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Heute ist der ostdeutsche Polit-Rentner gesundheitlich schwer gezeichnet. Seinen wichtigsten bayerischen Männerfreund hat er überlebt: vierzig Kilometer entfernt ruht Franz-Josef Strauß in seiner Gruft. Wenn Besucher Alexander Schalck-Golodkowski heute nach seinem Vermächtnis fragen, zeigt er ihnen stolz seinen wichtigsten Besitz: eine umfangreiche Sammlung Meißner Porzellans. Michael Watzke berichtet. -folgt Script Beitrag- Script Beitrag AUT Wer Alexander Schalck-Golodkowski sucht, der muss nach Ginster Ausschau halten. Meterhohem Ginster, sagt Gärtnerin Rosalie. E 01 (Gärtnerin Rosalie) Die Leute erzählen: sehr viele Hecken. Sehr viele Hecken. Ich hab das Haus noch nie gefunden, aber die Leute erzählen: sehr viele Hecken. AUT Rosalie kehrt das Herbstlaub in den Gärten der Reichen von Rottach-Egern. Als sie hört, dass wir auf der Suche nach einem alten Männerfreund von Franz-Josef Strauß sind, wird sie neugierig. Sie legt ihren Rechen beiseite und hilft uns bei der Suche. G 01 Atmo Suchfahrt AUT Die Fahrt zu Schalck-Golodkowskis Villa am Tegernsee ist wie eine Fahrt entlang der Berliner Mauer - in grün. Fünf Meter hoch reichen die Hecken hinter dem Gehsteig. E 02 (Gärtnerin Rosalie) Katastrophe. So was gehört nach Norddeutschland rauf, weil die sehr viel Wind haben und Schneeverwehungen. Aber so was gehört nicht nach Bayern. (Reporter) Aber warum macht er das? (Gärtnerin Rosalie) Dass keiner rein sehen kann. Es gibt ja manche, die haben drei Hecken hintereinander, und das ist dann schon Wahnsinn. Und ich sag: wenn ich was verstecken will, dann weiß jeder, da ist was, da ist was. (Reporter) Das ist es. (Gärtnerin Rosalie) Das ist es. Schauen Sie: die vielen Hecken. Ich mach ihnen gleich einen Service, ich bring sie bis vor die Tür. AUT Weissachdammweg 8. Ein schmales, schmiede-eisernes Tor unterbricht den Wall aus Ginster. Dahinter eine einsame Biomülltonne. Die Villa, weit im Hintergrund, kann man nur erahnen. Das Klingelschild trägt den Namen: Mustermann. G 02 Atmo Haustür-Klingeln AUT Der Mustermann war einmal oberster Devisenbeschaffer der DDR. Ein Phantom bis zur Wende `89 - dann Feindbild Nr.1 für Millionen Ost- und Westdeutsche. In einem seiner letzten öffentlichen Interviews sinnierte Alexander Schalck- Golodkowski 1991 über den real existierenden Sozialismus: E 03 (Alexander Schalck-Golodkowski) Das ist auch ein Punkt, der mich ständig bewegt. Was ist Wahrheit und was ist nicht Wahrheit? AUT Die Wahrheit. Alexander Schalck-Golodkowski ist heute wieder ein Phantom. Ein Schatten seiner selbst, sagt Nachbarin Irmi, die gleich um die Ecke ein Café betreibt. E 04 (Nachbarin Irmi) Also ich hör schon mal, dass er da oder da zum Essen hingeht, aber die letzten Jahre muss er körperlich sehr schlecht beieinander sein. Es gab natürlich welche, und da kriegten auch andere einen dicken Hals, wenn es geheißen hat: Ja, der verkehrt da und da. Aber im Großen und Ganzen, man hat ja auch demonstriert, man wollte auch nicht, dass er hier herzieht. Das war schon einmalig für Rottach, dass sie eine Demonstration auf die Beine gestellt haben, dass er eben nicht hierher zieht. AUT Eine Demonstration in Rottach-Egern. Das hatte es vor 1990 nie gegeben. Dem Zugereisten aus dem Osten gelang, was weder Atomkraft noch Nato-Nachrüstung je zuwege brachten - die Tegernseer auf die Barrikaden zu treiben. Einem