COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur, Länderreport, 10.01.2011 Neues vom Stamm der Hoywoys - Ein Anthropologe aus Cambridge über die Zukunft der Stadt Hoyerswerda - Autor Alexa Hennings Red. Claus Stephan Rehfeld Sdg. 10.01.11 - 13.07 Uhr Länge 18.55 Minuten Moderation Vor drei Jahren bekam die Stadt Hoyerswerda in Sachsen einen seltenen und für manchen Einheimischen dort auch einen seltsamen Besuch. Ein Anthropologe aus Cambridge zog das Studium der Hoywoys der Erforschung anderer seltener Stämme irgendwo in Afrika oder Sonstweitweg vor. Der Doktorand der englischen Elite-Uni heißt Felix Ringel und wollte herausfinden, wie die Menschen damit umgehen, daß ihnen ihre Stadt immer mehr abhanden kommt. Durch Wegzug. Vor 20 Jahren wohnten noch 70.000 Menschen in Hoyerswerda, heute sind es nur halb soviel. Damit ist Hoyerswerda die am meisten schrumpfende Stadt in Deutschland, ein Trendsetter sozusagen, auch europaweit. Der Menschenforscher blieb gleich anderthalb Jahre, dann fuhr er wieder nach Cambridge, um seine Doktorarbeit zu schreiben. Wir berichteten über seinen Besuch. Nun ist die Doktorarbeit fast fertig, im September 2011 wird er sie an seiner Uni verteidigen. Doch vorher kehrte er dieser Tage nach Hoyerswerda zurück, um seine Arbeitserkenntnisse am Ort der Feldforschung vorzustellen. Alexa Hennings hat ihn wieder begleitet. -folgt Script Sendung- Script Sendung E 01 (Orchesterprobe) ... so, stellt ihr euch schon mal auf die Tonart ein? Kommt! Wir sind beim Intermezzo!! AUT Intermezzo. So könnte man es auch nennen, was hier passiert. Das Intermezzo einer ganzen Stadt. E 02 (Orchestprobe) ... bis `ne schöne Stelle kommt. Da di da di ... AUT In der Musik kommt die schöne Stelle ganz bestimmt. Im Leben dauert es manchmal etwas länger. Oder man wartet vergebens. G 01 (Orchesterprobe / (Instrumente stimmen sich ein)... AUT Intermezzo, das Intermezzo, italienisch, spätlateinisch intermedius. A) Zwischenspiel in einem Drama . B) kurzes Klavier- oder Orchesterstück. C) kleine, unbedeutende Begebenheit am Rande des Geschehens. Auch: lustiger Zwischenfall. G 02 Orchesterprobe) ... eins zwei drei ... AUT Einer muß den Takt angeben in diesem Intermezzo. Hier ist es Lutz Michlenz, und er macht das schon 48 Jahre lang. Es trifft Punkt B) zu: Man spielt ein kurzes Orchesterstück. REGIE Atmo hoch AUT Doch schon kommt Punkt A) ins Spiel: Zwischenspiel in einem Drama. Denn das Orchester ist das Sinfonische Orchester Hoyerswerda. Und so wie der Stadt geht es dem Orchester. Statt 80 Leuten sitzen 25 auf der Probe fürs Silvesterkonzert. Darunter Christiane Vogel mit ihrer Geige. E 03 (Vogel) Wir sind hier die Jungen. Mit Ende 30, Anfang 40 sind wir hier die Jungen. Und es kommen nur vereinzelt Schüler nach. Das ist eigentlich das Grundübel. Wie sich das in den nächsten Jahren gestalten wird, das wird schwierig. Und es wird noch schwieriger. REGIE Atmo Musik AUT Jedes Jahr Weihnachten und Silvester sind viele weggezogene Hoyerswerdsche - wie sich die Hoyerswerdaer nennen - wieder zu Hause sind bei den Eltern - falls die ihnen nicht hinterherzogen sind. Und so ist der Jahreswechsel die große Zeit für das Orchester: In wenigen Turbo-Proben mit den Exil-Bewohnern wird dann ein Konzert aus dem Boden gestampft. REGIE Atmo hoch