Hörspiel Feature Radiokunst Das Feature Unter Kontrolle Wie Pädophile mit ihrer Neigung leben Autorin: Philine Sauvageot Regie: Claudia Kattanek Redaktion: Wolfgang Schiller Produktion: Deutschlandfunk 2018 Erstsendung: Dienstag, 06.03.2018, 19.15 Uhr Wiederholung: Dienstag, 25.07.2023, 19.15 Uhr Es sprach: Claudia Mischke Ton und Technik: Gunther Rose und Kathrin Fidorra Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. (c) - unkorrigiertes Exemplar - Max: Ich bin Max, ich bin Anfang 30 und ich bin pädophil. Franz: Ich bin Franz Wuth. Ich liebe Kinder, das ist mir heute mit 58 klar, (die) habe ich immer geliebt. Pascale: Ich bin Pascale, ich bin um die 40 Jahre alt, arbeite mit Kindern und ja, bin auch pädophil. Sprecherin Dies sind die Geschichten von drei pädophilen Männern, die kein Kind missbrauchen und keine Kinderpornografie konsumieren wollen. Menschen, die das für sich beanspruchen, nennen sich Non-Offender. Ihre Geschichten sind nicht eins zu eins auf andere übertragbar. Doch ihre Gedanken und Gefühle sind typisch. Pascale: Ich hab kein Kind irgendwie sexuell berührt, ich hab keinen Übergriff begangen, ich hab kein Kind vergewaltigt, ich hab kein Kind geschlagen, oder irgendwie Schmerzen zugefügt. Das habe ich nicht getan. Habe ich auch nie gewollt. Franz: Diese Liebe zu Kindern, mich in ihre Gefühle reinversetzen zu können, das hat mich letztlich bewahrt, sexuell übergriffig zu werden. Das war mir immer klar: Wenn ich mit Kindern Sex haben würde, dann würde ich was zerstören. Max: Ein heterosexueller Mann fällt ja auch nicht über jede Frau her, die er attraktiv findet. Sprecherin Alle drei Männer gehen das Risiko ein, erkannt zu werden, in Kreisen, in denen sie sich bewusst nicht offenbart haben, um ihren Job oder den sozialen Rückhalt nicht zu verlieren. Darum sind zwei von drei Stimmen verzerrt und alle Namen geändert worden. Musikakzent Ansage Unter Kontrolle Wie Pädophile mit ihrer Neigung leben Feature von Philine Sauvageot Anna: Ja, ich bin Anna, ich bin Mutter von zwei Kindern und ich bin befreundet mit Max seit ungefähr dreieinhalb Jahren. Max: Ich erinnere mich so, dass du kamst und gefragt hattest, ob ich auf eins oder beide Kinder aufpassen könnte, einen Nachmittag. Anna: Ich wusste einfach aus Gesprächen, dass für ihn das Alleinsein mit einem Kind, oder in dem Fall mit zwei Kindern, so in seinem No-Go-Bereich ist, den er sich irgendwie nicht zutraut. Max: Lieber einen Ticken vorsichtiger rangehen, als dass du nachher dasitzt und völlig verwirrt und emotional überfordert bist von irgendeiner Situation, jetzt die ganze Zeit mit diesem Kind zu tun zu haben, während mich das irgendwie total sexuell anspricht. Anna: Ich hab ihn kennengelernt als einen Menschen, der sich eher dreimal zu viel hinterfragt als einmal zu wenig. Und hab das dann für mich in meinem Kopf hin und her bewegt und irgendwann war ich so an dem Punkt und dachte: Warum frag ich mich das eigentlich? Ich frag ihn selbst und er wird Ja oder Nein sagen. Max: Da war das so, dass ich das abgelehnt habe, weil ich gesagt hab: Die Kinder, das ist mir nicht ganz geheuer, die Situation kann ich noch nicht richtig einschätzen. Anna: Tatsächlich war da mein Eindruck: Er steht sich da so ein bisschen selber im Weg mit einer Angst vor sich selbst, die ich persönlich, so wie ich ihn kennengelernt hab, für wirklich sehr unrealistisch gehalten hab. So als jemand, die sich viel mit dem Thema Sexismus auseinandergesetzt hat, guck ich mir Männer ziemlich genau an und hatte da bei