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O-Ton: Marie-Luise Tröbs Die ganze Straße war voll LKWs und diese LKWs standen uns zur Verfügung unser Hab und Gut dann damit beladen zu können. Aber, räumen Sie mal ein Haus. Also die haben auch glattweg gesagt, das was drauf passt, kommt mit, das was nicht draufkommt, bleibt hier. Ganz einfach. 3. O-Ton Wolfgang Hamberger Die Bevölkerung war sich darüber im Klaren, dass sie im Schatten der deutsch-deutschen Grenze lebt. Sie hat, wenn sie wollte wahr- genommen, was auf der Gegenseite für Waffenarsenale aufgebaut waren. Aber das vorwiegende Gefühl war nicht, die Bedrohung von der anderen Seite, der Schutz durch die, die hier sind. Musik kurz hochkommen lassen. Sprecher: Kalte Krieger und Warme Herzen. Mit dem Fahrrad entlang der ehe- maligen innerdeutschen Grenze. Eine Deutschlandrundfahrt mit Ni- colas Hansen. Musik noch stehen lassen. Geräusch: Glocken läuten Autor: Helmstedt am östlichen Rand Niedersachsens. Auf dem Marktplatz räumt der letzte Händler seinen Stand zusammen, im Café am Markt sitzt ein Mann und trinkt einen Tee. Am Rathaus mit seinen Türm- chen blühen die Geranien, auf dem Pflaster davor liegen Blüten und Reis von der letzten Hochzeit. Die Bäckerei schließt punkt zwölf. Es ist Samstag mittag in Helmstedt. Geräusch: Zug hält an. Autor: 12.30 Uhr, am Bahnhof Helmstedt fährt der Zug aus Berlin ein. Eine gut gelaunte Gruppe steigt aus. Sie tragen kurze, sportliche Radfah- rerkleidung, Sonnenbrillen und -hüte. Vor dem Bahnhof nehmen sie ihre Fahrräder entgegen und bevor es losgeht stärken sie sich. 1. O-Ton: Radfahrer beim Picknick Sie: Wir haben noch nix getan, aber essen müssen wir. Er: Nix getan. Und die Bahnfahrt, war das nix? Sie: Ja, das war anstrengend. Bahnfahren ist anstrengender als Rad- fahren. Autor: Nach der kleinen Stärkung bereiten sie auf dem Bahnhofsvorplatz ihre Räder vor. Satteltaschen anbringen, Kilometerzähler auf Null setzen, Wasserflaschen füllen und so weiter. 2. O-Ton: Fritz Ne Trinkflasche ist also ganz, ganz wichtig. Wir müssen regelmäßig immer mal trinken, man verliert ja, wenn man länger fährt auch Flüs- sigkeit, sonst fühlt man sich beim Fahren nicht wohl. Das ist ganz wichtig. Autor: Fritz aus Aachen. Er ist der einzige in der Gruppe, der ein Liegerad fährt. Er drückt auf seinem Kilometerzähler herum, um ihn für den heutigen Tag auf Null zu stellen. Wo Fritz ist, ist gute Laune. Insge- samt besteht die Gruppe aus 15 Radlern, inklusive ihrem Reiseleiter Axel und der ruft zum Aufbruch. Atmo: Abfahrt Helmstedt Fahrradständer klicken. Frau: Fritz, Fritz mach hin... Autor: Die Reise führt von Helmstedt entlang der ehemaligen innerdeut- schen Grenze in den Harz, Richtung Süden nach Eschwege und Ei- senach, zu Grenzdenkmälern und Naturparks, auf ihrer Reise erfah- ren die Radfahrer von Schicksalen, von Geschichten und Geschichte entlang der ehemaligen Grenze bis sie schließlich in Fulda ihre Reise beenden wollen. Musik Interpret: Sasha Titel: Jour de chance CD: Hide & Seek Track: 002 Komponist: Grubert, Robin Schmitz, Sascha (1972-) Zuckowski, Alexander Text: N. N. (engl) Holland, Claire Jandová, Marta (frz) LC/Best.-Nr.: 04281 Warner, 5051442504125 DLR-Archiv#: 93-07681 Mit dem Fahrrad entlang der ehemaligen innerdeutschen Grenze durch Niedersachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Hessen. Vom Bahnhof Helmstedt geht es zunächst durch die Stadt und weiter durch Felder und Wälder nach Marienborn. Hier war auf Seiten der ehemaligen DDR einer der größten Grenzübergänge. Heute ist er ei- ne Gedenkstätte, die an die Trennung Deutschlands erinnern soll. Atmo: Autobahn unterlegen bis Abschnittsende Schon von weitem ist die ehemalige Grenzanlage zu erkennen. Hohe Lichtmasten mit unzähligen Scheinwerfern darauf markieren das Ge- lände. In der Nähe rasen die Autos auf der Autobahn vorbei. Früher mussten sie hier abfahren, im Schritttempo sich den ersten Grenz- Häuschen nähern. Der Weg von der Autobahn zur Passkontrolle ist noch zu erkennen. Unkraut sprießt heute durch den Asphalt. Kai Langer ist Leiter der Gedenkstätte und steht genau dort, wo die Auto- fahrer damals abfahren mussten. 4. O-Ton: Kai Langer Früher war das Teil der Autobahn. Die Autobahn hat sich also aufge- teilt in diese verschiedenen Spuren und Sie mussten sich einreihen je nachdem, was Ihr Reiseziel war. War es ne Transitreise, das heißt, wollten Sie von der Bundesrepublik-Alt nach West-Berlin, also sind Sie nur durch die DDR durchgefahren oder wollten Sie ein Ziel in der DDR direkt ansteuern, je nachdem mussten Sie die entspre- chende Spur nehmen. Diplomaten hatten eine gesonderte Spur und die Alliierten hatten auch noch eine gesonderte Spur. Die Alliierten wurden auch nur von den Russen hier sozusagen kontrolliert. Autor: Von dem ersten Grenz-Häuschen führt ein langes Förderband zu ei- nigen Baracken. 