Hörspiel Feature Radiokunst Das Feature Den Jahren mehr Leben geben Wohnalternativen 60+ Autorin: Ingeborg Breuer Regie: Ulrike Bajohr Redaktion: Ulrike Bajohr, Wolfgang Schiller Produktion: Deutschlandfunk 2007 Erstsendung: Dienstag, 13.07.2007, 19.15 Uhr Wiederholung: Dienstag, 12.09.2023, 19.15 Uhr Es sprachen: Ilse Strambowski, Sigrid Burkholder, Volker Hengst und Martin Schaller Ton und Technik: Gabriele Traichel-Lahme, Jürgen Hille und Eva Pöpplein Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. (c) - unkorrigiertes Exemplar - MUSIK CD Pavarotti/Track 1: Verdi: Libiamo ne`lieti calici, darauf O-Ton Collage O-Ton Herr Röttjer: Bin seit 25 Jahren geschieden und seitdem habe ich nach der Scheidung alleine gelebt ... Und das war wirklich anonym Leben in dem Plattenbau. Und das hat bei mir nicht so richtig geklappt. Jedenfalls wurde ich krank und bin denn wegen der Krankheit in ein Alten- und Pflegeheim gezogen hier in der Nähe von Dresden. ... Und das war nicht so meine Welt. O-Ton Mitbewohnerin: ich hatte überhaupt keine Ahnung, was Wohngemeinschaft bedeutet oder wie das lang geht, das war mit egal, mir war das alles sympathisch. Fortsetzung Röttjer: Und eines Tages habe ich in der Zeitung gelesen, einen Ausschnitt von AWIG, dass sie dabei sind eine Wohngemeinschaft zu gründen. ... O-Ton Mitbewohnerin: Wir haben uns erst alle gesiezt und dann haben wir doch schnell darüber gesprochen, ob wir nicht du sagen wollen. ... Und da haben wir mit Sekt - wir trinken ja nur alkoholfreien Sekt .... MUSIK bis 1`13 - stoppen Sprecherin 1: Den Jahren mehr Leben geben Wohnalternativen 60+ Ein Feature von Ingeborg Breuer MUSIK weiter ab 1`13, darauf Fortsetzung Röttjer: ... Und da bot sich dann eines Tages die Möglichkeit, dass hier eine Wohnung frei ist, und da hab ich mich angemeldet. Und es gefällt mir auch wunderbar hier. O-Ton Mitbewohnerin: Und da haben wir mit ner Flasche Sekt das Sie weggeschafft und das Du hergeholt. ... Fortsetzung Röttjer: Ich wollte wieder ein eigenständiges Leben, unter normalen Menschen sein. MUSIK hoch, bis ca 2`17 Sprecherin 2: Wie eine Hausgemeinschaft entsteht. Hameln. Projekt "Anders Wohnen - anders Leben" O-Ton Herr Grosse: 110 m2, 4 Zimmer. Wir hatten immer große Wohnungen in Pfarrhäusern und so (lacht) wir haben zwei Terrassen draußen, wir können mal durchgehen ... Sprecherin 2: Herr Grosse, 80 Jahre, Pfarrer in Rente O-Ton Grosse: Das ist unser Wohnzimmer ... Schritte ... die Terrasse. Und es sind ja nirgendwo Schwellen, von der Straße bis in unsere Wohnung können wir ohne weiteres ... Wansleben: das gilt auch für die Terrassentür ..... Sprecherin 2: Das Ehepaar Grosse zog vor einem Jahr in die Rosa-Helfers-Straße in Hameln. Alter und Krankheiten hatten beiden zunehmend zu schaffen gemacht. O-Ton Grosse: Was mir auch auffällt, wir haben einen großen Bekanntenkreis, dass die alle sich für das Projekt interessieren. Wir sind auch älter schon und unsere Freunde auch. Die stehen zum guten Teil vor dem Problem, was machen wir jetzt im Alter... . Sprecherin 1: Vor 2 Jahren entstand auf einem einstigen Kasernengelände nicht weit vom Hamelner Zentrum ein neuer Stadtteil. Die alten Gebäude wurden kernsaniert, Stadtvillen, Reihen- und Einzelhäuser neu gebaut. Ein Seniorenheim sowie ein Haus für betreutes Wohnen befinden sich heute auf dem Areal. Alles eingebettet in viel Grün. Hier steht auch das Haus des Wohnprojekts "anders wohnen - anders leben". Menschen zwischen 51 und 84 Jahren - Singles, Witwen, zwei Ehepaare - leben dort. Die unterschiedlich großen Wohnungen sind alle barrierefrei und verfügen über eine eigene Terrasse. Natürlich hat das Haus auch einen Lift. Zwei Gästeappartements können die Bewohner für ihre Besucher nutzen. Oder - im Ernstfall - für eine Pflegekraft. Ein Putzservice hält alle Gemeinschaftsflächen in Ordnung. O-Ton Grosse: Wir hatten ja ein eigenes Haus auf dem Dorf und das haben wir verkauft... es war nicht mehr zu schaffen. ... Ist ja auch schön, wenn man sich mal trifft, man begrüßt sich ganz anders ... ja, ist doch ein Wirgefühl da. ... Hier unsere Küche ... dann haben wir hier noch eine kleine Gästetoilette. Wir haben 12 Enkelkinder ... Das war meine Schwiegermutter, die ist 103 Jahre alt geworden ... das Bad ist ... groß ... und wir benutzen auch sehr fleißig das Gästeappartement ... Sprecher (vor sich hin lesend, auf . MUSIK CD Traviata/Track 3: Verdi: Libiamo ne`lieti calici , radiomäßig verfremdet drunter) "Anders Wohnen: ‚Wahlfamilie' statt Alleinleben. Wir suchen Menschen, 50+, die mit uns darüber nachdenken wollen, wie sich in einem gemeinschaftlichen