Hörspiel Feature Radiokunst Das Feature Sahras Bündnis Wohin steuert Deutschlands neueste Partei? Autorin: Marc Thörner Regie: Philippe Brühl Redaktion: Wolfgang Schiller Produktion: Deutschlandfunk 2024 Erstsendung: Dienstag, 17.09.2024, 19.15 Uhr Es sprachen Philipp Schepmann und der Autor Ton und Technik: Christoph Rieseberg und Caroline Thon Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. (c) - unkorrigiertes Exemplar - 1a Atmo: (HR In II, Tr. 9, 0:41:) Musik präludiert Sprecher Sahras Bündnis Wohin steuert Deutschlands neueste Partei? Ein Feature von Marc Thörner Autor: 6. Juni 2024. In einer Parkanlage rund um den Ostberliner Fernsehturm schließt das Bündnis Sahra Wagenknecht seinen Europawahlkampf ab. Gegenüber dem Neptunbrunnen, einem Relikt aus Kaisers Zeiten, ist eine Bühne aufgebaut. Musiker stimmen die Besucher auf die bevorstehenden Reden ein. aufziehen Sänger singt (1:49:)Wir sollten es probieren, uns nicht zu arrangieren. Wir sollten uns nicht jeden Dreck ansehen, wir werden der Versuchung widerstehen, wir sollten es probieren, uns nicht zu arrangieren. Nicht immer nur dieselben Kreise drehen, lasst uns neue Wege gehen. Wir sollten es probieren... - geht über in Instrumentalmusik, läuft weiter, darauf: 1b Atmo: gesamte Musik Autor: (spricht nach bzw. fast deckungsgleich mit) Nicht arrangieren... der Versuchung widerstehen... neue Wege gehen. Das Bündnis Sahra Wagenknecht wurde erst vor ein paar Monaten gegründet. - Atmo verblenden mit 2 Atmo: Stimmengewirr, darauf: Autor Angezogen hat die Aussicht auf die neuen Wege auffallend viele, die in der Zeit der Bundeskanzler Helmut Schmidt und Helmut Kohl jung waren: Friedensbewegte in ähnlicher Kleidung und mit ähnlichen Plakaten, wie damals. Hier und da auch Menschen aus der Weltkriegsgeneration, teils in Begleitung ihrer Enkel. Ein Herr jenseits der 80 hält einen Zettel mit der Aufschrift DIALOG hoch. Eine jüngere Frau geht auf ihn zu. 3 O-Ton alter Herr Stimme alter Herr: Das find ich schön. Besucherin: Schönet Leben! Alter Herr: Sie auch, Sie sind auch ergriffen. Wir müssen tapfer sein. Besucherin: Ja. Alter Herr: Kampf ist mit Sahra nur möglich in diesem Lande (/0:51:) Wer so führend schon sich in Talkshows gegen diese Dazwischenrederei durchgesetzt hat, der wird sich auch jetzt durchsetzen bei dieser wahnsinnsgefährlichen Situation. Und das ist Frau Wagenknecht. 4 O-Ton Sahra Wagenknecht: (HR Int. II, Tr. 15 2:25:)Applaus Autor: Und dann, auf einmal, tritt die Hoffnungsträgerin aus der Kulisse. 4 weiter (/2:36:) Liebe Freundinnen und Freunde. Einen ganz, ganz herzlichen Dank für diesen wunderbaren Empfang. Ich freue mich so, dass Sie alle hier sind. Ich freue mich darüber, wie unser Wahlkampf gelaufen ist. (2:49:) Das ist jetzt die Abschlusskundgebung. Wir hatten so viele tolle Kundgebungen - runter ziehen Autor: Sahra Wagenknecht trägt ihr übliches Ensemble: enganliegendes Kostüm mit High Heels in leuchtenden Farben, diesmal in einem fast phosphorisierenden Grün. Zügig kommt sie zu den politischen Kernaussagen, spießt die Widersprüche in der Ampelkoalition auf. - verblenden mit 5 O-Ton Sahra Wagenknecht, Rede: (HR Int II, Tr. 15, 7:16:) Ein Grund ist, dass wir eine Regierung haben, die sich als Moralweltmeister dieser Erde aufspielt und die uns ernsthaft erklärt, das böse russische Gas - das zu kaufen. Das wäre ganz unmoralisch. Aber wenn der grüne Wirtschaftsminister in die islamistische Diktatur Katar fährt und dort mit einem tiefen Bückling um neues Gas und Gasverträge bettelt. Das ist dann moralisch. Das ist gar kein Problem. Was ist das für eine Doppelmoral? Was ist das für eine Heuchelei? Buh der Menge. Autor: Schlag auf Schlag prangert sie das an, was zur Zeit so viele unzufrieden macht: Die steigenden Energiepreise, die überbordende Migration, die Bildungsmisere und immer wieder Deutschlands Waffenhilfe an die Ukraine und die daraus folgende Gefahr eines Atomkriegs. 6 O-Ton Sahra Wagenknecht, Rede: Beginnt mit Passagen zum Unterlegen für den Autorentext oben, aufziehen bei: (HR Int II, Tr. 20, 2:15:) Das sind doch ernste Probleme, und wir haben das jahrelang der AfD überlassen, das anzusprechen. Auch das hat dazu beigetragen, dass die derart stark geworden sind. (2:45:) Und ich möchte das nicht. Ich möchte nicht, dass diese Partei und diese Leute wirklich hier in unserem Land immer stärker werden und die Stimmung immer mehr vergiften können. - geht über in Applaus - verblenden mit: 7 Atmo: (HR Int II, Tr. 22, 0.00:)Stimmengewirr Autor: Nach ihrer Rede spricht sie mir eine Warnung vor dem Kurs von Bundeskanzler Scholz ins Mikrophon; der habe gerade grünes Licht dafür gegeben, dass die Ukraine mit deutschen Waffen auch bis auf russisches Territorium schießen darf. 8 O-Ton Sahra Wagenknecht: (HR Int II, Tr. 22, 1:43:)Ich halte das für die nächste Eskalationsstufe, es wird in der Ukraine nichts verbessern, auch nicht die Situation an der Front. Wir haben immer mehr Waffen geliefert, trotzdem ist die Situation schlechter geworden für die Ukraine. Wir müssen jetzt endlich versuchen, Verhandlungen einzuleiten und nicht neue Waffen zu liefern oder eben mit solchen Entscheidungen noch mehr zu eskalieren. Stimmengewirr läuft weiter Autor: Gerne hätte ich sie noch gefragt: Wieso es nur der Westen sei, beziehungsweise nur die Bundesregierung, die an der Eskalationsspirale drehe; ob da nicht vielleicht Russland auch daran beteiligt sei? Doch schon muss Wagenknecht wieder weg. - Atmo Stimmengewirr verblenden mit 9 O-Ton Friederike Bender, Moderatorin: (HR Int II, Tr. 20, 15:21) Ich bitte alle Kandidatinnen und Kandidaten von unserer Liste, die sich auch heute hier eingefunden haben, die zum Teil aus Bayern angereist sind, noch für ein Foto mit Sahra auf die Bühne. Das sind Thomas Geisel, Michael von der Schulenburg, Jan Warnke, Judith Bender, Michael Lüders... - allmählich wegziehen, darauf: Autor: Wenige Tage später hat das BSW seinen ersten großen Wahlerfolg eingefahren; O-Ton Tagesschau Autor: Aus dem Stand 6,2 Prozent. 