AUT Ein Fremder steht im Türrahmen und hört dem geschrumpften Laienorchester zu. Kurze, schwarze Haare, schwarze Brille, schwarze Wolljacke, schwarze Jeans. Eigentlich ist Felix Ringel stadtbekannt, und ein paar der ehrenamtlichen Musiker kennt er schon, meist aus der "Kufa", der Kulturfabrik, einem soziokulturellem Zentrum. Doch beim Orchester war er noch nie. Darüber wundert er sich jetzt. Und sorgt sich schon wieder. E 04 (Atmo Tür, hinausgehen, Felix Ringel) ...Die Angst ist ja immer: Das hängt natürlich immer an gewissen Leuten. Was ist, wenn die mal nicht mehr da sind? Wachsen dann neue nach? Ich glaub, die inspirieren schon noch viele Leute. Aber in der Kufa und vielen anderen Vereinen merkt man: Wenn man Angst hat, daß es doch mal irgendwie vorbei sein könnte - irgendwie kommt doch immer noch was. Dann kommt irgendjemand und macht plötzlich was! Und dann denkt man: Oh, ist cool! - lacht - Auch so: Gut, dann versuchen wir, sie an der Stange zu halten und dann schaffen wir das! Wir halten diese Tradition aufrecht, daß wir dieses Neujahrskonzert machen! Da bleiben sie am Ball. Meine Hochachtung für dit. Meine ehrliche Hochachtung. REGIE Atmo Einsteigen ins Auto, losfahren, redet dann im Hintergrund 0.42 AUT Felix ist wieder da. Mit Papas Auto aus Berlin, ein eigenes hat er nicht, was soll er auch damit in Cambridge? Vor drei Jahren kam Felix Ringel in Hoyerswerda an, ohne Auto, sein Fahrrad, Laptop und Aufnahmegerät im Gepäck. Anderthalb Jahre blieb er, wohnte bei sechs Gastfamilien, meist in den Zimmern der weggezogenen Kinder. Zum Beispiel hier, an der "Stadtmauer", einem wuchtigen, langen Hochhaus, an dem er gerade vorbei fährt. Dort wohnte er bei einer Hartz-IV- Familie. Die Stadtmauer steht noch. Nicht weit davon sieht man jetzt eine Brachfläche, eine von vielen in der Stadt mit den meisten Wohnungabrissen. Felix erklärt, dies solle der "Central Park" werden. E 05 (Atmo Auto, Ringel erklärt im Vorüberfahren Stadt) ...Spitzname. Also das, was mal früher dieses Riesen-Hochhaus war, das wird jetzt zum Park, zum Stadtpark umgebaut. Wenigstens macht es was gegen diesen Moment der Starre, den Moment des Wartens: Ja, was passiert denn jetzt mit dieser Fläche wenn das nicht definiert ist?... AUT Zunächst deutete - außer vielleicht seiner Herkunft - Plattenbausiedlung in Ost- Berlin - nichts darauf hin, daß sich ein Elite-Student aus Cambridge dermaßen für ein Kaff wie Hoyerswerda interessiert. Felix Ringel, 29, ist alt genug, um noch über seine Familiengeschichte die Brüche der Wende mitbekommen zu haben, die Unsicherheit, die Ungewißheit der Eltern und Großeltern. Er ging nach Sankt Petersburg, Berkley, Cambridge. Und: Hoyerswerda. E 06 (Atmo Auto, Ringel) ...seufzt ...Das Hochhaus am Knie ist hier unten rechts runter. Und da haben die jetzt - da kommen die zusammen diese Bürger und fordern diese Sicherheit ab. Die sagen: Wir wollen nicht immer warten, sondern wir wollen eine Entscheidung! Und die Entscheidung soll sein, daß wir da wohnen bleiben können. Und die kriegen das durch! Das ist schon beeindruckend für mich. Das setzt natürlich nach über zehn Jahren Stadtumbau, Stadtrückbau ein Novum. Aber besser spät als nie! ... REGIE Atmo Musik Walzer AUT Genau darum geht es in seiner Doktorarbeit: Wie leben die "Hoyerswerdschen" mit