Hörspiel Feature Radiokunst Das Feature Die Kuh Im Parlament der Dinge Autorin: Barbara Eisenmann Regie: Barbara Eisenmann Redaktion: Wolfgang Schiller Produktion: Deutschlandfunk/WDR 2024 Erstsendung: Dienstag, 30.01.2024, 19.15 Uhr Langfassung Es sprachen: Helene Grass, Henning Nöhren, Adam Nümm, Astrid Meyerfeldt und Bernd Moss Ton: Hermann Leppich Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. (c) - unkorrigiertes Exemplar - MUSIK (Sogenanntes linksradikales Blasorchester, 1976-1981) ATMOS (Menschen und Kühe haben sich in einem Saal versammelt. Es ist laut, ein surreales, anarchisches Durcheinander aus O-Tönen, einer Sprecherin und einem Sprecher, chorischen Sequenzen, Tiergeräuschen, Blaskapellenmusik und anderen Geräuschen, die im Lauf des Stücks mal mehr und mal weniger präsent sind) PARLAMENTSSTIMME Da, da kommen sie, die Kühe. Auch die Fragen und Potentiale drängen jetzt herein. CHOR Wir sind keine Klimakiller. Wir sind keine Klimakiller. Wir sind keine Klimakiller. Keine Klimakiller. Keine Klimakiller. Klimakiller. Klimakiller. Klimakiller. PARLAMENTSSTIMME Der ganze Rinderbodenkomplex. Alles ist jetzt da, verteilt sich im Halbrund. Da vorne die Landwirtinnen. Hinten die Kohlenstoffsenken. Alle Augen aller Tiere. Die Gräser und ihre Wurzeln. Heerscharen von Bodenlebewesen. Auch Insekten und Vögel sind da. Ganze Chöre schieben sich herein. CHOR Wir sind keine Klimakiller! Wir sind Spielball der Öl- und Gasindustrie. PARLAMENTSSTIMME Die Methandebatte. Gesetzeslücken. Die EU-Agrarsubventionen. Und eine Blaskapelle. MUSIK CHOR Wir sind keine Klimakiller! Wir sind Spielball der Öl- und Gasindustrie. ATMOS PARLAMENTSSTIMME Unzählige Kühe und ihre Verbündeten. Da die auf Langlebigkeit gezüchteten Schwarzbunten. Dort die futterdankbaren Angusrinder. Hier die Simmentaler mit den großen Ohren. Links außen die Kritikerinnen des zerstörerischen Agrobusiness. Und mittendrin, eine stolze Kuh, mit großen, weiß leuchtenden Hörnern. ATMOS PARLAMENTSSTIMME Sie alle wollen verhandeln. Im Parlament der Dinge. ATMOS CHOR Wir, die Nährstoffkreislauferschließer. Wir, die Bodenfruchtbarkeitsagentinnen. Wir, die Kohlenstoffspeicherungshelfer. Wir, die Humusproduzentinnen. Wir, die Biodiversitätsförderer. Wir, die Landschaftsgärtnerinnen. Wir, die Wasserkreislaufunterstützer. Wir, die Revolutionärinnen für das Leben. O-TON 1 (Hendrik Manzke) Ja, wo fange ich denn da an? Also ist natürlich sehr komplex. O-TON 2 (Benedikt Bösel) Ich würde erst mal nur zuhören wollen und beobachten wollen, und daraus würde die Kuh mir vieles, vieles erzählen wollen. CHOR Hört! Hört! O-TON 3 (Bösel) Die Rinder sprechen auf jeden Fall zu uns. PARLAMENTSSTIMME "Aber wie höre ich im Stimmengewirr der Interessen ausgerechnet die Stimme der Kuh?" wurde der inzwischen verstorbene französische Philosoph Bruno Latour einmal gefragt. Eins seiner Bücher heißt Das Parlament der Dinge. Was hat Latour geantwortet? Fragen wir unseren enzyklopädischen Kopf. Er hat sämtliche Literatur, Untersuchungen, Zahlen, Zitate usw. parat. Bitte! DATENMENSCH Einen Augenblick. Hier! Hier! Wie höre ich die Kuh? ATMOS DATENMENSCH Voilà, indem sie Thema ist! "Jetzt stehen die Kühe, vertreten durch vielfältige Interessen, mitten in der Arena. Die objektive Kuh gibt es nicht. Wir müssen ein Verfahren finden, die Kühe zu Wort kommen zu lassen." ATMOS DATENMENSCH "Das Parlament der Dinge stellt die Balance zwischen Menschen und nichtmenschlichen Wesen wieder her." PARLAMENTSSTIMME Voilà! MUSIK DATENMENSCH Das Rind. Im Parlament der Dinge. Ein Feature von Barbara Eisenmann PARLAMENTSSTIMME Sollten wir nicht zärtlicher sagen: Die Kuh. Im Parlament der Dinge? DATENMENSCH (räuspert sich) / O-TON 4 (Sepp Braun) / (lacht) des ist jetzt eine gute Frage. ATMO PARLAMENTSSTIMME Was wissen wir überhaupt? Rinder, Kühe, Bullen, Kälber, Färsen, Ochsen! Und dass die Kühe Aufgaben erfüllen als Landschaftsgärtnerinnen, Bodenfruchtbarkeitsagentinnen, Artenvielfaltsförderinnen, wer weiß das denn schon, wo man sie als Klimakiller dingfest gemacht hat. Selbst der Philosoph Peter Sloterdijk scheint das so zu sehen! DATENMENSCH In einem Interview in der taz, Moment, Moment sagt er tatsächlich: "Die Kühe" - er sagt übrigens auch Kühe! - "sind in diesem Zusammenhang" - gemeint ist die Klimakatastrophe - "als die wahren Feinde der Menschheit zu identifizieren." PARLAMENTSSTIMME Die wahren Feinde der Menschheit! O-TON 12 (Anita Idel) Lieber Herr Sloterdijk, mehr geht wohl nicht. Mich macht das sprachlos, denn es heißt, dass nicht nur große Teile der Bevölkerung sondern auch ein Denker, ein Peter Sloterdijk, Philosoph, Opfer der größten unbekannten Kampagne geworden ist. PARLAMENTSSTIMME Das ist Anita Idel. Sie ist Tiermedizinerin, Hochschuldozentin und Publizistin. Seit Jahrzehnten setzt sie sich kritisch mit dem industriellen Agrarsystem auseinander. Und schon 2010 hat sie ein Buch geschrieben, mit dem Titel "Die Kuh ist kein Klimakiller". Sie war damit Vorreiterin einer Pro-Gras-Bewegung, die allerdings immer noch sehr überschaubar ist. Frau Idel, bitte, Sie wollten noch etwas sagen! O-TON 14 (Idel) Es geht um die fossile Industrie, es geht um Öl, um Steinkohle, um Gas, um all das, womit wir nun seit zweihundert Jahren unseren Planeten aufheizen und in Flammen versetzen. Und dass es heute möglich ist, dass beim Stichwort Klima die Kuh assoziiert wird und eben nicht die fossile Industrie, ist Folge eben dieser genialen Kampagne; genial, weil sie uns ja nicht bewusst ist. PARLAMENTSSTIMME Und die ist von der fossilen Industrie