10 O-Ton Schulenburg: (HR Int. II, Tr. 30,4:05:) Ich hätte auf 7 Prozent getippt. Irgendwo merkte man, wenn man so durchs Land geht - und da waren ja auch viele Leute, die ganz anders denken als ich - man merkt einen Denkwandel in Deutschland, was den Krieg betrifft. Da ist plötzlich nicht mehr so klar, dass wir da wirklich die Guten sind und dass wir da für die Freiheit kämpfen und für die Demokratie und alles Mögliche, gegen den bösen Imperialismus von anderen. 11 Atmo: Café Wien Autor: Gut zwei Wochen nach der Veranstaltung mit Sahra Wagenknecht, an einem Tag, Ende Juni, sitze ich in einem Wiener Kaffeehaus dem Mann gegenüber, jetzt für das BSW ins Brüsseler Europaparlament einzieht: Michael Graf von der Schulenburg. Der langjährige UNO-Diplomat hat seinen Wohnsitz noch immer hier, unweit des europäischen Hauptquartiers der Weltorganisation. Café Wien - steht kurz frei, dann unterlegen: 12 Atmo: Stimme Michael von der Schulenburg: (HR Int II, Tr. 30, 0:09:)Also, wir nehmen einen Zander mit Kartoffelsalat. Stimme Kellnerin: Den gebackenen oder den gegrillten? Stimme Autor: Den gebackenen. Stimme Kellnerin: So, einmal gebacken... Stimme Schulenburg: Und mir geben Sie `n Schweineschnitzel mit Kartoffelsalat bitte. Stimme Kellnerin:.... Und eine Schnitzel mit Salat. Autor: Schulenburg, ein jungenhaft wirkender sehniger Siebziger mit weißen Haaren, einen Pullover lässig über den Schultern, hatte mich schon von weitem zu sich an den Tisch gelotst. Er sei der Michael - seines Zeichens ein konservativer und christlich motivierter Mensch. Seine Familie, erzählt er, sei die Familie eines Mitverschwörers aus dem Stauffenberg-Kreis. Nach dem Krieg sei man dann in der DDR ansässig geworden. 13 O-Ton Schulenburg: (HR Int. II, Tr. 30, 7:09:) In der DDR war ich natürlich nicht in der FDJ. Ich habe nichts mitgemacht, das haben sie irgendwie akzeptiert. (7:13:) War ja auch in der Nationalen Volksarmee. Da hieß ich übrigens Genosse Graf. Find ich ja herrlich: Genosse Graf. Lacht. Also Sie können mich jetzt auch mit Genosse Graf anreden. Lacht - läuft weiter... Autor: Wagenknechts Mann für Europa ist der erste BSW-Politiker, den ich zu einem längeren Gespräch treffe. Und so frage ich ihn, was ich vor vierzehn Tagen die Parteigründerin noch fragen wollte: Wieso schreibt die Partei die Aggression, die Kriegstreiberei vor allem immer dem Westen zu? Schulenburg verweist auf seine Beobachtungen als UNO-Diplomat. 14 O-Ton Schulenburg: (HR Int II, Tr. 30, 9:56:) Wir sehen also, dass nach dem Ende des Kalten Krieges (/) fast alle Kriege wier geführt haben, nicht die anderen. Dass wir die meisten Menschen in der Welt umbringen. Dass wir die größten Militärbündnisse der Welt haben (/10:16:) Und davon habe ich ja viel gesehen. Also, ich meine die meisten Menschenrechtsverletzungen, die ich gesehen habe in der UNO - und ich bin ein konservativer Mensch -, also (/) die habe ich (/) vom Westen gesehen. Autor: "Wir sind nicht die Guten. Wir sind nicht auf der richtigen Seite der Geschichte" - so lautet eines der Leitmotive im Diskurs des BSW, beinahe ein Credo. Das Bekenntnis zur Selbstkritik an den eigenen westlichen Werten, die Ironisierung des westlichen Moralanspruches zieht sich wie eine rote Linie durch den Diskurs des BSW. "Wir sind nicht die Guten". Kaum eine Wendung ist dort häufiger zu hören. Immer wieder vorgetragen vor allem von Michael Lüders. Der Nahostexperte war, ähnlich wie der Diplomat Graf Schulenburg, einer der Überraschungskandidaten, kurz vor den Europawahlen. Im erweiterten Parteivorstand fungiert er jetzt als eine Art Vordenker, insbesondere in der Außenpolitik. 15 O-Ton Michael Lüders: (Int L. BSW, 16:17:)Ich glaube, dass der Weg, den wir gegenwärtig gehen, nämlich die Überzeugung, dass man moralisch einzig auserkoren sei und alle anderen, die dieser Linie nicht folgen, seien böse - das kann nichts Gutes bedeuten, denn die Welt, in der wir leben, ist ja eine des Umbruches. Autor: In seinem 2023 erschienenen Buch ‚Moral über alles?' führt der Nahostfachmann und Politikberater seine Leser zurück in die Ideenwelt des Renaissance-Philosophen Machiavelli. Dem sei es gelungen, Politik und Krieg realistisch zu beschreiben, als ein Spiel der Interessen, als Konfrontation der geopolitischen Rivalen. Erst nach der Katastrophe des 1. Weltkriegs sei dann, maßgeblich auf Betreiben der USA, der Krieg als solches von den siegreichen Westmächten geächtet worden. Lüders schreibt: Zitator Lüders: "In diesem Kontext nun erfolgt die Rückkehr der Moral in die Politik. Sie bietet Halt in unsicheren Zeiten. Der Philosoph und Medienwissenschaftler Norbert Bolz datiert diese Rückkehr auf den Ersten Weltkrieg. Mit dessen Ende - Zitat - ‚setzt ein politischer Moralismus ein, der...radikal mit dem neuzeitlichen Begriff des Politischen bricht. Nun gibt es wieder gerechte Kriege und