COPYRIGHT: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von DeutschlandRadio / Funkhaus Berlin benutzt werden. Deutschlandradio Kultur: Die Reportage Titel: New York - danach / Leben mit dem Krater Autorin: Kerstin Zilm Anmoderation: Am 11. September 2001 sterben 3000 Menschen bei einem der schlimmsten Terroranschläge der Geschichte. Die Reportage sendet heute ein Zeitdokument: Eine Woche nach dem Anschlag in NYC reist Kerstin Zilm nach Manhattan und taucht dort in den Alltag ein. Beißender Gestank hüllt noch immer die Halbinsel ein. Staub liegt überall, sogar in den Schlafzimmern der Anwohner. Der öffentliche Verkehr steht teilweise still. An Laternenmasten und Bushaltestellen hängen Flugblätter - mit den Fotos und Namen der Vermissten. Der riesige Krater im Süden Manhattans ist Sinnbild für Zerstörung, aber auch für den Neuanfang. Schon wenige Tage nach dem Anschlag zeigt sich, dass die Menschen zusammenhalten und mit Trotz und Mut ihre Stadt, ihr Land und auch sich selbst verteidigen. Atmo Straße (1:30) Sprecherin Manhattan, 34ste Straße, Ecke 5th Avenue. Silberweiß leuchtend strecken sie sich in den fast wolkenlos blauen Himmel - zwei Türme aus Glas und Stahl. Sie stellen alles andere in den Schatten, ziehen jeden Blick zuerst auf sich - auf den Postkarten ... wie hier an der 34sten Straße, Ecke 5th Avenue beim Souvenirhändler. New York ... wie es war, bis zum 11. September war, mit dem World Trade Center. In der Ferne steigen gelbliche Schwaden auf. Der Stand mit den Postkarten vom World Trade Center aus allen Blickwinkeln und zu allen Tages-und Nachtzeiten ist dicht umlagert. O-Ton (3:15:00) "I want a souvenir ... like to have a souvenir." Ich suche ein Souvenir von den schönen Zwillingstürmen, den Türmen. Ein Souvenir. Ich möchte ein Souvenir." O-Ton (3:20:55) "I want one ... isn't that gourgeous?" Jetzt wo ich sie sehe, will ich auch eine. Vielleicht, wo es nachts erleuchtet ist. Ist das nicht herrlich? Der Souvenirhändler hat es in diesen Tagen kaum noch mit Touristen zu tun, in seinen Laden kommen fast nur New Yorker. Wie die zwei Polizistinnen, die schon mehrere Karten in der Hand halten. O-Ton (3:20:40) "Somebody asked us ... a dollar now." Jemand hat uns gebeten, Postkarten zu kaufen, wenn wir welche sehen, weil sie so schwer zu kriegen sind. Früher hat man zehn für einen Dollar gekriegt. Jetzt, wo das World Trade Center nicht mehr steht, kostet jede einen Dollar. Atmo Straße Wall Street (39:15) Manhattan, Nassau und Fulton Street. Zwei Häuserblöcke östlich von dem Ort, wo 1,5 Millionen Tonnen Schutt von den Türmen übrig geblieben sind. Gedränge an einem abgesperrten Gehweg. Einige in Geschäftskleidung, andere in Freizeitkluft, Fotoapparate um den Hals oder in der Hand. Wo die Seitenstraße den Blick frei gibt, bleibt immer mal wieder einer stehen, schaut, starrt, hält den Atem an, greift zum Fotoapparat: Etwas Rauch, viel Staub, die Ruine des World Trade Centers: verbogene Stahlsäulen, die ihre Krallen gen Himmel recken, dazwischen Schuttberge und ein paar Menschen, die wie kleine Tiere über die Trümmer kriechen. Alles merkwürdig farblos, nah und doch so weit entfernt. Der Polizist auf der anderen Seite der Absperrung fordert dazu auf, weiterzugehen: O-Ton "we have to keep walking, have to keep going" REGIE: Ohne Übersetzung stehen lassen Hinter ihm biegen Soldaten in Tarnanzügen in die Seitenstraße ab. Soldaten in New York, das hat es hier noch nie gegeben. Polizisten tragen Absperrungen, Lieferwagen bringen