5. O-Ton: Kai Langer Was die Besucher damals nur wahrnahmen war, dass der Pass dann auf dem Förderband verschwand in dieser Baracke. Also das war dann so was wie eine Black Box. Wenn man da jetzt reingeht, dann sieht das alles sehr kurios aus. Es findet sich dort ein Förderband- system, was in diesem Haus weiterführt. Das Band ging dann zu sechs Stasibeamten, die in der Baracke saßen, die die Pässe alle filmten und die dann mit Hilfe einer Zettelkartei schaute, ob es sich um irgendwie besondere Besuchergruppen handelte, Politiker, Land- tagsabgeordnete, Künstler und so weiter, dann wurde nämlich fest- gelegt, was mit diesen Personen zu geschehen hatte - also sprich, dass sie sozusagen Bewacher erhielten während ihres ganzen Be- suches, die sich im Hintergrund aufhielten oder andere Maßnahmen. Autor: Das dauerte. Früher gab es daher bei den Kontrollen oft kilometer- lange Schlangen. Autos wurden durchsucht, Reisende eingehend befragt, Gegenstände zum Teil scheinbar willkürlich beschlagnahmt. Das alles diente der Einschüchterung. Diese Prozedur hatte System. 6. O-Ton: Kai Langer Das hat sich auch in der Terminologie widergespiegelt. Wenn man von dem Bereich, der nach Westen führte, sprach man von feind- wärts, meinte man Richtung eigenes Land, sprach man von freund- wärts. Das sind ja auch schon so subtile sprachliche Dinge gewesen, die dazu geführt haben, dass die Leute sorgfältig unterschieden ha- ben, in Schwarz und Weiß, in Freund und Feind. Und es wurde ei- gentlich immer von vorn herein unterstellt, dass diejenigen, die die DDR bereisen, feindliche Absichten hegen würden gegen die DDR. Autor: Die meisten Besucher der Gedenkstätte kommen heute aus den al- ten Bundesländern, sagt Kai Langer und vermutet, dass das daran liegt, dass sie hier durchreisen konnten und einen Bezug zu diesem Ort haben. Allerdings kommen gelegentlich auch Personen, die sich Reisegruppen anschließen, und dann während der Erläuterungen über die ehemalige Grenze das Wort ergreifen und versuchen, den Schrecken zu relativieren, geschehenes Unrecht zu leugnen und die Stasi als rechtschaffende Organisation darzustellen, sagt Kai Langer. Diese Wortergreifungsstrategie hat Methode. Die alten Seilschaften funktionieren bis heute. Über 1000 Personen haben hier einst gear- beitet, zumeist Stasibeamte und Grenztruppen. Für Durchreisende war es ein beklemmendes Gefühl. Heute können sich die Besucher frei auf dem weitläufigen Gelände bewegen. Auf Tafeln ist erklärt, wie das Kontrollsystem funktionierte - auf deutsch und auf englisch. Die Gruppe der Radfahrer sieht sich auf dem Gelände um. Unter ih- nen sind Jim und Marilyn aus der Nähe von Vancouver in Kanada. 7. O-Ton: Marilyn: In fact, we had to ask which we thought was a dumb question... darüber Autor: Für sie spielte die deutsch-deutsche Geschichte nie ein Rolle und sie kamen sich ein bisschen dumm vor, als sie danach fragten, sagt Ma- rilyn. Sie wussten nichts von diesen Problemen und hören jetzt zum ersten Mal davon. Ende O-Ton: ...but we do now. Autor: Unter den Radfahrern ist auch Barbara. Ganz alleine bewegt sie sich über das Gelände. Sie stammt aus Erfurt. Sie und ihr Mann stellten Anfang der achtziger Jahre einen Ausreiseantrag und sie sieht die Grenzanlagen mit ganz anderen Augen als der Rest der Gruppe. 8. O-Ton: Barbara ...Wut,..Wut - und dieses - hier macht noch mal ganz deutlich, die- ses Eingesperrtsein, wie wir es ja auch waren, wird hier so ganz deutlich, mit welchen Mitteln die uns wirklich unter Druck gehalten haben. Also sehr bedrückend und ganz schrecklich. Aber ich will mich dem ja stellen auf meiner Reise jetzt. Und es ist auch ganz wichtig halt für mich, dass ich das endlich mal - ja, nicht ganz able- gen kann, aber ein bisschen zur Seite schieben kann. Autor: Barbara verbindet mit dem DDR-Regime unendliches Leid. Nachdem sie und ihr Mann einen Ausreiseantrag gestellt hatten, wurde ihr Mann verhaftet. Was ihm in der Haft genau angetan wurde, darüber hat er nie mehr gesprochen sagt sie und ist davon überzeugt, dass es Schreckliches war. Nachdem sie Mitte der achtziger Jahre in den Westen übersiedeln durften, hat ihr Mann nur noch kurz gelebt. Für Barbara ist diese Reise, auch eine Reise zu sich selbst. Musikzäsur - bis 0'45" unterlegen, erst dann freistehen lassen, bei 1'25 weg sein oder bei 2'02 blenden Autor: Im Schatten von Wäldern und auf ruhigen Landstraßen geht die Rad- tour weiter nach Schöningen auf niedersächsischer Seite und Hö- tensleben in Sachsen-Anhalt. Hier stehen noch 300 Meter der Mauer mit Signalzaun, Signaldrähten, Stacheldraht, Scheinwerfer, Grenz- streifen, Kolonnenweg. Auf einem Hang steht der Original Wachturm aus den 70er Jahren. Ein Grenzdenkmal. 