Wohnprojekt (mit eigener Wohnung) mehr Lebensqualität verwirklichen lässt. Lebendiger Austausch, nachbarschaftliche Unterstützung, individueller Freiraum und die Sicherung von selbstbestimmtem Wohnen ...." (langsam abblenden) O-Ton Eckhard Wansleben: diese Zeitungsanzeige habe ich im Juni 2001 gelesen in der Lokalzeitung ... Sprecherin 2: Eckard Wansleben, 60, einer der jüngsten im Projekt. Lehrer: O-Ton Wansleben: ... und habe dann mit meiner Frau Kontakt aufgenommen, die war im Urlaub und habe gesagt, da melde ich mich drauf. Und nach ein paar Wochen trafen wir uns hier in einer Kneipe, wir waren 7,8 Leute, zwei Männer waren da, wir waren aber das einzige Paar. Und dann haben wir uns so gegenseitig beschnuppert. Und ... wir sind mit dem Fahrrad nach Hause gefahren und ich habe zu meiner Frau gesagt, da haben wir tolle Leute kennen gelernt. Ob das jemals was wird - aber mit denen kann man auch noch was anderes machen. Sprecherin 1: Warum eigentlich sucht ein Ehepaar in den 50ern, eigenes Haus, erwachsene Kinder, eine Wahlfamilie? O-Ton Gisela Wansleben: Also bei mir war das so, dass ich schon zu dem Zeitpunkt mehrere Jahre mit der Pflege meiner Eltern beschäftigt war. Und meine Mutter lebte dann auch im Altenheim, Sprecherin 2: Gisela Wansleben 60, Ehefrau. Auch berufstätig. O-Ton G. Wansleben: Und ich hab dann gesagt, so möchte ich niemals leben und ich möchte nicht, dass meine Kinder verpflichtet sind, mich zu pflegen und immer zu kommen, diese Verantwortung übernehmen. Und das war für mich so ne starke Motivation und da waren wir uns auch einig, mein Mann und ich. ... und wir sind immer aufgeschlossen neuen kreativen Ideen gegenüber, wir haben selber auch schon in WGs zusammengelebt ... früher und haben gesagt, das kann eigentlich nur ne gute Idee sein und gesagt, das machen wir mit. O-Ton E. Wansleben: Und dann haben wir uns regelmäßig bei den Gruppen zu Hause getroffen und geguckt, wie leben die, wie wohnen die, was sind das für welche?.... Es kamen immer mehr dazu, es gingen auch welche weg. Das ist halt so. ... Dann lernten wir in dieser Phase auch einen Architekten kennen, der bereits mehrere Skizzen hatte für Ideen, und dann wurden wir immer mehr. .... Und da haben wir die erste Anzeige gemacht und haben einen Investor gesucht. Uns war von Anfang an klar, dass wir was mieten wollten und nicht kaufen, und es haben sich 3 Investoren gemeldet. Und übrig geblieben ist ein junger Bauunternehmer, der hatte gerade die Firma seines Vaters übernommen und der hat gesagt, wir machen das zusammen. ... MUSIK CD Traviata/Track 2, Dell`invito tracorsa é giá lòra, ab Anfang, darauf Sprecher 1: "Haben Sie Ihren 50. Geburtstag schon hinter sich?" Sprecher 2: "Sie wollen nicht warten, bis ‚es' soweit ist?" Sprecher 1: "Was wünschen Sie sich für Ihr weiteres Leben?" Sprecher 2: "Sie möchten jetzt schon die Menschen kennen lernen, mit denen Sie zusammen leben und wohnen werden?" O-Ton Röttjer: Wissen Sie ... wie trostlos ein Leben in einem Alten- und Pflegeheim sein kann? Wenn man morgens aufgestanden und gewaschen ist, wartet man aufs Frühstück. Und dann setzt man sich wieder auf die Terrasse oder in nen gemeinsamen Raum, dann kommt das Mittagessen. Und dann wird Mittag gegessen und dann ne Stunde geruht. Und dann wartet man wieder aufs Abendessen. MUSIK hoch und weg bei 0´45 Und da hab ich immer gesagt, so möchtest du nicht werden. Sprecherin 1: Wie sie im Alter nicht leben wollen, wissen die meisten in der Generation 50 +: Sie wollen nicht allein sein - und ins Heim wollen sie erst recht nicht. Auf die Verwandten können sie sich aber auch nicht verlassen. Die Kinder wohnen oft weit weg. Und die Zahl der Singles, der Kinderlosen wächst. Sprecherin 2: Wohnen in einer Wahlfamilie, gemeinsam alt werden mit Freunden - solche Ideen haben mittlerweile viele in der Generation der jungen Alten. Der bundesweit organisierte Verein "Forum Gemeinschaftliches Wohnen" verzeichnete im Jahr 1999/2000 Nachfragen nach Wohnprojekten für ältere Menschen. Letztes Jahr waren es schon 10400. Hauptsächlich die 55- bis 70jährigen sind auf der Suche nach selbst gewählter Gesellschaft in der letzten Lebensphase. Nach einer Wohnform, in der jeder zwar genug Raum für sich hat, um allein zu sein. In der aber zugleich verbindliche gute Nachbarschaften bestehen, die niemanden zu Hause vereinsamen lassen. MUSIK CD Traviata/Track 2, Dell`invito tracorsa é giá lòra, ab 0`45, darauf O-Ton Frau Hameln: der eine geht gern ins Theater, der andere geht gern ins Museum oder wir machen Fahrten zusammen, ganz spontan machen wir einen Zettel ans Brett, wer hat Lust, mit ins