der Schrumpfung ihrer Stadt? Hunderte Lebensgeschichten und Überlebensstrategien waren 2008 auf Ringels Notizblock und seinem Recorder gelandet. Er fand: Hoyerswerda ist ein Trendsetter auch für Europa: Was hier passiert, passiert bald anderswo ebenso extrem. Nun ist die Doktorarbeit fast fertig. Und Felix ist nach Hoyerswerda zurückgekehrt, in sein "Feld", um seine Arbeit dort vorzustellen. E 07 (Atmo Tür, reingehen, Schlegel) Na, herzlich willkommen!... AUT Gerhard Schlegel, 74, gehört auch zum "Feld". Schuhe aus in der Neubauwohnung, das kennt Felix noch. Stollen, Kaffee und ein Stapel Papier - alles schon bereit. E 08 (Schlegel, Ringel) Felix, das sind meine letzten Leserbriefe, die nicht erschienen sind... AUT Alles wichtig für die Feldforschung. Ein Stapel Leserbriefe. Alles Futter für Felix´ großes Thema: Bürger reiben sich an ihrer Stadt. Auch wenn sie nicht immer gehört werden. E 09 (Schlegel) ...Was ist Meinungsfreiheit? Bei uns in der Stadt gibt's drei Leute, die Meinungsfreiheit ausüben. - Felix lacht - Was will ich da machen? Ich bin bloß ein kleiner Kerl. Die schimpfen schon über mich! -Felix: Gerhard ist Leserbriefekönig. -Gerhard: Ja, 920 Briefe inzwischen. Nach der Wende. Da hab ich ja ein neues Leben angefangen! Ich hatte in Deutsch ´ne ganz schlechte Zensur... AUT In Mathe war er besser, deshalb ist er auch Ingenieur geworden, und hat in Schwarze Pumpe, dem größten Energiestandort der DDR, für Strom gesorgt. FDJ, SED, Kulturbund, Kunstverein. Das war früher. Jetzt: Kunstverein, Seniorenakademie, Theatergruppe, Tai Chi. Für Felix Ringel ist Gerhard einer der typisch engagierten Hoyerswerdschen. Auf die man aber nicht immer hören will - siehe Leserbriefe. E 10 (Schlegel) Das ist für mich ein ziemliches Problem bis heute. Die Ostelite. Wir hatten doch auch Leute, die Grips hatten! Wie ich zum Beispiel - lacht - nee, um Gottes willen. Nicht etwa, daß ich sage: Ich bin zuständig für das und das. Sondern: Ich fühle mich verantwortlich für das, was wir als einigermaßen gute Idee mit uns rumgeschleppt haben. Zukunftsvisionen, immer. Natürlich waren das utopische, das ist eben das Problem, daß man das mitunter nicht sortieren kann! AUT Beim Sortieren will er helfen, der Anthropologe aus Cambridge. Denn es geht um Zukunft und Utopie einer Stadt, die im rasanten Tempo von der jüngsten zur ältesten deutschen Stadt wurde. E 11 (Schlegel) Meine Utopie ist, daß wir unsere Stadt managen wie ein Unternehmen. Daß wir Ziele setzen müssen und daß wir Leute mitnehmen. Und dafür brauchen wir eine fähige Mannschaft. Und unsere Oberbürgermeister und auch viele, die im Rathaus sitzen, haben diese Fähigkeit nicht. Sobald wir Leute haben, die sagen: Ja, ich will was! Yes, we can oder so. Ich sage immer: Wo Geist ist, ist auch Zukunft. AUT Am liebsten wäre es Gerhard, wenn Felix in Hoyerswerda das Ruder in die Hand nehmen würde. Politiker werden, Hoyerswerdas Obama. Felix grinst. E 12 (Ringel) Gerhard will immer, daß ich was verändere! Ich versuche das, was theoretisch wichtig für die Anthropologie ist, auch relevant zu machen für die Leute vor Ort. Aber mehr mache ich natürlich nicht AUT Doch weil der Menschenforscher in 18 Monaten Hoyerswerda so viel Beispiele fand, wie sich die Einwohner ihre Lebensqualität nicht nehmen