Max das Gefühl, dass er jemand ist, der sehr sensibel ist und nie Grenzen überschreitet bei anderen, also der sehr vorsichtig ist, gerade im Körperlichen, auch mir gegenüber. Da kam auch mein Vertrauen her. Das hätte ich jetzt nicht grundsätzlich in jeden Menschen, der pädophil ist. Das hätte ich aber auch nicht in jeden Menschen, der nicht-pädophil ist. Max: Zwei Monate später kam das Thema nochmal auf. Da hab ich gesagt: Ja, würde ich gerne machen. Und hab mir aber erstmal eine kleine Hilfskonstruktion gebastelt, dass ich gesagt hab: Ich hol das Kind von der Schule ab und dann setzen wir uns öffentlich wo hin, dass ich für mich erstmal die Situation abschätzen konnte. Und da hab ich gemerkt, dass das wirklich super unproblematisch für mich ist und da habe ich gesagt: Okay, das können wir auch machen, wenn ich bei dir in der Wohnung bin oder so. Anna: Meine Kinder mögen ihn sehr gerne. Also im Sinne von als einen der Freunde der Familie, der gerne auch mit ihnen spielt, im Gegensatz zu manch anderen, die eher mich besuchen kommen. Tja, der Benefit für meine Familie? (lacht) Mathe-Nachhilfe für die Große definitiv. (lacht) Da setz ich sehr drauf. Max: Also regelmäßiger Bestandteil ist natürlich Abendbrotessen oder Hausaufgabenhilfe, was malen, die Kinder turnen auch sehr gerne im Zimmer. Anna: Ich glaube, das, was Kinder schützt, ist, dass man sie so erzieht, dass sie einfach ein gutes Gefühl haben für sich und für ihre Grenzen und dass sie Nein sagen lernen. Also klar, da hab ich auch mit Blick auf meine Kinder keine großen Sorgen, so (lacht). Die würden einfach weggehen oder ne Hand wegschieben oder sagen, das wollen sie nicht. Max: Etwas überrumpelt hat mich, wo ich irgendwann dem einen Kind nackend begegnet bin, das beim Umziehen zur Nacht dann nackt oder halbnackt durch die Wohnung gerannt ist. Das war so ne Situation, wo ich dachte: Wow, okay, muss ich jetzt nicht jeden Tag haben! Aber es ist natürlich dann im Moment sexuell ansprechend und das ist etwas, was ich in irgendeiner Weise verarbeiten muss, sagen muss: Okay, das ist jetzt nicht schlimm, das tut mir nix. Musikakzent Amelung: Wenn das mein Patient wäre, würde ich da sehr genau hinsehen wollen: Was sind die Motivationen? Worum geht's bei diesem Babysitten, geht's da nicht doch auch darum, Freundschaften, Beziehungen zu den Kindern zu führen oder geht's darum, die Beziehung zu der Mutter der Kinder gut zu pflegen? Ich würde auch gerne wissen wollen, wenn es mein Patient wäre, wie gut ist die Mutter in der Lage, die Kinder auch zu schützen? Hat sie das im Blick? Kann sie das einschätzen, was das heißt, wenn ihr derjenige sagt: Ich bin pädophil und ich pass auf deine Kinder auf? Sprecherin Till Amelung ist Sexualmediziner am Berliner Universitätsklinikum der Charité. Dort hat man eine sogenannte "sexualpädagogische Ampel" entwickelt, die Fälle wie den von Max und Anna einordnet. Der Leitfaden soll Situationen nach ihrem Gefahrenpotential abstufen - in rot, gelb und - wenn völlig unproblematisch - grün. Der soziale Kontakt mit Kindern außerhalb der Öffentlichkeit, also etwa in einer Wohnung bedeutet: Alarmstufe Rot. Akute Gefahr für Kinder und den Betroffenen selbst. So systematisch diese Empfehlungen auch erscheinen, keine Untersuchung zeigt, wie wahrscheinlich es ist, dass ein Pädophiler in seinem Leben tatsächlich einen sexuellen Übergriff begeht. Amelung: Aber rein von der Intuition her wirkt das sehr wahrscheinlich, dass es ein gewisses Grundrisiko gibt: Wenn mich etwas anspricht sexuell, dass ich auch irgendwann entsprechend mich sexuell verhalte. Sprecherin Weltweit sind sich Wissenschaftler einig: Etwa 40% der sexuellen Gewalttaten gegenüber Kindern und Jugendlichen sind auf eine Pädophilie zurückzuführen. Wer sie auslebt, gilt als "Präferenztäter". 