Kino zu gehen..., O-Ton Dresden Trachenberge: Einen schönen Ausflug zum Waldmax, da sind wir zu mehreren in einem Biergarten gegangen ... Und wir waren zusammen im Konzert, wir waren zusammen essen, wir waren einmal zusammen im Theater ... Musik hoch und weg Sprecherin 1: Henning Scherf, früher Bürgermeister von Bremen, lebt in Deutschlands wohl bekanntester Wohngemeinschaft für ältere Menschen. Er kaufte gemeinsam mit Freunden ein Haus im Bremer Bahnhofsviertel, baute es seniorengerecht um und wohnt dort - wie er sagt - hoffentlich bis zum Ende. Dieses Modell dürfte nur für wenige nachvollziehbar sein. Viele suchen ihre "Wahlverwandtschaft" erst einmal über Anzeige und Internet, haben nur begrenzte finanzielle Mittel und ganz unterschiedliche Vorstellungen von ihrem Wohntraum: Stadt oder Land, mieten oder kaufen, neu bauen oder umbauen? O-Ton Frau Meyer: Das mit dem Stadtteil, das ist schon ein wichtiger Punkt Sprecherin 2: Frau Meyer vom Projekt SoLeMiO in Köln ist mit ihrer Gruppe auf der Suche nach einem geeigneten Haus. Und sie schildert ein typisches Problem: O-Ton Meyer: alle 15 sagen, wir würden auch gerne da wohnen, wo wir sind. ... Wenn wir ein Grundstück gefunden haben, dann wird sich die Gruppe unter Umständen auch noch einmal teilen, die sagen ok, das gefällt uns und andere die sagen, das können wir uns jetzt nicht vorstellen, auf die andere Rheinseite zu ziehen.. ... Sprecherin 1: Vielen mag das alles zu anstrengend, zu unüberschaubar sein. Jedenfalls ist das Interesse an gemeinschaftlichem Wohnen im höheren Lebensalter deutlich größer als die Zahl der tatsächlich realisierten Projekte. Gerade einmal 300 solcher Hausgemeinschaften soll es in Deutschland geben, ähnlich viele Projektgruppen sind auf der Suche nach einem geeigneten Objekt.. MUSIK CD Callas Track 2/Una voce poco fa ab 2´12 Sprecherin 2: Besuch bei einem Vorbild. Göttingen. Am Goldgraben 14. O-Ton Collage: So wir beten immer vor Tisch: Segne Vater diese Speisen, uns zur Kraft und dir zum Preise: Gesegnete Mahlzeit. .... Darf ich Ihnen eine Kartoffel geben, Salzkartoffeln, Besteckklappern Danke, danke; ..... Also wenn Sie sich wundern, warum wir so Massen von Salat haben, es gibt Menschen in dieser WG die würden gern eine Badewanne von Salat haben. ... Hm, der Fisch ist ja wieder köstlich, Viktoriabarsch. ... Wer möchte denn von der Butter? ... Sprecherin 1: Zweimal wöchentlich wird in der Göttinger Alten-WG gemeinsam gekocht. Jedenfalls von denen, die Lust dazu haben. Heute sind 4 Damen anwesend - das Haus hat, nach einigen Todesfällen, zur Zeit 8 Bewohner. Das Haus - ist eine noble alte Jugendstilvilla mit 11 Wohnungen mittlerer Größe. Im Erdgeschoss liegen große Gemeinschaftsräume. Ein Salon mit alten Stilmöbeln, eine selbstverwaltete Bibliothek. Ein Wohnzimmer mit Polstergarnituren. Gemütliche Nischen laden auch im Flur zum Verweilen ein. Und hinter dem Haus gibt es einen wunderschönen parkähnlichen Garten. Frau Justus: 94 sind die ersten Bewohner eingezogen, ich bin 95 im August eingezogen, also im August 12 Jahre... Dies ist mein 8. Jahr. Frau Voss? August 2006. Frau Voss hat sich zu den Urgesteinen begeben, die einzige von den Jungen. MUSIK von oben weiter, darauf: Sprecherin 2: Selbst Taxifahrer wissen: Goldgraben 14 - Ach, wohnen da nicht diese alten Damen? Sprecherin 1: Anfang der 90er Jahre fragten sich einige engagierte ältere Frauen in Göttingen, wie sie sich selbst bestimmten Wohnen im Alter vorstellen. Und 1994 setzten sie mit dem Verein "Freie Altenarbeit Göttingen" die erste Alten-WG Niedersachsens ins Werk. Die Stadt hatte eine baufällige Jugendstilvilla zur Verfügung gestellt, die mit vereinten Kräften und Mitteln bewohnbar gemacht werden musste. Das Büro des Vereins befindet sich im Keller der Villa. In die Gemeinschaftsräume lädt die "Freie Altenarbeit Göttingen" regelmäßig die Öffentlichkeit ein. Und auch die Hausbewohner beteiligen sich rege an den "Zeitzeugenprojekten", der "Erzählwerkstatt" und all den anderen Veranstaltungen, die Alt und Jung zusammenbringen sollen. Sprecherin 2: Ihren Neigungen und Möglichkeiten entsprechend haben die Frauen Verantwortung im Haus übernommen. Die Gemeinschaft bestimmt auch, wer einziehen darf. Einmal wöchentlich Tagt die "Vollversammlung", um zu bereden, was alle angeht. Stets bleibt die höfliche Distanz des Sie gewahrt. Auch da, wo sich die Frauen nahe kommen. O-Ton Collage: Bewohnerin: Also 7 Bewohner sind verstorben ... Sie sind zum Teil ja auch sehr alt eingezogen. Frau Justus war z.B. schon 80, als sie hier eingezogen ist ... Frau Justus: Ja, ... 