9. O-Ton: Joachim Walter In den 80er Jahren haben wir hier in Hötensleben mal so einen Inte- ressenverein Denkmalschutz gegründet. Autor: Joachim Walter, Vorsitzender des Grenzdenkmalvereins. 9. O-Ton: Joachim Walter Dann haben wir am 12. Januar 1990 erreicht, dass es auf unsere Ini- tiative hin ein Schreiben gab, in dem drinsteht, dass eine Gruppe von Hötensleber Leuten, die beantragen, dass ein Abschnitt der Grenze hier unter Denkmalschutz steht. Autor: Und so kam es auch. 10. O-Ton: Joachim Walter Alle Leute haben gesagt, ihr müsst doch spinnen. Wir sind doch froh, dass das nun endlich vorbei ist, jetzt habt ihr wohl noch nicht genug. Ich hab Briefe gekriegt damals, also anonyme Briefe, zum Beispiel aus Leipzig, da steht dann sinngemäß drin, wir haben hier gekämpft, dass dieses gottverfluchte Grenze verschwindet und Sie wollen das da erhalten. Sind sie eine rote Socke? Viele von denen haben über- haupt nicht verstanden, was wir wollten. Autor: Für diejenigen im Dorf, die unmittelbar am Grenzzaun wohnten, hat sich der Blick aus dem Fenster bis heute nicht geändert. Einige von ihnen wehrten sich anfangs gegen das Denkmal. 11. O-Ton: Joachim Walter Wir haben eigentlich solchen lauten Widerspruch nur aus zwei Rich- tungen gekriegt. Das eine ist ein Teil der Einwohnerschaft - auch verständlich, sie haben vielleicht nicht an so was gedacht, wie ein Zeugnis für die spätere Zeit. Und das andere sind aber Leute gewe- sen, die das gerne alles verschwinden hätten lassen, alle Spuren zu beseitigen, also Leute, die besonders systemnah waren - also die wollten's beseitigen. Atmo Radfahren bis zur Musik Autor: Wieder auf dem Rad geht die Reise weiter Richtung Harz. Beate hat sich etwas zurückfallen lassen und verarbeitet ihre Eindrücke. 12. O-Ton: Beate Das war sehr einprägsam. Das war wie die Grenze damals wohl war. Das war original und es war sehr beängstigend. Denn das war so - so unmenschlich, dass die Leute erst mal fünf Kilometer von der Grenze ferngehalten wurden, du hattest Schwierigkeiten allein schon da reinzukommen. Dann kam die erste Mauer, dann kam dieser Streifen, dann kamen Panzersperren, dann kam noch ne Mauer, du konntest zehn mal sterben auf diesem Streifen, wenn du Pech hat- test. Und ich denke auch wenige Leute haben das geschafft. Musik Interpret: Roger Chapman Titel: Shadow on the wall CD: Chappo King Of The Shouters Track: 001 Komponist: Mike Oldfield Text: Mike Oldfield LC/Best.-Nr.: 0309 Biem Stemra, 5235802 DLR-Archiv#: 90-58602 Atmo Radfahren bis Musikzäsur unterlegen Autor: Der Radweg entlang der ehemaligen innerdeutschen Grenze führt weiter Richtung Bad Harzburg. Die Gruppe der 15 Radfahrer, die auf den Spuren der deutschen Teilung radeln, könnten unterschiedlicher kaum sein. Barbara, die selber aus der DDR ausgesiedelt ist, Jim und Marilyn aus Kanada, die bis zu dieser Radtour keine Ahnung von den Problemen der deutschen Teilung hatten, und dann sind da zwei Ehepaare aus der Schweiz. Sie kannten zwar die Geschichte und wussten von den Problemen der Wiedervereinigung, doch es ist das eine, etwas im Fernsehen zu sehen und etwas anderes einen per- sönlichen Eindruck zu bekommen, sagt Renate. 13. O-Ton: Renate Was wirklich alles passiert und wie das aussieht vor allem. Wir wuss- ten schon, dass es einen Stacheldrahtzaun gibt, der mit elektrisch..., und dass Leute erschossen werden und der Todesstreifen, aber das konnten wir uns nicht vorstellen. - Das muss man erst sehen. Autor: Auch Marianne ging mit einem Vorwissen auf diese Reise. Beim Radfahren erzählt sie von ihren Eindrücken. 14. O-Ton: Marianne Also für mich haben sich die schlechten Sachen bestätigt, die man so hört immer wieder - oder gehört hat. Wie die Leute drangsaliert wurden, wie die Mauer unüberwindlich war, das hat sich jetzt alles bestätigt - auch bei den Führungen und durch die Barbara, die ja mitfährt, die das erlebt hat. Autor: Marianne hört bei Erzählungen genau zu und beobachtet sehr gründ- lich. Später beim Radfahren kann sie die Erlebnisse gut verarbeiten, sagt sie. So hat sie beim Fahren durch die Landschaft mit dem Blick einer Außenstehenden Unterschiede zwischen Ost und West wahr- genommen. 15. O-Ton: Marianne Es ist, West ist gepflegter, auch die Gärten. Es sieht anders aus als Osten. Nicht nur die Häuser, die zum Teil nicht mehr bewohnt sind, sondern auch die Gärten sind ganz anders gepflegt. Ich empfinde es ziemlich auffällig. Die Gärten im westlichen Teil, viel mehr mit Rasen und Blumen und Plattenwegen und Gartenmöbeln. Osten eigentlich nicht so. Autor: Und was schließt sie daraus? 16. O-Ton: Marianne ...dass sie vielmehr zu Hause waren im Westen als im Osten und auch mehr die Möglichkeit hatten und auch mehr das Bedürfnis hat- ten wohnlich zu machen und im Osten andere Probleme hatten, viel- leicht mehr existenzielle oder gefühlsmäßig, weiß ich nicht. Autor: Trotz aller Unterschiede und trotz der Ungerechtigkeit der Besitzver- hältnisse zwischen Ost und West, wie sie sagt, sieht sie die Entwick- lung in Deutschland doch mit hoffnungsvollen Augen. 