Hörspiel Feature Radiokunst Feature Fünf Tische und 13 Stühle - Was bleibt vom Leipziger Revolutionstisch? Autorin: Alexa Hennings Regie: Dörte Fiedler Redaktion: Christiane Habermalz Produktion: Deutschlandfunk 2024 Erstsendung: Dienstag, 05.11.2024, 19.15 Uhr Technik: Christoph Richter Sprecher: Nico Ehrenteit und Cornelia Lippert Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. (c) - unkorrigiertes Exemplar - O-Ton 1 Monk, Kunz Kunz: ich kann mich jetzt nicht erinnern, wo das gelagert ist und wie das aussieht. - Monk: Hier sind die Bodenbleche - lachen - Kunz: Die vergammelten Bleche! Wo wir die rausgeholt haben und der Busfahrer gesagt hat: Der Schrott soll doch nicht etwa auch mit? - lachen - Monk: Wir haben die aber gezielt verrotten lassen. Und diese Bodenbleche waren sozusagen das Symbol für den verrotteten Untergrund der DDR. O-Ton 2 Monk liest, Gedicht mit Sound (fertig gemischt, Eigenproduktion Monk) An der Tafel stehen 13 Stühle ohne Nummer Namen oder Reservierung auch nicht für Judas ohne dessen Verrat es keine Erlösung gibt keine Akte keine dreißig Silberlinge 5 keinen Strick ...Sound... darauf Sprecher Fünf Tische und 13 Stühle - Was bleibt vom Leipziger Revolutionstisch? Feature von Alexa Hennings. O-Ton 3 Monk, Kunz Die zweite - Alexa wir sind schnell durch! - die zweite Geschichte ist hier, die demontierten Tische. Sprelacart, Unterseite original Kaugummi DDR - zieht Plane weg - Und hier sind die 13 Stühle original Mary. Da stehen sie immer noch. - Alexa: Und mit der 13 das hat ja auch eine Bewandtnis? - Monk: Ja, klar, Abendmahl. Der 13. war der Verräter. - Kunz: Wir wissen bis heute nicht, ob einer dabei war. - Nee. Ist auch egal, der gehört dazu. Weil ohne Verräter kein Abendmahl. - Genau. - Sprecherin Leipzig Marienbrunn. Eine kleine, alte Stadtvilla im Turmweg. Monk, der Dichter, und Kunz, der Schlosser, stehen mit eingezogenen Köpfen im niedrigen Keller. Hier ist Radjo Monk zuhause, hier war Edith Thar zuhause und ihr Sohn Les. 2021 ist die Fotografin gestorben. Sie und Monk hatten sich die Sache mit dem Revolutionstisch ausgedacht und das Ganze eine "soziale Plastik" genannt. Es sollte davon zeugen, was sie erlebt hatten im Herbst 89: Die Montagsdemonstrationen und danach diese endlosen Abende in der Marienbrunner Kneipe namens "Mary" im Herbst 89, als noch keiner wusste, wer, wann, wo zuschlägt und ob man da heil wieder raus kommt. Nach der Demo zerredeten sie beim Bier in der "Mary" ihre Angst. O-Ton 4 Monk Es waren plötzlich alle Optionen auf dem Tisch, und jeden Tag eine mehr. Es war unglaublich spannend. Der ganze Hefeteig ging auf einmal hoch. Das war so mein Eindruck, und das war glaube ich das Schönste an dem Tisch, dass endlich mal - du hast das ja mal bleierne Zeit genannt, war ja auch so, dass nicht mehr geredet wurde. Das war wie eine Vereisung, und die hörte plötzlich auf. Das war wie ein Schmelzwasser im März. Großartig. Dass man auf einmal reden konnte. Sprecherin Zuerst waren sie zu fünft, später wurde ein Tisch dazu geschoben, dann noch einer und noch einer, bis sie 30 Leute waren und sich nicht nur deshalb stärker fühlten. Als der Wirt wie gewohnt nach zehn Uhr kein Bier mehr ausschenken wollte, entgegnete Kunz: Es gibt keinen Ausschankschluss, es ist Revolution! O-Ton 5 Monk, Kunz Monk: Mehr gibt es eigentlich nicht zu sehen. - Kunz: Muss sehen, dass ich mir nicht den Kopf einstoße - Zieh den Kopf ein! Sprecherin Mal schwebend, mal stehend, war der Revolutionstisch als Kunstinstallation ab 1990 im Leipziger Gewandhaus zu sehen, in der Royal Concert Hall in Glasgow, in Paris, in Edinburgh, in Kirchen, Ausstellungen und auf dem Leipziger Hauptbahnhof. O-Ton 7 Monk Ich habe das dem Zeitgeschichtlichen Forum angeboten und dem Haus der Geschichte. Die kennen das ganze Projekt... O-Ton 2 Monk liest Gedicht weiter ...Ein transportables Memento das schnell und einfach auf jedem Jahrmarkt aufzubauen wäre ...Sound... O-Ton 7 Monk weiter ...Und der Kommentar von Dr. Hütter - der ist jetzt im Ruhestand, ich darf's also sagen - nach eingehender Prüfung des Projekts hat er gesagt: Ach Leute, Tische haben wir schon so viele - lacht - Ja, es steht jetzt im Keller und entweder es kommt irgendwann eine museale Nische zustande - und wenn nicht, dann kommt es auf den Müll. Musik Sprecherin Im Keller liegt das, was man noch sehen und anfassen kann vom Revolutionstisch. An dem saßen 14jährige Schüler, ein 75jähriger