94 übermorgen ... Aber wenn man mit sich selber so unzufrieden ist, wie ich das im Augenblick bin, macht nichts mehr Spaß ... Bewohnerin: Es wechselt glücklicherweise noch ein bisschen ... Justus: Nein, ich glaube nicht mehr an das Besserwerden. ... Bewohnerin: Das haben se vor den letzten Aufbauspritzen gesagt ... Aber ich bleibe dabei, dass ich schon öfter erlebt haben ... es sind immer Wellen und das lerne ich, diese Wellen gibt es ja in meinem Alter auch schon, dass ich denke, jetzt ist es vorbei ... ich bin 63, aber das gibt's doch, ... plötzlich kommt wieder ein Punkt, wo man sich doch engagiert... Justus: Ja, das glaube ich Ihnen auch, aber bei mir ist das ... Bewohnerin: Also, als wird das letzte Mal miteinander Fußball geguckt habe, da waren Sie wieder munter. MUSIK CD Callas Track 2/Una voce poco fa weiter Sprecherin 1: Die Göttinger Alten-WG am Goldgraben ist - fast - ausschließlich eine Damen-WG. Einige Männer, die sich vorstellten, kamen wohl vor allem in der Hoffnung, um bekocht und bebügelt zu werden. Sprecherin 2 Das wollen sich die Frauen nicht zumuten. Musik weg O-Ton Voss: Ich glaube, wenn man eine gemischte WG hat, ist es sehr schwer, weil Frauen und Männer sind sofort anders, wenn einer vom anderen Geschlecht da ist, Sprecherin 2: Frau Voss, pensionierte Pfarrerin und mit 63 die jüngste in der WG, hat prinzipielle Bedenken gegenüber gemischten WGs: O-Ton Voss: Ich hab viel Altenheimerfahrung, und es ist eines der Hauptthemen im Altenheim, welcher Mann hält wem den Fahrstuhl auf und wen hat er nicht angeguckt? Diese Eifersuchtsgeschichten und so, sind auch sehr anstrengend... Sprecherin 1: Ein Herr wohnt am Goldgraben 14 - er war mit seiner inzwischen verstorbenen Lebensgefährtin eingezogen. Seine Rolle im Haus gibt Anlass zu Spekulationen. Bis zum Tod der Frau wusste man nicht einmal, dass er ihr Lebengefährte war. Wird er also überhaupt bleiben? Die Frauen wissen es nicht, wagen ihn während seiner Trauerzeit auch nicht zu fragen. Und der Mann - schweigt! O-Ton Voss: Der ist anders. Und die einen würden sich gern mit ihm auseinandersetzen und dann die anderen ... also dieses Phänomen, wir müssen die anderen fragen, ist ihm ganz fremd. MUSIK CD Callas Track 2/Una voce poco fa weiter Sprecherin 2: Männer sind anders! Sprecherin 1: Deshalb sind viele der Wohnprojekte orientiert auf Witwen, und auf Frauen, die nie verheiratet waren. Frauen, so die einhellige Meinung, lassen sich eher auf Experimente ein und sind kommunikationsfreudiger. Männer dagegen flüchten vor Einsamkeit zunächst zu einer Frau - nicht in eine WG! Und natürlich gibt es auch mehr Frauen, die im Alter allein sind. O-Ton Frau Germer: Die Alleinstehenden bekommt man immer für ein Projekt, aber Familien oder Paare, da habe ich die Erfahrung gemacht, wir haben ja auch andere Projekte besucht, wenn es Paare, es sind oft Frauen, die sagen, ich würde so was machen und die Männer sagen, das kommt für mich nicht in Frage. Sprecherin 2: ... erzählt Frau Germer über ihre Erfahrungen bei der Suche nach einer Hausgemeinschaft. Mittlerweile wohnt sie allerdings - außergewöhnlich genug - mit ihrem Mann und drei weiteren Paaren in einem kernsanierten alten Hofanwesen in Darmstadt. Doch eigentlich hatte sie etwas anderes gesucht: Ein Wohnprojekt nämlich, in dem mehrere Generationen wohnen. MUSIKZÄSUR CD Callas Track 2/Una voce poco fa ausspielen und weg Sprecherin 2: Sulzbach, Taunus: Projekt: LiWoGe - Liebenswertes Wohnen in Gemeinschaft. O-Ton Frau Liebold: Wir wollen eine Hausgemeinschaft, in der Leben herrscht ... Sprecherin 2: Frau Liebold sitzt im Vorstand des Vereins "LiWoGe. O-Ton Liebold: Ein absichtsvoller Zusammenschluss von Menschen, vielleicht kann man das so sagen, damit wir begriffen werden als ein anderer Zusammenschluss als Leute, die sagen ‚ich gehe absichtsvoll in eine Residenz. Sprecherin 1: Von Anfang an hatten die Initiatoren des Projekts am Fuß des Taunus die Idee, mit mehreren Generationen unter einem Dach zu wohnen. Die Männer und Frauen ab Mitte 50 fühlen sich noch nicht reif fürs Altenteil. Sie wollen aktiv sein und dabei jung bleiben: Jungen Leuten beistehen, damit die sich ein bisschen weniger aufreiben müssen zwischen Beruf und Familie, zwischen Karriere- und Kinderwünschen. Sprecherin 2 Vor allem, wenn die eignen Enkel ausbleiben. Aber leider ... O-Ton Herpel: ... leider sieht das so aus, dass wir das nicht verwirklichen können, weil die jungen Leute nicht kommen.... Das ist eine neue Problematik auch für uns .. Sprecherin 2: Herr Herpel, ebenfalls im Vorstand des Vereins, ....junge Leute kommen schon mal, aber das ist dann zu viel Arbeit und das ist denen