Hörspiel Feature Radiokunst Das Feature Licht am Ende von Tunnel B Von Holger Siemann Redaktion: Ulrike Bajohr, Wolfgang Schiller Produktion: Deutschlandfunk 2019 Erstsendung: Dienstag, 28.05.2019, 19.15 Uhr Wiederholung: Dienstag, 22.08.2023, 19.15 Uhr Es sprach Bernd Reheuser Ton und Technik: Henrik Manook, Daniel Dietmann, Katharina Lueg und Peter Weinsheimer Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. (c) - unkorrigiertes Exemplar - Ton aus "Tunnel B", Sprecherin Erfurt-Südost vor der Nachtschicht. Im Stammbetrieb des Kombinates Mikroelektronik. Hier werden die winzigen Chips produziert, die jede moderne Industrie bestimmen. Sprecher: Bei Recherchen für eine Radiosendung über die Mikroelektronik in der DDR stoße ich auf den DEFA-Dokumentarfilm "Tunnel B" von 1988. Ton aus "Tunnel B", Sprecherin Die Mikroelektronik in der DDR ist ein noch junger Industriezweig. Jung sind auch die meisten, die in ihm arbeiten. Susi, Kerstin und Emmes aus dem Tunnel B sind für die absolute Reinheit jedes Chips mitverantwortlich. Sprecher Ich war 1988 so alt wie die jungen Leute im Film und glaubte wie sie, dass die DDR in der Mikroelektronik Weltspitze sei. Ton aus dem Film Tunnel B, Sprecherin In den Volkswirtschaftsplänen der DDR steht die Forderung, die Mikroelektronik überdurchschnittlich zu entwickeln. ... Beobachtungen, Entdeckungen, Gespräche während einer Schicht: Sprecher Mich interessiert, was aus den Menschen geworden ist, die in der DDR an der Gestaltung der Zukunft gearbeitet haben. Im Sommer 2018 fahre ich nach Erfurt. Musik Ansage Licht am Ende von Tunnel B Ein Feature von Holger Siemann Straub Ehrlich gesagt hat niemand damit gerechnet, dass das ganze Staatsystem instabil werden könnte. Selbst bei wirtschaftlichen Belastungen. Natürlich war das kritisch. Aber den Einblick hat man auch nicht gehabt, wie die Staatsfinanzen nun wirklich aussahen... Sprecher Hans-Jürgen Straub treffe ich in der Chefetage von XFab in Erfurt-Südost, wo heute noch Chips produziert werden. 1988 war er 34 Jahre alt. Straub Planung und Finanzen, heute würde man sagen Controlling & Finance, so Englisch, das waren nicht die beliebtesten Sachen da... In der Mikroelektronik, das wurde ja aufgebaut, wurde mächtig investiert in der Zeit zu DDR-Zeiten. Da musste ich auch sehr sehr schnell in Verantwortung und ich bin dann ziemlich schnell in die Fragestellung gekommen, diese zentrale Planung des Kombinats Mikroelektronik zu übernehmen. Das war ja wie eine Holding mit 23 Unternehmen, etwa 60.000 Beschäftigte. Sprecher: Eine der Produktionshallen der XFab hieß früher "ESO 3". Hier entstand 1988 der Film "Tunnel B". Ton aus "Tunnel B", Kerstin Münch Mein Name ist Kerstin Münch. Ich bin 20 Jahre, werde 21, und ich habe Elektronikfacharbeiter gelernt für Halbleiterfertigung und arbeite auch in dem Beruf. Sprecher: 30 Jahre und einen Staat später in einer zwar kleinen, aber mit Liebe eingerichteten Wohnung in Erfurt. Eine schlanke, attraktive Frau, der man die 50 nicht ansieht. Den Film hatte Kerstin Münch völlig vergessen. Kerstin Münch Ich war erst mal erschrocken über meinen Dialekt und ja, und wie jung ich da noch gewesen bin, wie viel Zeit da vergangen ist.... Meine Freundin hat mir den Film sogar auf CD gemacht und ich musste mir das am letzten Samstag mit mein ganzen Freundeskreis angucken. Das war eine Überraschung. Das habe ich ja nicht gewusst, dass sie das gesehen hatte. Und. Ja und die haben alle schön gelacht... Ton aus "Tunnel B", Kerstin Münch Ja, schwanger bin ich seit Januar, und das Wunschkind ist es nun nicht. Also ich hätte gern noch zwei oder drei Jahre da drauf gewartet, bis ich eben meine Wohnung fertig habe und nochn bisschen Geld verdient und vielleicht auch verheiratet bin oder so. Ich habe mir das mal eben ganz anders vorgestellt. Naja ... Kerstin Münch Da habe ich ja so gesagt, dass es kein Wunschkind war und ja und, aber das hat sich dann nach der Geburt geändert, also, jetzt ist es mein ein und alles. Ich bin auch total stolz auf sie, was sie für `n Werdegang gemacht hat, weil ich bin ja auch alleinerziehende Mutter gewesen. Ja. Ton aus "Tunnel B", Kerstin Münch Also, wenn's da ist, bin ich erst mal froh und ich hoffe, ich werde das Babyjahr gut überstehen und ja wenn ich dann eben wiederkomme, möchte ich auf jeden Fall wieder in meine alte Abteilung, in meine Schicht, bei meinem Chef, und hoffe, dass ich eben Normalschichtplatz kriege oder in den zwei Schichten anfangen kann, weil ich ja alleine bin und da kann ich eben keine drei Schichten mehr machen mit dem Kind. Naja... Musik Sprecher Der Stammsitz des Kombinats in Erfurt war durch Milliardeninvestitionen auf der "grünen Wiese" zum größten Arbeitgeber der Stadt geworden. Hier wurden zum Zeitpunkt der Dreharbeiten 70 Prozent der integrierten Schaltkreise in der DDR hergestellt. Straub Die erste Fabrik, die hier am Standort entstanden ist, das hieß ja ESO 1, ne? Ich glaube die ist irgendwo so von 81,82, na vielleicht 83, in diesem Bereich. Dann gabs die zweite Fabrik, ich glaube 87. Und die dritte ist ja gerade so im Entstehen