, Kollega, kriegst du auch Werbung in deiner Sprache, ne. Manchmal würden wir gern auf Integration verzichten." Musik 2: "Fidayda", Interpret und Komponist: Doruk Onatkut Orkestrasi, Label: MEGA MÜZIK, LC: / , ASIN: B002KDLQXK, Länge (Titel freistehend): 0'10'' vermischen mit: Collage: sehr kurze Schnipsel aus türkischer, polnischer und russischer TV-Werbung, schnell geschnitten und mit Musik vermischt. Musik läuft weiter Text: Wer Geld ausgeben kann, ist interessant. Das habe man in den 1950er Jahren zuerst in den USA gemerkt, sagt Mesut Erturan 9. O-Ton: Erturan 3: "Da waren natürlich die Migrationsstrukturen komplett verschärft als natürlich bei uns hier, es gibt in den USA auch komplette Viertel, wo die Mehrheitsgesellschaft komplett ausgeschlossen ist. Die Ursprünge gehen eigentlich so weit zurück, dass ein US-amerikanischer Gebrauchtwagenhändler Mexikaner ansprechen wollte. Und mit dem Erfolg entstand eigentlich die gesamte Einsicht für den Bedarf an Ethnomarketing. So ging es eigentlich los." Text: Bei uns bemühen sich die Multi-Kulti-Werber in erster Linie um die Gruppe der türkisch-stämmigen Einwanderer: 21 Prozent aller bei uns lebenden Familien mit Migrationshintergrund haben türkische Wurzeln, und deren Kaufkraft, hat ein Fachmagazin für Ethnomarketing errechnet, liege bei etwa 20 Milliarden Euro jährlich. Als einer der ersten wollte der Autobauer mit dem Stern an dieser Summe partizipieren und warb 1995 in Werbespots mit einer türkischen Großfamilie auf Heimatbesuch. Collage: kurze Ausschnitte aus TV-Spots, wie oben Musik endet hier Text: Betrachtet man aber das Gros der deutschen Produkt- und Dienstleistungswelt, so ist die Zahl der deutschen Unternehmen, die bei uns die Gruppen der Einwanderer gezielt umwirbt, nach wie vor sehr klein. 10. O-Ton: Erturan 6: "Es ist noch immer mittlerweile schwierig genug, überhaupt deutsche Unternehmer von der Notwendigkeit von Ethnomarketing zu überzeugen." Erturan 10: "Es gab zum Beispiel einen großen Kunden, den ich jetzt namentlich nicht nennen möchte, die eigentlich Sportartikel herstellen. Ein deutsches Unternehmen, aber sie hatten sich Sorgen gemacht, dass wenn sie jetzt eine aggressive Ethnomarketing-Strategie fahren, sie möglicherweise zu Missverständnissen bei der Mehrheitsgesellschaft führen könnte. Insofern, als dass sie dann sagen würden: Euch geht's schlecht, ihr greift sogar jetzt die Randmärkte an." Text: Unternehmen, die sich für eine Ethno-Kampagne entscheiden, werben fast ausschließlich in den Medien der Einwanderer, in türkischen, polnischen, russischen TV-Sendern oder in deren Zeitungen. Für die deutschen Konsumenten ist diese Werbung nahezu unsichtbar. 11. O-Ton: Erturan 5: "Macht ja wenig Sinn, eine Ethnomarketing-Kampagne in der Bild zu fahren. Oder im Hamburger Abendblatt. Oder in der Süddeutschen Zeitung. Weil die Zielgruppe damit ja nicht erreicht wird. Und so bleibt das natürlich eine ziemlich abgeschlossene Geschichte." Text: Eine Ethno-Werbekampagne in einem der großen deutschen Blätter zu starten, sei auch aus einem anderen Grund heute noch immer undenkbar, meint Mesut Erturan. 12. O-Ton: Erturan 7: "Ja, es ist natürlich durchaus schwierig, in einem Land, wo wir über mehrere Jahre die Diskussion um das Thema Leitkultur hatten, jetzt den Redakteuren nahezulegen, jetzt auch mal auf die verschiedenen Bevölkerungsschichten einzugehen." Text: Mesut Erturan schiebt die Tasse mit dem George Clooney-Getränk beiseite und erhebt sich aus dem schweren, dunkelbraunen Ledersessel. 