Hausmeister, ein Artist, Lehrlinge, Studenten, Hausfrauen, Arbeiter, Künstler. Wo sind sie heute? Und was ist aus dem geworden, was man nicht sehen, aber fühlen kann? Aus dieser Idee vom Zusammenrücken und Zusammenraufen und Zuhören? Jetzt, in einer Gesellschaft, die gerade in ihre Elementarteilchen zu zerfallen scheint, wo sich die Kräfte nicht anziehen, sondern abstoßen? Radjo Monk macht sich noch einmal auf den Weg zu jenen, die im Herbst 89 am Tisch in der "Mary" saßen. Mich nimmt er mit. Zuerst in sein Arbeitszimmmer. Atmo 1 Ton-Musik-Collage Radjo Monk 1983 ...Musik Klavier..... darauf Sprecherin weiter Ein extra langer Schreibtisch mit Rechnern, Tastaturen, großen Monitoren, Boxen. Ein Tonarchiv. Darin Monks Geschichte. Atmo 1 hoch ....Ich bin die Heimat... Sprecherin darauf weiter Leipzig 1983. Christian Heckel nimmt den Künstlernamen Radjo Monk an. Er und seine Musikerfreunde veranstalten in Kellern und Klubs subversive Performances unter dem Radar der staatlichen Organe. Atmo 1 hoch ...ich bin die Volksarmee, ich bin die Öffnungszeit, ich bin ein Schweigen... darauf Sprecherin Veröffentlichen durfte Monk in der DDR fast nichts. Die Gedichte und Texte, die damals entstanden, finden sich heute im "Archiv unterdrückter Literatur in der DDR" in Berlin. Atmo 2 Demo 1989 (alle Aufnahmen Monk) Stimmen...Geräusch Reißverschluss...Stimmen... Sprecherin September 1989. Monk ist 30 Jahre alt. Besessen vom Sound der Revolution, geht er nie ohne sein Aufnahmegerät zur Montagsdemonstration. Er versteckt es unter der Jacke. Atmo 3 Demo 1989, Monk spricht ins Mikro Zehn nach halb sechs vorm Gewandhaus. Der Platz füllt sich langsam. Über der Hauptpost ist ein großer, orangener Vollmond aufgegangen. Sprecherin Nach der Demo geht es in der völlig überfüllten Straßenbahn heimwärts, nach Marienbrunn, zum Bier und zum Reden in die Mary. Spät am Abend tippt Monk seine Eindrücke und Gedanken in die alte Erika-Schreibmaschine. Musik Zitator Buch Radjo Monk "Blende 89" Der Gedanke, man könne mich für einen Stasimann halten, ist mir völlig neu. Diesmal habe ich keine Angst vor den Polizisten, sondern vor den Demonstranten, vor jungen Leuten in Jeansklamotten, die einen als Stasimann identifizierten Mitläufer in der Luft zerreißen würden. Sprecherin Radjo Monks Leipziger Tagebuch "Blende 89" sollte später der erste Band sein, der in der Reihe "Die verschwiegene Bibliothek" erschien. Ines Geipel und Joachim Walther widmeten sie jenen Autorinnen und Autoren, die in der DDR nicht zu Wort kommen durften, weil Staat und Stasi es verhinderten. Atmo 4 1989, Straße, Sprechchöre, Stimmen Zitator Buch Monk "Blende 89" Die Menschen haben kein Programm, folgen keinem Aufruf. Sie sind einfach da: Eine riesige Traube aus Trotz, die die Zuschauer am Straßenrand mitreißt. O-Ton 10 Monk vor Monitor ...Sprechchöre: Schließt euch an...Monk: Das war die zentrale Forderung, es standen ja immer Leute links und rechts am Gehsteig und haben zugeschaut. Du siehst wirklich in den Porträts Euphorie und Angst und Aufbruch und irgendwie nicht wissen, was da ist. Das ist alles in einem Topf. Atmo 5 1989, Straße, Sprechchöre ... SED das tut weh... Zitator darauf weiter Ich packte mein Diktiergerät aus und spulte das Band zurück. Jeder, der am Tisch saß, hielt es sich ans Ohr. Sie hatten es gerade erlebt, sie waren noch vor kurzem mittendrin gewesen. Musik Sprecherin Im Jahr 2024 ist die Tischgesellschaft längst nicht mehr vollzählig. Außer Edith Thar sind noch weitere Mitglieder verstorben. Die meisten wohnen aber noch in oder bei Leipzig. Einen hat es auf die Philippinen verschlagen und einen nach Berlin. O-Ton 11 Monk, Alexa Na ja, ich klingle jetzt mal. Du hast alles an? - Ja, alles an. - Okay, wo ist er?... Sprecherin Ein Gründerzeithaus, Bezirk Prenzlauer Berg. O-Ton 11 weiter ...Summer... Zweiter Stock! - Markus, grüß dich...hochgehen... Sprecher Markus Geiler. Journalist. Redaktionsleiter Ostdeutschland beim Evangelischen Pressedienst. 