COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur, Deutschlandrundfahrt, 10.5.2008, 15.05 Uhr Wenn ich einen See seh?, brauch ich kein Meer mehr... Das Steinhuder Meer in Niedersachsen. Autorin: Mandy Schielke Kennungsmusik, O-Töne drauf, dazwischen Musik steht für einen Moment hochkommen lassen O-Ton 66 Wilhelm Hartmann: I 15 1.13 ?Wenn ich das Steinhuder Meer seh, brauch ich keinen See und kein anderes Meer mehr.? O-Ton 16 Manfred Tatje: 1 2.28 ?Den größten Aal den wir hier gefangen haben, der wog neuneinhalb Pfund und wenn man das hochrechnet, muss der so um die einhundert Jahre alt gewesen sein.? O-Ton 61 Karl Heinz Garberding: 12 4.30 plus 5.17 ?Das ist so eine Kolonie, die besteht aus mehreren Haubentauchern. Und das ist ein Revierruf, dieses OrrrrrrOrrrrrrr.? O-Ton 19 Heinz Schweer: 4 8.45 plus 4 9.00 ?Wenn sie Natur schützen wollen, dann müssen sie auch den Fisch schützen, den Fisch, den keiner sieht. Man sieht immer nur den schönen Vogel da oben fliegen, die Enten, die hier rumschnattern aber den Fisch selbst, sieht in dem Moment keiner.? Sprecher: Wenn ich einen See seh?, brauch ich kein Meer mehr. Das Steinhuder Meer in Niedersachsen. Eine Deutschlandrundfahrt mit Mandy Schielke. Atmo 1: Stürmisches Steinhuder Meer, nachts, Wellen, Wind Sprecher: (erzählend, spannend, geheimnisvoll) Diese Nacht ist grausam. Böen, schwerer eisiger Regen ? ein teuflisches Treiben, ein Wetter wie aus einem Guß. Aber trefflich für ihn und sein Vorhaben. Er blickt sich um. Hier draußen auf dem Wilhelmstein ist sonst keiner, will keiner sein. Die Festungswache hockt außer Sicht im Eingangsgewölbe der Sternschanze. In den Baracken der Außenwerke liegen die wachfreien Soldaten auf ihren Pritschen, einige essen noch heißen Grützbrei mit Käse oder Erbsenkost, andere würfeln bei warmen, dünnem Bier. Alle suchen sich vor dieser besonders unwirtlichen Inselnacht zu schützen. Autorin: Aus ?Mord auf dem Wilhelmstein? ? ein historischer Kriminalroman von Bodo Dringenberg. Am nächsten Morgen wird der Kommandant der Festung Wilhelmstein, Major Rottmann, tot aus dem Steinhuder Meer gefischt. Ein heimtückischer Mord. Atmo 2: Wellen, kein Sturm Kreuzblende Motorboot V 2.10, 3. 0.40, 3 2.50 Autorin: Ein anderer Morgen über 200 Jahre später. Dichter Nebel liegt über dem Steinhuder Meer. 32.000 Quadratmeter Süßwasser, Wasserdurchschnittstiefe 1,35 Meter. Michael Zobel steuert sein kleines Motorboot von Steinhude aus zur Insel. Dreieinhalb Kilometer hellgrauer Nebelbrei liegen vor ihm. O-Ton 1 Michael Zobel: 3.08 ?Das einzige, das wir machen können, ist hier über GPS die Route abrufen.? Autorin: Immer wieder hält er sich das kleine elektronische Gerät, das wie ein Handy für Kinder aussieht, dicht vors Gesicht. Dabei streckt er den Kopf soweit es sein Hals erlaubt nach vorn und kneift die Augen zusammen. Er kennt dieses Meer in Niedersachsen mittlerweile ganz gut. Seit vier Jahren lebt er auf der Ausflugsinsel, die einst eine militärische Festung war. O-Ton 2 Michael Zobel: 3 1.46 ?Ja. Immer ein bisschen vorausschauend, dass man dann, wenn die Insel sich abzeichnet man das Gas wieder ein bisschen wegnimmt.? Autorin: Doch noch ist von ihr nichts zu sehen. Die künstlich angelegte Insel gehört dem Fürsten Alexander zu Schaumburg Lippe und Zobel verwaltet sie im Auftrag der fürstlichen Hofkammer. Er ist der Vogt ? ?der vom Fürst gerufene?. Der einzige Inselvogt Deutschlands. Atmo 3: Motorboot O-Ton 3 Michael Zobel: 4 0.37 ?Sehen können wir noch nichts.? Atmo 4: 0.45 Fahrgeräusche Autorin: Doch dann, zehn Minuten später zeichnet sich ein Schatten ab. O-Ton 4 Michael Zobel: 4 0.59 ?Da ist er.? Autorin: Der Wilhelmstein. O-Ton 5 Michael Zobel: 4 1.09 ?Wenn sie diesen Punkt verfehlen, dann sind sie drüben auf der anderen Seite, dann fahren sie Richtung Winzlar oder Mardorf. Das ist schon häufig passiert, dass die Leute ganz verzweifelt gesucht haben bei diesem Wetter.? Musik 1 Trenner: Element of Crime ?Nur mit Dir? Intro kurz, 22s nur als Trenner Autorin: Das Steinhuder Meer in Niedersachsen, größter Binnensee Nordwestdeutschlands, entstanden in einem Becken, das sich gegen Ende der letzten Eiszeit vor etwa 10. 