13. O-Ton: Erturan 30: "Ich zeige Ihnen gerne unsere Agentur, der Raum, wo wir hier gesessen haben, war unser Besprechungszimmer, wo wir Kundengespräche führen..." Text: Die Agentur Glim liegt in unmittelbarer Nähe des Harburger Bahnhofs. Gegenüber ein türkischer Supermarkt, um die Ecke ein Friseur und ein Imbiss. Harburg gehört zu den Hamburger Stadtteilen mit dem höchsten Zuwanderer-Anteil, 36 Prozent der Menschen hier stammen aus anderen Ländern. Mesut Erturan wurde hier geboren, ist in Harburg zur Schule gegangen, hat hier studiert. Bis heute wohnt er hier mit seiner Frau und zwei Kindern. 14. O-Ton: Erturan 30: "...wenn wir mal einen Blick auf die Terrasse werfen, dann begleiten wir einfach den Klang der Züge, dann sehen Sie auf unserer großen Terrasse, dass die Bahn ständig an uns vorbei fährt. Aber die freie Sicht bis in die Hamburger Innenstadt hinein entlohnt Sie dafür..." Atmo 2: Straßenatmo, Harburg, Autos, Züge rumpeln vorbei, darauf: Text: Der 38-Jährige hat nach einem Kommunikationsdesign-Studium acht Jahre lang bei verschiedenen ortsansässigen Werbeagenturen gearbeitet. Mit Ethnomarketing könne man einen Beitrag zur besseren Integration von Einwanderern leisten, ist Mesut Erturan überzeugt. Nein, werfen ihm Kritiker vor: Seine Art von Werbung grenze Migranten aus und zementiere Parallelwelten. 15. O-Ton: Erturan 20: "Den Vorwurf höre ich jedes Mal, dem kann ich eigentlich nur entgegen bringen, dass wenn Sie eine Integration erlangen wollen, Sie natürlich die zu integrierenden Menschen erstmal ernst nehmen müssen. Das signalisiert man ganz einfach, indem man sie einlädt, indem man mit ihnen kommuniziert, indem man ihnen signalisiert: Ihr seid uns genauso wertvoll wie wir selber. Dann kommt nämlich das integrative Element von alleine. Wenn man das wirklich ernsthaft, authentisch betreiben würde, wären wir mit unserem Integrationsgrad meiner Meinung nach schon viel weiter als heute." Atmo 3: Stadtatmo Hamburg, Hafen, Schiffe tuten, Möwen schreien, liegt unter folgenden Texten und O-Tönen: 16. O-Ton: Kleßmann 4: "Also, eine Firma, die ihre Telefonkarten verkaufen will, hat natürlich viel klarer ihre Gruppe im Blick und muss sich dementsprechend ausrichten, und wir haben eben die Gesamtheit aller Migranten hier im Blick..." Text: Oliver Kleßmann von der Hamburger Behörde für Arbeit, Soziales und Integration. Auch seine Aufgabe ist es, die in Hamburg lebenden Einwanderer anzusprechen und bestenfalls für die neue Wahlheimat zu begeistern. Nicht einfach, bei 183 verschiedenen Nationen. 17. O-Ton: Kleßmann 2: "Ganz generell denken die meisten Leute bei den klassischen Werbemaßnahmen immer an Broschüren, Flyer, Plakate, das ist aber nur ein sehr eingegrenzter Bereich. Aber wie erreichen wir tatsächlich auch die Migrantenfamilien? Und da stellen wir oft fest, dass es Autoritätspersonen in der Familie gibt, die Großmutter, der große Bruder, die sind wichtig für uns zu erreichen, weil die sind bestimmend in so einer Familie und geben die Informationen weiter." Text: Immer noch das glaubwürdigste Marketing sei die Werbung von Mensch zu Mensch, meint Doris Kersten, die