1989 22 Jahre alt, Theologiestudent. O-Ton 12 Markus Ich hab das Land überhaupt nicht gemocht. Null. Man sah links und rechts, wie das alles erodierte und das ganze Land in sich zusammen fiel und... Sprecherin Markus Geiler kommt aus einer christlichen Familie, machte die Jugendweihe nicht mit, der Vater war Chefarzt. Schon als Junge wollte er immer in den Westen, versucht es schließlich im August 1989 über Ungarn. bekommt kalte Füße und kehrt zurück nach Leipzig. Will es kurz danach nochmal wagen. Doch dann wird es zuhause spannender. Markus bleibt. O-Ton 13 Markus Ja, und dann kam September. Das erste Friedensgebet in der Nikolaikirche wieder. Und dann schleppte mich irgendwann Christian mit nach der Demo zu euch und wir waren dann immer zu viert demonstrieren und sind dann danach entweder zu euch oder haben uns getroffen in der Mary, in der Kneipe, wo dann dieser Revolutionstisch entstanden ist. Atmo 6 1989, Kunz singt Jeder bringt noch einen mit, jeder bringt noch einen mit... Sprecherin Christian Kühn, den alle Kunz nennen, hat im Dresdner Kreuzchor gesungen. Monk hat damals aufgenommen, wenn er ein Lied anstimmte, auf der Straße oder in der Mary am Revolutionstisch. O-Ton 14 Markus Das war im Kleinen - im Mikrokosmos lief ja dort das ab, was im Großen ablief. Das war ein Spiegel der Gesellschaft damals, diese ganze Mischpoke, die sich da mal für ein Wochen gut verstanden hat. Gegen den gemeinsamen Feind: Wir wollen jetzt dieses System irgendwie ändern. Es ging ja nicht darum, es zu stürzen, es ging um Änderungen erstmal nur. Atmo 7 Demo, Redner Neues Forum Das neue Forum begrüßt Sie zur Volksdemonstration. Keine Gewalt! O-Ton 15 Markus Mein Herz war natürlich bei den ganzen Bürgerrechtlern, weil die ja auch ihren Kopf hingehalten haben, als alle anderen das nicht getan haben. Und die hatten ja eher die Vorstellung des dritten Weges: Lasst uns die Ökonomie schützen, diese anfällige DDR-Ökonomie. Leider wurden dann im Nullkommanichts die Weichen anders gestellt. Atmo 8 Demo, Redner Neues Forum ... Bürgerinitiativen, bitte unterstützen Sie deren Tätigkeit. Unsere Stärke ist Gewaltlosigkeit, danke.... O-Ton 15 Markus weiter Und das fällt mir immer ein, wenn ich heute das Gemecker der Ostdeutschen und das Gemecker über die Ostdeutschen höre. Warum, Leute? Ihr habt euch am 18. März 1990 genau für diesen Weg entschieden. Und das wird mir ein bisschen zu viel vergessen, wenn man sich heute so als Opfer hinstellt. Ihr wolltet den Westen, ihr habt ihn bekommen. Und zwar mit voller Wucht. Atmo 9 Demo 1989 Sprechchöre: Wir sind das Volk... O-Ton 16 Monk, Markus Streit, weiß nicht, hast du das erlebt? Auseinandersetzung ja. - Markus: Streit habe ich auch nicht erlebt, aber was mir dann - aber das ist dann schon ein bisschen später gewesen, als wir die Busfahrt nach Edinburgh gemacht haben. Da war ja Deutschland gerade frisch wiedervereinigt, und da hat sich sehr deutlich gezeigt, dass eben auch diese Tischgesellschaft wahnsinnig heterogen ist. Dass sie sehr fraktioniert war und wieder auseinander fiel. Atmo 10 Demo, Monk spricht ins Mikro ...Schritte...Am Bahnhof, im Bahnhofsgebäude Menschenschlangen in Vierer-, Fünfer-, Sechserreihen, dreimal um sich selbst gewunden. Von der Osthalle bis zur Westhalle stehen sie an, um 15 Mark in Empfang zu nehmen. Wenn ein Bundesbürger nicht weiß, was 15 Mark wert sind, der sollte hierher kommen und sich das anschauen. O-Ton 17 Markus Zum Beispiel weiß ich noch, bei der Pressekonferenz in Glasgow fing Meppe, das war ein Gastwirt, plötzlich an, über die Polen herzuziehen. Das war so der Geist in der DDR-Bevölkerung, korrigiert mich, wenn ihr das anders wahrgenommen habt. Die Polaken sind faul und die Händler kaufen uns alles weg, wenn sie hierher kommen. Und das kam bei ihm dann plötzlich sehr deutlich durch, das war sehr rassistisch, was er von sich gab. Und da merkte ich plötzlich: Das ist eine sehr heterogene Gesellschaft, das ist die DDR- Gesellschaft, die da im Kleinen an diesem Tisch saß und die jetzt auch im Kleinen, als kleiner Mikrokosmos nach Großbritannien gebracht wurde in die Kulturhauptstadt Europas damals. Das fand ich spannend. Musik Sprecherin Zuerst kam die Tischgesellschaft noch alle fünf Jahre zusammen, dann wurden es zehn, das letzte Treffen war 2019: In Lebus, an der polnischen Grenze, mit Gästen aus dem Nachbarland. O-Ton 18 Markus, Monk Markus: Nach Pandemie und Ukraine-Krieg, da sind die Leute schon eher in den Schützengräben. Und trotzdem muss man miteinander auskommen. Und das schafft man auch - indem man miteinander redet. Man weiß, man ist politisch überhaupt nicht auf einer Linie, aber man will miteinander auskommen. - Monk: Wenn man sich in seinem Meinungsgraben verbuddelt - das haben wir in der DDR auch gehabt, das hieß bloß anders: Nische hieß das damals. War auch nicht schön. Das ist doch jetzt genauso eigentlich. Nur heutzutage