auch zu teuer hier in dem Raum. Sprecherin 1: Vielleicht finden Jüngere aber die Idee mit "Oldies" unter einem Dach zu wohnen, einfach nicht so attraktiv. Vielleicht träumen Junge eher vom eigenen Haus und einem Netzwerk aus Familien in kinderfreundlichen Wohngebieten. Von Freunden im selben Alter. Könnte man es ihnen verdenken? Sprecherin 2: Auch Frau Meyer vom Projekt Solemio in Köln hätte ihren heutigen Wünschen in früheren Jahren nicht viel abgewinnen können. O-Ton Meyer: Sie haben recht, die Familienstrukturen haben wir ja alle nicht mehr gewollt. Und dann kamen dann die 68er und dann die 70er Jahre und da wollten wir überhaupt nicht mit unseren Eltern zusammenwohnen, sondern dann eher mit einer Wohngemeinschaft. Und es ist schon witzig, dass unsere Generation wieder nach der Gemeinschaft sucht, aber nicht nach der Familiengemeinschaft, sondern nach der Wahlfamiliengemeinschaft. ... Aber Sie sagten eben, dass das unsere Visionen sind, aber denen bleibt ja nichts anderes, denn wird sind ja mehr. (lachen) O-Ton Liebold: Es gibt so viele jüngere Leute, die finden unsere Idee wunderbar. Und wenn ich denn sage, warum kommt ihr denn nicht? dann sagen die: Nein wir doch nicht! Also es ist schon so eine Spaltung im Kopf, wahrscheinlich denken die eher an ihre Eltern, die sie gern untergebracht hätten, damit sie selbst entlastet sind. Sprecherin 1: Trotzdem: mittlerweile gibt es Mehrgenerationenhäuser in Deutschland. Ein Idyll, wo Alte die Großeltern spielen, wenn sie denn mögen, und am Ende von den Jungen gepflegt werden, findet sich da nicht. MUSIKZÄSUR CD Traviata/Track 9, Sempre libera, ab 0`50 bis 1`04 frei, danach ev. weiter unter Text Sprecherin 2: Mehrgenerationenhaus "Miteinander leben und wohnen". Wipperfürth im Bergischen Land. O-Ton Hönkhaus: Für mich war auch wichtig, ich kam aus ner Ehe, wo ich nicht allein hier stand, ich wusste, wenn mit meinen Kindern was war, die hatten Anlaufstellen, man konnte sich jederzeit draußen zum Nachbarn setzen, die Leute waren offen dafür. Sprecherin 1: Frau Hönkhaus, drei Kinder, alleinerziehend, zog vor vier Jahren in das Mehrgenerationenhaus in Wipperfürth. Eigentlich zur Mutter ihres geschiedenen Mannes, mit der sie sich gut versteht. Um weitere Kontakte im Haus, so sagt sie ehrlich, habe sie sich anfangs gar nicht kümmern können, mit ihren Kindern, ihrem Job, ihren eigenen Problemen. Sprecherin 2: Das Mehrgenerationenhaus in Wipperfürth wurde mit öffentlichen Mitteln von der Caritas gebaut. Ein Bauträger plante also ein größeres Wohnprojekt und suchte während des Baus Mieter, die dazu passen und die sich schon in der Bauphase kennen lernten. Für Familien mit Wohnberechtigungsschein gibt es preiswerten Wohnraum. Und Senioren finden in den - frei finanzierten - Appartements eine barrierefreie Ausstattung. Jeder Mieter muss sich per Unterschrift verpflichten, dass er das Konzept gegenseitiger Hilfe und Unterstützung mit trägt und die Begegnung zwischen Jung und Alt sucht. Ein Mieterrat entscheidet mit darüber, wer einzieht und wer nicht. Nun wohnen dort alte und junge Menschen, Behinderte, Familien, Alleinerziehende und Singles. Sprecherin 1: Die Anfänge der Hausgemeinschaft allerdings erlebte Frau Hönkhaus keineswegs als nur harmonisch. O-Ton Hönkhaus: Wenn hier so ein Haus neu gegründet wird, hier sind 36 Parteien, die müssen sich erst mal finden. Alle kommen aus nem anderen sozialen Umfeld, viele haben Häuser gehabt, verkauft, hier rein, und es gab Schwierigkeiten. Wenn ein älterer Nachbar sich beschwert, dass Kinder nachmittags um zwei auf dem Spielplatz spielen, das ist für mich ein Konflikt, ein richtiger Generationenkonflikt. Ok. Mit den Kindern hat man sich hingesetzt und mit denen geredet, aber man muss auch von den Älteren erwarten, dass die auf die Kinder zugehen. Die erwarten eigentlich immer, dass man auf sie Rücksicht nimmt, aber auch umgekehrt muss es sein. ... Sprecherin 2: Trotzdem ... O-Ton Hönkhaus: ... auf einmal werden hier Projekte gestartet, die man nie vermutet hätte, und die Leute können sich langsam drauf einlassen. ... ....ich möchte mich auch immer mehr einbringen, wenn ich oben meine Nachbarn kenne und sage, kommen se ne Tasse Kaffee trinken und wir machen bei runden Geburtstagen, wir schmücken, malen Schilder. Sprecherin 1: Das Wunschbild von der alten Dorf- oder Familiengemeinschaft, wo man sich beim Nachbarn das Mehl borgt, an der Haustür den neuesten Klatsch los wird, wohlerzogene Kinder bei der Leihomi abladen kann und sich gegenseitig ins Herz schließt, ist also nur begrenzt realitätstauglich. Zwischen Idee und Wirklichkeit stehen die