seit zehn Jahren im Bereich der Integration von Zuwanderern arbeitet. Sogenannte Einbürgerungslotsen, Menschen also und keine Werbefiguren, kümmern sich ehrenamtlich um die Neuankömmlinge, erklärt sie. 18. O-Ton: Kersten 3: "Wir haben hier in Hamburg inzwischen über 80 Einbürgerungslotsen, die auch wirklich aus allen möglichen Communities kommen und die Menschen begleiten, je nach dem, welche Unterstützung sie wollen, und das sehr erfolgreich." Text: Gerade ist in der Hansestadt eine Plakat-Kampagne abgeschlossen worden: Berühmte Hamburger Bürger unterschiedlicher Herkunft hatten darauf für ihre Stadt geworben mit dem Text: "Hamburg. Mein Hafen. Deutschland. Mein Zuhause." Atmo 3 endet hier Atmo 4: Straßenatmo Hamburger Schanzenviertel, darauf: 19. O-Ton: Beim Friseur 2, Türke: "Ethno? (spricht ein paar Worte türkisch)..." Text: Spezielle Werbung für Migranten.... 20. O-Ton: Beim Friseur 2, Türke: "Das brauchen wir nicht (schmeißt den Fön an)...." Text: ....finden die Migranten selbst kaum relevant. 21. O-Ton: Beim Friseur 2, Türke: "Warum? Ich bin zufrieden mit deutscher Werbung, wir brauchen nicht türkische oder noch andere Nationalität...." Text: Im Hamburger Schanzenviertel, einem Stadtteil mit Multi-Kulti Tradition, sprechen die meisten Einwanderer sehr gut Deutsch. 22. O-Ton: Beim Friseur 2, Türke: "...wenn Du in Deutschland lebst musst Du auch deutsch lernen, deutsch wissen, und dann ist kein Problem. Brauchen wir nicht in andere Nationalität Werbung. Lieber deutsche. Süß und blond." Musik 1: Eski Sille, Silifke Folklor Ekibi, türkische Folklore, liegt unter folgenden Texten, O- Tönen und Collagen: Atmo 2: türkisches Restaurant, darauf: Text: Der Kabarettist Kerim Pamuk ist an der türkischen Schwarzmeerküste geboren und hat in Hamburg Germanistik und Orientalistik studiert. Seine vielseitigen Sprachkenntnisse nutzt er für treffsichere Analysen kultureller Eigentümlichkeiten. Sie zu beherzigen sei unbedingte Voraussetzung für gelungenes Ethnomarketing, sagt er augenzwinkernd. 23. O-Ton: Kerim Pamuk 11: "Also ich vermute, man braucht den Türken nicht mit Selbstfindung, mit Pünktlichkeit, mit 'Sei Du selbst, leb Dich aus' zu kommen, und man sollte sicherlich, wenn man ein Produkt an Türken verkaufen will, keine offensichtlichen Witze über Fußball machen, denn der Fußball ist den Türken heilig, man sollte keine Witze machen über Atatürk, und natürlich sollte man es vermeiden, sich über den Propheten oder Allah lustig zu machen. Ich glaube, wenn man in diese Fettnäpfchen tritt, kann man das, glaube ich, gleich in die Tonne kloppen. Ansonsten, denke ich, sind die Türken für alles offen." Collage: sehr kurze Schnipsel aus türkischer TV-Werbung, schnell geschnitten und mit Musik vermischt. Text: Offen zum Beispiel für Autos.... 24. O-Ton: Kerim Pamuk 9: "Bei der PKW-Werbung wäre von Vorteil ein türkisch-sprachiges Navi: Bei Döner Hassan rechts und bei Import-Export Cengiz links, bei Frisör Erkan rechts. Und natürlich soll es viele blinkende Knöpfe haben, das mögen Türken sehr gern, Hauptsache es blinkt, und die Hupe sollte eine Melodie haben. Statt des typisch deutschen ÖÖÖÖ eher eine Melodie haben, weil der Türke an sich auch gerne hupt. Vor allem aus der ersten und zweiten Generation." Collage: sehr kurze Schnipsel aus türkischer TV-Werbung, wie oben. Text: ...offen für Artikel des täglichen Bedarfs. 