60% der Taten werden von nicht-pädophilen Menschen ausgeübt. Diese "Ersatzhandlungstäter" missbrauchen ein Kind z.B. aufgrund einer Persönlichkeitsstörung, und sind eigentlich sexuell auf Erwachsene ausgerichtet. Der Belgier Marc Dutroux etwa, der bis Mitte der 1990er-Jahre Kinder und Jugendliche entführte und sexuell missbrauchte, ist nicht pädophil. Die psychiatrischen Gutachten vor Gericht kamen zu dem Schluss: Der in seiner Persönlichkeit gestörte Dutroux habe aus Geldgier und Machtstreben gehandelt. Seine Taten waren pädosexuell, nicht pädophil. Etwa 1% der männlichen Bevölkerung soll pädophile Neigungen haben. In Deutschland wären es demnach etwa 300.000 Männer. Erste, an der Berliner Charité durchgeführte Studien deuten darauf hin, dass ein Großteil der Pädophilen keinen sexuellen Kindesmissbrauch begeht. Max: Ich mach mir gar nicht so viele Gedanken drum, ein Kind jetzt nicht zu verletzen oder sowas. Weil das ist irgendwie so weit weg! Und so unrealistisch! Ich wär dazu nicht fähig, ein Kind zu verletzen. Sprecherin Max sucht die Öffentlichkeit. Er betreibt die Webseite "Schicksal und Herausforderung", in auf der sich Betroffene austauschen. Die oberste Regel: Wir wollen keinen sexuellen Kontakt mit Kindern - und ihn auch nicht gut heißen. Eine Frage von Nutzern taucht immer wieder auf: Max: Ich hab jetzt irgendwie mit einem Kind neuerdings öfter mal Kontakt im Bekanntenkreis und merke: Das spricht mich jetzt total an, ich bin jetzt völlig aus der Bahn geworfen. Wie kann ich mich da jetzt verhalten? Ich habe Angst, dass ich übergriffig werden könnte! Musikakzent Pascale: ... Als ein Klassenkamerad mit einem Katalog kam und allen stolz die Unterwäsche-Seiten der Damenmode zeigte und die Jungs alle dahin stürmten und mit Kommentaren beglückten... Wo ich das überhaupt nicht verstehen konnte, was die daran finden. Ich hab dann zu Hause mir das angeguckt und dann bin ich über die Kindermode gestolpert auf diesen Seiten und hab mir das angeguckt und das fand ich schön. Als ich mich dann ganz heimlich in ein Mädchen aus einem Katalog verliebt hatte, dann hab ich das ausgeschnitten und heimlich in ein Buch ganz hinten im Bücherregal reingestellt und dort immer mal wieder mir das Bild angeguckt, um da irgendwie so eine heimliche Liebesgeschichte daraus zu fantasieren. Das war nicht normal, das hab ich gewusst. Und ich wusste auch, dass ich das besser niemandem sage. Sprecherin Pascale ist damals ungefähr 12 Jahre alt. Seine Pubertät beginnt. Er verliebt sich von nun an nur noch in Kinder zwischen etwa 8 und 12 Jahren. Pascale: Wenn ich ein Foto sehe von einem Kind, das in kurzen Hosen steckt, guck ich als allererstes auf die Beine. Die haben einfach so knufflige Beine, die sind einfach schön, die find ich süß, die mag ich, und danach guck ich auf den Oberkörper und schau halt: Ist der drahtig, ist der sportlich, ist der irgendwie kindlich halt. Sprecherin Nach der Schulzeit, im Studium hat Pascale keinen Kontakt zu Kindern in seinem Präferenzalter. Im Internet liest er zum ersten Mal von der "Pädophilie" - definiert als sexuelle Ansprechbarkeit durch vorpubertäre und pubertäre Kinderkörper. Pascale: Ich hab mich damit beschäftigt und gelernt: Okay, das heißt so. Aha, ja, so empfinde