COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur Sendung: Nachspiel 23. September 2007 "Stuttgart ist Weltmeister" Autorin: Uschi Götz Geräusch: Hallenatmo Reporter: Das müsste es sein, jetzt noch in den Stand ? den Abgang .. und wie immer: er steht ihn! Unglaublich! Fabian Hambüchen ? mit Nerven unglaublich .. der Applaus der Vaters .. das müsste es sein, das müsste der Weltmeistertitel sein. Geräusch: Hallenatmo (unter Text) A: Es war der Weltmeistertitel. Der 19 Jahre alte Fabian Hambüchen hatte an seinem Paradegerät, dem Reck, nach zehn Jahren wieder das ersehnte deutsche Gold geholt. Ein deutsches Herbst ? Märchen, mitten in Stuttgart. Hambüchen, noch nicht ganz auf dem Boden: O- TON (Hambüchen): Also die ganze WM war wie ein Traum und ich habe den ganzen Medaillensatz komplett und darüber bin ich überglücklich und heute, das war wirklich noch einmal der Knaller am Reck. Eigentlich ist es nur ein Glücksgefühl und lässt halt die Übungen noch mal passe marschieren und ja .. es ist einfach nur ein schönes Gefühl. Geräusch: Holtmann moderiert Hambüchen an (Schlossplatz) ab Die 40. Turn WM steht A: Gemeinsam mit Stuttgart hatten sich Paris und Rio de Janeiro um die Ausrichtung der Turn- Weltmeisterschaften 2007 beworben. Aufgrund seines umfassenden Innovationsprogramms erhielt die baden- württembergische Landeshauptstadt den Zuschlag für die Welttitelkämpfe der Turnerinnen und Turner. Am Ende sagte Prof. Bruno Grandi, Präsident des Weltturnverbundes, man habe vor fünf Jahren die richtige Entscheidung getroffen. Stuttgart sei seiner Bewerbung absolut gerecht geworden. Die 40. Turn WM stehe für Innovation und Fortschritt, mit den Weltmeisterschaften im Mutterland des Turnens, so der italienische Präsident, wurden Akzente für die künftige Entwicklung dieser Sportart in Deutschland gesetzt. -2- Zum ersten Mal in der Geschichte der Turn-Weltmeisterschaft fand die Siegerehrung nicht am Austragungsort der Spiele statt, sondern mitten in der Stuttgarter Innenstadt. Geräusch: Bühnenmusik/ Atmo Schlossplatz Moderator: ? Weltmeister ist Fabian Hambüchen !? Weiter Applaus (ca. 10 Sekunden unter den nächsten o- Ton) O- Ton (Prof. Grandi) Übersetzung Englisch ? Deutsch Früher waren die Preisverleihungen anders. Wir haben bei den Führungsgremien Diskussionen gehabt und wir haben beschlossen, die Medaillenverleihung so zu machen, wie wir sie heute hier gemacht haben. Es ist zweifellos wichtig, dass wir dem Fernsehen eine Chance geben und dass wir etwas tun, um den Bekanntheitsgrad unseres Sport zu erhöhen. Also, haben wir uns angepasst. Immer wenn es etwas Neues gibt, folgt ein Aufschrei, von Verrat wird gesprochen, aber dann beruhigt es sich. Ich bin also einverstanden wie die Medaillen verliehen werden. Geräusch: Nationalhymne A: Und wieder konnte man mit den Stuttgartern rechnen. Bereits im vergangenen Jahr feierten über 100. 000 Menschen das so genannte ?Kleine Finale? im Rahmen der Fußballweltmeisterschaft. Den Schwaben scheint es egal zu sein, wen und was sie feiern: Hauptsache ein Fest. Das haben sie auch bei der Turn ? WM wieder bewiesen. Tausende waren auf den Schlossplatz gekommen. An einer Hand das Kind in der anderen ein Fähnchen. Manch einer trug gar einen VfB ? Schal. Egal wie, Hauptsache dabei ? fühlt man sich doch unter Siegern selbst ein wenig als Sieger. Schon 1993 zeichnete das Internationale Olympische Komitee das Stuttgarter Publikum mit dem Fair- Play Preis aus. -3- Von wegen bruddelige Schwaben. Prof. Helmut Digel vom Institut für Sportwissenschaft in Tübingen: O- TON (Digl) : Das Problem ist ja, dass man häufig