17. O-Ton: Marianne Die Grenze verschwindet ein bisschen. Was ich gesehen habe in Berlin, dort haben sie ein Stück der Mauer eingehakt - großen Me- tallzaun. Jetzt wird die Mauer geschützt. Die Umkehr kommt lang- sam. Das war für mich das Symbol, dass jetzt der Wechsel stattfin- det, dass man jetzt die Mauer schützt. Ich nehm das für mich als Symbol. Musikzäsur - bis 0'45" unterlegen, erst dann freistehen lassen, bei 1'25 weg sein oder bei 2'02 blenden Autor: Der Radweg führt jetzt entlang der Werra, die bis 1990 Grenzfluss gewesen ist. In Creuzburg führt eine schöne Steinbrücke mit sieben Bögen aus dem 13. Jahrhundert über den Fluss. Gleich daneben die Liboriuskapelle aus dem 15. Jahrhundert. Weiter geht es entlang an Wiesen und Feldern nach Hörschel in Thüringen, wo der Rennsteig beginnt und Richtung Osten führt. Gerstungen und Heringen sind zwei kleine Orte mit viel Fachwerk und einer gepflegten Dorfstraße. Etwas weiter südlich liegt Phillipsthal, ein Ort der so dicht an der e- hemaligen Grenze liegt, dass die Grenze hier sogar ein Wohnhaus zerschnitten hat. Die Geschichte dieses Hauses und seiner Bewoh- ner macht den ganzen Schrecken, die Willkür und die Bedrohung im Kalten Krieg deutlich. Das Haus gehörte der Familie Hossfeld, die darin eine kleine Druckerei betrieb. (evtl. Geräusch Druckmaschine als Atmo unterlegen - bis Ende O-Ton 19) Die Grenze wurde nun so gezogen, dass ein Großteil des Hauses im Westen lag, der Ein- gang aber im Osten. 1959 berichtete ein Reporter des Hessischen Rundfunks aus Phillipsthal und der damalige Juniorchef Herr Büttner erzählte ihm von seinen Versuchen das Problem zu lösen, schließ- lich kam er nicht mehr durch die Eingangstür in sein Haus. 18. O-Ton: Herr Büttner Nach verschiedenen Versuchen bei den westdeutschen Regierungs- stellen, haben wir uns eben zur Selbsthilfe entschlossen. Wir haben uns erstmal einen schönen Teil Steine und Zement und Kalk, was man zum Mauern braucht, haben wir uns ganz unbemerkt rangetra- gen...(Stimme bleibt oben) Autor: Alles heimlich und hinter dem Haus gelagert, denn den vorderen Eingangsbereich und das halbe Erdgeschoss hatte die Volkspolizei besetzt. 19. O-Ton: Herr Büttner und nach der Neujahrsnacht, das heißt der Nacht vom 01. zum 02. Januar, da haben wir nachdem die Volkspolizisten, die noch von der Sylvesterfeier noch etwas müde und ausruhebedürftig waren, haben wir eben gesagt, dass wir ins Bett gehen, weil wir auch müde sind und haben fleissig angefangen, zu mauern die ganze Nacht durch. Und morgens gegen vier Uhr waren wir mit unserer Arbeit fertig. Autor: Herr Büttner geht mit dem Reporter durch das Haus, um ihm zu zei- gen, was sie nachts gemauert haben. Was aus heutiger Sicht eine skurrile Geschichte scheint, war 1959 ein Schock. Die Zonengrenze, die Grenze zwischen Ost und West, die Grenze zwischen NATO und Warschauer Pakt verläuft durch einen Nebenraum eines Wohnhau- ses in Phillipsthal. 20. O-Ton: Herr Büttner Diese Mauer hier - wir wollen mal dranklopfen - diese Mauer haben wir in dieser Nacht gezogen. Diese Mauer schließt ja nur den Flur ab, ferner ist dann noch die Eingangstüre, die von außen in das Gebäu- de führt, ebenfalls noch dick vermauert. Autor: Eine Grenzmauer, die vom Westen aus gezogen wurde. Auf der Westseite des durchtrennten Hauses brach die Familie einen neuen Eingang durch die Wand und auch den Zugang zum Grundstück ver- legten sie kurzerhand in den Westen. Der Wohnraum im Erdge- schoss war nun zum Teil nicht mehr zugänglich, das Obergeschoss allerdings war theoretisch durchgängig begehbar von West nach Ost- grenzüberschreitend. 21. O-Ton: Herr Büttner Im Paterre, den haben wir ja gleich aufgegeben in dem Moment wo wir zumauerten, während ja die oberen Räume ja nur von der Woh- nung aus zugänglich sind. Aber benutzen dürfen wir sie nicht, es muss alles ausgeräumt bleiben und darf kein Licht sein. Gezeigt hat sich schon mal, wo wir mal Licht machten, dass eh' wir uns versa- hen, eine Kugel in die Decke reinpfiff, die ein Volkspolizist unten ab- schoss. Autor: Heute ist von dieser heißen Phase im Kalten Krieg nichts mehr zu sehen. Das Haus gibt es noch. Es liegt ruhig und idyllisch an der Werra und wer hier mit dem Rad entlang fährt, kommt unweigerlich daran vorbei. Musik Interpret: The Little Willies Titel: Love Me CD: The Littel Willies Track: 003 Komponist: Stoller, Mike Text: Leiber, Jerry LC/Best.