lassen wollen, wie sie um Häuser kämpfen, um Vereine, Schulen, um Raum für Kultur, um Alternativen, das alles hinzubekommen, findet er: Hoyerswerda ist Avantgarde. Hier erleidet man nicht die Schrumpfung, sondern gestaltet sie. Und er stellt diesen Gedanken der ziemlich verblüfften Fachwelt an der englischen Elite-Uni vor. E 13 (Ringel) Und dann ist es spannend. Die sind immer ganz baff. In England z.B., wo es nicht solche Vergemeinschaftungsprozesse gibt wie hier, daß Leute sich zusammenschließen in Vereinen, weil dort alles schon viel mehr neo-liberal flexibilisierter ist sozusagen. Da kommt dann weniger, dann erduldet man das auch, fragt sich, ob man nicht selber was tun muß? Müßte man nicht mobiler sein? Und da wird hier etwas entgegen gehalten, was anders ist, Auch anders als in Amerika. AUT Hoyerswerda vor Amerika, wenn das keine Nachricht ist! Jetzt ist es der alte Schlegel, der grinst. E 14 (Ringel) Die, die hier sind, die bringen sich ein für die ganze Stadt. In irgendeiner Art und Weise und von ihren sehr unterschiedlichen Positionen aus. In Amerika gibt's dann eher Charity, dann versucht man den Armen was entgegen zu bringen. Und dann gibt es diese Hochkultur für die, die es sich leisten können. Da ist die Ausdifferenzierung größer. Während hier z.B. die Kulturfabrik etwas macht, wo aus allen möglichen Altersgruppen und gesellschaftlichen Schichten Leute teilhaben können, ohne daß Exklusion da eine Rolle spielt. Auch beim ehemaligen Klub der Intelligenz, da werden irgendwelche tadschikischen Schriftsteller gelesen. Das zieht vielleicht nicht jeden, aber jeder könnte kommen und könnte es sich eigentlich auch leisten. Das muß man sich mal vorstellen: In der schrumpfenden Stadt, da wird ein tadschikischer Schriftsteller gelesen und bequatscht !- lacht - Gehen wir mal in die Lausitzhalle?...rausgehen... REGIE Atmo Gehen, begrüßt Frau 1.00 AUT Auf dem Weg in die Lausitzhalle begegnet Felix Ringel der Kulturbundchefin. Dort hat er auch seine fast fertige Doktorarbeit vorgestellt, außerdem war er in der Seniorenakademie, der Kulturfabrik und in einer Runde bei ehemaligen Gasteltern. Nun noch der große Auftritt im Rathaus. Gerhard Schlegel will kommen, hat er beim Abschied versprochen. E 15 (Atmo Gehen hoch, Ringel) ...Solche Gespräche zeigen eben immer wieder, wie sehr die Menschen hier an ihrer Stadt hängen und auch immer wieder was machen. Na, Herr Bergmann?... AUT Die nächsten Bekannten. E 16 (Ringel) ...Tagchen! Wir waren eben bei Herrn Schlegel. Und jetzt gehen wir rüber ins neue Rathaus. Um fünf geht's los? Wir kommen, klar kommen wir!...lacht.. REGIE Atmo Auto / Ringel) ...jetzt machen wir erstmal ´ne Pause... AUT Im Auto ist Felix vor Begegnungen mit alten Bekannten relativ sicher, weil das Auto hier keiner kennt. Aber kaum ist er auf dem Parkplatz der Lausitzhalle, kommen die nächsten auf ihn zu. E 17 (Ringel) -lacht - da kommt die nächste Darstellerin. - Und was macht die? - Die ist eine von den bösen Schwestern. - Und du bist? - Ich bin der gute Vater... AUT Hier, in der Lausitzhalle wird auch das Intermezzo der Stadt gegeben. Diesmal in Bedeutung C): Lustiger Zwischenfall. REGIE Atmo Treppenhaus, Kinder AUT Immer Weihnachten, seit 20 Jahren schon, gibt es dieses Intermezzo: Ein Märchen, das die Hoyerswerdschen