irgendwie mit diesem volkskommissarischen Impuls, der seit ein paar Jahren zu beobachten ist - der führt zu nichts. Dass politische Akteure immer häufiger, auch über die Medien, sagen, wie man zu denken haben müsste. Wenn eben jemand seine Verschwörungstheorie unbedingt behalten will - na gut. Auch darüber sollte man reden können.. Sprecherin Hochkomplex wird es für Markus und Monk beim Thema Krieg und Frieden. Als 16jähriger trug Markus den Aufnäher "Schwerter zu Pflugscharen" und riskierte damit den Rausschmiss aus der Schule. Heute steht er anders zum Thema Pazifismus. O-Ton 19 Markus, Alexa, Monk Für mich ist völlig klar: Russland hat die Ukraine angegriffen, und damit ist für mich der Schuldige klar benannt. Wir haben gedacht, gerade wir Deutschen, wir könnten uns da einrichten mit Wandel durch Handel. Das hat nicht funktioniert. Und jetzt stehen wir da und sind blank. Ich finde das nicht toll, ich finde auch, man könnte Geld anders ausgeben, aber ich glaube schon, dass wir wehrhafter werden müssen. Leider. - Alexa: Wie siehst du das? - Monk: Ganz anders, aber ich müsste erstmal eine rauchen gehen! - lachen - Markus: Das musst du aber runter! - Hab ich mir gedacht. - Monk: Also, ich habe ein bisschen eine andere Position. Ich find's unglaublich schade, dass da so eine Geschichtsvergessenheit eingezogen ist angesichts der Dramatik, die sich jetzt entfaltet hat. Sprecherin Monk holt weit aus bis zu Katharina der Großen und den jahrhundertealten deutsch-russischen Beziehungen und Verflechtungen in der Wirtschaft und in der Kultur. O-Ton 20 Markus, Monk Ich bin nicht mehr gewillt, das mag an meinem Lebensalter liegen, mich in die russische Seele hineinzuversetzen Monk: Aber zumindest den Maidan nicht mit einzurechnen, finde ich einen groben Schnitzer, weil dem vorausgegangen war eine Wahl, wo sich die Leute im Donbass teilweise anders entschieden haben und ab 2014 sind die Raketen geflogen. Sprecherin Worauf Monk sich bezieht: Nach den proeuropäischen Protesten auf dem Maidan in Kiew musste der russlandfreundliche ukrainische Präsident Janukowytsch fliehen. Von Russland unterstützte Separatisten führten - völkerrechtlich nicht anerkannte -Wahlen im Donbass durch und riefen die sogenannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk aus, die sich von der Ukraine abspalteten und zu Russland gehörig erklärten. O-Ton 21 Monk, Markus Monk: Da gab es Angriffe und viele Tote. Wenn du sagst, du hast ukrainische Freunde, die an der Front waren, da hast du natürlich eine völlig andere Haut Monk: Also, ich wünsche mir manchmal wirklich so einen runden Tisch wieder. Wo man sagt: Leute, legt mal die Karten auf den Tisch, woran liegt's denn? Woran hängt's denn hier? Musik O-Ton 22 Alexa, Monk, Familie Voigt Hast du schon geklingelt? - Ja. - Hallo!... darauf Sprecher Leipzig Marienbrunn. Gerd Voigt, Artist, Christine Voigt, Kunstbuchbinderin, 1989 beide 44 Jahre alt. Ihr Sohn Thomas Voigt, Bautischler, damals 20 Jahre alt. Sprecherin Am Tisch in der Mary saß nach den Montagsdemos die ganze Familie Voigt. Zuerst der Sohn, die Eltern erst später. So wie der Sohn schon lange vor den Eltern auf der Straße war. O-Ton 23 Gerd, Thomas Viele Eltern, da nehmen wir uns nicht aus, haben bestimmt auf ihre Kinder eingeredet: Geht da nicht hin, das ist zu gefährlich. Und ich zumal, ich kannte das ja nun aus der Vergangenheit, wie es mit der Staatssicherheit zuging. Ich hab ja mal politisch gesessen. Ich wusste, wie das dort zugeht, da habe ich gesagt: Thomas, das musst du nicht erleben, bleib mal schön zuhause! Und als dann das Beispiel kam mit der jungen Mutter, da habe ich gesagt: Nun gehe ich doch mit, das geht nicht mehr so weiter. - Thomas: Also, das waren so vier, fünf Stasileute gewesen, die eine junge Mutter verhaftet haben, mit Kinderwagen. Und die haben den Kinderwagen dann auf den Polizei-LKW drauf geschmissen. Mit Kind drin natürlich. - Gerd: Und da habe ich gesagt: Ab nächstem Montag bist du nicht mehr alleine. Da gehen wir mit! Musik Zitator Monk "Blende 89" Leute, die zwanglos am Rand stehen, von dem allerdings nicht gesagt werden kann, wo er anfängt oder aufhört, sind auf Beobachtung eingestellt. Viele werden hier sein, ohne genau zu wissen, was sie wollen. Sie sind im Halbschlaf aufgestanden und geben einer Art Instinkt nach. Radjo Monk: Blende 89. O-Ton 24 Thomas, Christine, Monk, Gerd Christine: Viele kannte man, die da mit saßen und erzählten. An