im Ausland irritiert ist, wenn die Zuschauer nur ihr eigenen Athleten unterstützen und nichts anderes im Sinn haben als den Sport als ein nationales Erlebnis zu feiern. Das ist in Stuttgart nicht der Fall und das hängt damit zusammen dass die Zuschauer eingebunden sind in eine Sportkultur und in der Regel Zuhause auch eingebunden sind in ein Vereinswesen. Der Organisationsgrad ist sehr hoch, man bindet über die Vereine hier in der Region jeden dritten Bürger und das bedeutet, es gibt hier sehr umfassende Sachkenntnis in Bezug auf den Sport. A: Und wer könnte das besser beurteilen als die, die von weit her nach Stuttgart gezogen sind. Einschätzung einer in Stuttgart lebenden Zuschauerin der Turn WM: O- TON (Umfrage 1) Ich glaube, da verkennt man auch die Schwaben so ein bisschen. Also, wenn man sie für etwas begeistern kann, dann sind sie genauso begeisterungsfähig wie die Leute aus dem Kohlenpott oder. Also, es stimmt schon, es ist ein bisschen gemütlicher hier vielleicht, und bis wir uns ? oder .. ich bin ja selber keine Schwäbin, bis der Schwabe sich begeistern lässt, das dauert schon eine Weile, aber dann ist er glaube ich mit ganzer Seele und mit ganzem Herzen dabei und auch total begeisterungsfähig. Geräusch: Schlossplatz A: Stuttgart hat von allem immer ein bisschen mehr. Die meisten Weinberge, die schnellsten und edelsten Autos, die größten Baustellen und nirgendwo sonst auf der Welt wird so viel erfunden wie im deutschen Südwesten. Auch ein mittlerweile weltweit praktizierter Fan-Kult wurde einst in Stuttgart erfunden. Professor Hartmut Gabler, Motivationsforscher und Sportwissenschaftler: O-Ton (Gabler): Seit der Europameisterschaft der Leichtathletik vor vielen Jahren da war auch folgendes, dass die La Ola Welle dort entstand, in Stuttgart, und dann weltweit praktiziert wird. A: Doch es gehört wohl mehr dazu, als La Ola Wellen zu erfinden und bedingungslos mitzufeiern um als Europas Sporthauptstadt 2007 ausgezeichnet zu werden. -4- Es ist ein offizieller Titel, verliehen von der 1999 gegründeten Vereinigung ?European Capital of Sport Association?. Der Titel wird an Städte vergeben, die sich über die Dauer von fünf Jahren besonders um den Sport bemüht haben. Hauptkriterien sind neben hochrangigen Sportveranstaltungen ein vielfältiges Breitensportangebot, eine breit angelegte Sportförderung sowie eine außergewöhnliche Sportinfrastruktur. Nach Madrid, Stockholm, Glasgow, Alicante, Rotterdam und Kopenhagen ist Stuttgart die erste deutsche Sport ? Hauptstadt Europas. Überzeugt hat wohl letztendlich auch ein Konzept, das Zuschauer zu Akteuren werden lässt, erstmals erlebbar im Rahmen der Turn - WM. Ein riesiger Kinderturnpark stand bereit, und regelmäßig gab es Publikums- Veranstaltungen auf dem Schlossplatz. Über 1, 5 Menschen haben die zusätzlichen Angebote in Anspruch genommen: Rainer Brechtken, Präsident des Deutschen Turnerbundes und des Schwäbischen: O- TON (Brechtken) Unser Konzept ging voll auf. Wir hatten von Anfang an das Ziel zu sagen, wir müssen die gesellschaftspolitische Verantwortung des Turnens darstellen. Und wir haben gesagt, in der Halle findet Exzellenz statt, damit beispielgebend für die Gesellschaft, wir brauchen Exzellenz auf allen Gebieten angesichts dieser Globalisierung, aber Kinder brauchen Bewegung. Und die Kinderstube des Sports, die Grundausbildung muss gefördert werden und deshalb haben wir den Kinderturnpark gemacht und der ist ja auch fantastisch angenommen worden. Und wir wollen Eltern, Kinder, Lehrerinnen, Kindergärtnerinnen erreichen. Wir haben sie ja eingebunden in ein Kinderschulferienprogramm, damit