ungerechte Feinde, die eigentlich schon als Verbrecher behandelt werden - Mit anderen Worten: Wenn man den Krieg aufgrund seines unvergleichlichen Ausmaßes nicht mehr als politische Möglichkeit akzeptieren kann, setzt die Moralisierung durch einen diskriminierenden Kriegsbegriff ein. Das impliziert auch, dass Staatsraison und Realpolitik ein negatives Vorzeichen bekommen. Das gilt bis zur Gegenwart.'" Zitat Ende Autor: In dieser Moralisierung liegt für Lüders der Ursprung der westlichen Selbstüberhöhung, denn, so schreibt er: Zitator: "Die Notwendigkeit, die eigene Bevölkerung hinter einem Banner zu versammeln und zu einen, verlangt nach einer klaren Unterteilung der Welt in Gut und Böse." 16 O-Ton Michael Lüders: (Int. L, BSW: 19:55:) Sage ich jetzt: Ich unterteile die Welt in Gut und Böse und mit den Bösen reden wir nicht. Und die Bösen, das sind natürlich allen voran Russland, Iran und dann kommt auch schon China. Kann man sich eine solche Attitüde auf Dauer erlauben? Das ist sicherlich nicht gut. Autor: Den geostrategischen Rivalen und somit auch seine Kriegführung als "böse" zu diskriminieren, hält er für brandgefährlich. Und denkt man Lüders' Argument zu Ende, dann könnte das tatsächlich auf den großen Endkampf gut gegen böse hinauslaufen. 17 O-Ton Michael Lüders: (Int. L, BSW: 14:10:) Denn wenn ich für mich das Gute gefunden habe und sage, das allein ist die Möglichkeit, dann akzeptiere ich natürlich auch keinen Dissens. Und dann haben wir eine Konfrontation und im Zweifel, wenn es schlimm kommt, irgendwann noch einen Krieg. Autor: Dass dabei wir im Westen nicht die Friedensstifter seien, sondern vielmehr die Antreiber zum Krieg; ja dass wir dazu sogar über eine spezielle Organisation verfügten: die NATO, das schärft vor allem Sevim Dagdelen der Öffentlichkeit immer wieder ein: Sahra Wagenknechts enge Vertraute und eine der Schlüsselfiguren des BSW. Wie Wagenknecht ins Parlament gewählt noch auf dem Ticket der Linkspartei und mit ihr gemeinsam zum BSW gewechselt. Im Juli 2024, während Regierungen und Parlamente ihre Repräsentanten nach Washington entsenden, um das 75-jährige Bestehen der NATO zu feiern, fährt auch Dagdelen dorthin; benutzt ihren Aufenthalt aber dafür, die Feiern durch scharfe Kritik zu stören. Meldet sich in der unabhängigen US-Medienplattform ‚Democracy Now!' zu Wort. Oder im Online-Kanal der rechten Schweizer Medienplattform ‚Weltwoche Daily'. 18 a O-Ton Sevim Dagdelen: (DN, 0:41:) I think, the most important thing about the history of NATO is that it is a history of denial, that they have three great myths. - herunterziehen, darauf: b) O-Ton Sevim Dagdelen: https://www.sevimdagdelen.de/die-nato-eskaliert/ (WD, 2:11:)Es ist kein Verteidigungsbündnis. (2:27:)Es ist ein Kriegsführungspakt, (3:00:)Und wir wissen ja auch, 2011 mit dem Krieg in Libyen hat die NATO einen völkerrechtswidrigen regime-Change-Krieg begangen. c) O-Ton Sevim Dagdelen: (DN 1:17:)And 20 years of war in Afghanistan, the aggression against Iraq, the aggression 2011 against Libya. This show us, it is just a lie with the defensive-alliance d) O-Ton Sevim Dagdelen: (/)Oder auch 20 Jahre Krieg in Afghanistan war mit Hunderttausenden zivilen Toten, Kriegsverbrechen. Und auch jetzt, die Expansion, die Eskalation, der Kurs der NATO zeigt ganz eindeutig, das war niemals und das ist auch kein Verteidigungsbündnis. e) O-Ton Sevim Dagdelen: (/2:33:)Or 14 years of prosecution, of torture against Julian Assange whose crime was to expose US war crimes in Iraq or NATO war crimes in Afghanistan. Autor: Die NATO, so Dagdelens Botschaft, steht nicht für Werte, sondern für Gewalt. Und wenn es aus Sicht des BSW dafür noch eines Beweises bedarf, dann liegt der in der Person eines Mannes, den sie als den ‚Gefangenen der NATO' apostrophiert: Julian Assange. Wiederholt bitte ich Sahra Wagenknechts Vertraute um ein Interview. Als sie mir schließlich einen Termin in ihrem Bundestagsbüro anbietet, steht der in Zusammenhang mit der soeben verkündeten Freilassung des Wikileaks-Gründers. 19 O-Ton Sevim Dagdelen: - beginnt mit Büro/Korridor (HR Int II, Tr. 48, 0:09:) Wir gehen jetzt erstmal zum Ausgang, nehmen das Auto, gehen dann zum Potsdamer Platz... (0:15:) Und zwar ist heute der Geburtstag von Julian Assange, das erste Mal seit 14 Jahren in Freiheit mit seiner Familie, mit Stella und seinen Kindern, im Kreis seiner Freunde, in Australien, in seiner Heimat. Und das wollen wir natürlich feiern. Atmo: (HR Int II, Tr. 48, 2:55:) Schritte, darauf: Autor: Assange der Mann mit dem jungen Gesicht und dem weißen Bart gilt dem BSW als eine wichtige Ikone: Als eine Art von Parallel-Nawalny. Als fleischgewordene Bestätigung dafür, dass nicht nur Putin seine Gegner auf Jahrzehnte wegsperrt, sondern auch die NATO. - verblenden mit: 20 O-Ton Dagdelen: (HR Int II, Tr. 48, 3:31:) setzt ein mit einstiegen ins Auto Stimme Autor: Soll ich von der anderen Seite... Autotür fällt zu... Ich hatte das ja auch nicht vor, eigentlich 2012. Ich hatte mir das nicht vorgestellt, dass ich da zwölf Jahre lang da mit diesem Fall beschäftigt bin. Aber das hat mich dann einfach nicht mehr losgelassen, so wie andere Fälle eben auch... (16:49:)Auto fährt an, darauf (16:17:) Stimme Autor: Das heißt, im Vorfeld war Ihnen schon bekannt, dass da was laufen würde? Wie lange vorher so ungefähr? (16:25:) Ich weiß gar nicht, ob ich das sagen darf. (lacht) Deshalb würde ich jetzt darauf verzichten, unsere