gewesen mit den ersten Ausrüstungen, als die Wende kam, ne? Sprecher Für die Mitarbeiter wurden Plattenbausiedlungen errichtet, mit Namen wie Herrenberg und Wiesenhügel, Drosselberg und Buchenberg. Kerstin Münch Ja, und dann hat mir dann ein Kollege aus einer anderen Abteilung, der hatte ganz gute Kontakte zum damaligen Bürgermeister, glaube ich, und da haben wir Eingaben geschrieben und da ich ja auch gerade schwanger war und so, ja, da habe ich dann sogar eine Zwei-Raum-Neubauwohnung bekommen auf dem Herrenberg. Da wo ich gearbeitet habe. Das war dann cool. Musik Lenkert Sagen wir mal so: In der DDR gab es immer einen Arbeitskräftemangel. Wenn die jungen Männer natürlich alle in der Armee sind - und es gab sehr viele, die sind nach der Schule hin, die haben noch nicht mal gelernt, wars doch klar, dass dann viele Frauen auch solche Berufe dann gelernt haben. Es haben ja sehr viele dann auch Elektroniker, Elektronikfacharbeiter gelernt. Sprecher Das ist Veronika Lenkert. Sie kam 1988 ins Kombinat, gerade als der Dokumentarfilm in den Kinos lief. Sie war damals 46 Jahre alt. Auf unser Gespräch hat sie sich mit Akten und Zahlen gut vorbereitet. Lenkert Mein Mann war schon zwei Jahre im Kombinat Mikroelektronik und ich wollte eigentlich in Erfurt in die Grundfonds-Ökonomie, damals hier in das Investvorhaben ESO. Aber die Kaderleitung machte mir einen Strich durch die Rechnung und sagte, wir brauchen jetzt hier einen Hauptbuchhalter. Nja. Das war ein neues Investitionsvorhaben, also wenn eine neue Strecke, das war für mich immer interessant. Sprecher Doch anstelle von Spitzentechnologie wartete eine Überraschung auf Veronika Lenkert. Lenkert Die Finanzbuchhaltung arbeitete mit Org-Automaten. Das das müssen Sie sich so vorstellen etwie bei Lochkarten, ähnlich aber einer Registrierkasse, nur im nur im großen Maßstab. Und dann kriegten sie eben das hier so Zettel (lacht) wie beim Registrierautomat im Prinzip raus, wo dann jedes Konto dann eine Summe stand. Und in dem Kombinat gab's nur Differenzen zwischen Kostenrechnung und Finanzbuchhaltung. Das war unmöglich. Und dann noch die Plandiskussionen mit den Kollektiven. Ich habe gesagt, was soll das. Wir können doch aus der Summe der Plandiskussionen der Kollektive einen Plan zusammenschustern. Da hätten sie mal sehen sollen, was da für ein Scheißdreck rauskam. Und dann mussten wir Berichte auch noch machen, die haben wir alle frisiert. Musik Ton aus "Tunnel B", Kerstin Münch Da müssen wir unsere Straßensachen ausziehen, die Kombi an und da haben wir unseren Kuli drinne zu haben und unsere Handschuhe und das ist schon alles. Auch Kaugummi darf man nicht kauen, oder Schokolade essen, Bonbons oder was weiß ich. Kerstin Münch Also meine Eltern sind ja geschieden gewesen... Und meine Mutti war eine ganz einfache Putzfrau. Sprecher Vier Geschwister. Alleinerziehende Mutter. Im Klassenbuch stand hinter Kerstins Name ein "A" für Arbeiter und ein "K" für kinderreich. Doch ihr Lebensweg verlief wie bei allen anderen ihres Jahrgangs: Kinderkrippe, Kindergarten, Schulhort. Polytechnische Oberschule... Kerstin Münch Und danach mit meiner Schulfreundin, weil wir ja zusammenbleiben wollten, war unser Traum, dass wir auch zusammenziehen und wie das so war, wenn man jung ist. Ja, wir haben dann eine Lehre begonnen in der Mikroelektronik und ...ja, dann haben wir in Erfurt-Südost unseren ersten festen Arbeitsplatz gehabt. Ton aus "Tunnel B", Sprecherin Für einen Chip sind etwa 150 verschiedene Arbeitsgänge nötig. Erst dann sind Tausende elektronische Funktionen auf wenigen Quadratmillimetern integriert. Es gibt nur erste Qualität oder Ausschuss. Kerstin Münch Ja, jede Abteilung hatte eine Tunnel-Bezeichnung. Die Abteilungen waren ja wie Tunnel eingerichtet und... wie hieß denn unsere Abteilung überhaupt, kann ich mich gar nicht mehr erinnern, Feinreinigung? Ja, ich glaube Feinreinigung. Weil wir so Wasch-Prozesse und so, die Chip-Waschung gemacht haben. Und dann gab's halt noch verschiedene andere Abteilungen, die hießen dann Tunnel C und Tunnel A. Wir haben ja in drei Schichten gearbeitet und zum Beispiel `ne Frühschicht war von um 6:00 bis 14:00 Uhr. Um 6:00 Uhr musste man am Arbeitsplatz sein. Und dann war Übergabe und.... 14:00 Uhr war dann Feierabend. Lenkert Man muss ja auch immer bedenken, dass die Kombinate und die Großbetriebe in der DDR, die haben ja sämtliche soziale Funktionen gehabt. Ja. Wir hatten ja n großen K+S-Fonds. Alles, was mit Wohnungen zusammenhängt, was mit Kinderbetreuung zusammenhing, was hier mit Kinderferienlagern zusammenhing, mit der Urlaubszeit, das ging alles über den Betrieb. Und sämtliche Kulturveranstaltungen, Betriebsfeste, und dann kriegten die Brigaden ihren Anteil. Sprecher K+S-Fonds ist die Abkürzung für den Kultur- und Sozialfonds, dessen Ausstattung im Betriebskollektivvertrag festgelegt wurde. Lenkert (Blättern) Wartnse ma, ich hab hier irgendwo den Kollektivvertrag... Ja, hier ist der Betriebskollektivvertrag, so dicke war der. Hier: Gucken Sie mal, was da alles drinne steht hier... Förderung hier... gesundheitliche, soziale