bezahlt? O-TON 15 (Idel) Auf jeden Fall lanciert, also das ist für mich überhaupt gar keine Frage mehr. DATENMENSCH Autokonzerne wie Mercedes oder Skoda und andere haben mit Slogans wie "Klimafreundlicher als eine Kuh" oder "Mehr als 200 Pferde und weniger Emissionen als eine Kuh" geworben. MUSIK ATMOS PARLAMENTSSTIMME Eine wolkenähnliche Zusammenballung eines brenzligen Geruchs schwirrt auf einmal durch die Luft. ATMOS O-TON 16 (Idel) Viele wissen sicherlich auch gar nicht, dass man das unterscheiden kann, das biologische Methan, welches eben in einem kleinen Kreislauf entsteht, Kuh frisst Grünfutter und rülpst dann Methan aus, oder eben über Millionen Jahre verdichtete Pflanzenmasse, aus der dann eben Steinkohle, Öl und Ähnliches entstanden ist. Das führt zu unterschiedlichem Methan, welches man eindeutig unterscheiden kann. Und in der Wissenschaft ist das auch gar keine Frage, dass eben vor allen Dingen das Fracking entscheidend zur Erhöhung von Methankonzentrationen in der Atmosphäre beigetragen hat. ATMOS O-TON 17 (Manzke) Ja, wo fange ich denn da an? PARLAMENTSSTIMME Das ist Hendrik Manzke, Geschäftsführer eines Bioweidebetriebs in einem sogenannten Grenzgebiet, in seinem Fall einerseits zu trockene, andererseits zu nasse Böden. ATMOS O-TON 18 (Manzke) Diese Aussage immer, die Kuh ist ein Klimakiller oder das Rind ist ein Klimakiller, die stützt sich meines Erachtens eigentlich immer nur auf den Methanausstoß. ATMOS PARLAMENTSSTIMME Was geben die Daten dazu her? ATMOS DATENMENSCH Tatsächlich kommen viele Studien zu dem Schluss, Rinder seien Klimakiller. ATMOS DATENMENSCH Allerdings muss man auch sagen, dass das Design dieser Studien gewissermaßen zwangsläufig zu dieser Schlussfolgerung führt. Zum einen weil die Untersuchungen auf die Messung von Methanemissionen beschränkt sind. Zum anderen weil sie das Rind mit Schwein und Huhn vergleichen. Der Fokus müsste aber auf die Klimarelevanz unterschiedlicher Agrarsysteme gelegt werden. Und es müsste auch innerhalb der Tierart Rind verglichen werden. O-TON 19 (Manzke) Ja, das Rind stößt eben Methan aus, das ist nun mal im Verdauungsprozess beim Rind so vorgesehen, aber die positiven Eigenschaften des Rindes kommen dabei gar nicht zur Geltung. ATMOS PARLAMENTSSTIMME Unten in der Arena hat sich eine Gruppe von Kühen gebildet. Die stärksten in der Mitte. Ihre Freundinnen um sie herum platziert. ATMOS PARLAMENTSSTIMME Da, Benedikt Bösel hat sich gemeldet. O-TON 20 (Bösel) Also ich finde es immer schwierig, wenn wir diese Diskussion auf Basis von Daten und Studien bewerten, denn die Komplexität von Berechnungen beruht immer darauf, dass ich nur, insbesondere wenn ich wissenschaftlich anspruchsvoll denke, auf Ceteris Paribus-Basis arbeiten kann. DATENMENSCH Ceteris Paribus heißt lateinisch "alle übrigen". Und das Ceteris Paribus Prinzip bedeutet, dass man einen Faktor wie z.B. die CO2-Emissionen von Rindern, Schweinen oder Hühnern nur vergleichen kann, wenn man alle übrigen Faktoren außer Acht lässt, beispielsweise ihre jeweils unterschiedlichen Haltungsformen. O-TON (Bösel) Und das bedeutet, ich muss immer die Hauptteile der jeweiligen Bewertung dieser verschiedenen Landnutzungssysteme ignorieren, weil es sonst einfach zu komplex wird und zu viele Dinge von links und rechts reinspielen, die mir dann eben diese Aussage gar nicht ermöglichen würde. PARLAMENTSSTIMME Bösel ist ebenfalls Biolandwirt und hat ein unabhängiges Institut gegründet, das Praxisforschung betreibt. Es geht um regenerative Formen der Landwirtschaft, um widerstandsfähige Landnutzungssysteme, die Äcker und Grünflächen mit Sträuchern, Bäumen und Tieren wieder zueinanderbringen. Bei ihm stehen die Kühe auch auf den Ackerflächen. ATMOS O-TON 21 (Bösel) Aber wir leben nicht in der Ceteris Paribus wissenschaftlichen Untersuchungswelt. Wir leben in Kreisläufen, wir leben in Ökosystemen, und dort funktioniert das einfach nicht. MUSIK ATMOS PARLAMENTSSTIMME Die Fraktion der Ceteris Paribus-Modelle wird von einer Gruppe von Kühen an ihren großen Hörnern aufgespießt und durch die Arena geschleudert. ATMOS CHOR Messt uns an dem, was wir können! Können. Können. Können. ATMOS CHOR Entdeckt uns endlich neu! Neu. Neu. Neu. ATMOS CHOR Wir sind Symbiontinnen. Symbiontinnen. Symbiontinnen. Symbiontinnen. O-TON 22 (Manzke) Die positiven Sachen der Rinder, da gehört zum einen natürlich, wenn die Tiere auf der Weide stehen, die Symbiose von Grasland, Dauergräsern und Rindern, oder Wiederkäuer muss man ja im Allgemeinen sagen. Diese Symbiose, die sich da entwickelt hat, über die Jahrmillionen, dass beide voneinander abhängig sind und dass die Rinder durch ihren Verbiss das Gras eigentlich zum Wachsen anregen und das sozusagen die Überlebensversicherung der Gräsergesellschaft ist und beide miteinander eben harmonisch existieren können. PARLAMENTSSTIMME Frau Idel, Sie sind Expertin für die Koevolution von Grasland und Grasern! O-TON 23 (Idel) Was wir Menschen doch begreifen müssen, ist, es geht immer um Koevolution, um Miteinanderleben. ATMO 14 (Kühe) O-TON 24 (Idel) Die Tatsache, dass alle Kornkammern dieser Welt, die fruchtbarsten Ebenen dieser Welt, deshalb so fruchtbar sind, weil sie über Jahrtausende nachhaltig beweidet worden sind, ist in den meisten Köpfen verloren gegangen. Für uns ist es völlig selbstverständlich, dass wir Grünland haben und das mähen und das dann nachwächst. Es ist ein Trauerspiel, dass wir das gar nicht hinterfragen. MUSIK O-TON 25 (Idel) Denn würden wir es hinterfragen, würden wir begreifen, dass die Gräser die einzige