000 Jahren bildete. Atmo 5: 2 7.30 plus 5 0.34 Wind, draußen Autorin: Ein Maisfeld unweit des Sees. Ein Sandweg schneidet es in zwei Hälften. Thomas Brandt beugt den Oberkörper nach vorn, kneift das linke Auge zusammen und blickt konzentriert durch das Fernrohr. Es steht auf einem Stativ und ist auf einen dreihundert Meter entfernten Strommast gerichtet. Durch das Vergrößerungsglas beobachtet der wissenschaftliche Leiter der ökologischen Schutzstation am Steinhuder Meer ein Fischadler-Paar. O-Ton 6 Thomas Brandt: II 2 0.17 ?Das Männchen sitzt auf dem Nest, das Weibchen sitzt daneben. Das ist ungewöhnlich. Was ich jetzt sehen will, ist ob das Weibchen auch einen Ring hat, dann weiß ich, dass es das Vorjahresweibchen ist.? Autorin: Aufgebläht putzt das Adlerweibchen auf dem Mast sein Federkleid. Der Bauch ist schneeweiß, dass Gefieder dunkelbraun. Der Adler aber tut dem Naturschützer nicht den Gefallen sich zu strecken. Den Abstammungsring am rechten Fuß kann Thomas Brand also nicht erkennen. Der 42-Jährige hat eine Studentin bei sich, die ihrer Bachelor-Arbeit über Frösche schreibt. Sie steht dicht hinter ihm. Auch ihre Augen blicken durch ein Fernglas. Thomas Brandt will näher ran. O-Ton 7 Thomas Brandt: 2 5.19 ?Wenn wir merken, dass sie nervös werden, drehen wir gleich wieder um.? Autorin: Rechts vom Nest kreist ein Rotmilan. Das Adler-Männchen beobachtet das Treiben aus dem Nest heraus. Der Wind bläst in die Federhaube. Noch liegt kein Ei im Nest. Aber das wird sich bald ändern. Anfang April sind die Fischadler aus ihrem Winterdomizil in Westafrika zurückgekommen, in Windeseile haben sie ein Nest gebaut. Bis Ende August bleiben sie, ziehen den Nachwuchs auf, dann geht es wieder zurück. Die meisten Vögel findet man am Steinhuder Meer aber nicht im Sommer, sondern im Winter, erklärt Thomas Brandt. O-Ton 8 Thomas Brandt: 16 1.10 ?Das Steinhuder Meer ist vor allem so ein Dreh- und Angelpunkt für den Vogelzug. Hier kommen zig Tausende von Vögeln, die hier kurzzeitig rasten, ihre Energiereserven auffüllen und von hier aus weiter nach Afrika ziehen.? Autorin: Jetzt breitet das Adlermännchen die Flügel aus, fliegt in Richtung Steinhuder Meer zum Fischfang. Er ist ein guter Versorger, sagt der Tierschützer anerkennend. O-Ton 9 Thomas Brandt: II 2 8.46 ?Jetzt guckt sie aber hinter her. Jetzt hüpf doch einfach nach vorn, dann einmal ausstrecken und dann haben wir es schon. Aber die hat die Ruhe weg.? Autorin: Die Fischadler kommen seit drei Jahren wieder zum Brüten ans Steinhuder Meer. Thomas Brandt ist schon länger da. Seit vierzehn Jahren arbeitet der Zoologe für die ökologische Schutzstation. Er und sein Team beobachten die Vögel und Reptilien am Steinhuder Meer und führen genau Buch über die Populationsentwicklung der einzelnen Arten. O-Ton 10 Thomas Brandt: 16 0.26 ?Ich habe mich schon als kleiner Junge dafür interessiert Vögel zu beobachten. Ich wollte Biologie studieren, da war ich noch keine zehn Jahre alt.? Autorin: Aus alten Abschussstatistiken weiß Thomas Brandt, dass früher hunderte von Adlern in der Steinhuder Meer Region brüteten, irgendwann waren sie weg. Der genaue Brutort des stoisch sitzenden Weibchens, das Thomas Brandt jetzt durch das Fernrohr beobachtet, muss geheim bleiben. O-Ton 11 Thomas Brandt: II 4 0.50 ?Die Vögel sind schon sehr selten und das sind natürlich die Bedürfnisse groß auch mal zu gucken, weil Adler haben ja irgendwie so etwas Mystisches, etwas Geheimnisvolles. Ich befürchte schon, wenn das bekannt werden würde, wo die Adler brüten, dass dann ein Publikumsverkehr losgehen würde, den wir nun gar nicht gebrauchen können.? Atmo: Wiederholung Atmo 5 Autorin: Der Wind ist kalt an diesem Nachmittag, Thomas Brandt zieht den Reißverschluss an seinem dunkelgrünen Fleece-Pullover hoch bis zum Kinn. O-Ton 13 Thomas Brandt: 4 1.40 ?Wenn die Tiere zum Jagen ans Steinhuder Meer fliegen, dann kann man die hervorragend von den Beobachtungstürmen aus sehen. Da sieht man wie die im Sturzflug ins Wasser sausen und dann einen Fisch rausziehen. Das ist immer wieder beeindruckend. Es ist ja auch so, dass ein Großteil der Besucher kommt, um Natur am Steinhuder Meer zu erleben. Die kommen ja nicht nur, um ein Aalbrötchen zu essen und sich ein Segelboot anzugucken.? Atmo 6: 6 0.40 Stativ zusammenklappen Autorin: Heute hat der Tierschützer kein Glück beim Ablesen des Ringes. Er wird es am nächsten Tag wieder versuchen. Er klappt das Stativ zusammen, räumt Ständer und Fernrohr in den schmutzigen Kleinwagen, fährt weiter zum See zur Vogelbeobachtung. Atmo 7: 8 0.01 plus 11 2.00 Tür schlägt zu, wegfahren Kreuzblende Musik 2: Ulrich Tukur und die Rhythmusboys: Steinhuder Meer, Eichborn Autorin: Das Steinhuder Meer, keine dreiviertel Stunde von Niedersachsens Landeshauptstadt Hannover entfernt, hat praktisch keine Zuflüsse und wird ausschließlich von unterirdischen Quellen gespeist. Der Meerbruch, der in die Weser mündet, ist der einzige natürliche Abfluss des Steinhuder Meeres. Atmo 8 III 1 0.00 plus 1 8.35 9.44 Musik dudelt aus dem Radio Kreuzblende ausschaben des Fisches Autorin: Zweihundert Aale liegen aufgeschlitzt auf einem Tisch vor Manfred Tatje. Seit knapp zwanzig Jahren schlachtet er die schlangenartigen Fische für die Aalräucherei Schweer in Steinhude am Steinhuder Meer. O-Ton 14 Manfred Tatje: 1 0.52 ?Dabei ist zu beachten, dass man ganz hinten die hintere Blutader mit erwischen sollte, dann wird alles nach vorn geschoben und dann mit dem Herzen die ganze Innerei über den Kopf raus gezogen? Autorin: Manfred Tatje ist ein kräftiger Mann mit