-Nr.: 0110 Milking Bull Records, 0946355531 DLR-Archiv#: 92-50913 Autor: Der Radweg entlang der ehemaligen innerdeutschen Grenze führt zum großen Teil auf Nebenstraßen, Feldwegen und entlang der Wer- ra durch kleine Dörfer und Städte in Thüringen und Hessen. Außer- halb der Ortschaften fällt eines auf: dort, wo früher die Grenze verlief, wo der Zaun stand, im Niemandsland zwischen Ost und West, dort zieht sich ein grüner Streifen durch die Landschaft. Besonders deut- lich wird das in der Magdeburger Börde zwischen Helmstedt und dem Harz, wo intensive Landwirtschaft betrieben wird. Hier sind rechts und links Felder und dazwischen verläuft wie ein grünes Band die ehemalige Grenze. 40 Jahre lang hatte die Natur auf diesem schmalen Streifen Ruhe vor den Menschen. Umweltverbände wollen dieses grüne Band erhalten. Es bietet für Pflanzen- und Tierwelt nicht nur einen Rückzugsraum, sondern stellt für viele Tiere auch ei- ne Verbindung ihrer Lebensräume von Nord nach Süd, von Ost nach West dar. Atmo: Wald bis zur Musik Die Wildkatze ist solch ein Tier, das diese Brücken braucht, erklärt der Biologe Burkhard Vogel vom BUND. Er arbeitet an einem Projekt zur Rettung der Wildkatze. 22. O-Ton: Burkhard Vogel Die Wildkatze, die europäische Wildkatze ist, wie der Name schon sagt, ist ne europäische Art, die eigentlich europaweit verbreitet ist - von Schottland bis zu den Karpaten. Von Deutschland über Frank- reich nach Spanien, Italien runter Griechenland, überall außer im skandinavischen Raum, der wird von ihr nicht besiedelt. Autor: Burkhard Vogel sitzt leider viel zu oft im Büro, wie er sagt, und kommt viel zu selten raus in den Wald. Er hat sein Fernglas umge- hängt, trägt ein grünes Hemd und Wanderschuhe. Er ist auf dem Weg zu Diethard Böttger, einem der Ranger im Nationalpark Hainich. Der Hainich liegt wie eine riesige Waldinsel östlich der ehemaligen Grenze und südlich des Harzes. Burkhard Vogel erzählt Erstaunli- ches. Es liegt zwar nicht an den früheren Grenzanlagen, aber es gibt West- und Ost-Wildkatzen. 23. O-Ton: Burkhard Vogel Man kann das regelrecht so unterscheiden. Wir haben diese große Mitteldeutsche Population zwischen Harz und Hainich und wir haben die westliche Population in Rheinland-Pfalz. Genetische Untersu- chungen deuten an, dass es hier bereits auch eine genetische Tren- nung gibt. Ich sage deuten an, weil wir sind noch nicht soweit, um das wirklich sauber abzusichern, aber es zeichnet sich zunehmend ab, dass es scheinbar eine eigenständige, mitteldeutsche Population gibt, die lange Zeit keinen genetischen Austausch mehr mit west- deutschen Katzen hatte. Autor: Die intensive Landwirtschaft, die Rodung von Wäldern und damit der Verlust von Rückzugsräumen hat den Aktionsradius der Wildkatze eingegrenzt. Diethard Böttger, einer der Ranger im Hainich ist damit beschäftigt Lockstöcke aufzustellen und zu kontrollieren. Lockstöcke dienen ei- nem ganz bestimmten Zweck, es sind Vierkanthölzer, die etwa 70cm weit aus der Erde gucken. 24. O-Ton: Diethard Böttger Wir suchen eine Fläche aus meistens so Lichtungen und wir schla- gen dann den Pfahl in den Boden rein und wenn wir den da reinge- schlagen haben, haben wir ein Röhrchen, (knistert) - haben wir ein Röhrchen, da ist dann hier der Baldrian drinne... (Stimme bleibt o- ben) Autor: Wildkatzen lieben nämlich Baldrian, genau wie Hauskatzen. Dieses Baldrianröhrchen kommt jetzt in eine hohle Kammer am oberen Ende des Pfahls. Danach wird der Holzpfahl mit einer Raspel aufgeraut. Der Baldrianduft lockt die Katzen an, und die reiben sich an dem Pfahl, liebkosen ihn regelrecht beschreibt Diethard Böttger und dann bleiben Haare der Katzen hängen. 25. O-Ton: Diethard Böttger Genau hier, an diesen Sachen, da bleiben Haare hängen. Oder hier hüben, sehen Sie da ist sogar ein Haar, sehen Sie. Hier die gehen dann auch hier oben dran und reiben dran, der wird ja dann auch...- sehen Sie hier ist auch noch ein Haar, sehen Sie? Autor: Auf diese Haare kommt es an, sagt Burkhard Vogel. 26. O-Ton: Burkhard Vogel Die Haare sind ein ganz wichtiger Indikator für uns für den Nachweis, wo gibt es überhaupt noch Wildkatzen in Deutschland, weil allein der Sichtnachweis nicht ausreichend sichere Belege dafür liefert. Autor: Die Methode, so einfach wie sie ist, ist noch relativ neu. Erkenntnisse gibt es daher bislang kaum, außer dass durch diese Methode nach- gewiesen werden konnte, dass es in der Rhön, wieder Wildkatzen gibt. Im Hainich so die Forscher, gibt es etwa 30 dieser Tiere und obwohl Diethard Böttger als Ranger so viel im Wald unterwegs ist, hat er nur ganz selten mal eine Wildkatze gesehen. Musik Interpret: Harry Chapin Titel: Cat's in the cradle CD: Songs - The best of the Singer/Songwriters (Sampler) Track: 013 Komponist: Chapin, Harry Text: Campbell Chapin, Sandy LC/Best.-Nr.: 3708 WSM, 746194-2 DLR-Archiv#: 91-80892 Atmo: Radfahren bis Ende O-Ton 28 Autor: In Thüringen führt der Radweg entlang der ehemaligen innerdeut- schen Grenze fast immer an der Werra entlang. Die 15-köpfige Rad- lergruppe, die sich aufgemacht hat, die Spuren der früheren Teilung Deutschlands zu erkunden, durchlebt auf dieser Reise ein Wechsel- bad der Gefühle. Nur Barbara war direkt von der Grenze betroffen, sie wurde in den achtziger Jahren aus der DDR ausgesiedelt. Alle anderen kamen aus dem Westen und hatten keinen unmittelbaren Bezug dazu. An vielen Orten ist kaum noch Grenze zu sehen, sagt Beate. 