25. O-Ton: Kerim Pamuk 8: "Also bei der Zahnpasta sollte die Firma darauf achten, dass natürlich keine Gelatine vom Schwein verwendet wird, sprich: dass die Zahnpasta helal ist, also nichts vom Schwein enthält, und dass sie vielleicht sogar die Goldzähne der meisten Benutzer schonend behandelt. Und man könnte natürlich auch einen religiösen Würdenträger nehmen, der sein glänzendes Lächeln in die Kamera hält, strahlt und dann eben sagt, dass er sich auf seine Zahnpasta bei den Freitagspredigten voll verlassen kann." Atmo türkisches Restaurant und Musik 1 enden hier 26. O-Ton: Erturan 22: "Das ist jetzt eine Verpackung aus dem arabischen Raum, wie man unschwer an den arabischen Schriftzeichen erkennen kann...." Text: Mesut Erturan, der Harburger Ethnomarketing-Spezialist, hat inzwischen eine Auswahl seiner Arbeiten vor sich ausgebreitet. Die Zahnpasta-Verpackung für Konsumenten aus dem arabischen Kulturkreis blinkt und glänzt, als käme sie aus der Abteilung für Autozubehör. 27. O-Ton: Erturan 22: "Sie haben sehr viel Chrom, sehr viel Metalleffektlack, Sie haben sehr viel Blau und Rot, Rot würde man zum Beispiel selten in der Konstellation bei uns benutzen." Text: Die von ihm entworfene Plastikflasche, in der sich ein Blumendünger befindet, zeigt eine ländlich wirkende, ältere Dame mit Kopftuch vor einem Beet mit Kartoffeln und Konsorten. 28. O-Ton: Erturan 26: "Ja, es ist definitiv schon mal eine außergewöhnliche Person, wenn man berücksichtigt, dass selten Menschen auf Pflanzendüngerverpackungen gestellt werden, da werden normalerweise nur Pflanzen raufgesetzt. Nur wir verfolgten eine Strategie der Wiedererkennung und wollten eine Zielgruppe ansprechen, die in bisschen mehr Heimatempfinden noch hat. Und auch Sehnsüchte hat. Und dementsprechend eine Figur eingesetzt, die diese Sehnsüchte sehr gut transportiert." Text: Man kann ja so viel falsch machen beim Ethnomarketing, sagt Mesut Erturan. Damit ihm das nicht passiert, beschäftigt er ein Team aus freien Mitarbeitern, aus Polen, Russland, dem arabischen Raum. Musik 2: Fidayda, Doruk Onatkut Orkestrasi, türkische Folklore, vermischen mit: Collage: sehr kurze Schnipsel aus türkischer, polnischer und russischer TV-Werbung, schnell geschnitten zwischen die folgenden O-Töne, mit Musik vermischt: 29. O-Ton: Erturan 24: "Gemeinsam sind wir stark, werden Sie so in der Türkei kaum etwas erreichen können, wenn Sie die Worte so übernehmen." Collage und Musik 30. O-Ton: Erturan 24: "Auf türkisch würde das ungefähr lauten: (spricht einige türkische Worte) Das würde dann übersetzt bedeuten: Was hat schon eine Hand, man klatscht erst mit zweien. Das sind so Übertragungen, die vom Empfinden her dieselbe Botschaft vermitteln." Collage und Musik 31. O-Ton: Erturan 27: "Deutsche Schlagzeile: Überwinden Sie Ihren Schweinehund!" Collage und Musik 32. O-Ton: Erturan 27: "Das ist im Deutschen durchaus niedlich, wenn Sie dieselbe Headline übersetzt ins Türkische nehmen würden und den Begriff der Schweine nehmen würden... Dort gilt es als beleidigend." Collage und Musik 33. O-Ton: Erturan 27: "Da muss man schon aufpassen. Dann geht der Schuss nach hinten los (lacht)." Text: Auch Werbebotschaften in Schreibschrift sind für die Katz: In Ländern wie der Türkei oder Polen werde Schreibschrift