Betreuung der Werktätigen, Bildung der Werktätigen war ja klar, Weiterbildung stand immer auf der Tagesordnung, geistig-kulturelle sportliche Leben, hier: Frauenförderungsplan, ne, und dann Bildung, Verwendung der Mittel so, und da sehnse, wenn Sie mal hier in die 34 gucken. Was denken Sie, was da alles bezahlt wurde. Kerstin Münch Wir waren ein tolles Team und wir haben viel Spaß miteinander gehabt auf Arbeit und auch privat und... deswegen wollte ich da auch unbedingt wieder zurück. Ja, es gab viele private Kontakte und auch so Gruppenkontakte, aber das war zu damaligen Zeiten auch völlig normal. Jeder hatte so einen relativ großen Freundeskreis und ja, man hat halt entsprechend viel miteinander unternommen. Da gab es eine Diskothek bei uns am Herrenberg und da sind wir, unsere Abteilung, sogar unser Abteilungsleiter ist mitgekommen, der war ja nun schon ein bissel älter, gab's schon Partys für uns. war immer sehr schön. Lenkert Wir hatten Krippen, wir hatten Kindergärten, sonst wäre es ja nicht möglich gewesen, dass die Frauen voll arbeiten, und nun war das bei uns so: Es gab ganz wenig Teilzeit. Kerstin Münch Da habe ich mir damals überhaupt keine Gedanken gemacht. Also ich wollte ja nicht unbedingt zu dem Zeitpunkt schon ein Kind haben und... Ja, aber irgendwie hat sich dann alles gefügt. Ja, und ich war eigentlich zufrieden.Also man durfte ein Jahr zu Hause bleiben, bezahlt, und danach ist man eben wieder arbeiten gegangen. Da ist das Kind in die Krippe gegangen und man ist wieder normal arbeiten gegangen. Ich weiß gar nicht, ob das die Firma bezahlt hat oder. Man war auf jeden Fall sozial abgesichert und ich hatte mein Einkommen in diesem Jahr, wo ich zu Hause war, das normale Einkommen. Sprecher Kerstin Münch lächelt. Alle ihre Geschwister haben was gelernt, aber sie hatte den besten Job von allen. Kerstin Münch Ich glaube das waren so 1200, 1300... Meine Mutti, die hat verdient ungefähr die Hälfte von mir. Auch in anderen Berufen wurde nicht so gut bezahlt. Also wir waren schon die bestbezahlten Arbeitskräfte. Musik Lenkert Aber es war eben die Ausbeute immer noch so, dass der Staatshaushalt stützen musste (Papier knistert). Das hätte schon noch so vier Jahre gebraucht, um auf dem Stand zu sein, dass die Ausbeute dann wenigstens dann mal so bis zu 70, 80 % kommt. Sprecher Veronika Lenkerts Buchhaltung stimmte bis auf die Stellen nach dem Komma. Das Ergebnis war trotzdem immer falsch. Lenkert Das ist ja schon in den fünfziger Jahren entschieden worden, dass RGW und diese Oststaaten auf sozialistischer Basis, dass die eben nicht an der modernen Technologie teilhaben dürfen. Und das war ja das Problem. Es waren bestimmte Maschinen, es waren diese Halbleiter-Bauelemente usw. alles, was technischer Fortschritt war, konnte man nicht kaufen. Sprecher Weil es auf den Embargolisten des Westens stand. Lenkert Diese Cocom-Listen, die haben im Prinzip die Kosten in die Höhe getrieben. Auch bei dem Investobjekt, deshalb ist das ja sehr teuer geworden. Wenn man eine Maschine oder ein Repeater oder sowas gekauft hat gegenüber Westdeutschland, hat man das Viereinhalb- bis Sechsfache bezahlt. Das macht jede Wirtschaft kaputt. Sprecher Und unter solchen Umständen sollte das Mikroelektronikprogramm die Wirtschaft der DDR international konkurrenzfähig machen und die enormen Kosten der Sozialpolitik finanzieren. Der junge Diplom-Ökonom Hans-Jürgen Straub wusste, dass es dafür neue Führungsmethoden brauchte. Straub In der Endphase dieser DDR, was wir ja noch nicht wussten, dass das Endphase war, hat man dieses Thema wirtschaftliche Rechnungsführung, also man wollte ein wenig Marktmechanismen einführen, um Leute anders zu inscentivieren, zu motivieren, also mit wirtschaftlichen Komponenten und nicht nur politischen Komponenten. Und da wir nun ein großes Unternehmen waren, zählten wir so zu den fünf Modellunternehmen, die das testen sollten. Ja, und da gab es solche Koeffizienten, wo man also was vom Gewinn was in der eigenen Kasse behalten konnte, im Unternehmen, und dann auch wieder selber einsetzen konnte. Und ich habe im Jahr Nummer eins 100 Prozent des Gewinns in der Kasse behalten (lacht) und im Jahr zwei, das war ja `89 dann, auch irgendwas, und ich könnte jetzt mal so jovial sagen, das haben wir dann zum Schluss 1 zu 2 in D-Mark umgetauscht. Musik Sprecher Von September 1989 an demonstrierten immer mehr Menschen auch in Thüringen für Reformen und Transparenz, für eine friedliche demokratische Neuordnung. Lenkert Wir hatten nur Angst an der Stelle, dass die Kampfgruppen aufmarschieren müssen und dass die schießen müssen, die Angst hatten wir. Wir sahen ja nicht Gorbatschow als Ende des Sozialismus. Sondern wir sahen, dass gewisse dogmatische Strukturen gelockert werden. Also Perestroika haben wir hier ooch alle geklatscht. Das hatten wir ja gehofft. Dass es da auch e bissel eine Lockerung gibt in dem ganzen Reiseverkehr. Dass man das mehr mal wie Ungarn und Tschechien handhabt, das hatten wir gehofft. Wir haben gesagt, wer zum Staat steht, der kommt nach der Reise auch zurück. Aber