ich, das stimmt. Das nehme ich an, das ist so. Und dann war das aber über viele Jahre kein großes Thema. Sprecherin Erst viel später holt es ihn ein. Mit 35 Jahren verliebt er sich in einen Freund seines Sohnes. Der Junge ist 9 Jahre alt. Sie machen Ausflüge, spielen Fußball, gehen ins Kino. Pascale: Plötzlich war da etwas, wo ich sagte: Mensch, was ist das denn für ein toller Kerl? Man fängt an, an ihn zu denken. Man stellt sich vor, mit ihm zusammen zu sein, Nähe sich herbeizuwünschen zu diesem Menschen. Man rutscht dann einfach etwas mehr hin, man berührt ihn, weil es im Körper wieder unglaublich viele Energien freisetzt, dieses Kribbeln im Bauch, diese Schmetterlinge, die dann aufflattern. Das ist ja etwas Schönes. Das Kind empfindet es natürlich nicht so, das denkt: Achja, jetzt sitzt der halt neben mir. Und da passiert es, dass ich die Grenzen des Kindes eigentlich überschreite. Ahlers: Was die Betroffenen erleben ist, dass sie sich mit Erwachsenen langweilen. Die können mit ihnen kommunizieren und interagieren, aber das öffnet ihr Herz nicht. Sondern das, was in ihnen die Saiten zum Klingen bringt, ist der Kontakt und der Umgang mit Kindern und da gehen die auf. Häufig auch in einem Mischgeschehen, in dem sie sich selber auch irgendwie als Kind fühlen, in dem sie das Gefühl haben, mit den Kindern irgendwie auf Augenhöhe zu sein und im Kontakt mit Kindern einer unter Gleichen. Sprecherin Christoph Ahlers behandelt in seiner Praxis für Paar- und Sexualtherapie regelmäßig pädophile Menschen. Seit 20 Jahren beschäftigt er sich mit Sexualpräferenzen, die von der Norm abweichen. Ähnlich romantisch wie bei Pascale äußern sich auch bei Max die ersten Gefühle. Mit 19 Jahren verliebt er sich zum ersten Mal in ein Mädchen, es ist 15 Jahre alt. Später sind die Mädchen jünger, zwischen 5 und 12. Max: Ich möchte diesen Menschen, den ich sehr mag und liebe, auch berühren, streicheln, liebevoll anfassen. Was ich merke, ist halt Bedürfnis nach Zuneigung, Geborgenheit, zusammen auf der Couch zu liegen, Arm in Arm, zu reden, sie spielt sehr gerne Minecraft, und da dann einfach zusammen zu spielen, einfach Zeit zu verbringen. Sprecherin Christoph Ahlers zufolge wünschen sich Pädophile eine - wenn auch unrealistische - ganzheitliche Partnerschaft mit einem Kind. Auf Augenhöhe. Das Institut für Sexualwissenschaft und Sexualmedizin an der Charité wollte genauer wissen, was das für Gefühle und Wünsche sind, die pädophile Menschen entwickeln. Die Forscher um Till Amelung zeigten pädophilen und nicht-pädophilen Testpersonen Bilder von Kindern, und untersuchten über ein MRT deren Hirnaktivitäten. Amelung: Ein weiterer Befund, der relativ konstant war, war, dass pädophile Männer visuelle sexuelle Reize, das heißt unbekleidete oder leicht bekleidete Kinder letztlich so verarbeiteten wie Männer, die auf erwachsene Sexualpartner reagieren. Da wirkt es so, dass eben pädophile und nicht-pädophile Männer letztlich mit denselben Hirnarealen, mit derselben Art und Weise der Hirnaktivierung auf jeweils unterschiedliche sexuelle Reize reagieren, die Pädophilen eben auf Kinder, und die Nicht-Pädophilen auf Erwachsene. Sprecherin Franz wünscht sich von Anfang an keine romantische Beziehung zu einem Kind. Auch später wird er sich nie in ein Kind verlieben. Als er in die Pubertät kommt, sind seine Gedanken: Franz: Ich will beherrschen. Das ist wie so'n halbes Allmachtsgefühl oder so. Das Kind zu zerstören, Macht über das Kind zu haben, es total zu demütigen und zu quälen. Sprecherin Seine