Geheimdiplomatie nicht zu gefährden, würde ich eher verzichten. (16:36:) Stimme Autor: Aber es lief was im Vorfeld und es war... Ja, Ja. Also ein ganz kleiner, enger, sehr enger Kreis wusste davon. Aber genau, wir haben nicht darüber gesprochen. (17:00:) Und diese Mahnwache jetzt, heute quasi für seine Freiheit, die findet halt überall weltweit statt. Autor: Den Krieg diskriminieren... mit einem diskriminierenden Kriegsbegriff - was BSW-Vordenker Michael Lüders dem Westen vorhält, kommt mir bekannt vor. Es stammt aus einer historischen Debatte der 1930er Jahre. Wieso bezieht sich Lüders aber gerade jetzt darauf; wieso tut er es gerade heute, da Russland einen Krieg führt und der Westen Russland dafür sanktioniert - beziehungsweise diskriminiert -? Und wieso schreibt er den 'diskriminierenden Kriegsbegriff' Norbert Bolz zu, einem rechtskonservativen Medienwissenschaftler von heute? 21 O-Ton Michael Lüders: (Int L. BSW, 14:39:)Um ganz ehrlich zu sein: Ich habe eine Fülle von Materialien natürlich gecheckt, gelesen. Und irgendwann muss man natürlich auch historisch einordnen, wie man, wie man nun die Moral in der Geschichte versteht. Es gibt ja immer unterschiedliche Vorstellungen davon. (15:29:)Norbert Bolz hat das mal durchdekliniert für die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg. Und das Ganze lässt sich natürlich fortsetzen bis in die Gegenwart. Autor: Nur stammt der "diskriminierende Kriegsbegriff" nicht vom Medien- und Gesellschaftskritiker Norbert Bolz - der da seinerseits nur zitiert. Das ist auch Albrecht von Lucke bei der Lektüre aufgefallen, Politologe und Chefredakteur der ‚Blätter für deutsche und internationale Politik'. 22 O-Ton Albrecht von Lucke: (Int vL, I, 1:03:) Er kommt von Carl Schmitt und Carl Schmitt, hat mit diesem Begriff letztlich und das ist der Hintergrund einen Frontalangriff, gefahren gegen alles, was die eigentliche Errungenschaft des 20. Jahrhunderts war, nämlich die Vorstellung, (/) dass mithilfe von Völkerrecht Kriegsbeginn verhindert wird. Autor: Carl Schmitt, der Schöpfer des "diskriminierenden Kriegsbegriffs", war ein deutschnationaler Staats- und Völkerrechtler, der in den frühen 1930er Jahren die so genannte konservative Revolution einleiten half. Nach 1933 wurde er zum Kronjuristen des NS-Staats. Warum zitiert Lüders Carl Schmitt, also das Original, nicht direkt, sondern über den Umweg des aktuellen Publizisten Norbert Bolz? 23 O-Ton Michael Lüders: (Int L. BSW, 15:50:) Also Carl Schmitt ist eigentlich nicht so mein Referenzpunkt. Denn es ist ja so, dass er ja, sagen wir mal so - Leute, irgendwann dann auch sich durch ihre politische Positionierung verbrannt haben. Aber nichtsdestotrotz, es kann nicht schaden, sich damit auseinanderzusetzen und auf diesen und jenen einen Blick zu werfen. Autor: Verbrannt hat sich Schmitt allerdings nicht irgendwann. Sein Buch ‚Die Wendung zum diskriminierenden Kriegsbegriff' schrieb er 1938, mit einer klaren Absicht: Intellektuell zu rechtfertigen, dass die Gebietsansprüche Hitlers auf Österreich und auf die Tschechoslowakei notfalls auch per Krieg durchgesetzt werden könnten. Damit wandte er sich gegen die Argumentation der damaligen Westalliierten. Denn die wollten nach dem Schock des Ersten Weltkriegs den Krieg - und also auch die Drohung mit dem Krieg - grundsätzlich ächten, eben: Krieg als unmoralisch "diskriminieren". Albrecht von Lucke: 24 O-Ton Albrecht von Lucke: (Int vL, I, 1:45:) Deswegen ist dieser Begriff natürlich gemeingefährlich und er hat einen Bedeutungsschwanz, den man immer mitdenken muss.(/1:52:) Denn was ist die Stoßrichtung? Sie war immer gerichtet von Carl Schmitt schon, aber auch von anderen, letztlich gegen die Vereinten Nationen bzw. damals gegen den Völkerbund, aber damit letztlich auch immer gegen die liberalen Staaten. (/) Er wurde zum Kronjuristen des NS-Staates, weil dieser wunderbar andocken konnte, indem er sagte Hier sind die Vereinten Nationen, (/) geführt, so die Stoßrichtung durch die USA. Und sie benutzen das Kriegsverbot, um dann im Namen höherer Moral (/) umso brutaler loszuschlagen. - allmählich einblenden: Autor: In der Schmitt'schen Optik zählen allein die geopolitischen Interessen eines Staates. Sie machen Nationen zu natürlichen Freunden oder Feinden. Mit irgendeiner moralischen Wertung, mit Gut und Böse oder gar Moral hätten solche Feindschaften aber nichts zu tun. 25 O-Ton Albrecht von Lucke: (Int v L, I, 19:41) Die Suggestion bei Schmitt besteht doch darin: Indem ich die Freund-Feind-Konstellation zulasse, zivilisiere ich in gewisser Weise den Krieg, weil ich damit es verhindere, dass mit dem diskriminierenden Feindbegriff gearbeitet wird. Wenn man ganz normal Feind sein darf, also der Krieg wieder führbar ist, was anscheinend Lüders und andere im Gefolge von Bolz suggerieren, dann wird der Eindruck erweckt dann ist keine Diskriminierung, dann ist der Krieg doch harmlos. 