Wasser, Obst, Brote, Taschenlampen, Handschuhe zu den Helfern, die ein paar Meter weiter noch immer nicht aufgegeben haben. Die Überlebende suchen, aber Tote bergen. REGIE: Atmo kurz hoch Die enge Straße öffnet sich zum sonnigen Platz vor der Börse. Eine riesige US-Flagge hängt über der Eingangstreppe. Wer sich nicht ausweisen kann, kommt nicht rein. Polizeikontrollen wie vielerorts, hier im Meterabstand an den Absperrgittern. Davor Männer und Frauen in den blauen Kitteln des Börsenparketts, Soldaten, Reporter mit Kameras und Mikrofonen, Techniker, die unter der Erde an Telefonkabeln arbeiten, ein paar Touristen und Pizzalieferanten. Viele von ihnen tragen weiße Atemmasken vor dem Mund. Die Zunge ist schnell belegt, im Hals kratzt es. In der Steh-Imbiss-Pizzeria an der Nordwestecke herrscht Hochbetrieb. Luke Garro hat seinen Laden eine Woche nach dem Terroranschlag wieder aufgemacht. O-Ton "at the end ... not anything." Ende des Monats will die Bank meine Raten fürs Haus und ich muss weiter leben, essen. Deshalb. Sie werden uns nicht stoppen. Nicht ändern. Wir kommen zur Arbeit, um zu arbeiten. Und Fakt ist: niemand wird uns hier in New York stoppen, niemand! Keine Bombe, nichts! Vor der Börse lehnen Guillamo und Sylvia Traffiniks sich gegen ein Absperrgitter. Vater und Tochter, er im blauen Kittel der Börsenhändler, sie im braunen Kostüm. Sylvia ist Finanzexpertin eines Versicherungsunternehmen mit Büro zwei Straßen weiter östlich. Als die Flugzeuge in die Türme rasten, waren sie gerade bei der Arbeit. Seit diesem Tag hatten sie sich nicht mehr gesehen. Sie erzählen sich, wie sie die Tage erlebten und lächeln sich immer wieder an. Sylvia hatte Angst, zur Arbeit zu kommen. O-Ton (47:55) "I was very ... and be strong." Ich war sehr nervös, erschüttert. Aber ich wusste, dass es wichtig war, nicht nur für mich, sondern auch für New York. Ich denke, nachdem was passiert ist, müssen wir versuchen, zu unserem Leben zurück zu kehren. Sonst haben sie uns geschlagen. Das war mein ehrliches Gefühl. Ich wollte unbedingt hierher zurück kommen. Man muss vorwärts schaun und stark sein. (Riedel) Guillamo, ihr Vater, hat vor über 40 Jahren als Lehrling an der Börse angefangen. Zu seiner Biografie gehören der Vietnamkrieg und Kennedys Ermordung. Aber nichts war so traumatisierend für ihn wie die brennenden und einstürzenden Türme des World Trade Centers. Dass die Börse wieder arbeiten kann, ist für ihn ein kleines Wunder, dass alle Aktienverluste aufwiegt. 8. O-Ton (46:45) "We all would have ... why we are here." Wir wären alle lieber irgendwo in den Wäldern Canadas gewesen. Aber wir haben eine Pflicht gegenüber der Öffentlichkeit. Die hat uns unterstützt und wir unterstützen sie. Wir müssen hier sein für sie. Das ist unsere Pflicht. Deshalb sind wir hier. Atmo Musik im Park plus Diskussion (2:48:00 plus 1:38:45) New York. 14. Straße, Union Square. Unmittelbar nach den Anschlägen war Manhattan südlich dieser Linie gesperrt. Der Park rund um das Reiterdenkmal von Präsident Washington wurde zum improvisierten Treffpunkt. Rund um die Uhr wird gestritten und gesungen, diskutiert und gebetet, geweint und getröstet. Am Denkmal hängen amerikanische Flaggen und ein Laken mit dem Friedenszeichen. Auf der Wiese und auf den Stufen zum Denkmal liegen Blumensträuße neben Kerzen. An den Zäunen hängen amerikanische Flaggen, postkartenkleine und lakengroße. Dazwischen Werbezettel für preiswerte Yoga- und Massagekurse sowie Gedichte für Flugbegleiter und