eine Sache kann ich mich sehr deutlich erinnern, da kam von Keilers der Tobias ganz entsetzt von der Demo wieder und sagte: Wisst ihr, was ich heute erlebt habe? Da war einer, der kam mit der Reichskriegsfahne an. Und das haben wir dann gemerkt, wie es dann dem Ende zuging mit dieser Demo, dass immer mehr Rechte über den Ring liefen. Und da haben wir uns zurückgezogen, mit denen wollten wir nichts zu tun haben. Das hatten wir überhaupt nicht gedacht, dass es so kommt. dass solche Leute sofort aus ihren Löchern gekrochen kamen. - Monk: Da waren viele ziemlich überrascht, was da auf einmal auf der Straße unterwegs war. Das kannte ich nicht. - Gerd: Das waren DDR-Bürger! Sprecherin Monk hat damals das Mikrofon nicht nur in die Demonstration gehalten. An vielen Abenden sitzt er um 22.30 Uhr am Fernseher und nimmt mit seinem Kassettenrekorder die "Tagesthemen" auf. Atmo 11 1989, Bericht Tagesthemen Reporter: Die bundesdeutsche Rechte macht sich die Stimmung zunutze. Die Republikaner und die NPD verteilen Zeitungen und Flugblätter, halten kleine Wahlkundgebungen. Das Material, so behaupten sie, wurde ihnen aus den Händen gerissen, nur vereinzelt wurden Flugblätter verbrannt. O-Ton 25 Thomas, Monk, Gerd Thomas: Mich hat das nicht überrascht! - Nee? - Weil ganz einfach - letztens war ja das mit Sylt gewesen, mit dem Partyhit. Und da habe ich mich zurück erinnert. Als wir jung waren, da gab's damals "Der goldene Reiter", das wurde zu DDR-Zeiten abgespielt. Und da gab es immer einen Tisch, eine Ecke, wo sie gesungen haben: Hehehe, wir war'n bei Adolf Gefreiter! - Monk: Echt?? - Ja, in diversen Discos habe ich das erlebt. - Gerd: Ich war immer mal im Volkshaus nach der Wende. Und da waren auch gleich Gruppen, die legten dann ihre Zettel auf die Stühle hin und wollten die Grenzen von 33 wieder haben. Die waren sofort wieder da. Ältere Herrschaften! Atmo 12 1989, Bericht Tagesthemen Wir sind aus München. Wir werden wahrscheinlich nächste Woche wieder hier sein, nur mit einem größeren Aufwand. - Reporter: Wieviel Prospektmaterial haben Sie mit gehabt? - Wir haben zirka 25 000 Schriftstücke verteilt heute. O-Ton 26 Thomas Thomas: Ja, die habe ich auch viele gesehen. Mit großen SS-Ringen, die haben sich verteilt in der Stadt und haben versucht, die Jugend zu rekrutieren. Ich muss sagen, gerade zur Wendezeit war es heftig. Das wissen heute die Jüngeren drüben in Connewitz nicht: Connewitz war tief braun gewesen. Da hat früher der kleine Punker was auf die Löffel gekriegt. Sprecherin Der Leipziger Stadtteil Connewitz gilt heute als links bis linksautonom. Immer mal wieder gibt es dort gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen denen, die sich links und denen, die sich rechts verorten. Jetzt ist es Thomas, der dort schnell mal das Wort Nazi hört, wenn er eine andere Meinung äußert. O-Ton 27 Thomas, Gerd Das erinnert mich dann wirklich bisschen an die DDR-Zeit, da musste man ja auch aufpassen, wo man was sagt und an welcher Stelle nicht... O-Ton 28 Gerd, Christine, Monk Gerd: Man sagt ja nicht umsonst: Gehst du zu weit links, kommst du rechts wieder raus. Gehst du zu weit rechts, kommst du links wieder raus. Die könnten eigentlich eine Gemeinschaft bilden. Ich will's jetzt in die Neuzeit bringen, gerade bei unseren großen Politikern. Ich spreche immer von unserer Sarah, die ja wirklich intelligent ist. Aber sie hat genau solche Ansichten mitunter, die sich decken mit der Frau Weidel. Die finden Putin beide nicht unmöglich. Die einen sind links und die andern rechts.- Christine: Also dieser Ukraine-Krieg, darum geht's ja, dass man das akzeptiert, dass ein Land das andere überfällt, das versteh ich einfach nicht. - Monk: Entschuldige, aber ich will jetzt keine Diskussion anfachen, aber die Sarah Wagenknecht hat doch immer gesagt, sie findet den Angriffskrieg Mist und verurteilt das, aber wir sollten eine diplomatische Lösung finden, um das zu beenden, oder? - Gerd: Ja, da haben sie in der Talkrunde gesagt: Frau Wagenknecht, machen Sie doch mal einen Vorschlag, mit dem Herrn Putin zu reden, das haben schon so viele versucht. Wie wollen Sie das machen? Fällt Ihnen was ein? Nee. - Monk: Ach so, hat sie gesagt? Ich guck ja kein Fernsehen. - Christine: Wir werden das nicht lösen. Es ist nur schade, dass es alles so in diese Richtung läuft. Dass grundsätzliche Meinungen, die gegeneinander sind - die Menschen sind da unversöhnlich. Das ist schlimm, das