Pflanzengesellschaft sind auf dem Planeten Erde, die sich permanent Biomasse entziehen lässt, und dass sie dann weiter wächst. Und das ist umso besonderer, als ausgerechnet die Gräser das erfolgreichste Biom auf dem Planeten Erde sind. Es gibt keine Pflanzengesellschaft auf dem Planeten Erde, die mehr Erdoberfläche bedeckt als die Graslandökosysteme, gefolgt vom Wald, und das muss man dann doch sagen, obwohl ihnen permanent Biomasse entzogen wird, nein, umgekehrt wird ein Schuh draus, weil sie in Koevolution mit den Weidetieren sich darauf eingestellt haben, sich beißen zu lassen, und zwar so sehr eingestellt haben, dass man kurz und griffig formulieren kann, die Gräser brauchen den Biss, auch wenn wir inzwischen mähen können. Über 30, 40, 50 Millionen Jahre war ja diese Nutzung der Gräser immer mit dem Biss verbunden. Dass wir großflächig mähen, ist ja erst seit noch nicht mal 200 Jahren. ATMOS CHOR Gebt uns das Grasland zurück! Lasst uns Gras verdauen! Gebt uns das Grasland zurück! Lasst uns Gras verdauen! Gebt uns das Grasland zurück! Lasst uns Gras verdauen! ATMOS O-TON 27 (Birger Paulsen) Ich sehe so eine Herde auch immer als, in Anführungsstrichen, mein Schneidwerkzeug, mit dem ich sehr präzise eigentlich über den Biss die Pflanze beschneiden kann. So wie ich einem Apfelbaum einen guten Schnitt gebe, dass er Äpfel produziert, kann ich mit Weidetieren Gräser und andere Futterpflanzen so beschneiden, dass sie ein bestimmtes Ziel erreichen, dass sie gut wachsen und ja einen positiven Effekt aufs Ökosystem haben. PARLAMENTSSTIMME Das ist Birger Paulsen. Er berät landwirtschaftliche Betriebe und plant nachhaltige Beweidungsstrategien und Agroforstsysteme, in denen Bäume und Sträucher mit Äckern und Tieren wieder auf einer Fläche zusammengebracht werden. O-TON 28 (Paulsen) Wir leben zusammen in diesem Ökosystem, in dieser Landnutzung, und jeder hat seinen Job zu machen, um das ganze als System funktionell zu halten. ATMOS O-TON 29 (Paulsen) Im Endeffekt zeigen sie uns ja auch über ihr Verhalten ganz viel, was in dem Ökosystem passiert, also einfach über das Weiden und über das, wie sie sich bewegen, welche Pflanzen fressen sie, und sie kreieren ja auch das Ökosystem mit. MUSIK CHOR Wir haben es satt, Produktionsmaschinen in bodenlosen Betrieben zu sein. Wir haben es satt, auf Spaltenboden zu stehen. Wir haben es satt, Kraftfutter zu essen. O-TON 30 (Bösel) Das Problem der heutigen industriellen Tierhaltung ist, dass wir im Grunde genommen große Zahlen von Tieren eben im Stall halten und ihnen dann Kraftfutter füttern. Und dieses Kraftfutter besteht eben aus Mais, aus Soja, aus Getreide, aus allen möglichen anderen Dingen. D.h. wir nutzen Nahrung, wir nutzen Kalorien, die wir eigentlich für die menschliche Ernährung nutzen könnten, und füttern es an Tiere, die eigentlich für dieses Futter gar nicht ausgerichtet sind. D.h. wir haben völlig künstlich eine Wettbewerbssituation zwischen der Kuh und dem Menschen kreiert. PARLAMENTSSTIMME Die Kühe sehen ermattet aus. Das Kapital springt vorbei, schnell und energisch. CHOR Wir haben es satt, für den kapitalistischen Weltmarkt gequält zu werden. Wir haben es satt. Wir haben es satt. Wir haben es satt. O-TON 31 (Bösel) Diese Wettbewerbssituation ist das Design des Menschen, ausgerichtet eben schnell auf Masse zu kommen, viel Milch und viel Zugewinn an Fleisch, um das eben zu verkaufen. PARLAMENTSSTIMME Müssen wir an dieser Stelle nicht auch fragen, von welchen Böden wir unsere Kühe und uns eigentlich ernähren? O-TON 32 (Bösel) Absolut. Mittlerweile ist es eben so, dass wir große Mengen an Mais, an Soja eben insbesondere aus Südamerika importieren, was dann hier als Kraftfutter den Kühen sozusagen gegeben wird. Und die Herstellung dieses Futters im Ausland hat schon mal dort unglaubliche ökologische und soziale Konsequenzen. Oft werden davor auch sehr diverse Wälder gerodet, um dort überhaupt Landwirtschaft treiben zu können. PARLAMENTSSTIMME Und Leute von ihren Böden vertrieben. O-TON 33 (Bösel) Absolut. DATENMENSCH Tatsächlich gibt es nur ganz wenige Studien, die diese und andere Zusammenhänge systematisch beleuchten. Beispielsweise werden bei den Erhebungen zu den landwirtschaftlichen Treibhausgasemissionen eine ganze Reihe von landwirtschaftsrelevanten Emissionen gar nicht der Landwirtschaft zugerechnet. Dazu gehören, Moment, Moment, voilà: Futtermittelimporte, chemisch-synthetischer Stickstoffdünger, für dessen Erzeugung übrigens in hohem Maße fossile Energieträger verbrannt werden, aber auch der Energieeinsatz in der Landwirtschaft selbst. Eine einigermaßen bemerkenswerte Studie des zum Ministerium für Ernährung und Landwirtschaft gehörenden Thünen-Instituts hat das herausgearbeitet. ATMOS O-TON (Anja Hradetzky) Da wird die Kuh zum Schwein gemacht. Und das ist das Problem. Also die Menschen, die die Rinder halten, nein, die Menschen, die das politisch so aufbereiten, dass es zu dieser Entwicklung kommen konnte, die sind das Problem, nicht die Rinder, weil die Rinder würden natürlicherweise auf Gras leben. ATMOS PARLAMENTSSTIMME Das ist Anja Hradetzky. Sie ist Bäuerin, Rinderhalterin und -züchterin von widerstandsfähigen Zweinutzungstieren alter Rassen. Ihre Tiere treibt sie reitend von A nach B. Sie sei eben ein "Cowgirl". Auch ihr geht es um das Herstellen autarker Ökosysteme und um Unabhängigkeit von der Agrarindustrie. O-TON 38 (Hradetzky, 4.10) Ich bin in vielen Bäuerinnen- und Bauerngruppen, auch WhatsApp oder so, und da muss jetzt einer grad überlegen, wenn er Vollgas macht, also richtig