Verse aus der Bibel. Plakate, die zu Demonstrationen für Frieden aufrufen oder zum Aufrüsten für den Krieg. Die Bushaltestelle ist zugepflastert mit Fotos von Vermissten: Meistens lachende Gesichter vor Sonnenuntergängen, Palmen oder Wohnzimmermöbeln. Darunter detaillierteste Informationen über Größe, Gewicht, Kleidung, Narben und andere Besonderheiten der Gesuchten. Die Namen zeigen die Vielfalt New Yorks: Ramon Grualvo, Joshua David Birnbaum, Nestor Chevalier, George Merkousis, Laura Rockefeller, Uhuru Gonja. Vor dem Denkmal hat ein Musiker Mikrofon und Lautsprecher aufgebaut. Wer will, kann hier beten, singen oder reden. Zum Beispiel Luke. 9. O-Ton (1:45:33) "basically I just ... that matters." Ich denke, dass in diesen Zeiten Dinge, die uns mal so wichtig waren, wie ein schönes Auto, ein schickes Apartment, nicht mehr wichtig sind. Ich denke, es geht um Liebe, sie ist das einzige, was wichtig ist. Dann greift Pete zur Gitarre und stimmt eines der Lieder an, 10. O-Ton (1:51:45)"America, the beautiful" langsam unter Text einblenden das in diesen Tagen in vielen amerikanischen Schulklassen, in Sportstadien und an Straßenecken gesungen wird: "America, the beautiful" - Amerika, die Schöne. REGIE: Musik 'America, America' kurz stehen lassen Atmo U-Bahn-Fahrt (1:26:20) Manhattan. Untergrund. Die U-Bahnen fahren wie die Busse in reduziertem Umfang. Ein paar hundert Meter entfernt vom Krater. U-Bahn-Linie sechs. Kein Sitzplatz ist frei. Es wird gelesen, geredet, in den Tunnel geschaut. Haltestelle Bowling Green an der Südspitze Manhattans. Alles verstummt, als der Fahrer die Durchsage macht: Kein Halt an der Wall Street. 11. O-Ton (1:22:45) "No train will stop on Wall Street, no train will stop on Wall street" Ohne Übersetzung stehen und 'abfahren' lassen Atmo Spielplatz (13:20) New York. Greenwich Village. Ein Spielplatz. Durch das Eisentor schieben Mütter Kinderwagen hinein und heraus. Alle Schaukeln und Wippen sind besetzt, im Schiff aus Holz - mit Treppen, Hängebrücken und Aussichtstürmen - streiten sich Jungs und Mädchen um die begehrtesten Plätze. Im Sand bauen Väter mit Tochtern und Söhnen Burgen, auf den Wegen wird Fangen gespielt. Auf den Bänken sitzen junge Frauen mit Taschen voller Kekse, Obst und Spielzeug. Laura und Margarite haben ihre zwei Söhne und zwei Nachbarskinder zum Spielen mitgenommen. Sie versuchen, eine Art Normalität und ein Gefühl von Zusammenhalt herzustellen. Aber, so Laura, die Lage sei alles andere als normal, auch für die Kinder 12. O-Ton (19:15) "They are loosing ... have here." Sie schlafen nicht gut, wollen nicht allein schlafen, sind nervös. Ich möchte, dass sie etwas Freude haben und das haben sie hier. Bis zum 11. September konnten die Kinder vom Spielplatz aus direkt auf die oberen Stockwerke des World Trade Centers schauen. Jetzt stellen sie bohrende Fragen: Warum hat Gott das zugelassen? Wie viele Menschen sind gestorben? Ist der Rauch gefährlich? Margarite gibt zu: Angst ist immer da, aber es sei falsch, sich und den Kindern zu viel Sorgen zu machen. 