war das damals besonders unangenehm: Franz Strauss. E 05 (Franz Strauß) Das war natürlich so sein direkter Affront, aus Ostberlin direkt ins Tegernseer Tal, was so auch als Sinnbild für Wohlstand, für Katholizismus, für all das steht, wo er eben, wofür er früher nicht stand. AUT Franz junior, der jüngste Sohn von Franz Josef Strauß, hat Schalck-Golodkowski damals vergeblich geraten, sich ein weniger mondänes Domizil zu suchen. E 06 (Franz Strauß) München, Nürnberg, Regensburg, irgendeine Stadt, in einer Wohnung. Da hätte dann keiner was sagen können. AUT Franz Strauß kümmert sich um Alexander Schalck-Golodkowski. Aus Fürsorge, sagt er. In regelmäßigen Abständen telefoniert er mit dem 78- Jährigen. Dann reden Sie über Alltägliches, das Wetter, die schlechte Gesundheit des alten Mannes und immer wieder über Franz Josef Strauß. E 07 (Franz Strauß) Er macht aus seiner Zuneigung zu meinem Vater keinen Hehl. (Schalck-Golodkowski) Franz Josef Strauß hat die Fähigkeit demonstriert, weit in die Geschichte hineinzugucken und zu sehen, was wird in zehn Jahren möglicherweise sein." (Franz Strauß) Ich war damals bei der Bundeswehr in Roth und da war Gelöbnisfeier am 5. Mai 1983, zufälligerweise auch mein Geburtstag. Und da kamen meine beiden Eltern damals nach Roth, um dieser Feierlichkeit beizuwohnen. Und mein Vater hat eine sehr launige Rede gehalten, hat Bier spendiert, und danach sagte meine Mutter nur zu mir: Jetzt wird's spannend, jetzt trifft er einen Emissär der DDR. Und dann flog er zum Gästehaus der Familie März in der Nähe von Rosenheim, und da wartete dann bereits der damalige Staatssekretär Schalck auf ihn. Und das war der erste Termin, das erste Aufeinandertreffen. AUT Dieses Treffen ist die Keimzelle des Milliardenkredits. Ein Darlehen, das westdeutsche Banken dem ostdeutschen Staat zu marktkapitalistischen Bedingungen gewähren. Denn die DDR ist pleite. E 08 (Schalck-Golodkowski) "Aus der Sicht der DDR war das sicherlich die Chance, wieder kreditfähig zu werden für die internationalen Banken." (Franz Strauß) Die Bereitschaft der DDR, zu westlichen Bedingungen sich Geld zu leihen und Sicherheiten zu verpfänden, das war letztlich der Weg und die Leistung von Schalck. AUT Mit dem Milliardenkredit verpflichtet sich das SED-Regime zu innerdeutschen Reise-Erleichterungen. Der Ost-Berliner Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk sieht darin eine wichtige Triebfeder für den Umsturz des SED-Regimes. Denn zehntausende Ostdeutsche durften nun erstmals in den Westen reisen. E 09 (Ilko-Sascha Kowalczuk) Die kamen da an, waren überwältigt von den Eindrücken, und als sie zurückkamen, hatten sie nur einen Wunsch: Unbedingt so schnell wie möglich wieder in die Bundesrepublik. Und irgendwann wurde aus diesem Wunsch der Wunsch: Ich will diese Verhältnisse hier im Osten. Ich will den Westen im Osten haben. Und insofern, das muss man in historischer Perspektive sagen, ob einem das nun passt oder nicht - da hat Franz-Josef Strauß eine ganz entscheidende Wegmarke gesetzt, dass es dazu kam. Und das ist ein ganz entscheidender Punkt gewesen, warum das System unterging und warum es zum Ausbruch dieser Revolution kam. AUT Für Franz Josef Strauß war niemand besser als DDR-Unterhändler geeignet als Schalck. Seit 1966 Gründungs-Mitglied des KoKo-Imperiums, der Stasi-Abteilung "Kommerzielle Koordinierung". Ein Wanderer zwischen den Wirtschaftswelten. An