Menschen. Manche kommen sich nahe, andere bleiben sich fremd. Und wieder andere streiten sich. Deshalb gibt es in Wipperfürth auch eine Sozialarbeiterin, bei der Klagen und Beschwerden von Hausbewohnern auflaufen. Gemeinsam wird dann nach Lösungen gesucht. MUSIKZÄSUR CD Traviata/Track 9 sempre libera, weiter Sprecherin 2: Streitgespräche. - Dresden, Hausgemeinschaft Trachenberge. O-Ton Hornig: ... Wir sind ja alle nicht mehr jung und können uns alle schwer aus unserer Haut herausbewegen. Aber der eine ist in seinem Umgangston etwas forsch und der andere ist äußerst sensibel und legt jedes Wort auf die Goldwaage. Und wenn die beiden aufeinandertreffen, dann gibt's schon echte Probleme Sprecherin 1: Vor einigen Jahren baute ein Architekt eine Gründerzeitvilla im Dresdner Norden zu einem Wohnprojekt für ältere Menschen um. 14 Wohnungen unterschiedlicher Größe. Dazu Gemeinschaftsraum und -garten. Augenblicklich wohnen im Haus wenige alleinstehende Männer, ein Ehepaar, mehrheitlich aber Frauen - im Alter zwischen 45 und 80 Jahren. O-Ton Sauerländerin: Ich hab mich aufgemacht, hab mich sehr viel umgesehen in anderen Wohngemeinschaften bundesweit und habe auch Gemeinschaften erlebt, die eine gleichberechtigte Struktur haben, das wollte ich leben, eine gleichberechtigte Struktur, da hab ich hier eine Fehlentscheidung getroffen. Ich erlebe hier eine Hierarchie und das ist auch zum Anfang meines Einzugs hier angesprochen worden, aber nie aufgegriffen. O-Ton Herr Rösch: Dieses schöne Ideal Toleranz ist sehr, sehr schwer zu erarbeiten .... O-Ton Sauerländerin: Ich bin der Meinung wie die Frau Heil, dass hier unter dem Teppich Stolpersteine sind und dass nur eine Fachkraft von außen eine Gemeinschaft bilden kann hier. Sprecherin 1: Graue Haare schützen nicht vor Konflikten. Trotz abgeschlossener Wohnungen erlebt so manche Senioren-Hausgemeinschaft ähnlichen "Stress" wie studentische WGs, die sich um Einkaufen und Hausputz streiten. Mediation und Supervision, also eine Art kollektiver Psychotherapie, steht bei einigen Gemeinschaften auf der Tagesordnung - oder zumindest auf der Wunschliste. Anlass zum Krach kann fast alles bieten: Geld, Umgangsformen, Geschmack. Sprecherin 2: Oder die Gestaltung des Gemeinschaftsgartens. O-Ton Ossi: ... Wenn wir uns einen Sonnenschirm holen wollen, das kann man nicht tun und kaufen und dann müssen wir zusammensitzen und beraten, ob wir's tun, und wer's tut. Es geht da meistens um finanzielle Dinge, sei's n Grill für den Garten ... eine Mieterin hat etliches dagelassen, die hat nen schönen großen Schneemann dagelassen, beleuchtbar und den hab ich in der Adventszeit hingestellt. Und das hat dann einigen nicht gefallen und das gab dann wieder Ärger und da hab ich ihn dann nach Tschechien ziehen lassen. O-Ton Frau Hornig: Das gehört in das Thema unterschiedlicher Geschmack, das haben wir hier im Haus im großen Maße ..., Der Wasserverbrauch ist auch ein Thema. Wir haben den Rasen gesät und der letzte Sommer war sehr trocken, alles muss gewässert werden, wir haben sehr viel Wasser verbraucht, wir haben aber noch keine Nebenkostenabrechnung bekommen. ... Wir haben ja einige, die sehr wenig Geld haben, das ist ja das große Problem bei uns, sehr wenig Rente, die werden sich dann wehren und sagen, dann müssen wir unseren Garten weniger sprengen. MUSIKZÄSUR CD Traviata/Track 9 sempre libera, weiter Sprecherin 2: 4 von 14 Wohnungen in der Dresdener Hausgemeinschaft Trachenberge sind leer. Das ist sicherlich zunächst dem Wohnraumüberangebot in den neuen Bundesländern geschuldet. Sprecherin 1: Doch zeigt sich hier nur deutlicher ein Problem, das viele Hausgemeinschaften über kurz oder lang ereilt. Was geschieht, wenn eine Wohnung in einem Projekt frei wird, weil der Bewohner verstorben oder ausgezogen ist? Wer passt in die Hausgemeinschaft, wie wählt man den richtigen Nachmieter aus, wie lange Zeit kann man sich nehmen? Und was passiert bei Wohneigentum, wenn eine Wohnung vererbt wird und die Erben andere Vorstellungen von einem Käufer haben als die Hausgemeinschaft? Auch das Mitspracherecht der Hausbewohner bei Weitervermietung oder - verkauf beantwortet diese Fragen nur unvollständig. Sprecherin 2: Selbst die Göttinger Damen-WG am Goldgraben - das Vorbild - leidet unter diesem Problem: O-Ton Bewohnerin: Na ja die ganze Angelegenheit hakt an der Stelle, wo sich neue Menschen vorstellen, die kommen ja hier rein. Jetzt am nächsten Dienstag kommt eine Frau aus Lindau und dann gibt es ein Gespräch mit allen und dieser Person und einem aus dem Verein: So dann fährt die wieder weg und wenn ihr das gefallen hat, dann meldet