13 .O-Ton (22:45) "We just take ... where we live." Wir nehmen die Fragen, wie sie kommen. Versuchen alles zu tun, damit sie sich sicher fühlen. Dass all die Notfall-Fahrzeuge da sind, um auf uns aufzupassen, auch wenn es schlecht ist das sie hier sind, Hunderte an unserer Wohnung vorbei fahren. Atmo Musik Rockefellercenter Restaurant (2:20:05) "O sole mio" Manhattan, 52. Straße, Ecke 5th Avenue, im Restaurantgarten neben dem Rockefeller Center. An runden Tischen mit weißen Tischdecken unter gelben Sonnenschirmen werden Meeresfrüchtesalat, Hummer, Lammtopf mit frischen grünen Bohnen serviert und französisches Mineralwasser sowie Weißwein gereicht. Statt beißendem Gestank ein undefinierbares Gemisch aus Parfüms und After Shaves. Vor dem Restaurantgarten bleibt inmitten der vorbeieilenden Passanten plötzlich älterer, großer Herr mit weißem Haar stehen, hält sich die Hand vor die Augen, schluchzt. Eine junge Frau bleibt stehen, fragt, ob alles in Ordnung ist. Als der ältere Herr nickt, geht sie langsam weiter. Der 11. September hat den Umgang der Menschen miteinander verändert: 15. O-Ton (3:21:15) "You know ... in the city." Das ist wirklich merkwürdig. Eine Tragödie war nötig, die viele unschuldige Menschen getroffen hat. Aber viele Menschen sind sich dadurch näher. Es sollte immer so sein. Diese Einigkeit unter den Menschen in der Stadt. Atmo Wall Street (39:15) Manhattan, Südspitze, ein Block von der Wall Street entfernt. Die Gebäude in der Gegend verschwinden unter zentimeterdicken Krusten aus Staub und Asche. Zwei Männer, um die 40, in Anzügen, sitzen, die Krawatten gelockert und Atemmasken an den Handgelenken baumelnd, unter einem Baum auf einer kleinen Mauer. Sie haben kurz das Bürogebäude verlassen, verglichen mit drinnen ist die Luft hier draußen geradezu erfrischend. Im Maklerbüro müssen Ron und William die Masken tragen, sonst wäre es unerträglich. Ron wäre, wie viele seiner Kollegen, lieber gar nicht erst so nah an den Ort der Tragödie zurückgekehrt. 16. O-Ton (52:35)" a consensus was taken ... as it could be." Wir haben abgestimmt und die Mehrheit war dagegen, zurück zu kommen. Aber Präsident und Bürgermeister wollen, dass wir zurück kommen. Also wollen wir natürlich zeigen, dass wir wieder da sind, arbeiten, alles so normal wie möglich ist. Beide sind froh, wieder arbeiten zu können. Hauptsache, was anderes tun, als die Nachrichten im Fernsehen zu verfolgen. Auch wenn das Atmen schwer fällt, obwohl alle paar Meter Ausweiskontrolle ist, auch wenn einige ihrer Freunde zwischen den Trümmern liegen, obwohl Kollegen ihre Töchter und Söhne, Verlobte und Väter verloren haben. Ron: 18. O-Ton (54:55) "I think they ... be even better." Ich glaube, sie haben eine gute Entscheidung getroffen, dass wir wieder hier runter kommen sollen. Jeden Tag wird es besser. Gestern war es schwerer, als heute. Heute ist es schon viel leichter zu ertragen. Und morgen wird es noch besser sein. Atmo Kirchenchor (2:13:55) Manhattan, 23. Straße, Ecke 6th Avenue. Village Church. Die vorderen sieben Reihen sind dicht gefüllt, auf den hinteren Bänken sitzen vereinzelt Männer und Frauen im Gebet. Alle paar Minuten öffnet sich die Tür der Kirche im altgotischen Stil. Manche Besucher bleiben im Hintergrund stehen und hören nur einen Moment zu, bevor sie wieder auf die Straße gehen. Oder sie schauen auf die Tafel neben der Tür. Mit Kreide hat dort jemand raufgeschrieben: Wann immer Sie Hilfe brauchen, reden möchten oder einen Menschen brauchen, der für Sie betet: kommen Sie in unsere Seitenkapelle. Es folgt der Hinweis auf die Webseite der Kirche. Atmo vor UN-Gebäude (3:23:20) New York. 42 Straße, Ecke United Nations Plaza. Das Hochhaus der Vereinten Nationen am East River ist weiträumig abgeriegelt. Fußgänger müssen Sperren aus Reinigungsfahrzeugen und Polizeiwagen passieren. Autofahrer werden von Polizisten umdirigiert. Am Gebäudeeingang staut sich eine Menschenschlange. Sicherheitskontrollen. Elena Simanja ist auf dem Weg zu einer Konferenz in ein UN- Nebengebäude. Die Lettin arbeitet im Entwicklungsdienst der Vereinten Nationen. Sie hofft, dass Bush auf die Amerikaner und die ausländischen Politiker hört, die davor warnen, in den Krieg zu ziehen. 