viel Kraftfutter reinpumpt, dann lohnt sich der Umbau, dann lohnt sich das Weiterhalten der Rinder, und sobald er das nicht macht und jetzt umstellt auf regenerative Haltung mit Weide, mit draußen, mit weniger Leistung, ohne Kraftfutter, vielleicht sogar mit Kälbern bei den Kühen, dann ist er raus. Und das ist natürlich ganz klar die Entwicklung, die ja einfach weiterhin zur Kuh ist ein Klimakiller führt. PARLAMENTSSTIMME Herr Braun! O-TON 34 (Sepp Braun) Da muss man natürlich wissen, dass wenn ich eine Kuh wesensgemäß ernähre, so wie es einfach unsere riesigen Herden der Büffel usw. gemacht haben, dass die Methanemission wirklich verschwindend gering ist, weil sich eben durch diese ausgewogene Ernährung tatsächlich die Methangasproduktion im Pansen signifikant verringert. Also von wegen, dass die Kuh ein Klimakiller ist. PARLAMENTSSTIMME Das ist Sepp Braun, Bauer im Ruhestand. Er ist einer der Vorreiter der empirischen Bodenforschung. O-TON 35 (Braun) Gibt es auch Beispiele aus der Forschung, wo man festgestellt hat, dass wenn ich eine Kuh mit einem artenreichen Grünland füttere, wo eben viele Kräuter drin sind, wie jetzt ganz banal der Kümmel, der mit seinen, was sind des, sekundäre Pflanzeninhaltstoffe, eben verhindert, dass eine Methangasbildung entsteht und eben durch so eine Fütterung die Methangasproduktion um 40 % reduziert worden ist. ATMOS O-TON 39 (Paulsen) Ja, im Endeffekt, klar, Klimawandel ist ein sehr, sehr wichtiges Thema, aber wir haben auch ein Artensterben, und wir haben eigentlich ein generelles Problem mit unserer Landnutzung und der langfristigen Wirkung unserer Landnutzung auf das Ökosystem, und das ist vielschichtig, und sozusagen der Kohlenstoffkreislauf ist eine Komponente davon. ATMOS DATENMENSCH Eine Sache vielleicht noch, um den Methankomplex dann abzuschließen. In der Publikation, Die unabhängige Bauernstimme der AbL, das ist die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, ein progressiver Verband von Landwirten und Landwirtinnen, heißt es in einem Text zu Rindern als Weidetieren, Moment, Moment / ATMOS DATENMENSCH / da: "Wenn die Industrialisierung die Quelle der Klimaveränderungen ist, dann war die Landwirtschaft bis zu Beginn der 50er Jahre des 20.Jahrhunderts daran nicht beteiligt." PARLAMENTSSTIMME Interessant. DATENMENSCH "Bis zu diesem Zeitraum waren die bodengebundene Tierhaltung, die Futtergewinnung und die Düngung nicht mit einem relevanten Zuwachs der Abgabe von Methan in die Atmosphäre verbunden / PARLAMENTSSTIMME / weil Wälder, Äcker, Nutztiere noch zusammengehörten? DATEMENSCH Richtig. Lassen Sie mich weiter vorlesen: "Im Hinblick auf die Frage nach dem Anteil der Landwirtschaft an der Klimaveränderung kann man die mit der damaligen Tierhaltung verbundenen Mengen an Methan deshalb als "Grundlinie", gewissermaßen als "Nullpunkt" ansehen." PARLAMENTSSTIMME Und dann kam die Chemie. ATMOS DATENMENSCH Richtig. "Das Zusammenwirken von intensivierter mineralischer Düngung und neu entwickelten Pestiziden" - ab den 50er Jahren - "ermöglichte dann auch ohne Leguminosenanbau hohe und sichere Erträge auf den Äckern (im Gebiet der ehemaligen DDR wurde dieser Vorgang übrigens erst in den 90er Jahren abgeschlossen). In der Folge kam es, wenn auch erst nach mehreren Jahren, zu einer Verschlechterung der Bodenfruchtbarkeit." ATMOS PARLAMENTSSTIMME Hätte man die Kühe doch auf den Weiden gelassen! ATMOS DATENMENSCH Richtig. "Die sichere Möglichkeit, Ackerbau auf hohem Ertragsniveau ohne Anbau von Leguminosen durchzuführen, führte" - ab den 50er Jahren - "zur Bildung von "reinen" Ackerbaubetrieben." MUSIK CHOR Hört auf, für uns Ackerbau zu betreiben! ATMOS DATENMENSCH Lassen Sie mich noch ein paar Zeilen vorlesen! "Durch die Motorisierung und die Abschaffung der Zugtiere wurde auch das Grünland für andere Nutzung frei. Folge war ein wirklich massiver Umbruch von Grünland." MUSIK CHOR Gebt uns unsere Aufgaben zurück! ATMOS DATENMENSCH "Grünlandumbruch ist" - und das ist wichtig - "immer gleichbedeutend mit einem starken Verlust an Humus, und zwar in einer Größenordnung von 100 Tonnen organische Substanz je Hektar. Damit einhergehen starke Nitratauswaschungen und Methanfreisetzungen." MUSIK CHOR Lasst uns wieder Gras fressen! Kräuter! Leguminosen! Gras. Kräuter. Leguminosen. ATMOS O-TON 41 (Idel) Mit dem Wissen, das verloren gegangen ist, ist auch ungeheuer viel Wertschätzung verloren gegangen; ich bin ja immer noch sprachlos von der Schlussfolgerung von Peter Sloterdijk. PARLAMENTSSTIMME Der Agrarindustrie ist das aber offenbar egal. O-TON 42 (Idel) Agrarindustrie hat immer ein Interesse daran, dass Grünland aufgegeben wird zu Gunsten von Acker. Am Acker können Dritte ganz anders verdienen. DATENMENSCH In der Tat. Das Geschäft mit Saatgut, Kunstdünger, Pestiziden, Herbiziden, Fungiziden, aber auch das Geschäft mit Antiobiotika, Antiparasitika, Desinfektionsmitteln für die Stalltiere; man hatte die Acker- von der Tierwirtschaft ja entkoppelt. O-TON 43 (Idel) Verdient wird vielmehr an als in der Landwirtschaft. An der gesunden Kuh auf der leckeren Weide verdienen nicht Dritte. ATMOS CHOR Befreit uns von den Monokulturen! ATMOS CHOR Befreit uns aus den Tierfabriken! MUSIK CHOR Befreit uns vom Kapital! PARLAMENTSSTIMME Die Kühe haben die Augen aufgesperrt, die Gräser winden sich weg, das Kapital rauscht vorbei, verleibt sich Lebendiges ein. DATENMENSCH Stichwort "Kapital" kommt von "caput", was lateinisch "Kopf" bedeutet, aber auch "Rind" und "Eigentum". CHOR Hört! Hört! DATENMENSCH Man kann das bei der