sie sich an zum Probewohnen ... Und dann zieht sie unter Umständen ein und weiß aber im Grunde nicht richtig Bescheid. O-Ton Bewohnerin: Es ist ja so, dass nicht alle Menschen WG-geeignet sind. Also 7 sind eingezogen und wieder ausgezogen.. .. Die erste war Elfriede Richter, die wieder ausgezogen sind, dann sind Sie eingezogen... drei oder vier Jahre. ... O-Ton Bewohnerin: 5 Jahre war sie hier, aber sie wäre gern unsere Heimmutter gewesen, das hat sie selber formuliert, wir werden zusammen kochen, wir werden zusammen tanzen, tanzen auch. Wir haben unser ganzes Leben Familie, Mann, Kinder gehabt und jetzt wollen wir auch entscheiden, wie wir das machen wollen. Nicht dass wir gleich wieder einen Heimcharakter, einen Boss haben.. MUSIKZÄSUR CD Traviata/Track 10, De miei bollenti spiriti 0´00 bis 0`10/0`20 Sprecherin 2: Am Abend des Lebens werden die Wege beschwerlich. Frau Justus und Frau Gaber: Wir haben einen Rollator, wir haben beide einen Gehwagen und das verbindet. Wir machen unsere Touren und da geht's eigentlich ganz gut, wir setzen uns zwar dreimal hin, diskutieren und gucken uns die Leute an. Aber das geht bei mir nur, wenn Frau Gaber dabei ist. Ich würde nie, wenn ich allein bin, wenn ich zu Apotheke gehe, ich würde mich nie da drauf setzen und Pause machen, da würde ich ja denken, die gucken alle ... . Sprecherin 1: Das Gehen strengt an, man atmet kurz, das Knie will nicht mehr. Krankheiten kommen - und bleiben. Man wird vergesslich, noch vergesslicher. Man hat alles vergessen. Sprecherin 2: Wer in eine Hausgemeinschaft für Ältere zieht, hofft, aufgefangen zu werden, wenn die Kräfte nachlassen. Senioren - WG auf Lebenszeit. O-Ton Frau ???: Wenn hier jemand stirbt, dann wird für ihn immer eine Rose gepflanzt, zur Erinnerung ... da gehen die vorbei und reden mit Frau Roske oder ... Und wir hatten eine, die ist auch sehr alt geworden und die war nun so "wuff" und die Rose ist auch so, die drängt die anderen alle ein bisschen weg. Sprecherin 1: Wer bettlägerig wird oder intensiv betreut werden muss, überfordert allen guten Absichten zum Trotz die Hausgenossen schnell. Auch wenn alle Wohnprojekte behindertengerecht ausgestattet sind, lässt sich Pflege dort nur in begrenzt realisieren. Bis zum Ende in der vertrauten Umgebung bleiben, ist, das wissen alle, ein schöner Traum. Die Pflege hinausschieben, weil man in Gemeinschaft aktiv bleibt, klingt realistischer. O-Ton Weschke: Unser Projekt könnte man auch unter den Titel stellen, Pflege vermeiden, denn durch die vielen Anregungen und auch die Aufregung, die wir hier miteinander haben, sind wir ständig auch gefordert. Und es ist nicht so, dass wir in unserem Zimmer über dem Kreuzworträtsel einschlafen und keinerlei Impuls von außen kriegen. Sondern wir sind ständig in der Auseinandersetzung miteinander. ... Sprecherin 2: Herr Weschke vom Darmstädter Projekt "Sandberghof" O-Ton Weschke: ... Man begegnet sich ständig, man sagt ja, Leben ist begegnen, Begegnen ist Leben. O-Ton Frau Wansleben: Unsere Planung ist so, dass wir Pflege uns einkaufen. Also Pflege heißt Sozialdienst, das kann dann sein, wenn da mehrere sind, kann das sein, dass ein Sozialdienst kommt. ... Also da haben wir die Idee. Wir wissen, dass wir uns gegenseitig nicht pflegen können. Sprecherin 2: Frau Wansleben aus dem Hamelner Wohnprojekt: O-Ton Wansleben: und dann haben wir gesagt, ok, so tägliche Hilfen im Alltag, also Einkaufen oder Stützstrumpf anziehen, war ein Beispiel, was wir immer hatten, was so an kleinen Hilfen nötig ist, das machen wir natürlich, das ist völlig klar. Aber wenn wirklich Demenz oder Vollpflege, wo sichtbar ist, dass das ne Dauergeschichte ist, da können wir das natürlich nicht leisten. MUSIKZÄSUR CD Traviata/Track 10, De miei bollenti spiriti, ab 1`48 (De miei...) Sprecherin 1: 2020 werden fünf Millionen Menschen in Deutschland über 80 sein. 2050 dürften die Hochaltrigen zwölf Prozent der Bevölkerung ausmachen. Die meisten werden höchstens ein Kind haben. Es könnte sehr einsam werden für Alte! Selbstbestimmte Hausgemeinschaften können helfen, die zwangsläufig steigenden Kosten für herkömmliche Heimbetreuung und Pflege zu begrenzen. Und: schon wenn sich die stationäre Pflege alter Menschen hinauszögern ließe, weil die Gemeinschaft sie eine Weile mitträgt,, ersparte das nicht nur Milliarden, sondern sehr viel menschliches Elend. Sprecherin 2: 60+- WGs, am liebsten Generationengrenzen überschreitend, werden also von immer mehr Älteren dringend gewünscht. Sie sind gesellschaftlich wie ökonomisch sinnvoll. Und ein gutes Geschäft für Wohnungsgesellschaften und Investoren, die sich