der Schnittstelle zwischen Kommunismus und Marktwirtschaft. E 10 (Kowalczuk) All solche geschlossenen Systeme, solche Systeme, die in sich wirtschaftlich, finanziell nicht funktionieren, die eine politische Diktatur beherbergen, haben solche sogenannten Devisenbeschaffer. Die also praktisch auf legalem, halblegalem und illegalem Weg Dinge besorgen, die es eigentlich in diesem System nicht gibt. Die natürlich auch bestimmte Embargos unterwandern, die also auch so eine Art Technologie-Transfer organisieren, der eben illegal ist. (Schalck-Golodkowski) "Wir haben 1981, oder ich konkret, den Auftrag bekommen, den Export von Erzeugnissen der DDR, die sehr eingeschränkt waren im Sortiment, vorzubereiten für den Export, weil es eine außerordentlich angespannte Lage gab in der Zahlungsbilanz, wo zum damaligen Zeitpunkt die Frage stand: Sein oder nicht sein." AUT Wenn es darum ging, Devisen zu erzeugen, war Schalck so einfallsreich wie skrupellos. Er ließ Systemgegner als Republikfeinde enteignen und verkaufte ihren Besitz in den Westen. Etwa Antiquitäten. Für Westgeld tat Schalck alles, sagt der Historiker Kowalczuk: E 11 (Kowalczuk) Also der kaufte sogar den Müll des Westens auf, nur um Devisen irgendwie zu erzeugen, bis hin zu solchen grotesken Geschichten, die man praktisch aus jeder Stadt, aus jeder Region erzählen konnte, dass auf einmal die gusseisernen Laternenlampen aus der Kaiserzeit abgebaut worden sind und in den Westen verkauft worden sind, weil man da sozusagen dann irgendwo die Innenstädte wieder traditioneller errichten wollte. Oder dass das Kopfsteinpflaster aus der Kaiserzeit aufgenommen wurde und in den Western verkauft wurde. AUT Als im November 1989 die Mauer fällt, ist Schalck-Golodkowski der Öffentlichkeit so gut wie unbekannt. Bisher hat er im Verborgenen operiert. Er spürt, dass der Druck auf ihn steigt. Er setzt sich ab - in den Westen. Nach Bayern. E 12 (Kowalczuk) Unmittelbar vor der Flucht von Schalck-Golodkowski sind Leute aus seinem Bereich mit Geldkoffern in der Hand verhaftet worden. Es hieß auch, manche sind auf ominöse Art und Weise bereits ums Leben gekommen, was so gar nicht stimmte. Das mit den Geldkoffern stimmte. Und Schalck-Golodkowski muss persönlich geahnt haben, dass er kurz vor einer strafrechtlichen Verfolgung stehen würde. Und deswegen entschloss er sich in der Nacht von zweiten zum dritten Dezember 1989, Ostberlin in Richtung Westberlin zu verlassen. Es ist protokolliert, dass sein Grenzübertritt um 00:40 Uhr, also mitten in der Nacht, erfolgte. AUT Schalcks erster Anruf, auch das ist belegt, geht ins Bonner Innenministerium, das damals Wolfgang Schäuble leitet. Das Kanzleramt und der BND sind höchst interessiert an dem, was Schalck zu erzählen hat und anderen möglichst nicht erzählen sollte. Schalck plaudert gern. E 13 (Kowalczuk) Und nun kommt auch noch hinzu, dass die Kommunisten damals im November, Dezember 1989 ja sehr bemüht waren, die Wut der Bevölkerung, der Gesellschaft irgendwie abzulenken. Und das war dieser Bereich "Kommerzielle Koordinierung" und insbesondere die Figur Schalck-Golodkowski, der natürlich auch noch eine Steilvorlage gab, indem er in den Westen ging. Und als dann auch noch klar war, dass er sozusagen Offizier im besonderen Einsatz der Staatssicherheit war, praktisch im Range eines Generalleutnants agierte, jedenfalls wurde er so bezahlt, da war gewissermaßen das Theaterspiel