schüchternen, hellen Augen. Vor seinen dicken Bauch hat er eine weiße, abwaschbare Gummischürze gebunden. Geübt und beharrlich kratzt er mit einem abgeschnittenen Küchenmesser über die Gräte des Aales. Darm. Schwimmblase, Galle, Magen. Herz. Alles muss raus. O-Ton 15 Manfred Tatje: 2 014 ?Es ist ja nicht nur Aal hier auszukratzen, sondern auch Forellen werden hier noch selbst bearbeitet. Damit komme ich besser in die Bauchlappen hinein.? Autorin: Die Aale, die da vor Manfred Tatje auf dem Eisentisch liegen, hat er nicht gleich hinter dem Haus aus dem Steinhuder Meer gefischt. Sein Chef hat sie aus Dänemark importiert. Die Aale der Lieferung, die jetzt auf dem Tisch liegt, sind sieben Jahre alt. Und das ist gar nichts für einen Aal. O-Ton 16 Manfred Tatje: 1 2.28 ?Den größten Aal den wir hier gefangen haben, der wog neuneinhalb Pfund und wenn man das hochrechnet, muss der so um die einhundert Jahre alt gewesen sein.? Autorin: Sein Chef Heinz Schweer ist zehn Jahre jünger als Tatje und läuft geschäftig durch den Schlachterraum, nickt dem Fleischer dabei kurz und verbindlich zu. Den größten Teil der Aale, die Heinz Schweer in Steinhude räuchern und im Hofladen verkaufen lässt, kommt inzwischen aus dem Ausland, aus Polen, Italien, den Niederlanden oder eben aus Dänemark. Zwar ist er noch einer von sechs Steinhuder Fischhändlern, die ihre Reusen im Steinhuder Meer abernten. Aber die Aale, die im Steinhuder Meer zur Delikatesse reifen, reichen für seinen Bedarf schon lange nicht mehr aus. Geboren werden sie im Saragossa-Meer, irgendwo bei den Bermudas und Bahamas. Dann lassen sie sich treiben, mit dem Golfstrom bis vor die Küsten Europas. Ganz durchsichtig, Glasaale noch, gelangen sie ins Steinhuder Meer. Aber nur noch im Eimer. O-Ton 17 Heinz Schweer: 5 0.29 ?Jeder Fluss ist heutzutage abgesperrt mit Staudämmen und Wehren, die natürliche Wanderung des Aales ist durch Hindernisse, die wir als Menschen eingebaut haben, sehr stark beeinträchtigt worden und aufgrund dessen setzen wir im Steinhuder Meer jedes Jahr cirka ein bis drei Millionen von diesen kleinen Glasaalen aus, um den Bestand einigermaßen so zu halten.? Autorin: Und dann ist da noch der natürliche Feind des Aales, der dem Fischer den Fang streitig macht. O-Ton 18 Heinz Schweer: 4 4.33 plus 4 5.04 ?Wir haben sehr viele Kormorane hier in den letzten Jahren, die schon einiges rausholen und uns ganz schön zu schaffen machen. So ein Kormoran frisst am Tag zwischen 300-500 Gramm Fisch. Der Fischbestand wird dadurch sehr stark dezimiert.? Autorin: Gegen Naturschutz ist selbstverständlich nichts einzuwenden, sagt der Fischer und verschränkt die kräftigen Arme vor der Brust. O-Ton 19 Heinz Schweer: 4 8.45 plus 4 9.00 ?Wenn sie Natur schützen wollen, dann müssen sie auch den Fisch schützen, den Fisch, den keiner sieht. Man sieht immer nur den schönen Vogel da oben fliegen, die Enten, die hier rumschnattern aber den Fisch selbst, sieht in dem Moment keiner. Und da sollte man doch drauf achten, dass der auch geschützt wird.? Autorin: Er geht raus auf den Hof und blinzelt in die Mittagssonne, die es ab und zu durch die dicken Wolken schafft. Auf zwei Krücken humpelt seine Großmutter ihm entgegen, er nennt sie Omma. Sie ist achtzig Jahre alt. Unter den rechten Arm hat sie ein Fotoalbum geklemmt. Martha Schweer hat lange mitgearbeitet im Familienunternehmen. Sie wusste, worauf sie sich einließ, als Sie in die Fischerfamilie einheiratete. Seit über zweihundert Jahren besitzen die Schweers die Fischereirechte am Steinhuder Meer. Martha hat schlohweißes Haar und hält sich an ihren Hightech-Krücken fest. Ihr Enkel blättert durchs Album. Atmo 9: Blättern 9 1.30 plus 9 2.30 plus 9 3.50 O-Ton 20 Heinz Schweer/ Martha Schweer: 7 5.30 plus 9 3.24 ?Das sind die Verkaufsstände, wie sie früher vor der Haustür gewesen sind. Hier kann man es noch deutlicher sehen. Da wurde aus der Haustür heraus verkauft. Da hat sich früher keiner daran gestört, wenn das draußen auf dem Klapptisch lag. Heutzutage muss ja alles gekühlt sein, alles hygienisch einwandfrei sein. Kühlung? Da dachte kein Mensch an Kühlung!? Autorin: Jetzt stützt Heinz Schweer seine Großmutter und sie hat das Blättern übernommen. 1958 steht in steiler Schreibschrift neben einer unscharfen Fotografie. O-Ton 21 Martha Schweer: 7 3.18 ?Das sind hier die Eisberge am Steinhuder Meer, so viel haben wir hier gehabt? Atmo 10: Blättern O-Ton 22 Martha Schweer: 7 3.40 ?Oh ja, da war ein Autorennen auf dem Steinhuder Meer, auch mit Sportflugzeugen sind sie da drauf gelandet und so. Das weiß ich doch noch? Atmo 14: In der Schlachteküche Autorin: Manfred Tatje, der Aalschlachter, ist fertig mit dem Ausnehmen der Aale, er wäscht und salzt sie ein. Dann bleiben sie liegen bis zum nächsten Morgen. Sie müssen gut durchziehen, um eine wirkliche Delikatesse zu werden. Nebenan in der Räucherkammer wacht Olaf Hardt, ein schlanker Mann in Trainingsjacke über die Temperatur in den Eisenöfen. Atmo 15: 2 4.30 2. 