wir ham jetzt nicht angenommen, dass das jetzt gleichzeitig die Mauer stürmen wird. Da muss ich auch sagen: Da sind wir überrascht worden. Da sind wir wirklich ooch überrascht worden. Nun muss ich auch sagen, ich hatte damals so viel zu tun immer ooch auf Arbeit. Also wenn ich nach Hause kam, da war ich ja kaputt. Also ...Da hab ich dann, da ham wir solche Dinge nur nebenbei verfolgt. Kerstin Münch Da bin ich gerade 21 geworden. Also ich hab schon immer Nachrichten geguckt und das hat mir schon alles äh große Angst gemacht. Gerade wenn man allein ist mit so `nem Kleinkind und... man hatte ja zu DDR-Zeiten einen gesicherten Arbeitsplatz, äh ...ja, man hatte ein gutes Einkommen, wir hatten ein sehr gutes Einkommen zu damaligen Zeiten, und... ja, und das hat mir dann schon Angst gemacht. Straub Zunächst musste man ja irgendwie, was heißt musste, also ich zumindest habe mich hingesetzt, also was machen wir jetzt? Und da habe ich dann angefangen, so `ne Sachen wie Weltmarktpreise in das System rein zu füttern. Hab dann mal durchgerechnet, da kam die totale Katastrophe raus, (lacht) wirtschaftlich gesehen, ja? Wenn man also auch die Kosten in die, in die D-Mark transponiert hat. Kerstin Münch Ich fand das aufregend, die Grenzöffnung, und... ja aber, plötzlich, wo das dann passiert war, hatte ich dann auch keine Angst mehr und hab dann halt mal überlegt, was könntest du machen und dann habe ich mal so paar Leute kennengelernt, die dann aus ´m Westen zu uns kamen natürlich und hab dann auch verschiedene Sachen ausprobiert und.... mein Kind hat mich keineswegs behindert. Also... Ich hatte ja meine Mutti und meine Schwester. Oder ich hab's eben mitgenommen, mein Kind. Also ich fand das alles aufregend. Musik Sprecher Nach einem Winter der Runden Tische und der direkten Demokratie siegte bei den ersten freien Wahlen zur Volkskammer das bürgerliche Bündnis. Mit dem Treuhandgesetz regelte die Regierung de Maizière die Überführung der Volkseigenen Betriebe der DDR in Privateigentum. Straub Da waren viele locker damit beschäftigt zu sagen: Das ist doch alles viel zu aufwendig, das hat, ist doch nicht wettbewerbsfähig und wozu braucht man überhaupt Mikroelektronik. Das war ja eine gewisse Diskussion sowieso, das kann man alles kaufen, und dann hätten die das locker mal zu gemacht, wenn wir nicht so resistent gewesen wären. Lenkert Es gab ja Leute, die von drüben ja dann behauptet ham, kennen, kennen die überhaupt e Rechnungswesen? Ich muss ja sagen, das sind ja sehr dumme Leute. Das Rechnungswesen war in der DDR genau nach dem Vorbild wie es vor dem Zweiten Weltkrieg oder im Zweiten Weltkrieg war, genauso aufgezogen. Straub Man hat ja dann aus den volkseigenen Betrieben so Gmbh... so Kapitalgesellschaften gemacht und aus der Holding wurde dann eine Aktiengesellschaft gemacht. Und ich bin dann einer von den drei Vorständen geworden für das gesamte Konglomerat und ich hab dann einfach immer weiter gemacht. Das heißt, ich habe Verantwortung übernommen und da war ja eine Menge zu tun. Und da hatte ich keine Zeit nachzudenken. Sprecher Ein bisschen Glück war dabei, aber Hans-Jürgen Straub stand nicht zufällig an der richtigen Stelle, als die Macht neu verteilt wurde. Er wollte Verantwortung und er bekam sie. Straub Da haben wir uns dann durchgestritten, als die Beschlüsse gefasst wurden, ne? Da haben die in Berlin dann immer getagt und der Aufsichtsrat war da und was weiß ich nicht, und ich habe dann immer so einen Unternehmens-Vertreter der Belegschaft mitgenommen und bin nach Berlin gezogen und wollte wissen, wie`s nun weiter geht. Ja. Und da gibt`s eine berühmte Veranstaltung. Die hat abends um zehn stattgefunden und als sie nun fertig waren mit ihren Besprechungen und dann dem Vorstand da eben was erzählen wollten, nach dem Motto "wir haben alles in Ordnung, ihr könnt jetzt wieder heimgehen" kam ich: Moment, ich muss jetzt mal was fragen. Da setzten sie sich wieder hin. Da habe ich Fragen gestellt, der Reihe nach. Das Interessante war, dass man jede Frage mit Ja und Nein beantworten konnte, ne, und wenn die Frage 15 nicht zur Frage drei passte, bin ich wieder zurückgegangen zu Frage 1. Bis früh um zwei habe ich ´n Protokoll geschrieben. Das war der Hit. (lacht) Und da haben wir uns durchgebissen und dann habe ich da direkt Kontakt zum Bundesfinanzministerium aufgenommen und hab das versucht, da zu klären, weil, das war ja hier lebenswichtig. Musik Sprecher Die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zum 1. Juli 1990 ersetzte von einem Tag auf den anderen die in 40 DDR-Jahren gewachsenen Strukturen durch D-Mark und Marktwirtschaft. Lenkert Gucken Sie mal. Wenn da jetzt hier een Grundmittel bei uns da stand, mit 50.000 Mark der DDR, dann musste das umbewertet werden auf den Wert von Westdeutschland. Also das musste auf D-Mark Basis umbewertet werden. Wir mussten also vergleichbare Maschinen finden, Abschreibungsdauer und so weiter, das hat man alles da berücksichtigt, und wie alt es ist. Aber man musste jetzt in der BRD den Maschinenpark erst mal ermitteln, wer hat, welche Firma hat