Gewaltfantasien mischen sich mit sexuellen Fantasien. Wenn er einem Kind auf der Straße oder im Sommer am Strand begegnet, zieht er es in Gedanken aus. Franz: Das hat ganz viel mit der Haut zum Beispiel schon zu tun. Dass die weicher ist. Kinder haben irgendwie was, auch vom Aussehen her, was Sauberes. (...) Abends bei mir zu Hause oder im Internet, Bilder, die mit Gewalt gekoppelt waren, waren für mich noch ne Extraerregung. Das ging so weit bis zum Kannibalismus, diese Fantasien. Ja, ich hab mich selber verabscheut. Sprecherin Mit 11 Jahren spielt Franz Klarinette in einem Kinder- und Jugend-Blasorchester, mit dem er auch auf Übungslager fährt. Etwa 40 Mitglieder im Schulalter hat das Orchester, und ein paar Jugendliche, die schon eine Lehre begonnen haben. Franz: Man hat gemeinsam übernachtet in Mehrbettzimmern. Und da war das einfach üblich, sich gegenseitig zu befriedigen oder sowas. Und ich hab aber beizeiten gemerkt, dass meine Richtung die Jüngeren sind, also dass damals schon Altersunterschiede waren, die so nicht in Ordnung waren. Sprecherin Franz überredet Jungen zu sexuellen Handlungen. Er ist 11, 12 Jahre alt, die Jungen etwa 5 oder 6. Franz: Ich hab mir teilweise Jungs schon vorher ausgesucht, die wo ich wusste: Die sind da ziemlich zu erreichen oder so. Da habe ich dann gesehen, dass ich ein Bett neben ihnen kriege oder so. Das war teilweise dann schon geplant. Sprecherin Es ist ein Kapitel, über das er nicht gerne spricht. Die Erinnerungen sind bruchstückhaft. Und er relativiert sie: Franz: Das ist ja für Jüngere auch so, ihre Sexualität selber zu entdecken. Das ist ja für sie auch ein bisschen, dass sie da eingewilligt haben. Sprecherin Die juristische Tragweite seiner Handlungen ist ihm damals nicht bewusst, sagt er. In einer Therapie wird er später lernen, sie als sexuelle Übergriffe einzuordnen - und als Straftaten, die laut Paragraph 176 des Strafgesetzbuches normalerweise mit bis zu zehn Jahren Haft belegt werden - auch wenn er selbst damals minderjährig ist. Mit 17 Jahren verlässt Franz das Orchester. Er schämt sich für seine Sexualität. Und hat Angst: Franz: Wenn ich jetzt was mache und ich werde dabei erwischt, dann wandere ich ab. Sprecherin Später wird ihm eine Borderline-Persönlichkeitsstörung diagnostiziert. Eine mögliche Erklärung für seine extremen Gewaltfantasien. Musikakzent Franz: Ich hab gedacht, wenn ich heirate und mit einer Frau schlafe, dann erledigt sich das von alleine. Das hat's aber nicht. In der Fantasie war ich zu 95 %, wenn ich mit meiner Frau geschlafen habe, im Kopfkino bei Kindern. Ahlers: Wir können davon ausgehen, dass die Mehrzahl aller Personen mit sexuellen Präferenzbesonderheiten sich mit gegengeschlechtlichen Partnern zusammentun und mit denen Ehen schließen, um Familien zu gründen und um eine bürgerlich-intakte Fassade repräsentieren zu können. Sprecherin Diese "Fassadenehen", wie sie Christoph Ahlers nennt, sind Versuche, die eigene Pädophilie in den Hintergrund zu drängen. Auch Pascale heiratet eine Frau, obwohl er ausschließlich pädophil ist. Bis er sie kennenlernt, lebt er lange Zeit alleine. Seine Hoffnung damals: Pascale: Irgendwann wird sich da für mich schon was ergeben, es wird irgendeine Beziehung geben, es wird auch für mich ne Liebe geben. Ich muss ja nur mal irgendwie Kontakt haben oder mir muss mal jemand begegnen. Sprecherin Seine Freunde gehen Beziehungen ein, gründen Familien. Warum er niemanden findet, fragen sie ihn. Ahlers: Das ganze Leben wird kompliziert, es kommt zu einem