selbst inszenieren, vier Vorstellungen für je 800 Leute, auch die sind alle ausverkauft wie das Silvesterkonzert. E 18 (Ringel) ...ich glaub, das ist genau die richtige Antwort: Aus der Bürgerschaft heraus für die Bürgerschaft. Schön, Freude, fertig. E 19 (Atmo Bühne, Lautsprecherstimme, Mikrofonprobe) ...ich brauche Sabine, den Tanzmeister und Olli... AUT Eine Art Bürgertheater. Hinzugehen ist schon Kult, die Kinder von damals kommen noch immer, mit oder ohne eigene Kinder. Ingrid Belka hat mal beim Kombinat Schwarze Pumpe Kabarett gespielt, jetzt ist sie Rentnerin und gibt sich jedes Jahr den Streß, mit einem Haufen Laien ein Märchen zu inszenieren. In diesem Jahr Aschenputtel. E 20 (Belka) Das muß man sagen: Aus den vorhandenen Mitteln, die da sind, einfach auch solche Dinge zu machen. Wir haben sogar unsere eigene Musik! Wir spielen nicht "Ein Männlein steht im Walde", wie manche Profis das machen. Morgen haben wir dann nochmal einen Durchlauf. Wir haben ja erst Sonnabend angefangen - lacht - Eigentlich geht das gar nicht! REGIE Atmo Probe, Musik Bühne AUT In Hoyerswerda geht eben, was eigentlich gar nicht geht. Da hüpfen Kinder durch eine aufwendige, bunte Kulisse, die Kostüme sind ausgeborgt vom Senftenberger Theater, das Sprechen ins Ansteck-Mikro klappt noch nicht immer, die Perücke des Tanzmeisters rutscht etwas - was macht das alles? Uwe Broksch , für zwei Tage der Tanzmeister, sonst der Geschäftsführer der Kulturfabrik, zupft sie selbst zurecht, Maskenbilder gibt es keine. Improvisieren ist er aus der Kulturfabrik gewohnt. Natürlich war er gestern dabei, als Felix in seinem Verein die Doktorarbeit vorstellte. E 21 (Broksch) Für mich ist es erstaunlich, daß man die Banalität, die hier vor Ort herrscht, in so einen wissenschaftlichen Kontext stellen kann! Und in so einen globalen Kontext! Finde ich faszinierend, gefällt mir gut - lacht - Aber für die Leute, die hier praxisbezogene Hinweise erwartet haben, ist es eine Illusion gewesen. Das war von Anfang an klar, und wer so rangegangen ist, hat halt Pech. REGIE Atmo Raum AUT Felix kann keine Rezepte liefern, meint Broksch, nur Anregungen. Machen müssen es die Hoyerswerdaer schon selbst. E 22 (Broksch) Ich finds gut, daß jemand von außen kommt und es nochmal so darstellt. Nochmal den Leuten den Spiegel vors Gesicht hält und sagt: Guckt doch mal, ihr wißt es eigentlich schon selber, warum tut ihr es nicht? Insofern ist es produktiv und sinnvoll. Tja, mal gucken. E 23 (Atmo Bühne, Broksch) ...ich probiere gerade neue Tanzschritte aus, Monsieur Zickenbart... AUT Broksch eilt auf die Bühne und gibt den Tanzmeister. Und Felix Ringel eilt zum Rathaus. Auf dem Weg fängt ihn der alte Schlegel ab. E 24 (Schlegel / Ringel) Hast du Lampenfieber oder was? / Ich hab Lampenfieber. / Ach. Aber das ist auch was Gutes, Lampenfieber zu haben. Sonst leistet man nischt - lacht - AUT Der Elite-Student hat Bammel im Rathaus von Hoyerswerda. In Cambridge wärs einfacher, seufzt er. E 25 (Ringel / Schlegel) Da könnte ich ja auch in Englisch reden, das wär viel einfacher! -Ja? Meinste? - Die Anthropologie hab ich Englisch im Kopf. - Ach. - Ich muß mich hier unheimlich konzentrieren, damit ich die Begriffe richtig setze. "Zeitlichkeit". Temporarity, ist ganz groß als Begriff. Aber wem sagt denn