9.44 Holzhacken O-Ton 24 Olaf Haardt: ?Die Glut noch einmal ein bisschen verteilen und dann kommen noch ein paar Buchenspäne drauf, damit es auch schön qualmt. Dann den Ofen fest zu. Jetzt bleiben sie noch zehn Minuten, eine Viertel Stunde drin und dann schaue ich wieder nach.? Autorin: 150 Aale hängen im Eisenofen, der aussieht wie ein großer Kleiderschrank. Olaf Hardt hat den Fischen eine Stange durch die Backen geschoben. Jetzt hängen sie aufgereiht über der Glut. Immer wieder drückt der Räuchermeister mit Daumen und Zeigefinger den Rücken der goldig schimmernden Aale zusammen und wartet auf das richtige Knacken. Erst dann ist sie fertig - die Delikatesse. O-Ton 25 Olaf Haardt: 2 6.36 ?Wir nehmen nur Buchenholz und Buchenspäne. Das ist eigentlich Alles. Er wird mit Salz gewürzt und eben der Rauch der da ran kommt. Mehr ist das nicht. Jetzt nehme ich ihn raus.? Atmo 16: 7 0.40 Wasser spritzt aus dem Schlauch den Kunststoffboden ab Autorin: Auch Manfred Tatje, der Aalschlachter, ist gleich fertig mit seiner Arbeit. Mit einem Schlauch spritzt er den Fliesenboden ab und das Blut aus den Bottichen, in die er die Fische nach dem Ausnehmen geworfen hat. O-Ton 26 Manfred Tatje: 7 1.00 ?Nach der Arbeit wird alles sauber gemacht, alles desinfiziert. Das ist das A und O wenn man mit Lebensmitteln arbeitet.? Autorin: Gleich halb eins. Feierabend. Lust auf ein Aalbrötchen? O-Ton 27 Manfred Tatje: 7 1.13 ?Oh ja!? Musik 3, Kettcar: Nacht oder Work ist out (2.20 min) Autorin: Das Steinhuder Meer ist der größte See Niedersachsens. Seit 1973 ist das Land Eigentümer des Gewässers. Zuvor war es aufgeteilt in zwei Hälften, die dem Fürstenhaus Schaumburg Lippe und dem Land Schaumburg-Lippe gehörten. Nur noch die Insel Wilhelmstein befindet sich jetzt noch im Besitz des Fürstenhauses. Atmo 17: V 7, 8, 9, 10 Rabengeschrei auf der Insel Autorin: Michael Zobel, der fürstliche Verwalter hat mittlerweile das Boot an der Ostseite der Insel festgemacht. Er ist allein. Für Touristen ist es an diesem Apriltag zu kalt und immer noch zu nebelig. Dann zeigt er auf den südlichen Teil der Festungsmauer. Da wurde Major Rottmann, der Festungskommandant, um den sich der Kriminalroman von Bodo Dringenberg dreht, vor zweihundert Jahren kaltblütig ermordet. O-Ton 28 Michael Zobel: 13 6.51 ?Da ist es! Hier vorn an dieser Stelle ist es passiert. Da stand einer hier hinter der Ecke von der Festung und der andere kam gerade diesen Weg hier lang und hat ihn dort dann mit einer Latte oder einem Knüppel niedergeschlagen.? Autorin: Der Festungskommandant war gerade auf dem Weg in seine Unterkunft als er von einem Neider erschlagen und ins Steinhuder Meer geworfen wurde. Heute dienen die ehemaligen Kasernen, die sich rund um die Festung gruppieren, der Bewirtschaftung des Ausflugsziels. Erbaut von Graf Wilhelm, regierender Graf zu Schaumburg-Lippe, doziert Michael Zobel. O-Ton 29 Michael Zobel: 13 0.10 ?Im Jahre 1724 geboren, fing dann mit einer militärischen Ausbildung in England, musste dann zwangsläufig, da sein Bruder, der eigentlich Nachfolger gewesen wäre ums Leben kam vorzeitig die Regentschaft antreten in Schaumburg-Lippe. Das Steinhuder Meer gehörte damals auch zu Schaumburg Lippe. Und so kam die Idee in diesem Meer diese Festung zu bauen.? Autorin: Fünf Meter hohe Mauern. Der Festungsturm ist 30 Meter hoch. Kantenlänge der Sternschanze vierzig Meter. O-Ton 30 Michael Zobel: 6 1.20 ?Zwei Beweggründe gab es. Zum einen, dass man das Modell einer uneinnehmbaren Festung errichten wollte, um zu zeigen, dass so etwas möglich ist und zum anderen, dass man sein Hab und Gut im Falle einer Belagerung, dann an einem sicheren Ort wusste.? Atmo 18: 26 0.30 Schlüssel plus Tür Autorin: Zobel, ein höflicher, distanzierter Mann mit hoher Stirn schließt das Eisentor zur Festung auf und bleibt vor einem Gemälde des Grafen Wilhelm steht. Ehrfürchtig steht der Verwalter mit geradem Rücken davor. Er fixiert den Mann in roter, Gold besetzter Militärjacke und kneift die Augen dabei ein wenig zusammen. O-Ton 31 Michael Zobel: 31 0.35 ?Groß gewachsen, smart, schlank, mit recht aristokratischem Blick, war wie ich das den Dokumenten entnehme ein sehr gelehrter Mann.? Atmo 19: Treppe hinauf Autorin: Ganz oben im Festungsturm wird jetzt geheiratet, im ehemaligen Wohnzimmer des Festungsherren. Bis zum zweiten Weltkrieg durfte in den herrschaftlichen Räumen sogar noch das Verwalterehepaar wohnen, merkt Zobel in ruhigem Ton an. Seine Aufgaben als Inselvogt nehme er sehr ernst, betont Michael Zobel. Und dann erzählt er davon, wie er vor vier Jahren nach seinem Bewerbungsgespräch bei der fürstlichen Hofkammer Tee mit Alexander Prinz von Schaumburg-Lippe trank. O-Ton 32 Michael Zobel: 26 1.55 ?Es war in Ordnung. Man hat ja doch so Vorstellungen von gewissen Personen, die man so aus dem Fernsehen kennt. Das war ganz angenehm.? Musik 4 Dmitri Shostakovich: Waltz from Jazz Suite No.2 , Royal Concertgebouw, Ricardo Chailly, Decca Autorin: Das Steinhuder Meer in Niedersachsen, das eigentlich gar kein Meer ist. 32.000 Quadratmeter ist es groß. Drumherum Feuchtwiesen, Schilf und Moore und ein Rundwanderweg. 