19. O-Ton (3:29:00) "It's never ... like that." Krieg ist nie eine gute Lösung. Ich denke, es ist besser, zu verhandeln und der UN mehr Bedeutung zu geben, die UN als Diskussionsforum nutzen, das hat auch unser Generalsekretär gesagt. In den Krieg zu ziehen, ist keine Lösung. Sonst werden wieder unschuldige Menschen leiden. Und sie werden wieder zurück schlagen und er kann so nicht gewinnen. Nika Meljen, die zur selben Konferenz geht, stimmt der Kollegin zu. Aber wie wird es wirklich weitergehen? Wie wird die Normalität danach aussehen? 20. O-Ton (3:31:30) "I think that ... up so high." Ich denke, dass es nie mehr so was wie 'business as usual' geben wird. Es wird eine andere Art von 'as usual' werden. Wir sind alle noch unter Schock. Es gibt viel zu tun, aber du hast es immer im Hinterkopf, eine große schwarze Wolke, das wird noch lange so sein. Es hat auch starke Auswirkungen auf die Arbeit. Das Personal aus Afghanistan wurde evakuiert. Wir sind sehr auf der Hut. Das Hauptquartier hat sich verändert mit verschärften Sicherheitsbedingungen und wir haben alle Angst in das Gebäude zu gehen und so weit oben zu arbeiten. Atmo Straße mit Baustelle (11:20) Manhattan, 34ste Straße, Eck 7th Avenue. Baulärm gegenüber vom Kaufhaus Macy`s. Ein Bauarbeiter hat seinen Helm und einen Teil des Zauns bemalt: die Flagge und darunter die Worte: "God bless america". An der Straßenecke hält ein roter Doppeldeckerbus mit offenem Oberdeck. Unter dem Schriftzug "New York Sightseeing" eine grüne Freiheitsstatue und die goldfarbene Skyline von New York - mit den Türmen des World Trade Center, die alles überragen. Der Bus ist zu einem Drittel besetzt. An der Haltestelle verteilt Jö Prospekte für die Tour. Er erzählt, dass viele Touristen die Tour mitmachen. Das Geschäft gehe auf jeden Fall deutlich besser als das im Kaufhaus-Tempel Macey's gegenüber, wo zwar auch alle zur Arbeit, aber kaum jemand zum Einkaufen gekommen ist. Und die Tour habe natürlich wegen der Ereignisse verändert werden müssen. 21. O-Ton (8:30) "We go ... bus coming Wir fahren nach Greenwich Village, Soho, Canal Street, Little Italy, dann geht' normalerweise zum World Trade Center. Das ist jetzt blockiert, wir drehen also vorher um zur Brooklyn Bridge, Manhattan Bridge, East River, United Nations, Central Park, Plaza Hotel und Rockefeller Center und Times Square. Sie können aus- und wieder einsteigen. Alle 15 Minuten kommt ein Bus. Atmo Verkehr Times Square (3:12:00) Manhattan, Times Square, am Abend. Flackernde Lichter, alle Farben, silber und gold, auch hier viel rot, weiß und blau, riesige Reklametafeln aus Licht preisen Jeans, Coca Cola, Versicherungen, Telefone und die neusten Kinofilme an. Dazwischen an Gerüsten und in Fenstern handgemalte Fahnen und Tafeln: "God bless America" und "We shall overcome". Gelbe Taxis rauschen über die vierspurigen Straßen, Rikschafahrer bieten ihre Dienste an, jede Straßenecke hat ihren Hot-dog-Stand. Nur Touristen sind kaum zu sehen - trotz der lauen Abendluft. Keine Atmosphäre zum Flanieren, wenn an jeder Kreuzung in New York mindestens zwei Polizisten stehen, wenn überall Straßen mit gelben Bändern und Barrikaden abgesperrt sind, wenn viele Augen von den Tagen seitdem gezeichnet sind, wenn