28. O-Ton: Beate Also ich würde ab und zu mal gerne mehr sehen davon. Ich meine damals haben die Leute es ja eilig gehabt alles wegzuräumen, was ich einerseits auch verstehen kann, aber ich bin auch froh, dass das bisschen, was noch da ist, dass es das gibt. Denn ganz totschweigen darf man das ja nicht. Autor: Bei den verschiedenen Grenzmuseen und Grenzdenkmälern, die die Gruppe auf ihrem Weg gesehen hat, wurde neben Fluchtgeschichten auch immer wieder erzählt, dass Menschen aus dem Grenzgebiet zwangsweise umgesiedelt wurden. Marie-Luise Tröbs stammt ur- sprünglich aus Thüringen, einem kleinen Ort Namens Geisa in der Nähe von Fulda. Musik unter O-Ton legen, langsam einblenden. 29. O-Ton: Marie-Luise Tröbs In diesem kleinen Rhön-Städtchen, also Geisa, ist es eben so gewe- sen, das ist ja eine sehr katholische Gegend und da haben zwei Mal die Woche Kindergottesdienste stattgefunden bevor man in die Schule gegangen ist. Und der 3. Oktober 1961 war ein Dienstag und mein Bruder und ich, wir kamen aus dieser Messe und wollten unse- re Schultaschen holen, um dann in die Schule gehen zu können. Und meine Mutti ist nur weinend mir entgegen gekommen und dann ha- ben uns meine Eltern gesagt, dass wir diese Stadt verlassen müssen - bis um zwölf. Musik kurz aufblenden 30. O-Ton: Marie-Luise Tröbs Die ganze Straße war voll LKWs und diese LKWs standen uns zur Verfügung unser Hab und Gut dann damit beladen zu können. Aber, räumen Sie mal ein Haus. Also die haben auch glattweg gesagt, das was drauf passt, kommt mit, das was nicht draufkommt, bleibt hier. Ganz einfach. Musik kurz aufblenden. 31. O-Ton: Marie-Luise Tröbs Meinen Eltern wurde gesagt, dass diese Aktion der eigenen Sicher- heit dient, und wenn die Bonner Ultras geschlagen sind, dürfen sie wieder in ihre Heimat zurück. Und meine Mutti, die sagt heute immer noch, Kind, also ich war ja so naiv. Musik kurz aufblenden. 32. O-Ton: Marie-Luise Tröbs Es war ja genau festgelegt, wer von unserer Familie ausgewiesen wird und meine Oma, die war bettlägerig und die ist nicht mit ausge- wiesen worden und jetzt mussten wir unsere schwer kranke Oma, die im Bett gelegen hat, zurücklassen und der Abschied von der Oma, das war ganz, ganz, ganz schlimm. Und dann praktisch der Gang von der Haustür, dann war ja dieser Menschenauflauf. Viele Menschen waren sicherlich da am Straßenrand, um von uns Ab- schied zu nehmen. Und dieser Gang durch diese Menschenmenge - mit meiner Mutti. Du hattest irgendwie das Gefühl, dir widerfährt et- was Schlimmes und auf der anderen Seite, warum? Immer wieder die Frage, warum passiert das jetzt, ja? Musik kurz aufblenden 33. O-Ton: Marie-Luise Tröbs Wir sind ja wie Schwerverbrecher abtransportiert worden. Und dass wir an dem neuen Standort zum Beispiel haben wir dann ja von Nachbarsleuten auch erfahren, es hieß es kommen Schwerverbre- cher von der Grenze. So haben die uns an dem neuen Ort angekün- digt. Keinen Kontakt aufnehmen, es handelt sich um Schwerverbre- cher von der Grenze. - Bis die Nachbarn dann doch den Mut hatten und sich dann selbst gesagt haben, die sehen aber gar nicht aus wie Schwerverbrecher und haben dann doch den Kontakt mit uns aufge- nommen. Und dann hatten sie auch den Mut, uns das zu sagen. Musik kurz aufblenden 35. O-Ton: Marie-Luise Tröbs Ich hatte schon das Gefühl, dass ich nicht mehr Kind sein konnte. Meine Eltern haben auch gesagt, du bist die Große. Ich war einfach unerschrockener. Wenn in der Schule wurde einem ja gerade in den Fächern Staatsbürgerkunde oder auch später als ich studiert habe hatte ich ja Marxismus/Leninismus, politische Ökonomie, also es wurde einem ja eine andere Theorie vermittelt, als ich persönlich er- lebt habe. Man ist so zwiespältig herangewachsen. Nach außen hat man gewisse Dinge sagen müssen nur um eine Note zu bekommen, um Abitur machen zu können und in deinem Innern hast du aber an- ders gedacht. Dieser Widerspruch hat mich bis zur Wende eben auch begleitet. Musik Ende Autor: In Thüringen allein wurden 200 Familien zwangsausgesiedelt. Marie- Luise Tröbs erzählte die Geschichte ihrer Familie, die 1961 ihre Hei- mat verlassen musste. Musik Interpret: Sting Titel: Russians CD: The dream of the blue turtles Track: 003 Komponist: Sting Text: Sting LC/Best.