auf solche Wünsche einstellen. Die Wohnprojekte finanzieren und bauen - für jeden Geldbeutel und jeden Geschmack. Für die Wohnungswirtschaft, für Architekten, für Dienstleister aller Art öffnet sich hier ein Zukunftsmarkt, dem ein staatliches Förderkonzept zusätzlichen Schwung verleihen könnte. (ev. Musik hoch bei 2`30 ...io vivo) Sprecherin 1: In den Niederlanden ist gemeinschaftliches Wohnen stärker verbreitet als in Deutschland. Dort haben sich übrigens auch die Ansprüche an solche Hausgemeinschaften zunehmend vom "Idealismus zum Realismus" entwickelt. Konkret: Mehr Platz fürs Private. Denn nur wer genug Raum hat, um sich zu distanzieren, kann auch die Nähe der Gemeinschaft zulassen. MUSIKZÄSUR CD Traviata/Track 10, De miei bollenti spiriti hoch, Ende bei 3`40, Sprecherin 2: Epilog. Dresden, Michelangelostraße O-Ton Frau Nagel: Es ist wirklich schön, mir gefällt's, ich vertrete die Wohngemeinschaft und ich vertrete überhaupt die Wohnform. Das ist das Beste für nen älteren Menschen, was es gibt." Sprecherin 1: Die WG im DDR-Plattenbau. O-Ton Frau Nagel: Bei mir müssen se ein bisschen lauter reden, ich hab lauter ... Frösche. ... Hier quakt's überall, ich hab über 170 Frösche, ... Sprecherin 2: Aus Plastik, Holz, Pappmaschee. O-Ton Frau Nagel: Es ist ja so wenn mal drei weggehen und die sehen unterwegs nen Frosch, dann krieg ich bestimmt wieder einen. Am Freitag warn wer aufm Markt, was hab ich gesehen, zwei Frösche, die muss ich mitnehmen... Sprecherin 1: Frau Nagel wohnt mit 4 anderen Frauen und einem Mann in einem abgetrennten Trakt auf der 8. Etage eines Plattenbaus. Renoviert und behindertengerecht ausgestaltet, bescheiden im Vergleich zu den Villen in Göttingen oder im Dresdner Norden, zur Darmstädter Hofanlage oder zum Hamelner Neubau. - Bis auf eine Bewohnerin sind in der Michelangelostraße alle über 70. Sprecherin 2: Die Kaffeetafel im großen Gemeinschaftswohnzimmer mit angrenzender Gemeinschaftsküche ist gedeckt, alle Kommunarden drum herum. Schrankwand, Fernseher, Sitzgarnitur: barrierefreie Gemütlichkeit. O-Ton-Collage WG: Wollen wir mal wieder was zusammen machen und dann wird festgelegt, was jeder einzukaufen hat auch gemeinschaftlich, dass das nicht ein einzelner macht und dann wird gekocht und das suchen wir uns raus, .. Das nächste große Essen ist zu Himmelfahrt. Das letzte große Essen war am Sonntag letzter Woche Spargelessen ... zu Feiertagen, Ostern Weihnachten ... und Kaffeetrinken öfter... . Sprecherin 1: Sie sind die perfekte Mischung. Frau Rosalik, die das Sticken entdeckt hat, hat Herrn Röttjer einen Hahn gestickt: der hängt jetzt vor seiner Wohnungstür. Der "Hahn im Korb", der es im Altersheim nicht ausgehalten hat, dankt es den Damen mit handwerklichem Geschick. Während die bügeln, backen, kochen oder Reisen organisieren. Sprecherin 2: Auch eine Vorzeige-WG. O-Ton Nagel: Das Kritischste vorneweg zu klären sind die Geldfragen, das andere gibt sich. Wer haben nen Plan gehabt, wer wann was sauber macht, das ist alles weggefallen, wenn was dreckig ist, wird's sauber gemacht, und da machen alle mit, da fängt einer an und auf einmal sind wir zu dritt. O-Ton Röttjer: Nun ist zwischen Mann und Frau gibt's ein bissel Unterschiede: bei mir ist's Edelpatina und bei anderen ist das Staub und Dreck. Sprecherin 1: Die Menschen in der WG Michelangelostraße wirken bodenständig, ja bescheiden. Pragmatisch lösen sie ihre Probleme. O-Ton Bewohnerin: Vielleicht ist das auch ein Unterschied zu den alten Bundesländern, wir waren ja alle berufstätig und deswegen fällt uns das auch nicht schwer, unser Leben zu meistern. ... O-Ton Bewohnerin: Wir waren 30, 40 Jahre in einem Betrieb. Und dadurch waren immer Kollektive, heute sagt man Team, haben vieles auch gemeinsam unternommen, und daher fällt uns vieles auch nicht so schwer wie den Frauen von da. O-Ton Bewohnerin: Doch, das hat ne große Rolle gespielt, man musste sich ja auch ins Kollektiv einfügen ... Sprecherin 1: Nun sind sie ein Wohngemeinschaftskollektiv! Sprecherin 2: Zuletzt haben sie wieder einmal miteinander gekocht. Man saß beieinander, erzählte sich was, es gab Kaffee und Kuchen. "Es war göttlich", sagt Frau Nagel. Was will man mehr? MUSIK CD Traviata/Track 3, Libiamo. weiterspielen ab Chor bis Schluss unter Absage Sprecherin 1: Den Jahren mehr Leben geben Wohnalternativen 60+ Ein Feature von Ingeborg Breuer Sprecherin 2 Es sprachen: Ilse Strambowski, Sigrid Burkholder, Volker Hengst und Martin Schaller Ton und Technik: Gabriele Traichel-Lahme, Jürgen Hille und Eva Pöpplein Redaktion und Regie: Ulrike Bajohr Eine Produktion des Deutschlandfunks 2007 2 2