Philosophin Eva von Redecker in ihrem Buch Revolution für das Leben lesen. PARLAMENTSSTIMME Interessant. DATENMENSCH Moment , voilà: "Das nach Köpfen gezählte Vieh war lange Zeit, in agrarischer Wirtschaft und bevor es stabile Währungen gab, die beste Einheit, um Vermögen einzuschätzen." ATMOS DATENMENSCH (räuspert sich) PARLAMENTSSTIMME Bitte! DATENMENSCH "Das Kapital kann den Besitz nur mehren, wenn das Besitzen eine besondere Gestalt hat; es erfordert ein destruktives Weltverhältnis." MUSIK CHOR Befreit uns vom Kapital! DATENMENSCH "Und diese Destruktivität ist im modernen Eigentum, das seine Besitzer*innen zur Willkür berechtigt, angelegt. Nach der Französischen Revolution wurde im Code Napoléon die "Despotie" der Eigentümer erstmals in der Geschichte explizit als Recht ausformuliert. Der Eigentümer besaß neben Nutzungs- und Übereignungsrechten auch das ius abutendi, das Recht zum Missbrauch seines Eigentums. Auch heute verstehen wir Eigentum als, wie es im Bürgerlichen Gesetzbuch heißt, "volles Dingrecht". Es berechtigt die Eigentümerin dazu, frei über ihr Besitztum zu verfügen." ATMOS DATENMENSCH Lassen Sie mich noch einen Satz vorlesen: "Den Kapitalismus als Ordnung der Eigentumsfixierung zu analysieren, heißt somit, die Schädel - das "caput"- sichtbar zu halten. Wenn wir "Kapital" lesen, sollten wir nicht nur seine Rendite klingeln hören, sondern auch seinen Totenkopfabdruck entziffern." MUSIK CHOR Befreit uns vom Kapital! MUSIK O-TON 44 (Idel) Wir sind so geschichtsvergessen. PARLAMENTSSTIMME Die Zeit ist knapp, und allein die ökologischen Probleme, die uns das Kapital eingebrockt hat, sind riesig: von toten Böden bis hin zum Artensterben. MUSIK DATENMENSCH Es geht um weltweit zwei Millionen Pflanzen- und Tierarten, die vom Aussterben bedroht sind. Ein Verlust von einem in der bisherigen Menschheitsgeschichte unbekannten Ausmaß, wie es eine ganz neue Studie von 2023 ermittelt hat. MUSIK ATMOS PARLAMENTSSTIMME Wir wollten uns die Potenziale weidender Rinder anschauen, ohne natürlich die großen Zusammenhänge aus den Augen zu verlieren. Frau Hradetzky! ATMOS O-TON 45 (Hradetzky) Also die Rinder sind natürlich super wichtig. Unser Nachbar, der mäht einfach die Flächen und fährt das Futter in den Stall. Da fehlen die Kuhfladen, da fehlen die Käfer, die dadurch kommen, die sind natürlich Nahrungsgrundlage für die Vögel. Da gibt es Seggenrohrsänger, Wachtelkönig, die halt brüten, da wo Rinder grasen, und die würden zurückgehen, also das Habitat würde verloren gehen. Das ist natürlich super wichtig. Und, ich denke, in Kreisläufen zu denken, fällt dem Mensch super schwer, weil es wissenschaftlich sehr schwer zu begleiten ist, wäre aber ein wichtiger Ansatz. DATENMENSCH Grünland ist das artenreichste Ökosystem in Mitteleuropa. Über die Hälfte aller beobachteten Tier- und Pflanzenarten kommen in Deutschland auf Grünlandstandorten vor. ATMOS O-TON 46 (Manzke) Das ist schon ne ganz andere Gesellschaft auf´m Grasland, und es gibt eben speziell auch Tiere, die eben auf diese offenen Landschaften angewiesen sind. Und das Rind trägt eben durch sein Fressverhalten und durch seine körperliche Präsenz eben dazu bei, dass diese offenen Landschaften auch offen bleiben. Denn im Normalfall würden diese offenen Landschaften wieder zu Wald werden durch Büsche usw. ATMOS PARLAMENTSSTIMME An im Parlamentssaal herabhängenden Lampen, Lautsprechern, Mikrofonen bilden sich Trauben von Vögeln, Wildbienen und anderen Insekten. O-TON 47 (Manzke) Genau. Wir waren jetzt bei der Artenvielfalt, die durch die Rinderhaltung auf der Weide eben nachweislich auch gefördert wird. Das geht von Falter bis Insekten, aber natürlich auch geht hin bis in den Boden. Bodenlebewesen und Bodenfruchtbarkeit wird durch die aktive Beweidung von Flächen eben enorm gefördert. Der Kot, den die Tiere absetzen, der Harn, den die Tiere absetzen, das ist alles organische Masse, die von den Lebewesen auf und im Boden eben verarbeitet wird und gebraucht wird, und daran können die sich dann eben weiter entwickeln. MUSIK CHOR Darauf baut Ihr. Dafür kauen wir. Dafür scheißen wir. PARLAMENTSSTIMME Was wissen wir eigentlich über den Boden? O-TON 48 (Bösel) Es gibt viele Bodenspezialisten und -spezialistinnen, die sagen, sie wissen ungefähr 4 % über den Boden. O-TON 49 (Gesine Langlotz) Der Boden an sich ist ein krasses Lebewesen und jeder Meter ist anders als der Boden daneben. Jedes Fleckchen Erde ist einmalig. Und in einem intakten Boden sind einfach in einer Handvoll Erde mehr Lebewesen als Menschen auf dem Planeten. Und das ist halt weird für so westsozialisierte Europäer*innen akademischen Grades. PARLAMENTSSTIMME Das ist Gesine Langlotz, Gemüsebäuerin und Sprecherin der Jungen AbL, der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft. ATMOS PARLAMENTSSTIMME Herr Braun, Sie haben auf Ihrem Hof jahrzehntelang Bodenforschung betrieben. Ihre Böden gelten als besonders humusreich, und das hat auch mit der Menge an Regenwürmern zu tun? O-TON 50 (Braun) Genau. Also zum Regenwurm, der hat ja vielfältige Aufgaben. Nicht umsonst hat Charles Darwin ein ganzes Buch zum Regenwurm geschrieben, des leider nicht so bekannt ist, kann ich nur empfehlen. Und da geht's los, dass eben des, was der Regenwurm frisst an organischem und anorganischem Material, des ist zwischen zwei und zehn mal besser pflanzenverfügbar wie des, was er gefressen hat. D.h. also die verschiedenen Mineral- und Spurennährstoffe werden eben durch die Enzyme im Regenwurmdarm so gut aufgeschlossen, dass eben die Pflanzen dann viel, viel