26 Atmo: Hall, Fiaker Autor: Mit Michael Graf von der Schulenburg, dem frisch gebackenen BSW-Mann für Europa, wandele ich nach unserem Gespräch im Kaffeehaus in Wien zwischen den Fassaden des 18. bis 20. Jahrhunderts entlang. Damals war Politik noch weitgehend frei von Moral, und Potentaten machten Interessen einfach untereinander aus, je nachdem mit oder ohne Waffen. - Atmo Fiaker aufziehen Autor Immer wieder überholen uns dabei Fiaker voller Touristen; auf den Spuren jener Welt, da das für Krieg zuständige Ministerium noch k.u.k Kriegsministerium heißen durfte. - Atmo Fiaker aufziehen 27 O-Ton Michael von der Schulenburg: (HR Int. II, Tr. 40, 0:02:) setzt ein mit Kirchenglocken Also, das, was wir jetzt sehen, ist die Hofburg. Das ist das neue Gebäude. Das ist erst im Ersten Weltkrieg fertig geworden oder vielleicht auch erst danach richtig fertig geworden. Also, der österreichische Kaiser hat darin nie gewohnt, sondern der erste Bewohner, der sich das zunutze gemacht hat, war Adolf Hitler, der auf der anderen Seite zum Heldenplatz hin auf den Balkon geredet und bejubelt worden, dass er Österreich zurück ins Reich gebracht habe. - Atmo läuft weiter, darauf: Autor: Der damalige Führer Deutschlands hatte für sich den Krieg erfolgreich entdiskriminiert. Aus seiner Sicht diente die Kriegsdrohung nur dem Ziel, damit ganz natürliche geostrategische Interessen durchzusetzen, Deutschland urdeutsche Gebiete zu sichern und die dort lebenden Deutschen zu schützen. Bei Deutschlands Gegnern saß nach 1918 die Abscheu vor jeglicher militärischen Auseinandersetzung noch derart tief, dass sie sich den Drohungen immer wieder beugten 28 Atmo https://www.youtube.com/watch?v=SetNFqcayeAStimme Chamberlain: "This morning, I had another talk with the German chancellor Herr Hitler. And here is the paper which bares his name upon it as well as mine. We regard the agreement signed last night and the Anglo-German naval agreement as symbolic of the desire of our two peoples." Autor Noch am Vorabend des Zweiten Weltkriegs, verkündete der britische Premierminister Chamberlain strahlend und erleichtert: man habe durch erneute Zugeständnisse an Hitler den Frieden in Europa endgültig sichern können. - aufziehen: "never to go to war with one another again." Autor: Unter den politischen Parteien sind es heute vor allem die Grünen, die mit Blick auf die damalige Appeasement Politik, warnen, die Fehler der Vergangenheit zu wiederholen Die Ansicht vertritt zum Beispiel Anton Hofreiter, bei den Grünen europapolitischer Sprecher. 29 O-Ton Toni Hofreiter: (HR Int II, Tr. 55 15:00:) Wenn wir vielleicht nicht jahrelang so eine Schwäche zeigende Politik, die an Appeasement gegrenzt hat, gemacht hätten, hätte sich vielleicht Russland nicht ermutigt geführt, so viele Kriege zu führen und hätte sich Russland nicht ermutigt gefühlt, die Ukraine nach dem ersten Angriff ein zweites Mal anzugreifen. 30 Atmo: Hofburg Autor: Ist nicht genau das die Lehre: Ein Zugeständnis, ein Friedensangebot nach dem anderen - mit dem Effekt, dass man dadurch die große Katastrophe nicht abwendet, sondern sie letztendlich erst heraufbeschwört? 31 O-Ton Schulenburg: (HR Int. II, Tr. 40, 1:33:) Das würde ich doch ablehnen. Und natürlich haben wir immer historische Parallelen, die in einer gewissen Weise da sind. Aber ich glaube, das ist wirklich mit dem Appeasement, also damit zu rechtfertigen, dass man jetzt hier Krieg führt. Das halte ich für einen rechten Wahnsinn. (/3:05:) Und in diesem Krieg halte ich Putin einfach für den rationalsten. Und das bedeutet nicht, dass es gut oder schlecht ist. Aber es rational. Also man kann mit ihm verhandeln. Das ist eine Voraussetzung für Verhandlungen, ob jemand sich rational verhält. Stimme Autor: Worin besteht sein Rationalismus Wo war er oder wo ist er rational? (3:24:) Also, er hat immer die gleiche Forderung gestellt: Neutralität der Ukraine, keine NATO- Truppen dort. (/) Er will den Zugang zum Schwarzen Meer für Russland sich sichern und sicherlich auch einen gewissen Schutz für die russisch sprechende Bevölkerung in der Ukraine darstellen. Ich glaube, diese drei Forderungen, die bestanden schon seit ewig und die sind es auch immer noch. Stimme Autor (4:07:): Hat er sich denn in der Vergangenheit an alles gehalten, was er gesagt hat? (HR Int. II, Tr. 40, 4:14:) Na ja,... lange Pause ... weiß ich nicht. Ich kann das nicht beurteilen, aber ich meine einige, die sich bestimmt nicht an Sachen gehalten haben, das sind wir Deutsche doch. (4:29:) Wir sind doch in Russland wieder einmarschiert im Zweiten Weltkrieg und gegen den Vertrag. Was ist denn aus dem Zwei-plus-Vier Vertrag geworden? (4:43:) Haben wir doch alles über den Haufen geschmissen. (/5:33) Dass die NATO vormarschiert ist, bis an die Grenze von Russland vorgestoßen ist. Das steht doch da nicht drin. So ein System ist doch gar nicht vorgesehen. Autor: Hier scheint ein weiteres Leitmotiv im politischen Diskurs des BSW auf. Wagenknechts Partei vertritt in Carl Schmitt'scher Logik die These: Mit Russland und den NATO-Staaten ständen sich zwei ebenbürtige geopolitische Rivalen gegenüber. Nur dass die eine Macht, die andere plötzlich herausgefordert habe. Die NATO nämlich habe sich nicht an das gegebene Versprechen gehalten sich nicht auf Osteuropa auszudehnen. Damit sei Russland provoziert worden und die Gegenreaktion des Kreml sei nur logisch. 32 O-Ton Marcus Bensmann: (Int Bens. 14:19:) Also davon zu sprechen, dass die NATO Russland bedroht hat, ist Unsinn. Autor: Marcus Bensmann, Chefreporter der Rechercheplattform Correctiv und dort zuständig für Russland: 33 O-Ton Marcus Bensmann: (Int Bens., 11:42:)Das widerspricht dem historischen Verlauf. Die Zwei-plus-vier Verträge wurden geschlossen, (/) da kam gar keiner auf die Idee, dass die Sowjetunion zerfällt. Das ist eine neue Realität, die dann entstanden ist. Autor: Im Kaukasus, in Armenien, Georgien, Aserbaidschan, überall dort, so Bensmann, habe der Kreml Kriege, Konflikte und Vertreibungen geschürt, so genannte Frozen Conflicts, um eine friedliche Entwicklung der neuen Staaten zu hintertreiben, deren Normalisierung oder Demokratisierung zu verhindern und Russlands Hegemonie zu sichern. 