die merken, frühzeitige Bewegung für Kinder nutzt den kognitiven Fähigkeiten und bildet Selbstbewusstsein. Wir brauchen selbstbewusste Kinder. Und wir stehen für Gesundheit und Fitness als Angebot im Verein, mit unserer Gym ? Welt. Und das haben wir auch auf dem Schlossplatz gezeigt. Und deshalb haben wir beide verknüpft: raus aus der Halle, und unsere gesellschaftspolitischen Möglichkeiten darstellen. Geräusch: Schlossplatz .. Wir machen hier noch einmal unsere Schritte und eins und -5- A: Stuttgart ist in Bewegung, nicht nur während der Turn Weltmeisterschaft. Nicht public viewing, sondern Public doing, heißt das Motto in Stuttgart. Geräusch: Schlossplatz A: Dass der Rhythmus den Stuttgartern kollektiv in die Beine fährt und sie konditionell mithalten, ist kein Zufall. Eine Umfrage des Instituts für Sportökonomie und Sportmanagement der Deutschen Sporthochschule Köln ergab, dass über 70 Prozent der Stuttgarterinnen und Stuttgarter sportlich aktiv sind. Der Anteil der sportlich Engagierten geht dabei auch mit steigendem Lebensalter nicht zurück. Die Umfrage ist der erste Schritt im Rahmen eines Projekts, das die allgemeinen Gegebenheiten für den Sport in der Landeshauptstadt untersuchen soll. Stuttgarts Oberbürgermeister Dr. Wolfgang Schuster: O- TON (Schuster): Mir ist wichtig, dass wir nicht nur herausragende Veranstaltungen in Stuttgart haben, sondern, dass wir diese Begeisterung und Offenheit der Bürgerinnen und Bürger nutzen, um auch die Sportentwicklung voran zu bringen. A: Gemeinsam mit der Sporthochschule Köln möchte der Stuttgarter Oberbürgermeister die Frage beantwortet wissen, wie Sport die Integration fördern kann. Bereits zu Beginn des Jahres fand ein europäischer Kongress in Stuttgart statt. O- TON (Schuster) So als konzeptioneller Abschluss diesen Jahres werden wir Ende November, in zeitlicher Verbindung mit der Tanz ? WM, einen zweiten Kongress haben, wo wir uns vor allem mit dem Thema: Sport und Bildung und Sport und Gesundheit beschäftigen. Welche neuen Konzepte gibt es, welche neuen Erfahrungen? Welche neuen Möglichkeiten gibt es. Wenn sie so wollen, um die große Laborsituation, die man immer in einer Stadt hat ? und dankenswerter Weise haben wir auch sehr gute Partner ? dieses dann auch praktisch umsetzen. Und das dann wiederum in Zusammenarbeit mit anderen Städten, die ebenfalls an solchen Konzepten arbeiten A: Nicht nur wissenschaftlich sollen die Erkenntnisse verwertet werden, sondern auch durch praktische Erfahrung unterlegt: -6- O- TON (Schuster) Fazit Wir möchten ein Stück weit die Sportkultur in unserer Stadt als Teil einer europäischen Bewegung verändern, voranbringen. Dazu gehört auch, dass wir Sport als ein ganz wesentliches Element sehen der Begegnung von jungen Leuten. Und wir haben zur Fußball WM 2006 ? 2006 junge Leute aus 70 verschiedenen Ländern eingeladen, die dann zum Teil in Familien untergebracht waren bei Sportvereinen. Es gab viele, wo man gefragt hat: was verbindet eigentlich junge Leute auf diesem Globus? Und diese Idee wollen wir fortsetzen mit der UNESCO zusammen und deshalb möchte ich im Jahr 2008, wenn auch etwas kleiner und etwas fokussierter, junge Leute aus 50 Ländern in Stuttgart willkommen heißen, häufig in Verbindung mit Schulen, dass die Nachhaltigkeit gewährleistet ist, um den Sport einmal mehr als ein Medium für internationale Verständigung erlebbar zu machen. A: Mit gutem Grund: Rund ein Drittel der Stuttgarter Bevölkerung wurde im Ausland geboren, über 40 Prozent der Kinder im Vorschulalter stammen aus Einwandererfamilien. In der Stadt leben Menschen aus