34 Kilometer lang. Atmo 20: 13 1.45 Laufen auf dem Weg entlang, Vogelzwitschern O-Ton 33 Willi Rehbock: I 3 3.08 ?Wir werden Bereiche schaffen, wo Radfahrer und Fußgänger einfach getrennt werden, weil das sonst eben an den Wochenenden, bei schönem Wetter manchmal ein bisschen viel wird.? Autorin: Das ist Willi Rehbock. Tourismusmanager für das Steinhuder Meer. In Hagenburg spaziert er auf dem Rundwanderweg in Richtung Meer. Er trägt Jeans, eine Multifunktionsjacke und eine kleine runde Brille auf der Nase. Eine großbusige Joggerin läuft an ihm vorbei. Aber außer ihr und dem Manager ist an diesem Tag auch auf dem Spazierpfad im Westen des Sees niemand zu sehen. Es ist einfach zu kalt. Trotzdem. O-Ton 34 Willi Rehbock: 3 2.27 ?Wir sprechen sehr unterschiedliche Zielgruppen an. Zu den klassischen Ferienzeiten sind es die Familien mit Kindern. Insbesondere in den Sommerferien, weil wir hier ein besonders flaches Gewässer haben, das sich sehr schnell erwärmt, wir keinen Gezeiten haben.? Autorin: Die Gefahren eines echten Meeres lauern am Steinhuder Meer also nicht. Perfekte Bedingungen für den klassischen Badeurlaub. So endet das fachmännische Resümee. Atmo 21: I 2 8.50 Draußen, Vögel Autorin: Los ging es mit dem Tourismus am Steinhuder Meer schon Ende des 19. Jahrhunderts. Das Schaumburg-Lippische Militär wurde 1866 in die preußische Armee eingegliedert. Der Wilhelmstein hatte seine militärische Bedeutung verloren und wurde zum Museum umfunktioniert. Zunächst waren es jährlich nur einige hundert Besucher, die sich von ?Fürstlichen Matrosen? zum Wilhelmstein schippern ließen. Kurz vor der Jahrhundertwende wurde dann die Steinhuder Meerbahn in Betrieb genommen, die noch mehr Gäste aus der Stadt bis fast ans Ufer des Sees brachte. Segler erkannten die guten Bedingungen auf dem Steinhuder Meer und gründeten noch vor dem Ersten Weltkrieg die zwei Yachtclubs. Heute, betont Tourismus-Manager Willi Rehbock, findet Tourismus hier aber nicht nur in Steinhude statt, sondern auch in Hagenburg, Mardorf oder Großenhaidorn. Camping, Surfen, Segeln, Wandern, Reiten, Urlaub auf dem Bauernhof oder Vogelbeobachtung im Naturschutzgebiet. O-Ton 35 Willi Rehbock: 2 2.31 ?Wir bieten eben in den unterschiedlichen traditionell gewachsenen Orten unterschiedliche Angebote an. Und nicht überall den gleichen Brei. Wenn Sie an die Nordseeküste fahren, ist jede Insel, ist jeder Ort austauschbar, das ist hier eben im Kleinen doch ganz anders.? Atmo 22: Im Auto Autorin: Rein ins Auto, im Uhrzeigersinn herum um den See Richtung Mardorf. Willi Rehbock erzählt, dass er in Steinhude geboren wurde und sein Vater eine Fleischerei besaß. Der 40-Jährige hat seine Diplomarbeit über den Nutzungskonflikt am Steinhuder Meer zwischen Naturschutz und Tourismus geschrieben. Konflikte habe es immer gegeben, und dass keiner 100-prozentig glücklich sei, zeige doch, dass die Suche nach Kompromissen eigentlich ganz gut funktioniert. Jetzt grinst er verschmitzt. Die Surfer würden gern das ganze Jahr über das Wasser schnellen und das Winterfahrverbot zum Schutz der Rastvögel lockern. Die Fischer hätten nichts dagegen die Kormoranpopulation zu reduzieren und die Naturschützer wäre es ein Segen, wenn die Surfer und Kiter für ihr Hobby gleich weiter an die Nordsee fahren. Atmo 23: Am Strand Autorin: Das Ausflugslokal mit Meerblickterrasse ?Die weiße Düne? hat geschlossen. Tief steht der Himmel über dem stillen See. O-Ton 36 Willi Rehbock: I 3 0.16 ?Es ist sehr reizvoll vom Land aufs Wasser zu gucken. Ich persönlich finde es aber viel interessanter, wenn man es umgekehrt macht.? Autorin: Also zurück nach Steinhude und rauf aufs bauchige, typische Steinhuder-Meer-Auflugsschiff, den so genannten ?Auswanderer? namens ?Johann?. Atmo 24: 16 2.30 ruhig einsteigen 16 3.10 plus 16 3.55 O-Ton 37 Wilhelm Hartmann: 12 0.59 ?Betreten wir mal hier den Johann? Autorin: Wilhelm Hartmann, 42 Jahre alt, Geschäftsführer der Steinhuder Personenschifffahrt, gelernter Werkzeugmacher, Beruf: Schiffer. Atmo 25: 13 1. 