mehr Nährstoffe zur Verfügung haben. Und so ganz praktisch bedeutet es, da gibt´s auch Zahlen dazu, dass in einem Boden mit 600 Regenwürmer erzeugen die Regenwürmer 80 Tonnen Regenwurmkot / DATENMENSCH / pro Hektar und Jahr / O-TON (Braun) / genau. Und des bedeutet, dass also mit einem lebendigen Boden mit viel Regenwürmern so eine Bodenneubildung viel schneller passiert, wie des, was wir heute meinen, wissenschaftlich zu wissen. PARLAMENTSSTIMME Und wo kommen da die Kühe und Sie selber ins Spiel? O-TON 54 (Braun) Wenn ich wirklich will, dass die Regenwürmer sich vermehren können, dann muss ich mich tatsächlich mit dem Verhalten der Tiere beschäftigen, und des bedeutet zum einen, kann man sich ja gut vorstellen, dass wir eben nicht jedes Jahr mit dem Pflug die Böden bearbeiten dürfen, weil dann werden sie gestört und ihnen wird auch zum Großteil des Futter entzogen. Jetzt komme ich dann wieder zu den Rindern / CHOR Hört! Hört! O-TON 55 wir haben 40 % Kleegras in der Fruchtfolge im Acker / ATMOS O-TON 55 (Braun) / mit dem Kleegras kann ich eben tatsächlich die Voraussetzung für die Bodenruhe erfüllen, weil des Kleegras über mehrere Jahre stehen bleibt. Aber gleichzeitig kann ich übers Kleegras, wenn es vielseitig ist, Bedingungen schaffen, dass ich eben mit verschiedenen Gräsern, Leguminosen und Kräutern des Bodenleben vollwertig ernähren kann. Mit 40 % Kleegras in der Fruchtfolge schaff ich über die Bodenruhe, über die vielseitige Ernährung Bedingungen, dass sich die Regenwürmer, einfach so wie's von Natur aus eigentlich üblich wäre, entsprechend vermehren können. Und, was dazu kommt, ich muss natürlich wissen, was braucht der zum Fressen, so einfach ist des zum Schluss. Und hab da eben auch in alten Büchern nachgelesen und festgestellt, dass Regenwürmer lieben aromatische Gewürzkräuter. ATMOS O-TON 56 (Braun) Bei uns ist dann in der Kleegrasmischung ist dann mein Gott ein Wiesensalbei, ein Spitzwegerich, Kümmel, eine Schafgarbe, eine Wilde Möhre, ein Wiesenlabkraut und verschiedene Kleearten. Und damit versuche ich, tatsächlich eben zum einen wirklich die Regenwürmer vollwertig zu ernähren. ATMOS O-TON 57 (Braun) Und interessanterweise ist es so, dass wenn ich diese Arten, des war jetzt ein Teil, die ich aufgezählt habe, die sind auch gleich wieder eine super Ernährung für die Rinder. Also des passt einfach sehr gut zusammen. MUSIK PARLAMENTSSTIMME Das hört sich nach einer wunderbaren Multispeziesarbeitsteilung an. CHOR Hört! Hört! ATMOS PARLAMENTSSTIMME Ja bitte, Frau Hradetzky! O-TON 58 (Hradetzky) Es ist super wichtig, dass man nicht nur, dass die Rinder satt werden im Kopf hat und im Blick hat, sondern auch, dass die Pflanzen genug Zeit haben sich zu erholen. PARLAMENTSSTIMME Herr Paulsen! Bitte! O-TON 59 (Paulsen) Um diese Rastzeit zu kreieren, müssen die Tiere durchs Ökosystem durch die Weide rotieren. Und deswegen nehme ich gern als Bild wie in einem natürlichen Ökosystem die Weidetiere durch eine Steppe ziehen, müssen wir das auch in der Agrarlandschaft simulieren. Das ist ein ganz entscheidender Punkt, um sozusagen ja den Pflanzen, den Futterpflanzen, die mehrjährig im Boden wachsen, genug Rastzeit zu bringen, damit sie ihr volles Bodenaufbaupotenzial ausschöpfen können. ATMOS PARLAMENTSSTIMME Frau Idel! O-TON 60 (Idel) Wir müssen uns ja immer klarmachen, entstanden ist diese Bodenfruchtbarkeit in einer Welt ohne Zäune. Graslandökosysteme als größtes Biom auf unserem Planeten, als erfolgreichstes Biom auf unserem Planeten wurde beweidet, und jetzt kommt es, durch wandernde Weidetiere. Das ist das Entscheidende, dass die Tiere eben immer dem wachsenden Gras hinterher gewandert sind. MUSIK CHOR Messt uns an dem, was wir können. Können. Können. Können. Entdeckt uns endlich neu. Neu. neu.Neu. ATMOS O-TON 61 (Idel) Wieso kann nachhaltig beweidetes Grasland zur Bodenfruchtbarkeit beitragen? Im Rahmen der Klimadebatte sprechen wir ja von Kohlenstoffspeicherung, und wenn es da eben um die natürliche Kohlenstoffspeicherung geht, haben erst mal fast alle Menschen nur Wälder im Sinn. Wir sehen das ja nicht, CO2, das in der Atmosphäre ist, wird im Rahmen der Fotosynthese aufgenommen vom Pflanzengrün, und dann geben uns ja freundlicherweise die Pflanzen den Sauerstoff wieder ab, sodass wir atmen können, und behalten aber das C, den Kohlenstoff. Und hier ist jetzt eben der große Unterschied zwischen den Bäumen und den Gräsern, dass die Bäume das C hauptsächlich in ihrer eigenen Pflanzenbiomasse, in ihrer eigenen Baumkörpermasse speichern und nur einen kleineren Teil davon auch an den Boden abgeben. Bei den Gräsern ist das ganz anders, da sind sowohl die oberirdischen Halme, als auch die unterirdischen Wurzeln eher so Durchlauferhitzer. D.h. entscheidend bei den Gräsern ist, dass sie den Kohlenstoff aus der Atmosphäre letztendlich in den Boden transportieren. Sie sind Feinwurzler, d.h. sie haben ungeheuer viele Feinwurzeln, und das bedeutet ungeheuer viele Wurzelenden. Und es ist jeweils an den Wurzelenden, wo die Bodenbildung stattfindet. Das ist das Entscheidende. ATMOS DATENMENSCH Es gibt da, ein Moment, eine neue Metastudie aus dem Jahr 2021, in der man Wald und Grasland in Bezug auf Humusbildung verglichen hat, mit dem Ergebnis, dass Gräser tatsächlich mehr Boden bilden als Wald. ATMOS O-TON 64 (Hradetzky) Wenn ich jetzt meine Rinder so grasen lasse, kommen sie halt viel besser mit Klimaveränderung zurecht, weil ich die richtigen Pflanzen anbaue. Und ich baue Pflanzen an, die Boden aufbauen, und durch die Beweidung wird was