mehr als 170 Nationen und sprechen über 120 Sprachen. Laut Mikrozensus 2005 haben in Stuttgart 40 Prozent aller Einwohner einen Migrationshintergrund. Stuttgart hat damit mit Frankfurt am Main den größten Migrantenanteil unter den 16 deutschen Großstädten. Oberbürgermeister Schuster bezeichnete das friedliche Zusammenleben der verschiedenen Nationalitätengruppen und ihre Integration in die modernen Stadtgesellschaften als aktuelle und große Herausforderung. Sportwissenschaftler Prof. Hartmut Gabler: O-Ton Prof Gabler: Sport ist deshalb so wichtig, weil Sport über die Kulturen hinweg (kürzen) mit derselben Sprache nämlich der Regelsprache betrieben wird. Wenn jemand in ein Land kommt und integriert wird in den Sportverein, dann muss er ja gar nicht sprechen. Das ist der einfachste Weg. Geräusch ? Plaza / Musik/ Stimmen A: Manch einer, der erstmals nach Stuttgart kommt, revidiert meist in kürzester Zeit sein Bild von den Stuttgartern, den Schwaben, die ja so häufig hier gar nicht sind. Auch die jüngst abgereisten Gäste der Turn WM waren überrascht: -7- O ? Ton (Umfrage) Also die Leute sind sehr nett und offen, also super. Also ich fand alle gestern Abend sehr nett und freundlich. Ich war sehr begeistert. (Umfrage/ 2) Also ich denke, Stuttgart ist immer schon so ein bisschen berühmt gewesen, dass es eine Sportstadt ist, also wenn man so überlegt, was jetzt bei der WM der Leichtathletik in Osaka am Publikum war und 93 hier, ist glaube ich, schon ein Unterschied. Und ich glaube Stuttgart ist schon immer so ein bisschen Geheimtipp gewesen für Sportveranstaltungen. A: Nicht zuletzt wegen des enormen Platzangebots für Veranstaltungen fast aller Art. Allein 55 Hektar bietet der Neckarpark Stuttgart. Hier steht das Gottlieb-Daimler Stadion, die Hanns- Martin - Schleyer-Halle, seit kurzem auch die Porsche Arena. Mitten drin das Stuttgarter Kunst-Turn-Forum. Als Landesleistungszentrum und Bundesstützpunkt ein Zentrum für die besten Turner aus Baden-Württemberg und ganz Deutschland. Alles vom Feinsten meint auch Sportwissenschaftler Prof Digel, aber: O- TON (Digl) Das was da unten am Neckar entstanden ist, ist schon beispielhaft in Europa, dies ist ein Sportzentrum das seinesgleichen sucht. Wenn man noch sieht, dass daneben die Leistungszentren mit eingebunden wurden Und dass auch die Gastronomie und Übernachtungsgewerbe sich dort niederlassen konnte, dann hat man da schon eine Infrastruktur geschaffen, die für den Unterhaltungssport wegweisend ist. Was natürlich nicht ganz so ideal ist, ist die Versorgung der Schulen. Das heißt, Schulsporthallen, die weisen nach wie vor eine Mangelsituation auf. Aber da ist Stuttgart keine Ausnahme, da hat man eben Eher das Problem, dass seit der Vereinigung hier einiges versäumt wurde Hier in der Infrastruktur des Westens. Und das macht sich nun bemerkbar. Viele Sanierungen stehen an, die sehr kostenträchtig werden und Dass man hier die Infrastruktur auch auf Vereinsebene so modernisiert, dass sie den neuen Ansprüchen genügt. Geräusch: Halle/ ruhig A: Sport ist ein entscheidender Standortfaktor für die Wirtschaftsmetropole Stuttgart. Das lässt sich die Stadt einiges kosten, denn nach wie vor ist der Sport trotz riesigem Umsatz, Millionengagen und teuren Medienrechten ein Zuschussgeschäft. Für die Rad- und Turn-WM zahlt die Stadt Stuttgart je 2, 4 Millionen Euro. -8- A: Aber es wären keine Schwaben, wenn auch im Sportetat nicht genau gerechnet würde. Demnächst soll das Daimler-Stadion an den VFB verkauft werden. Dann könnte es heißen: Eben noch Sporthauptstadt die das Weltfinale der Leichtathletik als Werbebanner