sollte man als Gefahr sehen. Zitator Buch Monk "Blende 89" Am letzten Montag wog die Angst in beiden Waagschalen gleich schwer. An diesem Montag überwog aufgekeimtes Selbstbewusstsein die Drohgebärden. Es ist eine sonderbare Ironie, dass ein Gummiknüppel, Schilde, Helme Einsatzwagen, Wasserwerfer und sogar die Hunde Volkseigentum sind. O-Ton 29 Gerd, Christine Das war `ne wilde Zeit, die möchten wir alle nicht missen. - Was ganz Besonderes. - Das war ein Erlebnis. Das durften wir mit erleben. Und jeder hat sich ein bisschen als Sieger gefühlt - lachen - Musik O-Ton 30 Monk, Maik, Alexa Maik, Alexa - Tür geht zu - Hallo!... Sprecherin Maik Böhm. Selbstständiger Messebauer. 1989 15 Jahre alt, Schüler. O-Ton 30 hoch ...gehen wir hoch in die Küche... Sprecherin Maik kommt zu Monk in die Turmstraße nach Marienbrunn. In seinem WG-Zimmer in Connewitz sei es zu eng. O-Ton 31 Maik Ich hatte nichts auszuhalten in der DDR. Ich hatte noch kein Reisebedürfnis, das hätte ein paar Jahre später sicher anders ausgesehen. Aber ich war politisch nicht so reif, dass ich hätte was ändern wollen und ein Bild hatte, wieviel schon stank in diesem Staat. Das habe ich noch gar nicht so durchblickt. Atmo 13 1989, Demo ..Glocken, Rufe... O-Ton 32 Maik Man wollte einfach mit da sein, mit am Platz. Natürlich, die Wasserwerfer kamen auch gefahren. Wir waren jung und fit, da sind wir halt weggerannt. Dann habe ich auch mitbekommen: Auf dem Agra-Gelände, wo ich wohnte, wurden Pferdeställe umgenutzt. Das waren die Montage, wo noch nicht raus war, ob geschossen wurden, wo noch geprügelt wurde und verhaftet. Und da habe ich dann mitbekommen, dass die LO's da reinfuhren, die DDR-LKW's. Zu den Pferdeställen voller Leute. Und dann später habe ich von Leuten gehört, dass sie dort die ganze Nacht an der Wand stehen mussten, vielleicht auch was mit dem Knüppel bekommen haben oder so. Zitator Buch Monk "Blende 89" Jede Situation ist ein Tunnel. Manchmal sieht man am anderen Ende Licht, manchmal ist er nichts als ein schwarzes Loch, endlos wirkend, ohne jede Sicherheit für den, der sich hineinbegibt. O-Ton 33 Maik Die etwas Älteren aber auch schon uns Schüler - es trieb uns in die Stadt. Wir wussten gar nicht genau warum, aber wir wollten dahin, wir wollten zu den Montagsdemos. Und die Mary, genau, die Mary, das hat sich dadurch so als Treffpunkt etabliert, weil man sich auch austauschen wollte. Erstmal sich versichern, dass alle wieder da sind und dann - es gab ja viel Redebedarf. Musik Zitator Buch Monk "Blende 89" Kann das nicht alles mal für eine Woche aufhören? Wir sind an dem Punkt angekommen, wo die Ereignisse jede Erfahrungskapazität übersteigt. Wir sind mit Ideen und Problemen und Neuigkeiten überfüllt wie ein Notaufnahmelager in Bremen. Sprecherin Die Gespräche am Revolutionstisch machten Maik, den 15jährigen, der mit Politik bis dahin nichts zu tun hatte, aufmerksam. Er fand nicht nur heraus, wogegen er ist, sondern vor allem, wofür. O-Ton 35 Maik Vom Prinzip her war schon meine Einstellung - man beschäftigte sich damit - ähnlich wir die Frau Wagenknecht vielleicht - die vorhandene DDR zu verbessern, auch politische Sachen. Und dann kann ich mich aber auch entsinnen, wie dann schnell die ersten Deutschlandfahnen auftauchten. Deutschland einig Vaterland und so. Und das missfiel mir irgendwie. Atmo 14 Tagesthemen 1989 Rufe: Deutschland einig Vaterland...- Reporter: Der Charakter der Leipziger Demonstrationen hat sich entschieden geändert. Hat man noch im November mehrheitlich eine demokratische DDR gefordert, ist jetzt der Ruf nach Vereinigung übermächtig geworden. O-Ton 36 Maik, Autorin Ist eine große Frage, wie ich die Gesellschaft heute sehe. Es stinkt auch vieles zum Himmel, auf Deutsch gesagt. Und wenn ich jetzt die politische Repression sehe, die manche Oppositionspolitiker, ob man sie mag oder nicht, erleiden müssen. Oder Propaganda, dass vieles verunglimpft wird, Halbwahrheiten oder Unwahrheiten dargestellt werden. Das kann ich sehr mit der Situation vor der Wende vergleichen. Viele hatten ja auch von den Zeitungen die Nase voll, von der Berichterstattung. Weil sie wussten, die erzählen uns, wenn überhaupt, nur die halbe Wahrheit. - Das Gefühl hast du auch? - Bei den öffentlich-rechtlichen Medien zum großen Teil, ja. - Sag mal ein Beispiel, wo dir das aufgestoßen ist. - Impfkampagne fällt mir sofort ein. Virus kommt - Angst, Angst, Angst. Jeden Tag so eine Schlagzeile. Und