sozialen Rückzug, um sich diesen Fragen nicht aussetzen zu müssen. Es kommt dann zu einer emotionalen Vereinsamung, einem Brodeln im Inneren, das legt nahe, zu sagen: Als ich noch ein Junge war, war das ganze Problem nicht da. Sprecherin Ihre eigene Pubertät empfanden alle drei als ungerecht. Viel zu früh, sagen sie, wurden sie erwachsen. Max: Wenn ich einen Tag eintauschen könnte gegen Kind sein, sofort! Musikakzent Sprecherin Mit der Zeit wird Pascale bewusst, dass es keine gleichwertige Beziehung mit einem Kind geben kann. Pascale: Das ist ein vernichtender Schlag. Man verliebt sich. Man stellt sich das unglaublich romantisch vor, da auch ne Beziehung aufbauen zu können, etwas, das auch längerfristig vielleicht hält, einem Menschen nahe zu sein, den lieben zu können. Und dann merkt man, je länger man sich selbst sieht und das Kind sieht: Das funktioniert gar nicht. Es gibt keine gleichwertige Beziehung mit Kindern. Es gibt auch keine sexuelle Beziehung mit Kindern, die für beide Seiten schön ist. Und das zu erkennen, ist natürlich etwas, das zutiefst traurig und auch einsam macht. Woher nehme ich die Kraft, mir selber Trost zu geben? Sprecherin Wenn Pädophile zu dieser Erkenntnis gelangen, kann es sein, dass sie in eine tiefe Lebenskrise fallen. Ahlers: Was die Betroffenen als eigentlichen tiefen Schmerz erleben und was sie betrauern ist der Umstand, dass sie die Erfüllung ihrer Grundbedürfnisse durch intimen Körperkontakt, durch Hautkontakt, niemals erleben können. Das heißt, das Gefühl, das wir alle suchen, wenn wir uns in eine partnerschaftliche Sexualbeziehung begeben, jemand, der uns anfasst, den wir anfassen, der uns drückt, der uns hält, der uns küsst, der in uns sein will, in dem wir sein wollen, diese Verschmelzung im Sexuellen, die geht ja weit über Erregung und Fortpflanzung hinaus. Sprecherin Franz und auch Pascale leiden in der Folge unter Depressionen und haben Selbstmordgedanken. Franz: Ich wohne neben dem Bahnübergang und das passiert mir, wenn ich dadrüber gehe, dass der Gedanke mal kommen kann: Du kannst dich vor'n Zug schmeißen, oder wo wäre denn die beste Stelle? Pascale: Was bringt denn die Zukunft für mich? Lohnt es sich denn, dann überhaupt zu leben, wenn man gar keine Liebe erfahren kann, wenn das gar nicht möglich ist? Sprecherin Viele Pädophile versuchen, ihrer Lage auch etwas Positives abzugewinnen: "Ich kann besonders gut mit Kindern!" - lautet eine weit verbreitete Selbstaussage. Christoph Ahlers hat seine Patienten auf Veranstaltungen begleitet - und sie genau beobachtet. Ahlers: Ein Beispiel ist: Ein Patient von mir lebt in einem Haus mit vier oder fünf Parteien und die kennen sich alle, dann finden Partys statt und alle treffen sich und trinken was oder grillen im Hof, und dann frag ich den Patienten: Und wo waren Sie? Und dann stellt sich für ihn erst in der therapeutischen Reflexion raus, dass er der einzige Mann ist, der auf solchen Festen immer im Kinderzimmer oder im Sandkasten oder beim Fahrrad-Reparieren ist und nie mit den Männern am Grill steht. Und er hat das Gefühl, er betreibt das gar nicht, sondern die Kinder holen ihn da hin. Und das ist, was ich bestätigen kann. Die Kinder, und zwar immer die, denen es an Aufmerksamkeit mangelt besonders, die halten diese Personen an Händen und ziehen sie zu sich. Deswegen glaube ich, an dieser Darstellung, besonders gut mit Kindern zu können, ist etwas dran. Sprecherin Auch Franz beansprucht für sich, "besonders gut mit Kindern zu können". Gerade das, sagt er, halte