welche Maschinen. Da haben unsere Technologen also viele Dienstreisen gemacht. Straub Zunächst waren Sie erstmal mit allen möglichen Außeneinflüssen beschäftigt. Weil, Sie hatten ja permanent eine Krisenlage. Ja. Sie haben sich ja kaum einen Zentimeter mal weg getraut von der Materie weil das sind, sind also auch politisch sehr große Einflussnahmen gewesen, immer. Die Treuhand war auch eine ganz gefährliche Veranstaltung, in dem Sinne. Und äh ja wirtschaftlich lief ´s dann ja auch nicht gleich plötzlich alles anders. Weil Sie haben dann die Schutzglocke weggenommen und man musste erst mal durch die defizitäre Phase durch. Lenkert Für jede Ausgründung mussten wir ja eine Bilanz machen, also wir mussten die rausnehmen aus unserem Buchwert. Straub Die Eins hat man ziemlich zügig zugemacht, weil, das war uns klar, dass man nicht die älteste Fabrik auch noch durchbringen kann. Lenkert Das war so furchtbar kompliziert, weil wir dann für die auch noch die Bilanzen machen mussten. Die brauchten ja fürs Gericht auch immer, wenn sie sich haben eintragen lassen, die brauchten eine Ausgangsbilanz. Und diese ganzen Dokumente haben wir denen ja zugearbeitet. Deshalb war das ja alles ein bisschen sehr hektisch. Deswegen konnten wir selber nicht dran denken, uns nach einer anderen Karriere umzugucken. Straub Also wenn Sie die die letzte nehmen, also die modernste, die noch war, die war gerade so im Einfahren der Produktion. Also da standen Maschinen drin, ein paar konnten Sie nicht wirklich gut gebrauchen für wettbewerbsfähige Produktion, und wir hatten die Chance, es gab einen Sanierungsbeschluss der Treuhand, wir hatten die Chance, noch ein bissel was zu investieren. Musik Sprecher Die Wege unserer Protagonisten trennten sich 1990. Während Hans-Jürgen Straub im Standort Erfurt-Südost des einstigen Kombinates Mikroelektronik rettete, was zu retten war, wurde Veronika Lenkert zuständig für den Rest, für Bilanzierung, Abwicklung, Liquidation und Entlassungen. Lenkert Wir wussten ja, wussten ja dass wir das verschlanken müssen. Ja?Nach dieser Eröffnungsbilanz fing das schon richtig an. Kerstin Münch Ich bin vor den anderen weg. Ich wollte mich dann ausprobieren.... Ton aus dem Film Tunnel B, Sprecherin In den Volkswirtschaftsplänen der DDR steht die Forderung, die Mikroelektronik überdurchschnittlich zu entwickeln. Susi, Kerstin, Emmes und die anderen jungen Leute sind dafür unentbehrlich. Sprecher Die unentbehrliche Heldin des Mikroelektronikprogramms der DDR, Kerstin Münch, verließ die vorgesehene Lebensbahn. Kerstin Münch Na, und dann hatte ich ja mit meinem Chef gesprochen, weil man ja gemunkelt hatte, dass die Arbeitsplätze wegfallen... Ja und dann habe ich eben was anderes gemacht. Ich hatte dann zwar keinen festen Job mehr, aber ich hab eben gejobbt. Lenkert (Blättern)Da hatte ich doch mal offgeschrieben, hier Kombinat, ja, gucken Sie ma an, hier, hier sehen Sie das: wir waren `89 59.000 und 1.7.90 39.000, es fing dann schon an. Straub Als wir dann entschieden hatten, dass das große Unternehmen dann nicht irgendwie weitergeführt wird, sondern, dass das nur benutzt wird wie so `ne Mutterfunktion, um Babys auszugründen, ne, äh, da war ja, da wurde es immer interessanter. Wir haben dann tatsächlich Firma für Firma gegründet. So ähnlich ist ja mal der Name XFab entstanden, weil wir an dem Tag nicht wussten, wo wir waren im Alphabet waren mit Firma A, B, C, D und irgendeiner hat das dann X genannt und das als XFab angemeldet und später fanden sie das dann gut (lacht). Lenkert Die Arbeitskräfte wurden dann in Beschäftigungsgesellschaften eingegliedert; und da hat der Abbau sich wirklich ergeben von 39.000 auf 4.100 innerhalb von zwei Jahren. Wir haben hier mal zum Schluss festgestellt, dass Sechseinhalbtausend eigene Kündigungen waren. In Vorruhestand sind 1.400 gegangen, in die Kerne sind damals 1.625 gegangen und dann gab es eben die Beschäftigungsgesellschaften und sonstige Ausgründungen mit rund 3.000. Und Betriebsteile wurden zurückgeführt hier an die Treuhand mit rund 14.000. Musik Sprecher Von 59.000 Mitarbeitern waren zwei Jahre nach der Wende nur noch 1.625 in den Nachfolgefirmen des ESO beschäftigt. Straub Ich habe mich über jedes Stück Maschine gefreut, was nicht mehr als 2 Millionen gekostet hat. Also das können Sie nicht wegschmeißen. Sie müssen mit dem arbeiten, was sie haben. Wir hatten ja einen gewissen Vorteil, dass es viele waren. Und da gab's mehrere Gruppen. Die einen, die sind weggegangen. Dann haben wir die Design-Ressourcen von größeren Konzernen in Deutschland und Europa, haben wir beglückt. Die waren also happy: Die kriegten plötzlich gut ausgebildete Leute. Und die anderen, die sind aus dem System ausgestiegen, weil sie nicht geglaubt haben, dass das funktioniert. Da gab es wirklich Top-Experten, die sind plötzlich Versicherungsvertreter geworden. Ein Wahnsinn, was für ein Schaden, also jetzt mal Verlust an Leistungsfähigkeit, da entstanden ist. Aber das kann man jetzt den Leuten nicht ausreden, wenn die dann irgendwo denken, sie müssen was anderes machen, weil sie auf