runtergetrampelt, und das ist natürlich auch dann wieder Futter für die Regenwürmer, die können das dann umbauen, die Bodenlebewesen generell. Ja, und ich hab ein ganz anderes Habitat, als wenn ich jetzt Weidelgras anbaue und das einmal runterfressen lasse oder wie die Nachbarn einfach das abmähen und in den Stall fahren. ATMOS PARLAMENTSSTIMME Herr Bösel! Bitte! O-TON 65 (Bösel) Man muss wissen, dass die Kühe und die richtige Kuhhaltung eigentlich das größte Potenzial überhaupt haben, um natürliche Kreisläufe zu schließen, insbesondere das, was wir an Nährstoffen über die Ernte vom Feld nehmen für die menschliche Ernährung dann über die Ausscheidung der Kuh eigentlich auch wieder zurückzubringen. D.h. die Kühe sind im Grunde genommen die Basis der menschlichen Ernährung, wenn wir sie denn richtig halten würden. ATMOS O-TON 66 (Bösel) Wir haben Biodiversitätsverlust, Bodenverlust, und der einzige andere Weg als System ist der Weg der Natürlichkeit, der Biologie: Untersaaten, Zwischenfrüchte, Kompostierung und natürlich die Rinder, die Gott sei Dank auch noch vier Beine haben, um die Nährstoffe an die richtige Stelle bringen zu können. MUSIK CHOR Darauf baut Ihr. Dafür kauen wir. Dafür scheißen wir. O-TON 69 (Bösel) Sie sind Bodenverbesserer, sie sind Biodiversitätsaufbauer, sie sind Nährstoffkreislaufschließer, außerdem machen sie uns auch noch glücklich. ATMOS PARLAMENTSSTIMME Da eine Kuh. Sie wirkt störrisch. Es ist die stolze mit den weißen Hörnern. Sie springt. Dreht sich halb im Kreis. Schlägt aus. ATMOS O-TON 70 (Bösel) Wir haben einen Wettbewerb zwischen dem Tier und dem Menschen kreiert, indem wir Kühen Dinge zu fressen geben, für die die gar nicht gemacht sind. Kühe sind dafür gemacht, Grünzeug zu fressen. Das kann kein Mensch essen, das können nur die Tiere. Und dabei haben sie einen wesentlichen Beitrag zum Schließen der Nährstoffkreisläufe, zum Aufbau von Biodiversität, zum Aufbau von Bodenbiologie und auch zum Aufbau von Wasserkreisläufen und Kühlungseffekten. Das ist doch ein entscheidender Punkt in der Debatte, der immer vergessen wird. PARLAMENTSSTIMME Herr Manzke, Ihr Betrieb, ein Grünlandweidebetrieb, ist Teil eines Forschungsprojekts, das den Zusammenhang einer bestimmten Beweidungsform und der Humusbildung untersucht. O-TON 72 (Manzke) Ja, wo fange ich denn da an? ATMOS O-TON 73 (Manzke) Wir sind vor einiger Zeit auf das Thema Mob Grazing aufmerksam geworden. Ja, das Mob Grazing ist ja eine Beweidungsform, bei der es darum geht, mit hohen Besatzdichten, also mit viel Kilogramm oder Tonnen pro Fläche, einen gewissen Trampeleffekt zu erzeugen auf dem Grünlandstandort. Das heißt, dass ein signifikanter Anteil der Gräser runtergetrampelt wird und als Mulchschicht verbleibt. Und diese Mulchschicht sorgt dafür, dass der Boden darunter beschattet wird, dass da die Temperaturen im Sommer nicht zu hoch gehen und dass das Wasserhaltevermögen der Fläche vergrößert wird und dass die Lebewesen in Bodennähe immer gut mit Nahrung versorgt sind. Und dadurch erreicht man dann auch eine Erhöhung oder soll man dann auch eine Steigerung der Bodenfruchtbarkeit erreichen, eine Erhöhung des Wasserhaltevermögens, letzten Endes auch ein Humusaufbau, der damit einhergeht. Und das versprechen wir uns eigentlich von unserem Versuch hier auch. MUSIK O-TON 74 (Bösel) Das ist genau das, um was es geht: Dieses Aufbauen von Biomasse, Wurzelwachstum, Fotosynthese, das ist das, was Kohlenstoff in den Böden speichert, Humus aufbaut, Böden gesundet. ATMOS PARLAMENTSSTIMME Die stolze Gehörnte hat ihre Artgenossinnen angesteckt. Nervosität breitet sich aus. ATMOS PARLAMENTSSTIMME Frau Langlotz, bitte! Frau Langlotz, Sie melden sich schon so lange. Bitte! O-TON 75 (Langlotz) Man kann jetzt ewig lang über Kühe im Stall, Kühe auf der Weide und Kühe auf welcher Weide reden und wie viel CO2 da vielleicht gebunden wird, wie viel Biodiversität erhalten. Und das ist alles wichtig, aber eine wichtige Frage, die auch geklärt werden muss, die sehr komplex ist und ohne deren Klärung es nicht möglich sein wird, Bodenschutz zu betreiben, ist die Frage von Eigentum und Boden. Denn wer Eigentum an Land hat, bestimmt zu großen Teilen, was darauf passieren kann. MUSIK CHOR Gebt uns den Boden zurück! ATMOS O-TON 76 (Langlotz) Wenn ich mir jetzt Land kaufen möchte als junger Mensch, der Landwirtschaft machen will, dann hab ich so viel an diesem Land alleine abzubezahlen, das kann ich in meinem ganzen Leben lang nicht produzieren auf der Fläche, so viel Geld, wie ich da brauche. Es ist ja so, dass sich die Bodenpreise im letzten Jahrzehnt verdoppelt, verdreifacht bis zu vervierfacht haben. ATMOS PARLAMENTSSTIMME Woran liegt das? O-TON 77 (Langlotz) Einmal die EU-Agrarsubventionen, weil seit Jahrzehnten ein Drittel des EU-Haushaltes pro Fläche ausgeschüttet wird. Da geht es nicht darum, was für eine Landwirtschaft auf der Fläche stattfindet, sondern einfach nur, wer viel Land hat oder pachtet, dem wird viel von diesem Geld gegeben. MUSIK CHOR Gebt uns den Boden zurück! O-TON 78 (Langlotz) Dann ist es so, dass wir mit den Share Deals eine Riesengesetzeslücke haben, weil außerlandwirtschaftliche Investoren heimlich, still und leise seit vielen, vielen Jahren einfach den Boden aufkaufen, um ihr Geld anzulegen, und weil Boden immer wertvoller wird, ist das die sicherste Anlage, die es gibt. DATENMENSCH Entschuldigung, kurze Erläuterung: Share Deal bedeutet, Investoren kaufen nicht Land direkt, sondern sie kaufen Anteile an Landwirtschaftsbetrieben. Und sie tun das deshalb, weil Anteilskäufe