34 O-Ton Marcus Bensmann: (Int Bens. 12:54:) Wir stellen fest: Alle Staaten, die es geschafft haben, unter den NATO- Schutzschirm zu kommen, wie die baltischen Staaten zum Beispiel, die sind von dem so genannten Frozen Conflict verschont geblieben (14:23:)Die NATO hat die Länder geschützt, die frei sein wollten und dann gleichzeitig während dieser sogenannten NATO Osterweiterung stellen wir folgendes fest: Russland unter Putin wird auf einmal zum Hauptlieferanten von Gas, von Öl, von Kohle, von Rohstoffen für Deutschland und die Europäische Union. Wir bauen Nordstream eins, wir bauen Nordstream zwei, Wir verkaufen unsere Gasspeicher an Gazprom. Mehr vertrauensbildende Maßnahmen geht doch nicht. 35 O-Ton Toni Hofreiter: (HR Int II, Tr. 50, 24:03:)Wir haben also genau das gemacht die letzten 15 Jahre, was der BSW jetzt vorschlägt. Autor: So Anton Hofreiter von den Grünen. 36 O-Ton Toni Hofreiter: weiter Und es hat zu immer weiterer Aggression geführt bis zur Vollinvasion der Ukraine. Und deshalb sieht man, die Appeasementpolitik, die der BSW vorschlägt, hat uns genau dahin geführt und aus 15 Jahren Fehlern nichts zu lernen ist schon eine Leistung (/18:25:) Das Interessante ist nur, dass Frau Wagenknecht überhaupt nicht in der Lage ist, die Rationalität von Putins Außenpolitik zu verstehen. Deswegen hat sie auch drei Tage vor der Invasion noch gesagt, dass Putin keinerlei Interesse an einer Aggression gegen die Ukraine hat.(18:47:)Frau Wagenknecht und der BSW ist überhaupt nicht in der Lage, das zu dechiffrieren und fällt auf die Propaganda Russlands ständig herein oder nutzt die Propaganda, um hier Wählerstimmen zu generieren. Autor: Solcher Gegenwind führt dazu, dass das Bündnis Sahra Wagenknecht sich kompromisslos vor allem gegen einen Hauptgegner positioniert. Dieser Hauptgegner ist nicht die CDU; nicht die SPD, nicht die FDP und nicht die AfD. Der Hauptgegner des BSW sind die Grünen. Und auf BSW-Veranstaltungen ist es vor allem einer, der wie eine Zielscheibe alle verbalen Pfeile anzuziehen scheint - wie bei einer Rede, von Thomas Geisel, Ex-SPD-Mann und inzwischen beim Bündnis Sahra Wagenknecht: 37 O-Ton Thomas Geisel: (HR Int II, Tr. 14, 0:19:)Ich denke an den konvertierten Kriegsdienstverweigerer Toni Hofreiter (Buh der Menge) , der nicht nur, hat man manchmal den Eindruck, nachts um vier noch die Angebotspalette von Rheinmetall rauf und runterbeten kann, sondern der mittlerweile einem Angriff mit deutschen Waffen aus der Ukraine auf Russland das Wort redet. Liebe Freundinnen und Freunde, die Grünen waren mal eine pazifistische Partei. Heute haben sie eine Außenministerin, die einfach mal en passant Russland den Krieg erklärt hat. Wo sind wir eigentlich hingekommen? Ich frage mich was denkt wohl Antje Vollmer? Was denkt wohl Petra Kelly über diese Nachfolge? Das ist doch unwürdig und unerträglich, liebe Freundinnen und Freunde! - geht über in Applaus - verblenden mit 38 Atmo: (18:00:) Auto, darauf: Stimme Dagdelen: Da hinten ist es doch... Vorsicht (aussteigen, Auto fährt vorbei/18:53:) Hallo, guten Tag! Gehen (- 19:05:)gedämpfter Applaus (/19:50:Stimmen) Autor: Mit Sevim Dagdelen am Potsdamer Platz angekommen, gehe ich zwischen Plakaten entlang, die Julian Assange feiern und die Ampelkoalition schmähen, vor allem Außenministerin Annalena Baerbock und die Grünen. Auch Sevim Dagdelen benutzt die Assange-Veranstaltung, um einen Giftpfeil auf die Grünen abzuschießen: - verblenden mit: 39 O-Ton Dagdelen: (HR Int II, Tr. 48, 39:49:) Wenn es eine Person gibt, der Julian Assange seine Freiheit nicht zu verdanken hat, dann ist es unsere von Moral getriebene Außenministerin Annalena Baerbock. Danke für nichts, Frau Baerbock, Danke für nichts, Ampelregierung und in diesem Sinne, wer für die Freiheit von Julian Assange auch morgen noch sich einsetzen möchte, sollte sich einsetzen für die Wahrheit und gegen den Krieg. (40:17:) In diesem Sinne, vielen Dank! Keep fighting! Autor: Wieso diese erbitterte, vielfach an Hass grenzende Feindschaft; wieso diese Verachtung gegenüber den Grünen? Das würde ich vor allem von der Parteigründerin, von Sahra Wagenkencht gern wissen. 40 Atmo: Auto Autor Zeit für Gespräche, sagt die Gründerin des BSW, finde sie gerade nur noch, wenn sie im Auto sitze. So telefoniere ich mit ihr, während sie unterwegs ist, über das Handy ihres Chauffeurs. Und sie bestätigt: Ja, die Grünen seien diejenige Kraft, die mit ihrer Politik für alle schwerwiegenden Fehler der letzten Jahre verantwortlich zu machen seien. - Atmo Autor verblenden mit: 41 O-Ton Sahra Wagenknecht (It. W, A, 1:00:)Frau Baerbock reist durch die Welt mit erhobenem Zeigefinger. (0:21)Es gibt eben einen Hypermoralismus, der in der Regel auch vorgeschoben ist, wo man sich eben als besserer Mensch inszeniert, weil man eine bestimmte Lebensweise hat, weil man Menschen verächtlich macht, die sich keinen Bioladen leisten können, die mit Verbrenner Autos fahren, die vielleicht auch sich etwas anders artikulieren als eine gewisse selbsternannte moralische Elite. Autor: Die ambitionierte Klimapolitik, wie sie die Grünen betrieben, könnten sich normale Menschen überhaupt nicht leisten. Aber auch auf einem zweiten Feld hätten die Grünen den Kontakt zur Mehrheit der Bevölkerung verloren. Beim Thema der sexuellen Diversität und der daraus resultierenden neuen Political Correctness. 