15 Fahrt mit dem Auswanderer, Fahrgeräusche O-Ton 38 Wilhelm Hartmann: 16 0.22 ?Steinhude gehörte früher zu Schaumburg-Lippe und man machte sehr viele Fahrten zum Nordufer. Das Nordufer wiederum gehöre zu Hannover und man wanderte quasi mit diesen Booten von einem in das andere Land aus.? Autorin: Bänke und Boden: in seinem ?Johann? ist alles Holz auf Hochglanz poliert. Sein Boot ist knapp neun Meter lang. Gebaut hat es sein Vater vor knapp vierzig Jahren. Jetzt nimmt der Mann mit Bauchansatz Kurs auf die Badeinsel im Osten von Steinhude. O-Ton 40 Wilhelm Hartmann: 13 6.01. ?Das Steinhuder Meer ist ein tückisches Gewässer. Wir können hier innerhalb von zwanzig Minuten eine grundlegend andere Wetterlage haben. Mit Wind, mit Sturm, Regen, Sturmböen. Wo man dann schon sein Können unter Beweis stellen muss.? Autorin: Mit seinem Vater und Großvater hätte er den ein oder anderen Sturm aber schon, wie er sagt ?abgeritten?. Und so kann ihn nichts schrecken. Außer Nebel. Atmo 26: Fahrgeräusche Autorin: Aber warum heißt dieser stille See nun eigentlich Meer? Der Steinhuder Seemann in dritter Generation muss es wissen. O-Ton 41 Wilhelm Hartmann: 13 2.29 ?Eine in sich geschlossene Wasserfläche ohne Fremdspeisung eines zweiten Gewässers ist ein Meer.? Autorin: Ah ja. O-Ton 42 Wilhelm Hartmann: 13 2.29 ?Als Vergleich der Bodensee, wesentlich größer und tiefer. Aber die Speisung erfolgt durch den Rhein. Deswegen ist der Bodensee ein See und kein Meer. Die zweite Erklärung geht darauf zurück: Unsere Vorfahren kamen aus dem Niederländischen aus dem Flämischen und in den Niederlanden gibt es ja auch keine Seen. Es gibt nur Meere. Das Ijsselmeer zum Beispiel.? Autorin: Wilhelm Hartmanns Namensvetter, Wilhelm, Willi, Rehbock, der Tourismusmanager, der mit auf dem ?Johann? fährt, hat eine andere Erklärung parat. O-Ton 43 Willi Rehbock: 4 1.00 ?Das hängt mit der norddeutschen Sprache zusammen. Man hat früher zu Binnengewässern Mar gesagt. Das hatte nichts mit dem Meer zu tun, sondern mehr mit einem Kreis. In Niedersachsen gibt es ja drei Binnenseen. Es gibt das Steinhuder Meer, es gibt das Zwischenahner Meer und es gibt ursprünglich das Dümmmeer, inzwischen sagt man Dümmer See.? Atmo 27: I 14 2.20 plus 14 7.50 plus 16 1.20 Fahrgeräusche Autorin: Das Steinhuder Meer ist acht Kilometer lang und fünf Kilometer lang. Im heißen Sommer 2003 sei eine Feriengruppe durch das durchschnittlich 1,35 Meter tiefe Meer gewandert. Vom Nordufer zur Badeinsel. Das fanden Wilhelm Hartmann und seine Kollegen gar nicht witzig. Das Steinhuder Meer wird mit Booten befahren. Punkt. Und dann muss er ob der eigenen Strenge doch ein bisschen schmunzeln. O-Ton 44 Wilhelm Hartmann: 14 4.55 ?Es kommt ja nicht so oft vor.? Musik 2 Wdh, hier nur als Trenner: Ulrich Tukur: Am Steinhuder Meer, nur anspielen Autorin: (nimmt direkt Bezug auf den Liedtext) Und doch: sechs von zehn Gästen, die einen mehrtägigen Urlaub am Steinhuder Meer verbracht haben, kommen nicht wieder. Wenn es um norddeutsche Urlaubsziele geht, rangiert das Steinhuder Meer ziemlich weit hinten. Das muss sich ändern. Hotels am Meer sollen klassifiziert werden, zwei Sterne, drei Sterne, vier Sterne, Wellness-Angebote ins Programm aufgenommen und eine Marketingstrategie für die gesamte Region überlegt werden. Ein schicker Segelhafen ist geplant und das Unterseeboot Steinhuder Hecht, das einst auf dem Wilhelmstein konstruiert wurde, für die Urlauber nachgebaut werden. Die Touristen, resümiert Willi Rehbock der Tourismusmanager, müssen bei der Abreise das Gefühl haben, sie hätten noch nicht alles gesehen. O-Ton 45: Willi Rehbock: II 1 1.35 ?Wir sind sicherlich nicht die Destination in Deutschland und werden sicherlich auch nicht die Nummer Eins in Deutschland werden. Gleichwohl ist es so, dass wir im Mittelfeld der Topmannschaften spielen können. Vielleicht so eine Rolle wie Hannover 96 in der Bundesliga, im Mittelfeld der Bundesliga aber nicht in der Champions League, das werden wir nicht schaffen.? Musik 5: Die Ärzte ?Himmelblau?, Universal Autorin: Am Steinhuder Meer in Niedersachsen, Großenhaidorn, Dreißig Kilometer von Hannover entfernt. Atmo 28: Der Haubentaucher O-Ton 46 Karl Heinz Garberding: 12 2.50 ?Was wir hier hören, ist ein Männchen, das ruft, ein zweites Männchen das warnt.? Autorin: Aufrecht, mit wachen Augen sitzt Karl Heinz Garberding, Ornithologe und Steinhudermeer-Naturschützer in seinem Hobby-Tonstudio in Großenhaidorn. Seine Gesichtshaut ist glatt und schimmert ein wenig. Haare hat er nur noch über den Ohren, weiß und buschig stehen sie seitlich vom Kopf ab. Aus den Lautsprechern tönen Haubentaucher. O-Ton 47 Karl Heinz Garberding: 12 2.50 ?Das eine Männchen erhebt Revieranspruch, das zweite möchte, dass es ihm nicht zu nahe kommt. Jetzt gehen sie aufeinander zu und gleich werden sie sich prügeln.? Atmo hochziehen O-Ton 48 Heinz Garberding: 12 3.45 ?Und das ist der Verlassen-Sein-Ruf des Weibchens. Das sagt, hallo. Hier bin ich, wo bist Du?? Autorin: Seit über vierzig Jahren sammelt Karl Heinz Garberding Vogelstimmen, am Steinhuder Meer. Deutschland und Europa. Knapp 200 Exemplare hat er auf Tonbändern und CDs gesichert. Sich selbst bezeichnet er als Naturschutzguru. 