perfekt und man hatte eine Symbolfigur, auf die man den gesamten Hass richten konnte und entladen konnte. (Franz Strauß) "Es war damals so, dass er wirklich nach Bayern kam in der Hoffnung natürlich, er war ja auch im Kanzleramt gewesen, hatte da die Informationen gegeben, die man dort von ihm erhofft hatte. Er hatte dann schon gehofft, bis sich der Sturm wieder legt, dass man die Hand über ihn halten würde. Und dass man ihn da dann am ausgestreckten Arm, wie man auf bayrisch sagt, verhungern hat lassen, ist sicherlich eine Erfahrung, die bis zum heutigen Tag sich auf ihn mit Bitterkeit legt." AUT Streibl, Stoiber, Seehofer: alle Bayerischen Ministerpräsidenten seit Strauß ignorierten Schalck. Keiner wollte und will mit ihm gesehen oder in Verbindung gebracht werden. In der DDR bekam Schalck die sechs höchsten Orden, im wiedervereinigten Deutschland keinen einzigen. Rottach-Egern im Herbst 2010. Vor dem Haus Alexander Schalck-Golodkowskis fährt ein Rentner mit dem Fahrrad vorbei. Er hält an, deutet auf die meterhohen Hecken und lächelt. E 14 (Rentner) Die Kleinen hängt man und die Großen lässt man laufen. AUT Seinen Namen will der Mann nicht nennen, nur, dass er 1988 aus der DDR nach Bayern geflüchtet ist. Er wohnt in der Nachbarschaft, im weniger teuren Teil Rottachs. sein Sohn ist KFZ-Mechaniker im Ort und hat ihm über Schalck verraten: E 15 (Rentner) ... dass seine Frau ja sein Auto zur Reparatur gebracht hat. (Autor) Waren die hier integriert oder waren die immer hinter hohen Hecken? (Rentner) Das kann ich Ihnen nicht sagen, das weiß ich nicht. Er hat ganz schön Dreck am Stecken, der Bursche. Es wurde ja damals gesagt, 1989, dass der Herr Schäuble ihn hier irgendwie untergebracht hatte. Da ist er wohl übergelaufen zum Bundesnachrichtendienst, und dann hat er plötzlich hier ein Haus gehabt. Naja, wie macht man das? Wenn sie sich überlegen, wie viel hier ein Haus kostet. (Autor) Was kostet hier so ein Haus? (Rentner) Unter 800.000, 900.000 Euro kriegen sie hier sicher kein vernünftiges Haus. AUT Woher hat Schalck die Devisen dafür beschafft? Auch wenn die Tegernsee-Villa angeblich nur gemietet ist - woher stammt das Geld dafür? Die Strauß-Kinder Monika Hohlmeier und Franz Strauß weisen auf Josef März hin, den alten und längst verstorbenen Geschäftspartner, für dessen Lebensmittelkonzern Schalck nach der Wende als Berater und Kontaktvermittler tätig gewesen sein soll. E 16 (Monika Hohlmeier) Ich kann das nicht beurteilen. Ich sehe nur, dass er da draußen lebt. Ich weiß nicht, unter welchen finanziellen Bedingungen. Ich kenn seine Umstände nicht. (Franz Strauß) "Ich weiß, ich hab mit Ihm darüber gesprochen, aber er kam, glaub ich, in dem Gespräch selbst darauf und hat gesagt, das ist völlig ausgeschlossen. Es gab nicht einfach die Möglichkeit und auch nicht in der DDR, dass da irgendeiner irgendwas abzweigt und dann später sich das holt, nein. Das halte ich für ausgeschlossen." AUT Dass beim Milliardenkredit 1983 an die DDR hohe Provisionen flossen, ist erwiesen. Wer sie bekam, dagegen nicht. Der Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk hat das finanzielle Netzwerk der SED in seinem Buch "Endspiel" beschrieben. Er nimmt an, dass Alexander Schalck- Golodkowski für seine Aussagen beim BND entlohnt worden ist: E 17 (Kowalczuk) Da muss es einen Handel gegeben haben, von dem wir nicht so genau wissen, was Gegenstand dieses Handels