42 O-Ton Sahra Wagenknecht (It. W, A,2:25:)Gerade diese ganze Debatte zum Gendern ist ja eine Debatte, wo sich viele Leute auch an den Kopf greifen, wenn ihnen erklärt wird, dass es biologisch gar keine zwei Geschlechter mehr geben darf, sondern dass jeder je nach Gemütsverfassung sich für ein Geschlecht entscheiden kann und das in einem Jahr auch wieder verändern kann. Das kann ja niemand ernst nehmen. Autor Gendern - eigentlich die Herzensangelegenheit derjenigen, die sich als links verstehen. Aber versteht sich Sahra Wagenknecht überhaupt als links? 43 O-Ton Sahra Wagenknecht (It. W, A, 20:50:)Heutzutage steht Links oft für relativ abgehobene Diskurse unter privilegierten und linke Parteien, also zumindest diejenigen, die sich so definieren, werden vielfach eher von den Bessergebildeten und auch Besserverdienenden gewählt. Das heißt, sie hat sich, hat sich etwas ganz gravierend verändert und deswegen würde ich diese Labels so nicht mehr benutzen (/22:25:)weil zum Beispiel auch das Bedürfnis von Menschen nach Sicherheit, das Bedürfnis, die eigene Kultur und die eigene Tradition auch wertgeschätzt zu sehen... Autor: Zum Beispiel bei einem Thema, das zur Zeit in Deutschland im Fokus steht wie kaum ein anderes: der Migration. 43 O-Ton Sahra Wagenknecht (It. W, A 22:53:)Wir sind ja zum Beispiel dafür, unbedingt und sehr schnell diese unkontrollierte Migration zu stoppen und die Zahlen der Zuwanderer deutlich zu reduzieren, weil wir überzeugt sind, dass unser Land einfach in jeder Hinsicht überfordert ist sozial, aber auch kulturell. Das würden sicherlich manche als konservativ bezeichnen. Ich halte das einfach nur für vernünftig. Autor: Sahra Wagenknecht, so meint Albrecht von Lucke, Politologe und Chefredakteur der ‚Blätter für deutsche und internationale Politik, sei mehr als nur konservativ. Sie versuche.... 44 O-Ton v. Lucke: (Int. L., 14:07:) mit einem ausgesprochen rechten nationalen Spin, mit einer rechten nationalen Argumentation die AfD Wählerinnen und Wähler zu gewinnen und sagt ‚geschlossene Grenzen', ‚Migration verhindern' und vor allem alles, was grün angehaucht sein könnte, ökologisch oder gar im Sinne einer gesellschaftspolitischen Alternative von Queerness und anderen Dingen, all das gilt es zu verhindern. Autor: Bei ihrer Annäherung an rechts, nutzt das BSW gern rechte bis rechtspopulistische Medienauftritte. Etwa die Talkrunden des von BSW-Vordenker Michael Lüders mit dem "diskrimierenden Kriegsbegriff" zitierten rechten Medienwissenschaftlers Norbert Bolz. In einem so genannten ‚Kontrafunk-Kolleg' zählt Bolz Belege auf, weshalb der Westen sich im Niedergang befinde: 45 O-Ton Norbert Bolz: Dazu gehören die sexuelle Freizügigkeit und die antiautoritäre Erziehung seit den 60er Jahren. Dazu gehört der unaufhaltsame Aufstieg des Feminismus und die Eroberung der Kulturbühnen, aber auch der Straßen, der Metropolen durch die Homosexuellen. Wir werden gleich sehen all das zur Auflösung der bürgerlichen Familie beiträgt. Autor: Mit seinen Analysen lege, Norbert Bolz durchaus den Finger in die Wunde, meint Michael Lüders, der Außenpolitiker des BSW 46 O-Ton Lüders: (Int. L, BSW: 28:36:)Ja, natürlich. Das ist schon sehr realistisch beschrieben. (24:59:) Ich glaube, dass viele Menschen in den westlichen Industriegesellschaften eine Phase der Desorientierung erleben, weil es diese verbindenden Erzählungen eben nicht mehr gibt. Autor: In seinem Buch ‚Moral über alles?' drückt BSW-Vordenker Michael Lüders es selbst so aus: Zitator Lüders: "Begriffe wie Nation oder Religion erzielen in höhergestellten sozialen Milieus kaum noch Bindungswirkung. Auch die klassische Familie, bestehend aus Vater, Mutter, Kind ist nur noch bedingt Refugium; sie konkurriert mit gender- und queerorientierten Lebensformen. (...)Eine Gesellschaft ohne kollektives Ich, ohne verlässliche Erzählungen, ohne Mythen läuft Gefahr, sich zu verlieren. Konsumismus und Hedonismus sind lediglich Ersatzhandlungen, Lückenfüller." Atmo: Collage "Degenerierter Westen - Putin-Stimme" (Regie, bitte assistieren) Autor: Zwar halten Sahra Wagenknechts Parteigänger stets dem Westen vor, mit in einem selbstgefälligen Gut-Böse-Schema vor allem Russland zu verleumden und zu dämonisieren. Allein: das Bild von einer degenerierten, in Queerness und Genderwahn aufgehenden Gesellschaft, der es an Mythen, Glauben Halt und Orientierung fehle - es deckt sich auffällig mit dem Bild, das Wladimir Putins Regime vom "bösen" Westen zeichnet: Als einer Welt ohne Familienbindungen, in der die traditionellen Geschlechterrollen der Verherrlichung der Homosexualität gewichen seien. Einer Welt ohne Tradition und Religion. Marcus Bensmann Chefreporter und Russlandspezialist der Rechercheplattform ‚Correctiv', hat Putins Statements zur westlichen Gesellschaft analysiert. 47 O-Ton Marcus Bensmann: (Int Bens. 7:37:) Die Liberalität, vor allem in in Fragen der Sexualität wird natürlich als Teufelszeug bezeichnet und daher, also gerade in der Zeit der Corona, hat er sich in seinen Bunker zurückgezogen und mehrere Aufsätze und Bücher usw geschrieben. (/7:55:) Wo auch immer eine Verachtung des der westlichen Liberalität, der Weichheit, der Schwäche, der Kompromissbereitschaft bezeichnet wird.