dann: Impfen könnte helfen. Das war für mich eine durchschaubare Propaganda. Und das dämmerte einem mehr und mehr, dass da was nicht stimmt mit den Maßnahmen. Und später hat man es rausgefunden, und ich bin sehr froh, dass die Akten rausgeklagt wurden vom Robert-Koch-Institut. Das fand ich sehr gut, dass es rausgekommen ist, dass es eine politische Entscheidung war und nicht von Wissenschaftlern getragen. Sprecherin Monk kritisiert die Beschränkungen der Grundrechte während der Pandemie. O-Ton 37 Monk Das war ja auch das, was wir vorhin im Gespräch hatten, diese Instrumentalisierung von eigentlich ideologiefreien Wissenschaftlern, Kommunikatoren, Medien - dass die alle mitgemacht haben. Das habe ich Alexa vorhin erklärt: Dass ich dauernd Dejavus hatte. Und ich dachte: Jetzt sind wir wieder in dieser Scheiß-Zone. Das kann ich nicht wahr sein. Ist das nicht vorbei? Nee. Musik Zitator Buch Monk "Blende 89" Sie behaupten, wer auf die Straße geht, behindere den Prozess der Reformen. Ich behaupte, wer die Straße als Ort der Artikulation verpönt oder gar blockiert, will den Prozess der gesellschaftlichen Reife stoppen, der setzt Kontrolle über Vertrauen. O-Ton 38 Monk Und weißt, du, ich hab damals, als das anfing, da hat Edith noch gelebt und ich habe gedacht: Das ist doch so bescheuert, das ist in zwei, drei Monaten vorbei. Dann werden die Deutschen doch mal irgendwann auf die Straße gehen und sich wehren und sagen: Spinnt ihr? Sprecherin Später gingen dann Tausende Menschen auf die Straße, um gegen die staatliche Corona-Politik zu demonstrieren. O-Ton 39 Monk, Maik, Autorin Ja, aber das ist ja dann so schnell diskreditiert worden massenmedial, sehr wirkungsvoll. - Wart ihr da mal dabei? - Monk - Ich nicht. - Maik: Ich war einmal, meine Zwillingsschwester kam aus Thüringen und wollte da mal hin. Das waren zwei aggressive Parteien. Die Ungeimpften oder die, die eingesehen haben, dass da was nicht stimmt, und die anderen, die es voll geglaubt haben. Das war schon eine Spaltung, das war ein großer Unterschied zu 89. Da waren wir eine Masse, zehntausende Leute sind lange Zeit unter einer Fahne marschiert. Und dort sind's Gruppen, die Antifa prügelt. Die Spaltung fiel mir auf, des Volkes. Sprecherin Diese Spaltung sieht Maik auch beim Thema Ukraine. O-Ton 40 Maik, Monk Hochbrenzlig, hochprekär. So viele Hiobsbotschaften. Es fing mit Helmen an, mit 50 Helmen, und jetzt verkaufen wir auch die weitreichenden Waffen. Immer mehr Provokationsschritte. Kriegsgefahr droht meiner Ansicht nach. Zwei, von denen ich höre, die klare Aussagen machen für Frieden mit Russland, das sind die AFD und Frau Wagenknecht. Das sind die einzigen, von denen ich die klare Aussage höre: Frieden mit Russland. Monk: Das ist ein schwieriges Thema. Und du hast ja gehört, Markus sieht das ganz anders. Es wird nicht medial differenziert. Man ist interessiert an Feindbildern, an Plusminus, an Schwarzweiß. Sprecherin Maik erzählt davon, dass sein Freund Les, der auch mit am Revolutionstisch saß, zu diesem Thema eine ganz andere Meinung hat als er und Monk. O-Ton 41 Maik, Alexa Klar gibt es verschiedene Meinungen, ich bin immer froh, wenn man unpolemisch darüber reden kann. Alexa: Aber ihr haltet das auch aus? Wenn du jetzt mit Les befreundet bist und er hat diese andere Meinung, wie ist das dann? - Maik: Unsere Liebe ist stärker! Yes, yes, yes...lachen ... O-Ton 42 Monk liest Gedicht Ich frage nicht nach der Zeit ich frage nach ihren Sprüngen den Luftsprüngen den Absprüngen Die Augen der Mary sind trüb in ihren Fenstern spiegelt sich nichts mehr das Gebäude dämmert in den Bandagen des Vergessens seinem Abriss entgegen Man geht vorbei es geht vorbei O-Ton 43 Straße, Monk ...Schritte... darauf Sprecherin Auf dem Weg zu Kunz laufen wir an der Stelle vorbei, wo die Mary mal stand. O-Ton 43 hoch Monk Guck mal dort, wo das Haus steht, das neue, mit den alten Pappeln davor, da stand die Tanzgaststätte Marienbrunn. Die Kneipe wurde nie wieder aufgemacht und zwei, drei Jahre später abgerissen. Damit war unser Treffpunkt weg. Und im Grunde bestand dieser Revolutionstisch als Kunstobjekt nur deshalb, weil wir gesagt haben: Jetzt ist unser Treffpunkt weg, das kann ja eigentlich nicht sein! Und dann ist sie mal mit Kunz und zwei anderen im Winter eingestiegen und hat die Tische und die Stühle aus der Kneipe rausgeholt. War ja klar, dass es verramscht wird, wie so vieles. O-Ton 44 Kunz Hallo, hereinspaziert, soll