1965 hat er eine Arbeitsgemeinschaft für Naturschutz am Steinhuder Meer gegründet. O-Ton 49 Karl Hein Garberding: IV 9 1.00 ?Als Kind konnte ich noch hier über die Straße gehen, konnte gegenüber zum Muttertag Sumpfdotterblumen, Wiesenschaumkraut, Lichtnelken für meine Mutter pflücken.? Autorin: Irgendwann aber standen dort Betonsiedlungen. Garberding ist ?Naturschützer der ersten Stunde? am Steinhuder Meer. O-Ton 50 Karl Heinz Garberding: IV 9 9.10 ?In der Anfangsphase hat man mich als Spinner bezeichnet hinsichtlich meiner Forderung eines Schutzes von Natur und Landschaft. In den Achtziger Jahren stellte ich zu hohe Forderungen, wurde mir von der Politik gesagt. Heute sagen mir meine Gegner ich habe zu viel Macht. Ich habe mich nicht klein kriegen lassen.? Autorin: Im vergangenen Jahr hat er vom Bundespräsidenten im Schloss Bellevue das Bundesverdienstkreuz überreicht bekommen. Garberdings Einsatz als Mitbegründer und ehrenamtlicher Vorsitzender des Vereins Ökologische Schutzstation Steinhuder Meer habe nicht nur dazu beigetragen, dass das Binnenmeer als internationales Feuchtgebiet anerkannt sei, sondern auch zur Ausweisung von Ufer- und Moornaturschutzgebieten. Und dann erzählt der alte Mann zufrieden, dass das Steinhuder Meer seit Anfang 2000 auch unter dem Schutz der Europäischen Union steht. O-Ton 51 Karl Heinz Garberding:10 7.07 ?Und jetzt ist es auch für eine Landesregierung in Niedersachsen nicht so einfach etwas zu ändern. Wie unser Minister das gern möchte. Er möchte nämlich gern die Winterbefahrensregelung kippen. Dass man vom 1.11 bis zum 31. 3 das Steinhuder Meer nicht befahren darf als EU Vogelschutzgebiet. Aber da muss er erst einmal nachweisen, dass die ganze Geschichte auch umweltverträglich möglich ist und das wird ihm schwer fallen.? Atmo 29: Vogelstimmen im Freien Autorin: Thomas Brandt, der junge Kollege von Karl Heinz Garberding steht jetzt in den Feuchtwiesen westlich vom Steinhuder Meer und stapft zielstrebig auf dem Besucherpfad zu einem Beobachtungshäuschen aus dunklem Holz direkt vor dem Vogelbiotop. Er erzählt davon, wie sich in den 50er Jahren die Landwirtschaft am Steinhuder Meer immer weiter ausbreitete, Entwässerungssysteme immer weiter ausgebaut wurden. O-Ton 52 Thomas Brandt: 9 0.38 ?Das hat dann zur Folge gehabt, dass die Flächen immer intensiver genutzt wurden, dann so intensiv, dass die Tier und Pflanzen die sich hier angesiedelt hatten, kein Auskommen mehr hatten. Sie sind dann ausgestorben. Weißstörche waren so gut wie verschwunden, der Brachvogel wurde immer seltener, die Uferschnepfe war so gut wie verschwunden.? Atmo 30: 11 8.50 Im Beobachtungshäuschen Autorin: Das Fernrohr zielt auf einen vor gelagerten Weiher. Hinter den Büschen in zwanzig Metern Entfernung das Steinhuder Meer. O-Ton 53 Thomas Brandt: 11 0.20 plus 11 0.40 plus 1.22 ?Oh, ein Säbelschnäbler. Das sind ja ganz schicke Vögel, schwarz weiß mit einem ganz langen nach oben gebogenen, grazilen Schnabel. Hier im Binnenland sind die schon sehr selten.? Autorin: Das Vogelbiotop haben Naturschützer Anfang der Achtziger Jahre angelegt. Das Steinhuder Meer und sein Umland ist eines von 29 Feuchtgebieten von Internationaler Bedeutung in der Bundesrepublik. Seit ein paar Jahren gehört der See auch zum Europäischen Schutzgebietssystem Natura 2000. Und das sei eben nicht zuletzt der Arbeit engagierter Naturschützer geschuldet. O-Ton 54 Thomas Brandt: 12 1.03 ?Vor allen Dingen ist uns auch ein Teil der Besucherlenkung ganz gut gelungen. Auch das, was man hier sieht und wo wir gerade drauf langgehen, ist dieser Erlebnispfad. Und das ist auch ein Resultat des Monitorings. Weil dadurch wussten wir, wie wir die Wegeführung so platzieren, dass man wirklich seltene, sensible Tierarten nicht stört.? Autorin: Doch jetzt will die Fürstliche Hofkammer Schaumburg Lippe Hochzeiten auf der Festung Wilhelmstein feiern. Das gefällt den Mitarbeitern der ökologischen Schutzstation überhaupt nicht. Ein ökologisches Gutachten wird angefertigt, um heraus zu finden, ob die Wasservögel durch die Nachtfahrten vom Ufer zur Insel gestört werden. Oder nicht. Denn auf dem Steinhuder Meer herrscht zum Zwecke des Vogelschutzes neben dem Winterfahrverbot auch ein Nachtfahrverbot. Atmo 31: 15 1.18 klettert Aussichtsturm hinauf Autorin: Thomas Brandt steigt die fünfzig Stufen zum Aussichtsturm hinauf. Und schaut ruhig aufs Wasser. O-Ton 55 Thomas Brandt: 15 1.55 ?Das ist hier der beste Platz am Steinhuder Meer um den Seeadler anzugucken. Atmo 32: 21 0.10 plus 21 2.00 plus 21 3.55 plus 23 O-Ton 56 Thomas Brandt: 19 ?Interessanter Weise ist die fürstliche Hofkammer ja nicht in der Lage, zu sagen, was sie wirklich will. Wie oft soll der Wilhelmstein nachts angefahren werden oder nicht? Wird das Küchenpersonal nach Hause gebracht? Wer kommt alles mit dem eigenen Boot. Das sind alles Dinge über die geredet werden muss. Und das wird zur Zeit ausgeblendet. Ein Freifahrtschein so nach dem Motto, wir machen was wir wollen funktioniert natürlich nicht in einem Feuchtgebiet von