(8:06:) Aber das wird natürlich vor allen Dingen von seinen Hofschranzen getan, die im Grunde genommen im Westen den Satan sehen und in Russland die reine Orthodoxie, die gegen den Satan zu kämpfen habe. Autor: Obwohl sich Putins Bild vom Westen vielfach mit dem Bild des BSW vom Westen deckt, wird die russische Gesellschaft von der Wagenknecht-Partei nicht offensiv als Vorbild hingestellt. Damit käme man bei einem Großteil der erhofften Wählerschaft auch nicht gut an. Nicht für eine Orientierung an Russland trete man ein, präzisiert Sahra Wagenknecht, sondern für die Aufhebung der westlichen Dominanz in der Welt und für eine "multipolare Weltordnung: 48 O-Ton Sahra Wagenknecht: (Int. W, A, 17:37:) Und gerade wir als Europäer sollten uns eigentlich auch eine multipolare Welt wünschen und versuchen, in dieser multipolaren Welt unsere Interessen zu sehen und eine unabhängige Macht auch zu sein, nicht sozusagen ein Vasall der Amerikaner, weil das nicht in unserem Interesse liegt. Autor: Die Forderung nach einer multipolaren Weltordnung - ein weiteres Leitmotiv im Diskurs des BSW. Doch mit dem Begriff verdecke die Partei, so Marcus Bensmann von der Rechercheplattform Correctiv, eine dahinter liegende ganz andere Vision. 49 O-Ton Marcus Bensmann: (20:09:) Die Begriffe multipolare Weltordnung, Eurasien sind die Begriffe russischer Chauvinisten, Nationalisten. 55 (17:54:) Und was das für eine Realität ist: Ein Deutschland in einer multipolaren Weltordnung. Ein Deutschland, wo eben die USA als raumfremde Macht begriffen wird, das muss man sich mal vorstellen. Autor: Multipolare Weltordnung, der Begriff sei für Wagenknechts Partei lediglich Platzhalter für das, was tatsächlich folge, wenn die USA sich aus Europa zurückzögen. Das Vakuum werde nämlich dann von Russland ausgefüllt. 50 O-Ton Marcus Bensmann: (Int. Bens, 20:24:)Und das wollen die, die wollen, dass Russland Europa dominiert. Und dann ist das das Ende aller Freiheitsrechte, wie wir sie kennen. Und das heißt, das betrifft dann jeden. Wer ein Haus mietet... ein Gerichtsprozess ist nicht mehr frei. Die warten, wer am meisten zahlt oder wer vom Gouverneur oder vom Präsidenten anruft und das Urteil befiehlt. Das nennt man in Russland das Telefon-Recht. Und das wird dann hier auch passieren. 51 Atmo: Musik klingt an "Neue Wege gehen"... 52 O-Ton Marcus Bensmann: (Int B, 5:47:) Es sind zwei Welten, die da gegeneinander stoßen: Einmal das Individuum ist Untertan, der Mensch ist Untertan, hat sich unterzuordnen und die, die an der Macht sind, können willkürlich verfahren. (6:00:) Oder die liberale Demokratie, wo der Mensch gegen den Staat Rechte hat, einer eine Rechtssicherheit gibt und diese zu verteidigen weiß.(/9:38:) Die Journalisten, die über Abu Ghraib geschrieben haben aus der USA, haben einen Pulitzerpreis bekommen.(/) Und das ist der Unterschied. (/9:53:) Ja, Assange... (/) der ist jetzt am Strand in Australien und Nawalny ist tot. Das ist der Unterschied. - Musik aufziehen "Neue Wege gehen" Autor: Nicht arrangieren... neue Wege gehen - mit dem Versprechen hat die Wagenknecht-Partei in Sachsen und Thüringen ihre Erfolge bei der Europawahl noch einmal bestätigt. Doch wohin genau führt der Weg, des BSW? Parteigründerin Sahra Wagenknecht glaubt, gerade mit ihrer Vision von einer neuen Außenpolitik viele Wähler überzeugt zu haben. Es gehe um Frieden, sagt sie: um Frieden statt um Konfrontation. Um eine Überwindung des Ost-West-Gegensatzes. Und Russland sollte dabei Partner sein. 53 O-Ton Wagenknecht: (Int W. A, 7:15:)Also Gorbatschows große Idee war ja das gemeinsame Haus Europas. Putin ist als junger Präsident nach Deutschland gekommen, hat eine Rede auf Deutsch im Bundestag gehalten. Und diese ausgestreckte Hand ist aber nicht ergriffen worden. Autor: Russland habe frühzeitig auf seine Sicherheitsinteressen hingewiesen und immer wieder auch Verhandlungsangebote unterbreitet. 54 O-Ton Wagenknecht (/10:01:)Also insoweit ist diese Dämonisierung Putins als ein von blindwütigem Nationalismus getriebener Herrscher... das entspricht nicht den realen Schritten, die da gegangen wurden. Autor: Anton Hofreiter, Europapolitiker der Grünen, hat eine andere Antwort auf die Frage nach den Zielen, die das Bündnis Sahra Wagenknecht ansteuert. 56 O-Ton Toni Hofreiter: (HRInt II, Tr. 55, 4:17:) Ich würde sagen, nationalchauvinistisch trifft`s in ganz vielen Punkten (/Tr. 56, 0:15) Und wenn man es zugespitzt ausdrücken will, ist die Politik gegenüber Russland und Osteuropa eine Mischung aus deutschem alten Imperialismus: Berlin und Moskau teilen den Raum dazwischen auf - und einem schlechten Gewissen gegenüber Russland (/8:43:)und der BSW macht eine ganz klassische Täter Opfer Umkehr im Interesse (/) des Regimes Putins. Autor: Sie und ihre Partei als Erfüllungsgehilfen Russlands? Sahra Wagenknecht versteht nicht, wie man darauf kommen kann. 57 O-Ton Sahra Wagenknecht: (Int. S. A, 15:50:) Das ist völlig absurd. Ich war das letzte Mal in Russland im Jahr 1988. Da haben wir unsere Abiturfahrt nach Leningrad gemacht, so hieß es damals noch. Warum sollte ich irgendwie eine russlandnahe Politik machen? 58 Atmo: Trommelwirbel, Marsch der Gardemusik, darauf: Sprecher Sahras Bündnis. Wohin steuert Deutschlands neueste Partei? Ein Feature von Marc Thörner Es sprachen Philipp Schepmann und der Autor Ton und Technik: Christoph Rieseberg und Caroline Thon Regie Philippe Brühl Redaktion Wolfgang Schiller Eine Produktion des Deutschlandfunks 2024 2