-Nr.: 00485 A & M, 393750-2 DLR-Archiv#: 9169184 Atmo: Point Alpha bis zum 38. O-Ton. Autor: Auf der Radtour entlang der ehemaligen innerdeutschen Grenze ist das letzte Etappenziel fast erreicht. Zuvor allerdings muss die 15- köpfige Radfahrergruppe noch einen gewaltigen Anstieg nehmen. Besonders für die älteren unter ihnen, Jim und Marilyn aus Kanada, die beide Mitte siebzig sind, ist es noch mal eine Herausforderung kurz vor Ende der Reise. Oben werden sie mit einer herrlichen Aus- sicht belohnt. Zur einen Seite liegt Thüringen. Der Blick schweift über waldbedeckte Hügel, die in der Sonne liegen. Auf der anderen Seite liegt Hessen, auch hügelig, doch Kornfelder dominieren hier die Landschaft. Richtung Süden ist in der Ferne die Wasserkuppe zu er- kennen. Dort entspringt die Fulda. Der Punkt, den die Radfahrer er- reicht haben, ist Point Alpha. An einem runden Tisch auf dem Hügel nehmen sie alle erschöpft Platz. Sechzehn Hocker gibt es hier, jeder hat das Wappen eines Bundeslandes auf der Sitzfläche. 36. O-Ton: Radfahrer - wo ist Rheinland-Pfalz? - da musst Du hin. Wo ist Niedersachsen? - ich möchte auf Nordrhein-Westfalen sitzen! - ich nehme freiwillig Bayern, das nimmt sonst keiner. (Gelächter) 37. O-Ton: Gästeführerin So, meine Damen und Herren. Herzlich Willkommen auf Point Alpha, mit einer der heißesten Punkte im ehemaligen Kalten Krieg. Wir wer- den jetzt quasi uns hier auf dem Gelände bewegen, das ist so circa 75.000 Quadratmeter groß, komplett unter Denkmalschutz...(wird leiser, Autor darüber) Autor: Hier standen sich die Kalten Krieger gegenüber. Auf dem abfallen- den Hang Richtung Westen die Amerikaner, auf der anderen Seite die Grenztruppen der DDR. Wolfgang Hamberger war in dieser Zeit Oberbürgermeister von Ful- da. 38. O-Ton: Wolfgang Hamberger Meine persönlich größte Sorge war die, wenn die volkswirtschaftlich am Ende sind, und da waren sie ja schon Mitte der achtziger Jahre, ob dann nicht man nach dem letzten Strohhalm greift und sagt, wir sind sowieso verloren, bei uns kann nichts mehr laufen, jetzt versu- chen wir, ob wir dann die andere reife Frucht uns einverleiben kön- nen. Ob das nicht das Fass zum Überlaufen bringt und so ein Ver- zweiflungsschlag geführt wird, der den dritten Weltkrieg bedeutet hät- te. Autor: Hätte solch ein Verzweiflungsangriff stattgefunden, dann hier in der Nähe von Fulda. Da waren sich alle Militärs einig. Diese Gegend nannten sie Fulda Gap, erklärt der Friedensaktivist und Professor an der Fachhochschule Fulda Peter Krahulec. 39. O-Ton: Peter Krahulec Gap heißt nichts anderes als eine Lücke, eine Senke. Und zwar kon- kret jetzt verortet hier im mitteldeutschen Mittelgebirge, wenn man es mit den Augen des Militärs betrachtet ist das Mittelgebirge kein Ter- rain für Panzer. Also, wer mit Panzern anfangen will, Panzer ist eine Offensivwaffe, der plant nach vorne Krieg zu führen, Schlachten zu führen, der sucht Lücken in diesem Mittelgebirge und siehe da, wenn man sich die Landkarte anschaut, hier ist eine große Lücke rund um die Stadt Fulda - deswegen Fulda Gap. Autor: Der Theorie zu Folge wären die Russen durch die Fulda Lücke ge- stoßen und Richtung Rhein/Main Gebiet vorgedrungen und hätten West-Deutschland innerhalb von zwei Tagen in eine Nord- und eine Südhälfte zerteilt. Wolfgang Hamberger hat als Jugendlicher eine ganze Zeit in den USA gelebt und studiert. In seiner Generation kei- ne Selbstverständlichkeit. Diese Zeit hat sein Verhältnis zu Amerika stark geprägt. Die Anwesenheit der Amerikaner in seiner Stadt hat er nie als Belastung empfunden, sondern als absolute Notwendigkeit. 40. O-Ton: Wolfgang Hamberger Die Bevölkerung war sich darüber im Klaren, dass sie im Schatten der deutsch-deutschen Grenze lebt. Sie hat, wenn sie wollte wahr- genommen, was auf der Gegenseite für Waffenarsenale aufgebaut waren. Sie hat gewusst, dass in Fulda ein Eliteregiment stationiert ist. Sie hat die 75 Kampfhubschrauber täglich erlebt, sie hat die Pan- zer durch die Stadt fahren sehen und, und, und. Und sie wusste, hier ist militärisches Potential auf beiden Seiten da. Aber das vorwiegen- de Gefühl war nicht, die Bedrohung von der anderen Seite, der Schutz durch die, die hier sind. Die Leute haben es - von Ausnah- men abgesehen, es gibt immer auch andere - empfunden hier ist die Demonstration der Stärke, dass sie uns diesen Schutz gewähren und bereit sind einzusetzen, wenn es denn Notwendig werden würde. Autor Einer von diesen Ausnahmen, diesen Anderen, war Peter Krahulec. Er hat sein Berufsleben der Erforschung des Kalten Krieges gewid- met und kein grenzenloses Vertrauen in die Stärke der Amerikaner gehabt. Im Gegenteil, es ging ihm stets darum, die Stärke auf beiden Seiten abzubauen, denn in dieser Stärke sah er das größte Risiko. Der Theorie nach hätte nichts passieren dürfen, denn die Stärke war auf beiden Seiten ausgewogen. Doch Krahulec gibt zu bedenken: 41. O-Ton: Peter Krahulec Wenn ich mir das jetzt von oben anschaue diesen Globus, und es ist sinnvoll sich diese Dinge wirklich am Globus anzuschauen und nicht auf einer Fläche, wie einem Atlas, dann sieht man, dass die USA tat- sächlich einen strategischen Vorteil besaßen. Nämlich sie hatten das, was die Militärs nennen einen Brückenkopf. Das heißt, wenn ich also weiter will in das Territorium des Gegners und schon mal einen Fuß setzen will, - der ganze Restkontinent Westeuropa ist aus der Sicht der Militärmacht USA ein Brückenkopf gewesen. Wenn ich also nicht die großen, mich dann auch endgültig bedrohenden Waffen einsetzen will, sondern kleinere Waffen in dem Brückenkopf einset- ze, dann erhöht sich die Chance, dass die Gegenschläge nicht in mein Land kommen, sondern auf den Brückenkopf kommen. 