dem Thema nicht weiter kommen. Aber es gab Gott sei Dank sehr sehr viele, die sind dageblieben und haben gesagt o. k., wir machen mit, wir bleiben hier und bringen das schon irgendwie durch. Lenkert Da fing das eben das an, wo wir schon mit unseren Kollegen ständig sprechen mussten, wer musste nun schon gehen. Und da ist man in der ersten Richtlinie drauf gegangen: Mach mer Vorruhestand ab dem 56. Lebensjahr. Und da ham wir natürlich unsere Kollegen als erstes angesprochen, die das Alter erreicht hatten, ob se bereit sind in Vorruhestand zu gehen. Auf Familie wurde erstmal bisschen Rücksicht genommen, dass die Kollegen erstmal dableiben sollen. Und dann sind wir auf bestimmte junge Kollegen gegangen, die ledig waren und naja da gab's dann natürlich bisschen mehr Zoff. Aber es gab auch welche, die haben selber Initiative ergriffen und haben selber neue Arbeitsstellen gesucht. Kerstin Münch Ich hab Parfüm verkauft auf der Straße und.... Also... Hätte ich mir auch nie zugetraut, dass ich auf Leute zugehe und denen was verkaufe oder so. Straub Ich hab natürlich eine Menge auch abbauen müssen. Ich bin ja dann - neben dem Vorstand von der AG gab's diese fusionierte Mikroelektronikgesellschaft, Mikroelektronik und Technologie-Gesellschaft mit Sitz in Dresden, da haben sie mich dann gebeten, da noch Geschäftsführer zu machen. Also das heißt, diese beiden Jobs. Zu allem Überfluss konnten sie sich mit den äh Arbeitnehmervertretern und Gewerkschaften nicht einigen auf den sogenannten Arbeitsdirektor. Also einer von den drei Geschäftsführern musste bei so`ner Großveranstaltung, das waren ja weit über 20.000 Leute, das musste ein Arbeitsdirektor, sprich Personalchef abbilden und dann kamen die wieder raus und sagten: den einzigen, den wir durchbringen konnten, sind Sie. Ich sag: das kann ja nicht euer Ernst sein (lacht) hab ich da gesagt, drei Monate mach ich das, da sucht ihr, sucht ihr einen, und dann bin ich das nie losgeworden. Deswegen habe ich aber diese ganzen unangenehmen Personalthemen, hatte ich höchstpersönlich am Hals. Lenkert Gut haben wir uns nicht gefühlt, gell, und wo ich da saß, in dem schönen Gebäude, dass wir hatten, am Gothaer Platz, das wurde als erstes abgerissen und wenn wir gesehen haben, was da alles abgerissen wurde, was da vorher offgebaut worden ist, also das geht Ihnen unheimlich unter die Haut. Straub Ich hab's aber, ph, ja gemacht und ich bin da auch nicht, hab nicht zurückgesteckt und habs den Leuten auch erklärt. Dann ist das akzeptiert worden, dass ich da... Ich hab denen zumindest vermittelt, dass es notwendig ist und nicht anders geht. Ich kann ja nicht in dem Rettungsboot, kann ich ja nicht 1000 Leute reinsetzen, wenn`s bloß hundert verträgt, ansonsten untergeht. Musik Sprecher Innerhalb von zwei Jahren nach der Wende brachen in Thüringen 40 Prozent aller Jobs weg1, die Geburtenrate halbierte sich, 130.000 Thüringer verließen ihre Heimat2. Lenkert Das haben Sie schon gemerkt. Sie haben das schon daran gemerkt, dass ja immer weniger hier durchs Tor gingen und und Sie haben natürlich auch das gesehen, dass hier immer mehr in der Stadt, viel mehr Menschen am Tag in der Woche in der Stadt waren als vorher. Das haben Sie schon alles mitgekriegt, aber das war auch furchtbar, so ein Prozess. Weil Sie mussten ja ständig irgendwelche Gespräche führen mit Arbeitnehmern, Sie mussten dann die Abschlussbeurteilungen schreiben und so weiter, und es gab natürlich da ooch manchmal, manchmal hässliche Szenen. Straub Und dann hatten wir ein bisschen Glück, es gab in ` 93, 94 ein bisschen Engpass in der Welt. Und wir hatten das Werk hier, was im Wafer- Durchmesser auf 5 Zoll ursprünglich geplant war. Wir haben Planrechnungen gemacht: was machen wir, wofür geben wir Geld aus, und da war die Frage, geben wir Geld aus, um gleich auf 6 Zoll zu gehen. Damals. Also den nächsten Wafer-Durchmesser, Sie haben dann höhere Produktivität. Das haben wir dann Gott sei Dank entschieden. Und wir waren dann interessant für die zweitgrößte Foundry der Welt, und die haben uns eine 0,8 µm-Technologie lizenziert und damit waren wir plötzlich kompatibel. Und als der Bedarf mächtig hoch war, sind ´n paar Leute, die nicht genug gekriegt haben, es waren in dem Fall Kanadier und Amerikaner, die sind zu XFab gekommen, und wir haben für die produziert und zwar Volumen, das ging am schnellsten. Sprecher Kerstin Münch verfolgte das Schicksal der Mikroelektronik in Erfurt Südost mit Interesse. Aber zurück in die Chipfabrik, in den Tunnel, in die Schichtarbeit? Kerstin Münch Ja, und dann habe ich noch verschiedene andere Sachen probiert, und dann habe ich mir gedacht, jetzt musst du mal langsam wieder was Festes machen. Und dann habe ich eine Umschulung begonnen, Kauffrau für Bürokommunikation, und seitdem arbeite ich in dem Beruf. Straub Wir haben zum Beispiel in Lithographie investiert, das ist immer das Kernstück von so einer Halbleiterei, und in ein paar andere Maschinen und haben da Lizenzen genommen von der amerikanischen Beteiligung. Die haben uns also Technologie-Lizenzen gegeben, so dass wir erst mal