vom Grundstücksverkehrsgesetz ausgenommen sind, das Landwirte und Landwirtinnen beim Landkauf privilegiert. Investoren umgehen so also deren Vorkaufsrecht, und, das kommt noch hinzu, auch die Grunderwerbssteuer, wenn sie nämlich weniger als 90% der Anteile eines Betriebs kaufen. O-TON 78 (Langlotz) Das ist einfach ne Riesengesetzeslücke. Und bis jetzt hat sich keine Regierung gekümmert, die zu schließen. ATMOS PARLAMENTSSTIMME Die Kühe versuchen, eine Herde zu bilden. Die Gräser winden sich weg. Das Kapital, in ständiger Bewegung, es gibt keine Ruhe. ATMOS O-TON 79 (Langlotz) Ein weiterer Punkt, warum in der Landwirtschaft die Preise gestiegen sind, ist die BVVG, das ist quasi die Nachfolgeorganisation der Treuhand. Und die BVVG, Bodenverwertungs- und Verwaltungs-GmbH, hat jetzt auch Jahrzehnte Land höchst bietend verpachtet und verkauft, und das auch immer an größere Betriebe, weil die natürlich in ihren Bilanzen sich als ökonomischer abbilden, als rentabler. MUSIK CHOR Gebt uns den Boden zurück! Gebt uns den Boden zurück! Gebt uns den Boden zurück! Gebt uns den Boden zurück! Gebt uns den Boden zurück! Gebt uns den Boden zurück! Gebt uns den Boden zurück! Gebt uns den Boden zurück! ATMOS PARLAMENTSSTIMME Die Kühe werden jetzt immer unruhiger. Es geht um wichtige, auch sie betreffende Angelegenheiten. Frau Langlotz, Sie waren noch nicht am Ende! O-TON 80 (Langlotz) Ein weiterer Punkt war das Erneuerbare Energien Gesetz. Es war nämlich so, als das Erneuerbare Energien Gesetz eingeführt wurde, hat es dazu geführt, dass der Strom aus Biogasanlagen auch subventioniert wurde, und gleichzeitig wurden die Energiebauern auch noch über die Fläche subventioniert. Das heißt, sie hatten mehr Möglichkeiten, Land zu pachten, konnten ihre Kolleg*innen ausstechen und haben somit dann die Pachtpreise, die regionalen, in die Höhe getrieben, was übrigens auch wieder den Einstieg für Junglandwirt*innen und Leute, die wenig Eigenland haben, in der Landwirtschaft total erschwert. ATMOS O-TON 81 (Langlotz) Und jetzt passiert das Gleiche mit der Fotovoltaikgeschichte. Es ist nämlich so, wenn wir jetzt als Bäuer*innen, sagen wir mal, sehr unterschiedlich regional, 300 € Pacht zahlen, ist es inzwischen so, dass Investoren halt, wenn sie Fotovoltaik darauf machen wollen, 3000 € Pacht zahlen, es gibt jetzt auch schon Gemeinden mit 6000 € Pacht. Also das ist das Zehn- bis Zwanzigfache. Und da kommt einfach keine Landwirtin und kein Landwirt mehr mit. MUSIK CHOR Gebt uns den Boden zurück! PARLAMENTSSTIMME Wie könnte eine gerechte Bodenpolitik aussehen? Welche Bremsen gäbe es? O-TON 82 (Langlotz) Ich bin gerade mit einem bäuerlichen Verband und all diesen Expert*innen, die aus der Landwirtschaft kommen, dabei zu gucken, wo können wir Instrumente politisch einbringen und umsetzen lassen, um erst mal die krassen, krassen Missstände ein bisschen auszubremsen und aufzuheben. Und eine dieser Bremsen wären Agrarstrukturgesetze. ATMOS O-TON 84 (Langlotz) Das ist letzten Endes das Gleiche, was Deutsche Wohnen & Co. Enteignen in Berlin für die Wohnungen haben will, nämlich dass Investoren aus dem Wohnungsmarkt rausgedrängt werden. Genau das wird grad verhandelt in drei ostdeutschen Bundesländern, nur leider kriegt keine Sau davon mit. Uns fehlt der gesellschaftliche Rückhalt, uns fehlt der Druck quasi aus der Zivilgesellschaft, um da mehr zu erreichen. PARLAMENTSSTIMME Wir müssen eine eigene Sitzung einberufen. Die Bodenfrage ist ein Riesenkomplex. Uns läuft jetzt aber die Zeit davon. MUSIK CHOR Gebt uns den Boden zurück! PARLAMENTSSTIMME Und da landen wir am Ende wieder bei Bruno Latour. Heißt es bei ihm nicht, unsere Aufgabe sei es, festen Boden unter den Füßen zu gewinnen, um uns dann neu zu orientieren? DATENMENSCH Ein ganzes Buch hat er geschrieben. Où aterrir? ist der französische Titel, Wo landen? Auf Deutsch heißt es: Das Terrestrische Manifest. Und da steht der schöne Satz, Moment / MUSIK CHOR / Raus. Raus. Raus. / DATENMENSCH / lassen Sie mich nur das noch vorlesen, voilà: "Es gibt nichts Innovativeres, nichts, das stärker präsent, subtiler, technischer, künstlicher (im besten Wortsinn) und weniger rustikal und bäuerisch-ländlich wäre, nichts das schöpferischer wäre und der gegenwärtigen Zeit mehr entsprechen würde, als darüber zu verhandeln, wie und wo wieder Bodenhaftung erzielt werden könnte." ATMOS MUSIK CHOR Raus. Raus. Raus. Raus. Raus. Raus. PARLAMENTSSTIMME Die Kühe sind am Durchdrehen. Öffnen Sie die Türen! Schnell! Schnell! CHOR Raus. Raus. Raus. PARLAMENTSSTIMME Lassen Sie sie raus! Da, wo sie hingehören auf eine artenreiche Weide. MUSIK CHOR Wir sind Teil des Aufstands gegen die Lebenszerstörung. MUSIK PARLAMENTSSTIMME Sie verhandeln weiter. Im Parlament der Dinge. ATMOS PARLAMENTSSTIMME Die Kühe springen jetzt ins Freie. ATMOS PARLAMENTSSTIMME Die Blaskapelle folgt. MUSIK DATENMENSCH Das Rind. Im Parlament der Dinge. PARLAMENTSSTIMME Die Kuh. Im Parlament der Dinge. CHOR Wir, die Bodenfruchtbarkeitsagenten. DATENMENSCH Ein Feature von Barbara Eisenmann CHOR Wir, die Nähstoffkreislauferschließerinnen. Wir die Kohlenstoffspeicherungshelfer. DATENMENSCH Es sprachen: Astrid Meyerfeldt und Bernd Moss Und als Chor: Helene Grass Henning Nöhren Adam Nümm CHOR Wir, die Biodiversitätsförderinnen. DATENMENSCH Ton: Hermann Leppich Regie: Barbara Eisenmann CHOR Wir, die Landschaftsgärtner. DATENMENSCH Redaktion: Wolfgang Schiller Sie hörten eine Produktion des Deutschlandfunks mit dem Westdeutschen Rundfunk 2024 CHOR Wir, die Revolutionärinnen für das Leben. ATMOS 1