vor sich herträgt, jetzt eine Fußballstadt die sich einseitig weiterentwickelt. Das befürchtet zumindest Prof. Helmut Digel: O-Ton Digel: ?Grundsätzlich ist das so wie mit all diesen Jahren, dem Jahr des Baumes, dem Jahr der Frau oder des Mannes?.Solche Jahre haben gefährliche Nebenwirkungen, dass man nicht das erreicht, was mit der Auszeichnung erreicht werden sollte. In Stuttgart ist das bereits absehbar, wenn die Leichtathletik nicht mehr möglich ist.? A: Diese Entscheidung hat allerdings nichts mit fehlender sportlicher Begeisterung für Sprinter, Springer und Werfer zu tun, sondern mit klarem rechnerischem Kalkül des Gemeinderats. Den Leichtathleten fehlen die Idole, OB Schuster die Vision, wie es mit der Leichtathletik weitergehen soll. Dass die weltweit einzigartige grüne Bahn im Daimler-Stadion schon heute ein Stück Sportgeschichte ist, scheint beschlossene Sache. O-Ton (Schuster): Wir haben in der deutschen Leichtathletik seit Jahren die Situation, dass wir eben keine großen Stars mehr haben, was ich sehr bedaure, und damit eben keine Vorbilder, wo auch junge Leute in großen Strömen zu einer Leichtathletik-Veranstaltung gehen. Deshalb ist es auch zum Beispiel schwierig die öffentlich- rechtlichen Rundfunkanstalten zu gewinnen, überhaupt zu übertragen. Das machen sie in der Regel nur, wenn man sie bezahlt, also wenn man die Fernsehaufnahmen selber noch finanziert. Das heißt, ich habe ein Problem bei den Zuschauern, ich habe ein Problem bei den Sportlern, und ich habe ein Problem mit den Medien. A: Was das Leichtathletik-Weltfinale an diesem Wochenende betrifft, habe die Stadt ein erhebliches Defizit zu tragen, so Schuster: -9- O- TON: (Schuster): Und deshalb werden wir diskutieren, ob wir 2008 das wieder machen. Wir haben einen Vertrag, selbstverständlich sind wir vertragstreu, aber wir werden darüber sprechen mit dem Leichtathletik-Weltverband, da ich weiß, er hat auch andere Städte, die das gerne machen würden in 2008. A: Und auch die Straßenrad-WM, die in Kürze startet, wäre der Stuttgarter Oberbürgermeister am liebsten wieder losgeworden Doch als das Ausmaß des Dopingdramas bekannt wurde, war es schon zu spät. Der Stadt wäre eine Absage teuer zu stehen gekommen. Ausländische Fernsehsender drohten mit Regressforderungen im zweistelligen Millionenbereich, eine Ausstiegsklausel lief bereits vor einem knappen Jahr ab. Der Gesamt-Etat für die zweiten Straßenrad-Titelkämpfe in Stuttgart nach 1991 beträgt fünf Millionen Euro, davon trägt die Kommune 2,3 Millionen. Drei Millionen Euro sind bereits ausgegeben. Aus der Not ist eine Tugend entstanden: Aus dem Stuttgarter Rathaus wurden allen Beteiligten die Bedingungen diktiert: In Absprache mit der nationalen und internationalen Antidoping-Agentur sowie der UCI wird die Anzahl der Doping-Kontrollen kurz vor der WM verdoppelt werden. Überprüfungen soll es zudem unmittelbar vor und nach den WM-Wettkämpfen geben, auch in Hotelzimmern und Teamfahrzeugen. Die Kosten von einer Million Euro tragen die Radverbände. Indes rät Sportwissenschaftler Digl rät zum Umdenken im Vorfeld der Stuttgarter Straßenradsport WM: O- TON (Digl) : In dem Moment, wo es einen positiven Fall gibt, wird vom Skandal gesprochen, es wird dabei nicht zum Ausdruck gebracht, dass jetzt eigentlich das Kontrollsystem erfolgreich und damit die sauberen Athleten noch besser geschützt hat als zuvor. Das muss vielleicht auch der Zuschauer lernen, vielleicht auch die Sportpolitiker, die haben in den vergangenen Jahren diesbezüglich sehr viel versäumt und sie haben auch immer dann reagiert, wenn es Skandale gegeben