war. Bekannt ist ja auch, dass der erste Untersuchungsausschuss des deutschen Bundestages, in dem es maßgeblich um den Bereich "Kommerzielle Koordinierung" ging, teilweise im Dunkeln tappte, nicht alles offenlegte, nicht das gesamte weitverzweigte Imperium des Alexander Schalck- Golodkowski offenlegen konnte. Und dass es einen Gegenbericht der damaligen Bundestagsabgeordneten von Bündnis 90/Die Grünen, Frau Köppe, gab, der, was sehr ungewöhnlich ist für einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss, der noch am Tage sozusagen seines, als der vorgestellt wurde in dem Untersuchungsausschuss, zur geheimen Staatsschutzsache erklärt wurde. Den man nicht einmal haben durfte. Journalisten oder andere, die daraus zitieren wollten, wurden mit hohen Strafen bedroht, so dass der einer großen Öffentlichkeit unbekannt war. AUT Heute ist der Inhalt des Berichtes bekannt. Das Papier nennt vor allem West- Firmen, die vor dem Zusammenbruch der DDR Geschäftsbeziehungen nach Ost- Berlin unterhielten. Wie die Firmengruppe des Josef März, die 1996 endgültig pleite ging. Auch, weil ihr das Ost-Geschäft mit der DDR fehlte. Die Spekulationen über verdeckte Konten, Schmiergelder und bestechliche Politiker wogten in den 90er Jahren hoch. Tatsächlich bewiesen wurde wenig. Die Hauptfiguren des Ost- West-Wirtschaftskrimis, Franz Josef Straß und Josef März, starben bereits 1988. Ein Jahr vor dem Fall der Mauer. Nur einer lebt noch. Bis heute. G 04 ATMO HAUSTÜR-KLINGELN AUT Niemand öffnet das schmiedeeiserne Tor. Niemand ist zu sehen. Wir erfahren, dass der 78jährige Politrentner seit kurzem nicht mehr in der Villa lebt, weil sein Gesundheitszustand zu schlecht sei. Schalck sei in eine Wohnung in der Seestraße umgezogen, der edlen Flaniermeile von Rottach-Egern. Dort, im vierten Stock, bewohne er ein großzügiges Apartment mit Blick auf den Tegernsee. Auf dem Klingelschild steht diesmal: Schulz. Eine ältere Dame öffnet und betrachtet uns misstrauisch. E 18 (Autor) Ich würde gerne ein Interview führen. (Pflegerin) Das können Sie vergessen, also das geht nicht. (Autor) Ok, oder jemand aus der Familie, den ich da noch ansprechen könnte? (Pflegerin) Nein, da gibt es keinen. Er hat ja niemanden weiter. Nein, das geht nicht. (Autor) Und die Frau, die kann man nicht ansprechen für ein Interview? (Pflegerin) Also ich weiß, dass da strikt nein gesagt wird. Danke Ihnen. AUT Wir warten vor dem Haus. Betrachten die Pelzmäntel im Schaufenster von "Furs and Fashion" gegenüber. Die geparkten italienischen Sportwagen. Fragen uns, was für ein Leben das ist. Mit 78. In all dem Luxus. Wenn man ihn nicht mehr genießen kann, weil man ein Aussätziger ist. Ein Paria. Ein Satz kommt uns in den Sinn, den er im ARD-Brennpunkt-Interview 1991 Günter Gaus geantwortet hat auf die Frage: Haben Sie Angst vor dem Tod? E 19 (Schalck-Golodkowski) Wissen Sie, das hab ich hier eigentlich in dem Jahr gelernt am Beispiel von Bundesminister Schäuble: Man kann seinem Schicksal schlecht entrinnen. AUT Zumindest das materielle Schicksal hat es gut gemeint mit Schalck. Das gute Leben war ihm schon zu DDR-Zeiten wichtig. Ob ihm auch wichtig ist, wie die Geschichte ihn beurteilt? Die Strauß-Geschwister betrachten ihn in mildem Licht: E 20 (Franz Strauß) Dass er eine gute Rolle beim Wiedervereinigungsprozess gespielt hat, daran besteht kein Zweifel für mich. Also ich glaube, in so Umbruchzeiten, da muss man