ich erst mal ein Bier holen? - Ja, bitte!... Sprecher Christian Kühn, genannt Kunz. 1989 23 Jahre alt, Schlosser. Atmo 15 1989 vor Gewandhaus, Kunz, Monk ...Kunz: Wir haben grad festgestellt, unsere Demo wird vermarktet. Das wird in `nem halben Jahr so sein, dass dann immer 10 000 Mann an den Montagen übern Marktplatz getrieben werden für die amerikanischen Touristen.... - Monk: Das wird zum Massenspektakel. Und der Druck ist auch raus, das merkt man. Atmo 16 Kunz singt Gerhardt Geh aus mein Herz und suche Freud in dieser schönen Sommerszeit... Sprecherin Kunz, ist der, der immer gesungen hat. Auf der Demo, beim Zusammensitzen am Revolutionstisch, beim Unterwegs-sein mit der Tischgesellschaft. 2019, beim letzten Treffen, stimmte Kunz Paul Gerhardt an und Monk nahm es auf. Sprecherin weiter Im Leipziger Thomanerchor hatte man ihn als Zehnjährigen trotz bestandener Prüfung nicht genommen. Dort wollte man nicht zu viele Pastorensöhne, und er war einer. Im Dresdner Kreuzchor durfte er mitsingen. Nach der Schule wurde Kunz Schlosser und arbeitet bis heute in demselben Betrieb - was absoluten Seltenheitswert hat in einer ostdeutschen Biographie. 1990 trat er der SPD bei. O-Ton 46 Kunz Und hab dann da auch am Anfang, so die erste Zeit, ziemlich viel mitgemacht. Ich habe mich dann später zurückgezogen, als es dann eher ein professioneller Politikbetrieb wurde, der es zwangsläufig werden musste. Und da habe ich gemerkt, das ist doch nicht so das Richtige für mich. Ich trete da auch nicht aus. Tut mir bisschen leid für die Partei, so wie jetzt die allgemeine Stimmung ist. Aber ich halte treu zur Stange - lacht - Atmo 17 Kunz singt Internationale Völker hört die Signale, auf zum letzten Gefecht, die Internationale erkämpft das Menschenrecht... Sprecherin Die Internationale anzustimmen, das fand Kunz 1989 passend, da waren sie im Demonstrationszug vor der Stasizentrale zu stehen gekommen. O-Ton 47 Monk, Kunz Wenn du sagst, du hältst zur Stange, SPD, das finde ich gut. Ich war ja nie politisch aktiv - wenn ich mir die Innenpolitik der letzten Jahre angucke, diese komische Ampelregierung, was die da durchgedrückt haben, da kann ich eigentlich nur meinen Hut ziehen. Sie haben wirklich was für die einfachen Leute getan. Aber es ist eben immer so ein Lavieren. - Kunz: Also Politik bedeutet ja zunächst mal Kompromisse zu machen an allen möglichen Ecken und Enden. Ich kann mich in viele reinversetzen, die anderer Meinung sind als ich. Weil ich es auch versuche, das zu verstehen. Über manche Sachen muss man halt diskutieren. Musik Sprecherin Monk erinnert sich an das Schweigen in der DDR. Das Schweigen aus Angst, aus Anpassung, aus Lethargie. Und wie es aufbrach im Herbst 1989. O-Ton 48 Monk Dieses Schweigen hat sich mir eingebrannt. Das war wie eine böse Krankheit. Ich glaube, das haben viele so empfunden. Und deshalb fällt es vielleicht ein bisschen leichter, das hohe Gut des Gesprächs zu schützen. Und nicht bei jeder schwer auszuhaltenden Meinung die Zugbrücke hochzuziehen und zu sagen: Nee, raus hier! Was war denn das Fazit nach dem 9. Oktober? Das Stichwort hieß: Dialog! Wir müssen reden! Das war das große Pflaster, das auf allen Wunden geklebt hat. Das war die Stunde der großen Heilung. Aber es ist nicht wirklich ausgeheilt. Atmo 18 1989, Kirchenglocken und Rufe ...freie Wahlen, freie Wahlen... Sprecherin Vielleicht ist sie ein bisschen fragil geworden, diese Revolutionstischgesellschaft. Der Kitt des gemeinsamen Dagegenseins ist weggebröckelt. Und über das Dafürsein zu reden, war schon immer schwieriger, auch damals schon. Aber soweit, dass das Tischtuch zerschnitten wird, ist es nicht gekommen. O-Ton 49 Kunz Es gibt immer noch schöne Runden, in denen man unterschiedlicher Meinung sein kann und trotzdem gut Freund bleibt. Das macht mir auch Mut. Wenn es sowas noch gibt, dann kann nicht alles den Bach runtergehen. Das hält für mich die Hoffnung aufrecht - lacht - Sprecherin Und im Zweifelsfall gibt es immer irgendwo noch ein Bier. O-Ton Kunz weiter - Ja, ich hol mir noch schnell eins, willst du auch noch eins? Ja, gern...Schritte... Musik / oder Atmo 1989, Absage Fünf Tische und 13 Stühle - Was bleibt von Leipziger Revolutionstisch? Feature von Alexa Hennings. Es sprachen: Nico Ehrenteit und Cornelia Lippert Regie: Dörte Fiedler Ton: Christoph Richter Musik: Radjo Monk Redaktion: Christiane Habermalz Eine Produktion des Deutschlandfunk 2024. 1