hat. Präventiv wurde so gut wie nie gehandelt -10- A: Doch in diesem Fall hat die baden- württembergische Landesregierung reagiert. Im Juni kündigte CDU Ministerpräsident Günther Oettinger an, er werde den Kampf gegen Doping weiter verstärken. Oettinger sagte zu, die Aufklärung der Dopingaffäre am Universitätsklinikum Freiburg weiter konsequent voranzutreiben. Dazu gehöre auch, die Bewilligung von Geldern in der Leistungssportförderung noch strikter als bisher an die Dopingbekämpfung zu koppeln. Vom Ministerrat beschlossen wurde, die Arbeit der Nationalen Anti Doping Agentur, kurz NADA, jährlich mit 50.000 Euro finanziell zu unterstützen, um Dopingkontrollen bei baden-württembergischen Sportlern zu verstärken. CDU Landessportminister Helmut Rau: O TON Rau) : Gespräche mit dem Deutschen Olympischen Sportbund -mit ihrer Spitze haben ergeben, dass man darin von Seiten des Sports einen wesentlichen Beitrag sieht, um die Arbeit der NADA, der Nationalen Anti Doping Agentur, weiter ausweiten zu können. Wir sind jetzt die ersten und erwarten auch, dass andere Bundesländer sich dieser Entscheidung anschließen und einen eigenen Beitrag dazu leisten. A: Doch schon heute steht fest: im Radsport geht es gerade in Stuttgart steil bergab. Der Kartenverkauf läuft schleppend, den Organisatoren laufen die Sponsoren weg. Wer in ein paar Tagen tatsächlich im Sattel sitzt, bleibt bis zum Schluss wohl offen. Doch der Startschuss sollen unter dem Titel ?sauberer Neubeginn? fallen. Oberbürgermeister Schuster: O- TON Schuster: Und jeder der hier antritt, muss wissen, er wird kontrolliert Und wenn er gedopt ist, wird er mit Schimpf und Schande hier hinausgeworfen. So dass wir von daher glaube ich erstmalig die Chance haben, einen radikalen Schnitt zu machen. Ich hätte es mir natürlich gewünscht, dass man es schon bei der Tour de France gemacht hätte, dort hat man aber offensichtlich nicht die notwendige Härte und Konsequenz gezeigt, die wir jetzt zeigen wollen. Das heißt, das Thema Doping wird uns begleiten, allerdings in einer anderen Weise. Wir stehen für faire Weltmeisterschaften, wir stehen für den fairen dopingfreien Sport, und den werden wir in Stuttgart auch durchsetzen, - 11- A: Ein klares Bekenntnis und der Wille aufzuräumen, diese Rad WM sauberzuhalten. Das liegt den Schwaben als Erfinder der Kehrwoche. Und diesmal gab es genug zu fegen - vor der eigenen Tür. Groß war das Entsetzen, als klar wurde, das Epizentrum der Skandale liegt nicht nur im fernen Spanien und bei obskuren Dr. Fuentes und Co. Damit hatte auch Prof. Andreas Nieß, der Leiter der Sportmedizin Tübingen und am Olympiastützpunkt Stuttgart nicht gerechnet: O-Ton Nieß: Natürlich war das ein Schock zu erfahren, das die Freiburger Sportmedizin und Mitarbeiter beteiligt waren, ich hätte das so nicht erwartet. A: Das man den Radsport und andere Disziplinen, in denen hohe Geldsummen auf dem Spiel stehen, jemals ganz sauber bekommt, daran glaubt kein Experte mehr. Positive Tests sollten demnach niemanden schockieren sondern lediglich beweisen, dass das verstärkte Kontrollsystem funktioniert. Aber auch das ist ein Glücksspiel, wie der Massensprint im Radsport. Die Kontrollen mögen zwar stetig besser und das Netz enger werden, aber die Entwickler dafür immer schneller. Während es heute noch nicht mal für Epo und Wachstumshormone sichere Tests gibt, ist sich Prof. Nieß sicher, dass Doping-Ärzte und Athleten auch vor waghalsigen Experimenten wie Gen-Doping nicht zurückschrecken: O-Ton Nieß Das wäre eine Variante, dass Zellen, bezw. Gene verabreicht werden, die vermehrt Eythropoetin produzieren, dass also nicht nur Epo in den Nieren gebildet wird sondern zum Beispiel auch im Unterhautgewebe; ist der Athlet dann einem Höhenreiz ausgesetzt, kommt es zur vermehrten Blutbildung. A :Risiken und Nebenwirkungen: unbekannt und nicht kalkulierbar. Nur eines ist sicher: Höhenreize gibt es in Stuttgart genug, insgesamt 5500 Höhenmeter müssen die -12- Fahrer auf der 267,4 km langen Strecke überwinden. Die Stuttgarter Kessellage bietet Steilhänge wie in den Alpen. 