gar nicht gelehrt, sagt Erturan. Und dann die Farben: Pastelltöne, die die meisten deutschen Konsumenten für schick und edel halten, empfinden Menschen aus dem pazifischen und mediterranen Raum als öde und tot. Sagt die nordeuropäische, klassische Designlehre: Kombiniere niemals knalliges Rot mit Blau, so werden Zielgruppen aus südlichen Breitengraden bei dieser Zusammenstellung erst richtig wach. 34. O-Ton: Erturan 16: "Also wenn Sie jetzt den mediterranen Raum nehmen, rund um das Mittelmeer, haben Sie ein relativ ähnliches Verhaltensmuster. Und ein relativ ähnliches Farbempfinden." Text: Allerdings, gibt Mesut Erturan zu bedenken, sei auch das Alter der Zielgruppe wichtig: Je jünger die Menschen mit Migrationshintergrund, desto mehr habe sich deren Geschmack bereits unserer Kultur angeglichen. Musik endet hier Atmo 5: Café-Atmo, Stimmen im Hintergrund, Geschirr, Espressomaschine, darauf: Text: Und wohin wird diese Erkenntnis, in die Zukunft geschaut, die Welt der Werbung führen? 35. O-Ton: Kay Peters 12: "Wir denken nicht mehr in Ländern, wir denken global, und ansonsten denken wir schon so sublokal, dass wir gar nicht mehr in Ländergrenzen denken." Text: Kay Peters hat in Kalifornien in den USA internationales Marketing gelehrt und ist jetzt Professor an der Universität Hamburg, am Institut für Marketing und Medien. Ethnomarketing, sein Spezialgebiet, befinde sich in einem grundsätzlichen Wandel, stellt er fest. 36. O-Ton: Kay Peters 7: "Was wir früher in den 70er, 80er, 90er Jahren noch sehr stark an der Herkunft festgemacht haben, löst sich in den Metropolen zunehmend auf." Atmo 3: Stadtatmo Hamburg, Hafen, Schiffe tuten, Möwen schreien, vermischt sich mit: Musik 1: Eski Sille, Silifke Folklor Ekibi, türkische Folklore, liegt unter folgenden Texten und O-Tönen Text: In Zeiten zunehmender Globalisierung werden künftig nicht verschiedene Ethnien Ziel der Werber sein, sondern multikulturell zusammengesetzte, länderunabhängige Interessengruppen, so prognostiziert es der Hamburger Wissenschaftler. 37. O-Ton: Kay Peters 6: "Wir haben keinen Stillstand in der Gesellschaft. Das heißt: Es ist wahrscheinlich, und das ist auch das Globale, was wir auch in unserem täglichen Leben merken, beim iPhone, beim iPod, dadurch, dass wir in vielen Metropolen diese Sub- und Subsubkulturen finden, gibt es mittlerweile weltweite Marken, die diese Kulturen von New York über Singapore bis Shanghai bedienen." Kay Peters 11: "Und globale Marken könnten ja nicht funktionieren, wenn wir alle so unterschiedlich wären. Und uns nicht aufeinander zu bewegen würden." Text: Keine typisch spanische Paella? Kein typisch schottischer Whiskey? Kein typisch türkischer Döner Kebab? Weil in der Welt der Waren und Gewohnheiten immer weniger regionaltypisch sein wird? Nein, beruhigt uns da die Wissenschaft, ganz so schlimm wird es dann doch nicht kommen. 38. O-Ton: Kay Peters 13: "Natürlich habe ich meine norddeutschen Wurzeln. Auf die bin ich auch stolz. Die Leute sind heute wesentlich stolzer auf ihre regionale Herkunft, als sie es jemals vorher waren. Das liegt an dem Bedürfnis, als Mensch anders zu sein. Man sieht in diesen Metropolen diese zwei Millionen Menschen und denkt: Sind die alle gleich? Nein, ich bin anders. Und das denkt jeder von sich." Atmo und Musik enden hier. ENDE Sendung 1