in den gelben Schulbussen, die vorbeifahren, erschöpfte Feuerwehrmänner sitzen, wenn über die Mattscheiben in den Schaufenstern Bildern von Soldaten flackern, die sich von ihren Familien verabschieden, wenn das Nachrichtenband am Times Square mitteilt: Zahl der Vermissten jetzt bei deutlich über 5000. Atmo Breakdance Times Square (2:35:23) Unter einer Werbetafel für Parfum, auf der sich eine Frau in lindgrünen durchsichtigen Seidentüchern rekelt, hat eine Breakdancegruppe ihren Kassettenrekorder aufgestellt und wirbelt über den Gehsteig. Passanten bleiben kurz stehen, klatschen, gehen schnell weiter. Das Bedürfnis nach Unterhaltung ist da, die Late-Night-Shows, die nach einer Woche in die Fernsehprogramme zurück gekehrt sind, werden eingeschaltet, die Zuschauer lachen erleichtert über jeden noch so dünnen Witz. Am Broadway haben die Theater ihre Programme wieder aufgenommen, aber mehrere Shows mussten wieder abgesagt werden - die Pleite droht, Zuschauer bleiben aus. Ein Riesengeschäft scheint am Abend am Times Square nur der T- Shirt-Händler zu machen, der seine Baumwollhemden mit der Aufschrift "I love New York" für zwei Dollar das Stück verscherbelt. Ken und Bill, zwei Studenten von der Columbia Universität haben sich schon über zehn T-Shirts gegriffen. 22. O-Ton (2:37:06) "Just show ... and Minnesota." Einfach um Unterstützung für New York zu zeigen, Patriotismus für die USA zu Hause in Cleveland und Minnesota. 14. Atmo Abfahrt Fähre (1:12:00) mit Schiffshorn New York. Südspitze. Abfahrt Fähre Richtung Staten Island. Langsam entfernen sich die Lichter der Stadt und seiner Brücken, die Spitze des Empire State Buildings in rot, weiß und blau überragt jetzt wieder New York. Eine einzigartige Kulisse, doch ihre Lichter sind getrübt - durch den Rauch, der noch immer aufsteigt aus dem Schuttberg und dem Krater, den der Terroranschlag hinterlassen hat. Die Skyline von New York hat sich verändert, die Blicke der Fahrgäste auch 3 500 Pendler haben auf jeder der fünf Fähren Platz. Über die Jahre kennt man die Gesichter der Passagiere, einige werden seit dem 11. September vermisst. Daurille Margit, der seit acht Jahren jeden Tag mit der Fähre zur Arbeit und am Abend zurück fährt, lehnt an einer Säule. 25. O-Ton (1:08:02) Es ist so traurig, so anders, so traurig. Wenn man es mit eigenem Auge sieht. Es war so schön. Die hohe Skyline, so schön, so traurig, es war immer so schön, das Wahrzeichen zu sehen. Jetzt können wir es nicht mehr sehen. Atmo Wasser In den Häuserschluchten von Manhattan kehrt nur langsam die Normalität wieder ein. Gerüchte über vergiftetes Wasser und Ähnliches machen seltener die Runde, Gerüchte über die Rettung Überlebender gibt es überhaupt nicht mehr. Leute brechen zusammen, weil sie nicht mehr in ihre Wohnungen können, Statiker müssen sich als Seelsorger bewähren. Freiwillige kommen nach Manhattan, Unternehmen schauen sich nach Immobilien jenseits des Hudson um. Firmen haben sich in Hotels eingenistet, Soldatenessen gibt es im Coffeeshop. Im Zentrum der Zerstörung müssen die Trümmermänner mehr als vorher auf herabstürzende Teile achten, die Networks haben wieder ihre Soapoperas im Programm. Die werden selten von Live-Schaltungen unterbrochen, die Beseitigung des Schuttberges wird Monate dauern. New York auf dem Weg zur Normalität. In den Schlafzimmern hat sich Staub eingenistet, am Straßenrand sitzen erschöpfte Helfer und japsen nach Luft. Die Fähre fährt Richtung Staten Island. Atmo kurz hoch und langsam weg 1