auf einem gewissen Niveau äh uns etablieren konnten, ne. Kerstin Münch Ja, ich hatte gehofft, äh, mir mehr leisten zu können. Ja, mehr machen zu können, mich auszuprobieren, aber, äh, ja das ist halt im goldenen Westen auch nicht anders gewesen, also ohne Beziehungen. Und im Osten wurden wir, werden wir immer noch geringfügig bezahlt. Also mit großen Reisen, den Traum konnte ich mir nicht verwirklichen. Ich habe noch nie Urlaub gemacht, ich bin noch nie geflogen, und ja, selbst wo ich in Beziehungen war, war ich, habe ich immer viel gearbeitet und hatte eben mein Kind noch und. Hat sich irgendwie nie ergeben. Lenkert Meine Tochter hat studiert Glastechnologie, im Auftrag, war von Schott delegiert. Und nachdem sie (lacht) ein Jahr rum hatte, kam die Wende. Glastechnologie wurde als erstes gestrichen. Ham wir gesagt, gehst du Betriebswirtschaft, kannst du von uns ein paar Unterlagen kriegen. Da ist sie in die Betriebswirtschaft gegangen, ein Jahr Betriebswirtschaft, das war jetzt schon das zweite Jahr. Da war `n in dem ersten Jahr noch ein paar ja da von den Dozenten, von den Ostdozenten. Auf einmal kamen, die wurden entlassen, auf einmal kamen Westdozenten. Die hatten Prüfungen geschrieben, die erkennen wir nicht an. Da mussten die alle Prüfungen wiederholen und da haben wir gesagt, gemeinsam mit ihr: Nee, das hat keinen Sinn, das ist so ein Chaos gewesen, ich muss sagen von 89 bis 92 war nur Chaos hier in der Uni. Da ham wir gesagt, Mädchen, setz dich in den Zug, fahr rüber und gucke wo du en Studienplatz... Mach das Studium zu Ende in der BRD. So hat sie´s dann auch gemacht. Und da hat sie dann in Nordrhein-Westfalen zu Ende studiert. Und deshalb ist se dann natürlich auch dort geblieben. Sprecher Bis Ende der 90iger Jahre verließen noch einmal 100.000 Thüringer das Land. Das war vielleicht die schlimmste Phase nach der Wende, weil das Neue nicht anfangen wollte. Weil so viele die Hoffnung verloren. Lenkert Bis 96, bis 96 hatte ich da noch so zwee Kollegen oder sowas. Ganz zum Schluss habe ich da nur noch mit einer, die hat noch ein paar Rechnungen fakturiert, das war bis 96, und danach musste ich alles alleine machen. Die letzten vier Jahre war ich alleene. (Blätterrascheln). Da war keiner mehr da. Sprecher Ende 1996 wurde bei Frau Lenkert Brustkrebs diagnostiziert. Lenkert Ich bin im Januar operiert worden. Ne. Das war diese ganze, ne Überanstrengung. Das ging an die Substanz. Dazu kam ja noch, mein Mann war ja dann auch noch arbeitslos. Ich habe eigentlich gleich gesagt, wo ich bei der Kur war, ich versuche weiterzuarbeiten. Nun war ich in Zwischenzeit auch so routiniert, dass ich natürlich auch mal... Ich bin ja nur ein Vierteljahr ausgefallen und ich habe dann faktisch in der Zwischenzeit, wo ich bestrahlt worden bin, bin ich zweimal in den Betrieb gegangen. Wir saßen ja auch etwas separat und ich saß auch in einem eigenen Zimmer, also dass ich jetzt mit der Bestrahlung auch niemanden belästigt habe, und dann habe ich natürlich zweimal in der Woche, habe ich dann die notwendigsten Arbeiten erledigt. Und ich muss auch sagen, das ist auch für den Genesungsprozess wesentlich besser. Denn wenn Sie keine Aufgabe haben und sich voll in die Krankheit nur rein denken, ist es nicht besonders gut. Musik Sprecher Während ringsum viele der hoffnungsvollen Versuche, die Landschaft zum Blühen zu bringen, scheiterten, konnte die XFab Erfurt ihren Platz auf dem Weltmarkt finden. Straub Äh, es gibt also zwei Bereiche in der Mikroelektronik. Das eine sind so mehr die digital orientierten, wo man immer kleiner kleiner kleiner Geo, Geometrien, das ist vorwiegend so Speicher, Mikroprozessoren und digitale Logik, wo man sehr viele Transistorfunktionen auf einem Chip unterbringen kann. Und dann gibt's den zweiten, der ist mehr mit analogen Funktionen beschäftigt. Das heißt, die Welt ist ja analog und irgendwann ist die Mikroelektronik in alle Bereiche eingewandert, also was müssen Sie machen? Sie müssen sehr viel zwischen analog und digital hin und her wandeln. Da haben wir uns drauf konzentriert und wollten auch gern in das Automobilelektronikfeld rein. Aber dann gab's... das war nicht ganz so einfach, wie wir uns das vorgestellt haben. Wir sind dann hin, ich bin dann selber zu Kunden, hin zu potentiellen Kunden, die haben gesagt: prima ihr seid da. Was habt Ihr denn alles schon gemacht? Und ich gesagt: Wir fangen gerade an (lacht), wir sind, legen gerade richtig los. (lacht) Und die gesagt: könnt ihr vielleicht mit jemand anders anfangen, aber nicht mit uns. Und das war also ganz schön schwer. Aber irgendwann sind wir in das Thema reingekommen, hatten auch ein bisschen Glück dabei... Sprecher "Ein bisschen Glück" hatte Hans-Jürgen Straub auch mit seiner Frau. Straub Zu Hause haben wir mal ´ne Entscheidung getroffen, weil ich wusste, dass das hier die, eigentlich 100 % der Kraft braucht, und dann haben wir uns hingesetzt und so gesagt: machen oder nicht machen? Jetzt das weiterziehen, das war ja auch, dass ging ja rund um die Uhr dann, teilweise. Und dann haben wir gesagt o.k., machen wir, also ich, und dann habe ich also zu meiner Frau gesagt, ich sage: damit wir uns nicht missverstehen, du kalkulierst mal, dass ich nicht da bin, und wenn ich da bin, dann sage ich Bescheid.