internationaler Bedeutung.? Autorin: Im Schilf sitzt ein Silbereiher, elegant reckt er den Hals und blickt aufs Wasser. Früher wurde er wegen seiner Federn gejagt. Vergoldet machten sie sich eben gut an feinem Damenkopfschmuck. Musik 6 : Minnie Riperton ?Lovin? you?, DreamWorks Atmo 33: Im Studio Autorin: Behutsam und ruhig bewegt sich der 70Jährige Karl-Heinz Garberding ins Nebenzimmer. Dort wo jetzt sein Studio ist, habe sich in seiner Kindheit ein Schweinestall befunden. Im Raum daneben, wo jetzt seine Tonbänder, Mikrofone und sein Aufnahme-Equipment aufbewahrt werden, hätten die Großeltern ihr Schlafzimmer gehabt. Dann holt er einen übergroßen dunkelgrünen Wollstrumpf hinter einem Vorhang hervor. Ein Windschutz für seine Riesenmikrofon, das ihm die Nachbarin gehäkelt hat. O-Ton 57 Karl Heinz Garberding: 13 3.00 ?Wenn ich mit den Vögeln an die Mikrofone ran muss, dann müssen sie getarnt werden. Ich schnall sie auf den Rücken und geh auf diese Vögel zu, dann dürfen sie natürlich nicht auffallen. Sie müssen grün sein wie die Natur? Autorin: Er setzt sich an einen mit einer Wolldecke bezogenen Holztisch und erzählt davon, dass er früher als Biologielehrer gearbeitet hat. Zufrieden schiebt er die riesengroßen Metallbrille auf seiner Nase zurecht. O-Ton 58 Karl Heinz Garberding: 13 3.55 ?Ich habe jetzt gerade in Spanien Aufnahmen gemacht für einen Fernsehfilm, da hab ich dann schon einmal drei Tage gesessen um eine Aufnahme zu bekommen. Dann stehen irgendwo meine Mikrofone, da, wo der Vogel eigentlich hinkommen müsste und dann gehen davon 50 Meter Mikrofonkabel weg und dann sitz ich im Versteck oder im Auto und hoffe, dass der Vogel wieder kommt.? Autorin: Er fischt eine andere CD hinter dem Vorhang hervor und sagt, dass Naturschutz am Steinhuder Meer trotz allem nicht so etwas wie eine unendliche Geschichte des Erfolgs sei. Das hier ist ein Exot, den es jetzt am Steinhuder Meer nicht mehr gibt, sagt der Siebzigjährige und legt die silberne Scheibe in den CD-Spieler. Atmo 34: 12 0.12 Cd Spieler Atmo: 35 Die große Rohrdommel O-Ton 59 Karl Heinz Garberding: ?Dieser Vogel ist die große Rohrdommel. Das ist eine Reiherart, verwandt mit dem Silberreiher, lebt ganz verborgen im Schilf. Die ist leider in Norddeutschland fast ausgestorben.? Atmo hochziehen O-Ton 60 Karl Heinz Garberding: 11 3 .30 ?Als Ornithologe der kartieren gehen will, finden sie die Vögel nur mit dem Ohr. Da müssen sie sich zwangsläufig mit der Vogelstimme beschäftigen. Denn aus ihren Rufen geht ihr Verhalten hervor. Könnte das ein Brutvogel sein. Ist das ein Warnruf? Oder singt er nur, weil er ein Weibchen anlocken will. Wenn Sie sich mit diesen Vogelstimmen beschäftigen, wird die Natur für sie viel transparenter. Dieser Wald, der wie ein schönes Orchester klingt. Da hören sie dann plötzlich die Geigen, die Bratschen, die Celli. Da höre sie da rechts singt ein Zaunkönig im Busch, links hören wir ein Rotkelchen, oben hämmert ein Buntspecht.? Atmo 36: 12 5.50 Haubentaucher Autorin: Und noch einmal zurück zu den Haubentauchern. O-Ton 61 Karl Heinz Garberding: 12 4.30 plus 5.17 ?Das ist so eine Kolonie, die besteht aus mehreren Haubentauchern. Und das ist ein Revierruf, dieses OrrrrrrOrrrrrrr. Ich bin noch da, geh mal davon aus, dass Du noch mit mir rechnen musst.? Atmo 37: 29 0.20 Treppe, Wdh Autorin: Michael Zobel, der fürstliche Inselvogt steigt die schmalen Stufen zum Festungsturm hinauf. Dann tritt er raus auf eine Plattform die den Turm umgibt. O-Ton 62 Michael Zobel: 30 0.12 ?Hier oben von der Brustwehr hatte man dann die Möglichkeit. Wir müssen uns jetzt mal die ganzen Bäume wegdenken, die Möglichkeit gehabt das ganze Meer zu überblicken.? Autorin: Es ist kurz nach elf am Vormittag. Der Nebel verzieht sich langsam. Im Süden lässt sich das Örtchen Hagenburg bereits ausmachen, Steinhude liegt immer noch im Nebel. Da ist ein Schatten, der immer größer wird. Ein Schiff. Endlich doch noch Gäste. Dickbauchig sitzt es auf dem windstillen Wasser. Atmo 38: Stimmen, die sich dem Ufer nähern 44 0.45, 2.20 Autorin: Frauen mit kurzen, grauen Locken, steigen schnatternd aus. Ein Laufwagen wird herausgehievt. Dreizehn Gäste. Der Obolus für die fürstliche Schatulle wird fällig. Drei Euro pro Tag und Person. Knapp vierzig Euro. Kein guter Tag. Aber das wird noch, grinst der Inselvogt und eilt hinunter zum Bootsanleger. Schlussmusik O-Ton Collage drauf O-Ton 63 Michael Zobel: 43 0.21 ?Wenn ich diesen See seh, brauch ich kein Meer mehr.? O-Ton 64 Heinz Schweer: III 5 1.20 ?Man kann vor allem das andere Ufer sehen, was man auf dem normalen Meer nicht kann.? O-Ton 66 Wilhelm Hartmann: I 15 1.13 ?Wenn ich das Steinhuder Meer seh, brauch ich keinen See und kein anderes Meer mehr.? Sprecher: Wenn ich einen See seh?, brauch ich kein Meer mehr. Das Steinhuder Meer in Niedersachsen. Eine Deutschlandrundfahrt mit Mandy Schielke. ENDE 1