Zeitlichkeit was? - ´Ne schwierige Frage. Mathematik wär einfacher! - Mathematik wär einfacher! REGIE Atmo Saal AUT Der Saal füllt sich. Es gibt Fans, die kommen zum dritten Mal zu Felix` Vortrag. Heute sind auch einige Hoyerswerdaer Politiker gekommen, wie Heinz-Dieter Tempel, ehemals Landtagsabgeordneter. E 26 (Tempel) Überregionale Zeitschriften und Medien haben ja in den letzten Jahren eher negativ über Hoyerswerda geredet. Er ist sehr nüchtern, er ist unbefangen hergekommen. Und daß er recht objektiv seine Arbeit als Menschenbeobachter, so könnte man es ja bezeichnen, macht. Viele wissen ja nicht, was ein Anthropologe ist. Aber manche meinen in Hoyerswerda, er ist so wie ein halber Messias, der auch Lösungen hat. Die hat er natürlich auch nicht. REGIE (Atmo Raum verblenden mit Atmo Vortrag) ...Daß Globalisierung eben nicht dieser Fluß ist... AUT Die Begriffe schwirren durch den Raum und die Hoyerswerdaer lernen ihren einstigen Everybodys-Darling plötzlich als Wissenschaftler kennen. REGIE (Vortrag hoch) ...eigentlich strömt Globalisierung nicht, sondern hüpft, wie wir sagen. Hopping. Was ich bis jetzt gemacht habe ist, zu zeigen, wie Schrumpfung uns zwingt, neues Wissen zu generieren. Wie wir als Anthropologen genau wie Sie in ihrem täglichen Leben versuchen, damit umzugehen, mit dieser Neuartigkeit dieser Wandlungsprozesse und mit dem, was an Unsicherheit reingebracht wird...dann Atmo Raum... AUT An Hoyerswerda, an dem, wie sich die Menschen hier verhalten, könne er nachweisen, daß der Mensch dem Wandel nicht passiv ausgeliefert sei, sondern ihn aktiv gestalten kann. Dieser Gedanke gefällt den Hoyerswerdschen. Viele Jahre wollten sie das Wort Schrumpfung gar nicht in den Mund nehmen. Felix hat es ihnen sozusagen erst in den Mund gelegt. Thomas Schielke, ein Kleinunternehmer aus Hoyerswerda - Veranstaltungen und Bistro - betrachtet die Sache inzwischen sogar poetisch. E 27 (Schielke) Schrumpfung, das ist das Leben. Eine Knospe, die braucht `ne Weile, dann blüht sie auf, dann hat sie ihre Zeit, dann kommt die Reife und dann geht sie wieder zusammen und schrumpft auch. Und dann kommt wieder neues Leben. Das ist wie ´ne Sinuskurve eigentlich. REGIE Atmo Musik, Band AUT Die vom unteren Ende der Sinuskurve, die 20jährigen, sind nur noch Gäste in ihrer Stadt. Felix schaut am Ende des Tages schnell noch bei ihnen vorbei: Hannes und seine Freunde bereiten in der Kulturfabrik eine "Diktatorenparty" vor. E 28 (Hannes) Es ist ´ne besondere Party. Wir haben hier früher gern Partys gemacht, jetzt ist es die einzige Party, die wir hier machen im Jahr. Es wohnt niemand mehr hier und wir haben uns gedacht: Okay, zu Weihnachten kommen sowieso alle hier her. Warum nicht? REGIE Atmo Musik hoch AUT Intermezzo einer Stadt: Bevor Schwarze Pumpe und damit die Hoyerswerdaer Neustadt gebaut wurde, hatte die Stadt 5000 Einwohner. Jahrhundertelang. Vielleicht ist ja die 70 000er Einwohnerschaft zu DDR-Zeiten auch nur das Intermezzo dieser Stadt gewesen? Bedeutung C): Kleine, unbedeutende Begebenheit am Rande des Geschehens. E 29 (Hannes) Dann wird morgen Abend ´ne schöne Party gemacht und dann wird das och wieder vergessen wahrscheinlich - lacht - Dann verschwinden wir wieder und irgendwann kommen wir wieder! REGIE Atmo Musik hoch -ENDE Sendung-