(lacht) So hart haben wir das mal entschieden, aber es war teilweise wirklich so, ja, und es hat ein gut Stück, ja, sagen wir mal, Leben beeinflusst, schon komplett, weil das konnte man nicht halb machen, gerade in dieser Zeit, wo sich unheimlich viel abgespielt hat. Sprecher Irgendwann waren die weniger glücklichen Teile des Kombinates Mikroelektronik Erfurt liquidiert. Frau Lenkert räumte die Aktenschränke aus und putzte ihr Büro. Lenkert Dann musste archiviert werden, die ganze Lohnbuchhaltung und ja, das ist dann in Erfurt archiviert worden. Aber alles, was nicht Lohnbuchhaltung war, das mussten wir alles bei Berlin in so ein Speziallager dann bringen. Das haben wir alles dann 2000 gemacht. Ich habe ja nur festgehalten, wie die heißen, wenn mal jemand was will. Sprecher Besiegen kann man den Krebs nicht, sagt Veronika Lenkert, aber damit leben. Sie nutzte die sogenannte 58iger Regelung3 und verabschiedete sich vom Arbeitsmarkt. Lenkert Da mussten Sie nur erklären, dass Sie nach dieser Arbeitslosenzeit sofort in Rente gehen und nicht noch woanders arbeiten. Naja, ich war in der Gewerkschaft dort mit, war ja dann auch in den Delegiertenkonferenzen und so weiter... Dann bin ich zu den Arbeitslosen gegangen von der Gewerkschaft in die (lacht) und ich hatte vorher nie so viel von Erfurt gesehen wie in der Zeit, weil wir bei den Arbeitslosen unheimlich viel Besichtigungen gemacht haben. Ach, wo wir überall waren, da habe ich so viel von Erfurt gelernt, was ich vorher gar nicht kannte. Also, bei den Arbeitslosen war das richtig schön. Sprecher Für Kerstin Münch hielt das Leben nach der Wende keine Lotteriegewinne bereit, aber das Baby, das einst so ungeplant in ihr Leben trat, erwies sich als das größte Glück überhaupt. Kerstin Münch Wo mein Kind in die Schule gekommen ist, bin ich mit ihr und meinem damaligen Lebensgefährten auf ein Dorf gezogen und da hat sich meine Tochter gut entwickelt. Sie hat viel gelernt, ähm, hat ihr Abitur gemacht, dann hat sie eine Ausbildung zur PTA gemacht. Dann äh hat sie äh ein Studium bekommen als Ernährungswissenschaftler. Sie ist weit rumgekommen (lacht). Hat auch ein Auslandssemester in Mailand gemacht und.. Sie war vor kurzem jetzt auf Dienstreise in Griechenland. So, sie ist viel rumgekommen und ja hat auch überall, was eigentlich auch eine ganz große Ausnahme zu heutigen Zeiten ist, äh, wo sie alle so egoistisch sind, sie hat aus jedem Lebensabschnitt auch Freunde mitgenommen. Sie ist jetzt mehr so die Mutter für mich, also sie passt auf mich auf und gibt mir auch viel zurück, und ja, sie ist total dankbar. Ja. Wir haben ein sehr inniges Verhältnis. Musik Sprecher Hans-Jürgen Straub entschied sich mit 60 Jahren für einen frühzeitigen Rückzug und übergab die Geschäftsführung der XFab an einen Nachfolger. Straub Ich glaub die XFab, wenn Sie die heute mal hochrechnen, das sind mehr als zehn Schaltkreise in jedem neu zugelassenen Auto drin, die bei XFab produziert werden, weltweit. Also das ist schon mittlerweile schon am Markt sehr, sehr gut etabliert. Atmo Reinraum Sprecher Während Hans-Jürgen Straub mich durch die Produktionshalle der XFab in Erfurt-Südost führt, erzähle ich ihm vom DEFA-Film aus dem Jahr 1988. Überall rauschen die Lüfter, die die Reinsträume staubfrei halten. Straub Hier stehen Sie... ich weiß gar nicht, welchen Namen das hat, Tunnel A... Sprecher Und dann stehen wir tatsächlich vor jenem Tunnel B, wo vor Jahr und Staat Kerstin Münch arbeitete und mit Freunden lachte und dem Kamerateam der DEFA von ihrer Schwangerschaft erzählte. Straub Wenn sie hier unten rausgehen, dann sehen Sie links so eine Babywand; heißt das bei mir, so Babyposter, das habe ich selber mal veranlasst. Ich hab mitgekriegt: Eine Zeit lang gab`s keine Babys unter den Mitarbeitern. Irgendwann gab´s wieder mehr Babys. Und das hat mich echt gefreut, weil, das war für mich ein Indikator, dass die Leute glauben dann, dass das hier Zukunft hat. Musik Absage Licht am Ende von Tunnel B Sie hörten ein Feature von Holger Siemann Es sprach Bernd Reheuser Ton und Technik: Henrik Manook, Daniel Dietmann, Katharina Lueg und Peter Weinsheimer. Regie: Anna Panknin Redaktion: Ulrike Bajohr Eine Produktion des Deutschlandfunks 2019 1https://www.thueringen24.de/erfurt/article210454609/So-dramatisch-hat-sich-der-Thueringer-Arbeitsmarkt-seit-der-Wende-veraendert.html 2https://de.wikipedia.org/wiki/Demografie_Th%C3%BCringens#Nach_der_Wiedervereinigung 3https://de.wikipedia.org/wiki/58er-Regelung: Arbeitslose Personen, die das 58. Lebensjahr vollendet hatten, konnten sich per schriftlicher Erklärung aus der Vermittlung abmelden. Dadurch behielten sie ihren Anspruch auf Arbeitslosengeld, mussten aber keinerlei Bemühungen zur Erlangung eines Arbeitsplatzes vorweisen. 0 ------------------------------------------------------------ --------------- ------------------------------------------------------------