dann mit den Leuten in besonderer Weise umgehen. Mein Vater hat immer gesagt, sowohl mit Blick auf manche Leute, die im Verwaltungsbereich im NSDAP-Regime tätig waren, oder auch in Bezug auf die Kommunisten hat er immer gesagt: Leute; Leute, Ihr wisst gar nicht, was ist, wenn man unter einem totalitären Regime leben muss. Wenn man dort arbeiten muss. Und er hat immer die Menschen, die dort tätig waren - wenn sie Verbrechen begangen haben, ist es ein anderes Thema - aber die Funktionäre, die sah er mit großer Milde. (Monika Hohlmeier) "Also Alexander Schalck-Golodkowski war nicht derjenige, der zu Menschenrechtsverbrechen, nach meinem Dafürhalten, beigetragen hat, nachdem, was ich alles miterlebt habe. Umgekehrt war er keiner, der sich gegen das System aufgelehnt hätte, er war sogar nach meinem Dafürhalten ein Profiteur des Systems. AUT Ein Profiteur war er auch nach der Wende. Er nutzte seine Wirtschaftskontakte nach Russland, China, Kuba. Von dort soll er eine Weile lang Havanna-Zigarren importiert haben. Früher plauderte er gern. Wenn er mit Franz Josef Strauß zusammen saß, nahmen die beiden kein Blatt vor den Mund. Strauß ärgerte sich später, dass Schalck vieles davon brühwarm an die Stasi weitergab. Möglicherweise wusste Schalck mehr, als manchem Politiker im Westen lieb sein konnte. Das Magazin Focus berichtete im Jahr 2000, Bayerns Verfassungsschutz habe Anfang 1990 hoch brisante Politiker-Dossiers aus Ost-Berlin beschafft. Auch Franz Josef Strauß habe der Schalck im Nacken gesessen. Die Dossiers landeten im Datenschredder. Was der eine oder andere im Kopf hat, das passt ohnehin in keinen Reißwolf. E 21 (Rentner) Ach Gott, Mensch, das ist ... wie lange her? Über 20 Jahre, 1989 ... Was da alles gelaufen ist ... Wer weiß denn das heute noch? Es interessieren sich doch auch kaum Leute dafür. Oder? AUT Vielleicht hätte Schalck tatsächlich noch die ein oder andere interessante Geschichte zu erzählen. Vielleicht wird er aber auch einfach nur überschätzt, wie Historiker Kowalczuk glaubt: E 21 (Kowalczuk) Er ist eine Figur, wie ihn solche Systeme hervorbringen müssen, um irgendwie zu überleben. Er scheint auch eine außerordentlich intelligente Figur zu sein. Eine Figur, die sich in dem System tummelte, aber trotzdem noch immer neben und über dem System lebte. Aber historisch scheint er mir überbewertet zu sein. Zukünftige Historikergenerationen werden etwas gelassener mit dieser Figur umgehen, man kann sich immer noch über bestimmte Dinge erregen, man kann über bestimmte Dinge lachen. Aber er, glaub ich, wenn man das analysiert, hatte nicht diese eigentliche historisch herausgehobene Bedeutung, die wir als Zeitzeugen ihm heute manchmal noch zumessen und zubilligen. AUT Wenn die Sonne im Westen des Tegernsees hinter den Bergen verschwindet, sprechen die Rottach-Egener spöttisch von der Rouge-Hour. Es ist die Stunde der Rentner. Die alten Damen voller Rouge, die Senioren mit Hüten. Sie flanieren am Ufer des Sees hin und her, wollen sehen und gesehen werden. Manchmal schiebt sich auch ein Mann mit Gehwagen langsam an der Uferpromenade voran. Die Frau an seiner Seite, die ihn stützt, ist eine Pflegerin. Der Mann ist groß, geradezu massig. Kaum zu übersehen. Eine Statur wie der Wallberg am Südufer des Sees. Er geht gebückt. Sein Blick ist glasig. Er ist nicht ansprechbar. Ein alter Mann unter vielen. Alexander Schalck-Golodkowski. -Ende Beitrag- 11