42. O-Ton: Wolfgang Hamberger Es ist zwar schlimm, eine Balance des Schreckens aufrecht zu erhal- ten, aber wenn sie dazu führt, den Schrecken zu verhindern, ist es letzten Endes doch das Richtige. Autor: Wolfgang Hamberger und Peter Krahulec sind sich unzählige Male begegnet, Verständnis für die Position des jeweils anderen haben sie aber nie gehabt. Heute sitzt Peter Krahulec in seinem Garten ober- halb der Stadt Fulda und ist im Geiste versöhnt mit den Gegnern von einst. Wir sind alle älter geworden, sagt er, und ruhiger. Durch die damalige Zeit hätten sie eine gemeinsame Basis und wenn man sich heute mal trifft, dann sind die Positionen zwar nicht dieselben, aber sie reden entspannter darüber als damals. 43. O-Ton: Gästeführerin (O-Ton beginnt mit Atmo) Dieses Stück Zaun ist jetzt Original, wir sind jetzt im Jahr 1970 und hier stand das auch original so, wie Sie es sehen - auch der Kfz- Sperrgraben.... darüber Autor Autor: zurück am Point Alpha. 43. O-Ton: Gästeführerin ...ja, und hier hingen die Selbstschussanlagen. (Als Atmo weiterlau- fen lassen, Kreuzblende mit Atmo Point Alpha, darüber Autor) Autor: Hier am Point Alpha wurde 1976 Bernhard Fey beim Versuch aus der DDR zu fliehen von einer der Selbstschussanlagen getroffen. Er hatte es über alle Hindernisse im Hinterland geschafft und die Gren- ze erreicht. Es war Heilig Abend. Im Schutze der Dunkelheit wollte er hier die Grenze überqueren, als ihn die Kugeln trafen. Grenztruppen der DDR sammelten den leblosen Körper ein, warfen ihn auf einen Lastwagen und transportierten ihn ab. Auf der anderen Seite des Zauns beobachteten die Amerikaner den Vorfall, konnten aber nicht helfen. Später wurde ein Holzkreuz zu Ehren des Toten aufgestellt. Erst nach der Wende stellte sich heraus, dass Bernhard Fey schwer verletzt überlebt hatte und nachdem man ihm die Kugeln herausope- riert hatte, viele Jahre inhaftiert wurde. Heute engagiert er sich an der Gedenkstätte Point Alpha. Die Radfahrer aus West-Deutschland, der Schweiz und Kanada hö- ren gebannt zu und Marianne ist erschüttert. 44. O-Ton: Marianne Die Grenzanlage, das haben wir schon gesehen, aber es gibt so ge- wisse Punkte, die dich ganz, ganz nachdenklich machen und die tief gehen. Nicht so, wie wenn Du Grünstreifen siehst oder so auf dem Weg fährst. Die Schicksale immer wieder, die damit verbunden sind und die vielen, die nicht dokumentiert sind. Autor: Auf der anderen Seite des Zauns steht der Wachturm der Amerika- ner. Das Gelände ist auf der Westseite abschüssig. Etwa hundert Meter vor dem Zaun ist auf dem Observation Point Alpha, wie der amerikanische Stützpunkt heißt, eine rote Linie. Diese Linie durften die Amerikaner nicht mit größeren Autos überschreiten, um bei ihren östlichen Beobachtern keine Missverständnisse hervorzurufen. Der Blick vom Point Alpha schweift den westlichen Hügel hinunter. In der Ferne liegt Fulda. (Atmo Ende) Hier endet die Radtour entlang der ehemaligen innerdeutschen Grenze. Jim und Marilyn aus Kana- da haben auf dieser Reise viel gelernt, die vier Schweizer haben et- was über die Ausmaße der früheren deutschen Teilung erfahren, die West-Deutschen erlebte Geschichte noch einmal ganz anders erfah- ren und Barbara, für die diese Reise auch eine Reise in die eigene Vergangenheit war? Sie sitzt in Fulda im Hotel und denkt über die Reise nach. 45. O-Ton: Barbara Ich wollte diese Grenze kennenlernen. Diese Fahrt war für mich auch eine sehr genussvolle und schöne Reise und ein Baustein so für mich für weitere Zeit, dass ich weiß, dass ich mich intensiver noch damit beschäftigen möchte und muss. Musik. Schon unter O-Ton legen. Darüber: 46. O-Ton: Collage Fazit der Radfahrer Musik Sprecher: Kalte Krieger und Warme Herzen. Mit dem Fahrrad entlang der ehe- maligen innerdeutschen Grenze. Eine Deutschlandrundfahrt mit Ni- colas Hansen. Musik. Musik für Musikzäsuren Interpret: Alan Silvestri Titel: Forrest Gump Suite CD: Forrest Gump - The Soundtrack Track: CD 2, 016 Komponist: Alan Silvestri Text: instr. LC/Best.-Nr.: Ensign Music Corporation BMI DLR-Archiv#: Musik für Collage Tröbs Interpret: Michael Nyman Band Titel: Love Theme CD: Six days, six nights (Soundtrack) Track: 011 Komponist: Michael Nyman Text: instr. LC/Best.-Nr.: 3098 Virgin, 839882-2 DLR-Archiv#: 90-65734 1