13% Steigung am Herdweg, rauf und runter auf den Killesberg. Insgesamt 14 Mal durchfahren die Radler den Stuttgarter Westen, den Norden, Feuerbach und Botnang. Radfahrerlegende Rudi Altig hat die Strecke getestet: O-Ton Altig Ich habe sie mit dem Auto gefahren und habe mit?.geguckt?.und finde es ist wirklich eine schwere Strecke. A: Und so tippt Altig auf einen erfahrenen alten Hasen auf dem Siegerpodest, der das ?rauf und runter? nervlich aushält und auf längere Strecken geeicht ist. Nervenstark sollten in dieser Zeit auch alle anderen Fahrer auf vier Rädern in der Sporthauptstadt sein. Gleichzeitig zum Radfahrfinale öffnet das Cannstatter Volksfest seine Fahrgeschäfte und Bierzelte. Staus sind genauso sicher zu prophezeien wie positive Tests, auf der Rennstrecke und bei nächtlichen Polizeikontrollen. Besser man fährt gleich mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder übernachtet vor Ort, was allerdings für Kurzentschlossene schwierig werden könnte, denn die Rechnung der Sporthauptstadtmacher geht trotz aller Schwierigkeiten auf: Ausgebucht melden viele Touristikbetriebe zur Rad-WM. Die Übernachtungszahlen haben sich in den letzten 10 Jahren auf über 1,5 Millionen verdreifacht, aber nicht nur für die Touristik-Branche ist der Stuttgarter Sport-Boom ein Motor. Der Sport selbst ist inzwischen Turbo-Aggregat für die Wirtschaftskraft und bewegt einen riesigen Markt. Sportwissenschaftler Prof. Helmut Digel: -13- O-Ton Digel Der gesamte Sport hat inzwischen einen höheren Anteil am Bruttosozialprodukt als die pharmazeutische Industrie und die gesamte Agrar-Industrie, wenn man das richtig einordnet, erkennt man seine wirtschaftliche Bedeutung. Geräusch: Musik Foxtrott Quickstep A: Mit dem Ausmaß seiner wirtschaftlichen Bedeutung hat eine Disziplin beständig zu kämpfen, das zeigt auch die verhältnismäßig kleine Fördersumme von 100.000 Euro die aus der Stuttgarter Sportkasse dieser Sparte im bewegten Hauptstadtjahr zufließen.. Sie ist und bleibt das Orchideenfach der Sportwelt: Das Turniertanzen. Schon zum zweiten Mal trifft sich die Weltelite des Formationstanzes Standard In der Porsche Arena Ende November. Der größte Tanzsportclub Deutschlands, der 1. TC Ludwigsburg will versuchen, in der Halle mit der weltweit größten Fläche zum neunten Mal den Titel nach Baden- Württemberg zu holen. Die Weltmeisterschaft der Standardformationen setzt dem Stuttgarter-Superlativ-Jahr die Krone auf und bringt noch einmal richtig Glanz in die Stadt. Tüll, Strass und Pailletten satt überdecken manchmal die athletische Spitzenleistung der Sportler im Dreivierteltakt. Immerhin, allein ein Quickstep ist so anstrengend wie ein 400Meter Lauf im Stadion mit nur einer Hürde: dass das Make up nicht verläuft und das Lächeln bleibt. Ein Heimspiel für die Favoriten, die Formation des 1. TC Ludwigsburg. Das buchstäblich ausgezeichnete Stuttgarter Publikum wird auch sie zu Höchstleistungen treiben, im Gleichklang ? Prominente Unterstützung erhält die Weltmeisterschaft im Formationstanz Standard durch Bundespräsident Horst Köhler , der die Schirmherrschaft übernommen hat. Geräusch: Musik klingt aus.