ihn davon ab, übergriffig zu werden. Franz: Das passiert mir schon öfters, dass einfach mal Kinder auf mich zukommen und sich neben mich setzen, sich mit mir unterhalten. Dass ich von den Kindern das Gefühl entgegengebracht kriege, das Vertrauen. Das ist sehr schön. Und das will ich auch nicht kaputt machen. Musikakzent Sprecherin Warum werden die einen Pädophilen übergriffig und die anderen nicht? An der Charité vergleicht Till Amelung Hirnstrukturen und Persönlichkeitsprofile. Amelung: Es gibt nicht sowas wie den Nucleus paedophiliae oder so (lacht kurz) im Gehirn, der uns alles erklären würde. Das gibt es nicht. Sprecherin Eine Erkenntnis aber lautet: Entscheidend dafür, ob eine Person zum Täter wird oder nicht, sind bei Präferenz- und bei Ersatzhandlungstätern bestimmte Persönlichkeitsmerkmale. Eine Fähigkeit zur differenzierten Selbstwahrnehmung etwa, zu Empathie und Impulskontrolle, oder ein Verantwortungsbewusstsein für das eigene Handeln. Vereinfacht gesagt: Charakterstärke verhindert Übergriffe. Amelung: Diese pädophilen Nicht-Übergriffstäter haben eine sehr hohe Impulskontrollfähigkeit, sind da sogar ein bisschen besser als die Normal-Gesunden, die wir mit untersucht haben, und aber eben deutlich kontrollierter als die pädophilen Übergriffstäter. Sprecherin Es ist die weltweit erste umfassende Studie, die Non-Offender explizit in den Blick nimmt. Die Charité nennt sie "verhaltensabstinente Pädophile" oder "Nicht-Übergriffs-Täter". Die Studie ist nur möglich dank der ärztlichen bzw. therapeutischen Schweigepflicht, die in Deutschland weitgehend uneingeschränkt gilt. Pädophile Menschen können anonym von ihrer Präferenz berichten, ohne Angst vor Strafverfolgung. Amelung: Das ist in anderen Ländern nicht der Fall, so dass bei Untersuchungen aus den USA, Kanada, Frankreich, England, diese Gruppe der pädophilen Nicht-Übergriffstäter, die gibt's da einfach nicht, weil es diese Anlaufstellen nicht gibt. Im Grunde genommen könnten sie in den meisten Jurisdiktionen anonym bleiben, aber die Angst ist einfach riesengroß, dass sie an einen Therapeuten geraten, der da nicht so firm ist und in einer überstürzten Aktion die Polizei informiert und dann sind sie für den Rest ihres Lebens auf irgendwelchen Listen oder sozial geächtet oder irgendwie sowas. Musikakzent Franz: Dieser Entschluss, wirklich was dagegen zu unternehmen und Therapien zu machen, war eigentlich, wo meine eigenen Kinder dann da waren und ich plötzlich gemerkt habe, beim Wickeln oder so, dass das mit mir auch was macht, dass ich plötzlich sexuell anspringe. Sprecherin Franz fühlt sich überfordert. Er wird gewalttätig, schlägt seine Kinder. Franz: Ich hab mich dann immer einweisen lassen, wenn ich an die Grenze kam, wo ich gemerkt habe: Ich beherrsch das vielleicht nicht mehr oder hatte Angst vor mir selber. Sprecherin Insgesamt hält sich Franz etwa zweieinhalb Jahre in stationärer Therapie auf. Sein längster Aufenthalt in einer geschlossenen Psychiatrie dauert drei Monate. Franz: Das war für mich schon: Jetzt kannst du endlich was tun dagegen. Während ich mich früher eben ausgeliefert gefühlt habe mir selber gegenüber. Sprecherin Franz beginnt mit 52 Jahren beim Präventionsnetzwerk "Kein Täter werden" eine Therapie, die 11 Kliniken und soziale Einrichtungen in ganz Deutschland anbieten. Da er auch nach der Therapie unter Gewaltfantasien leidet, lässt er sich das Medikament Salvacyl spritzen. Der Wirkstoff Triptorelin senkt seinen Testosteronspiegel und dämpft den Sexualtrieb. Franz: Was ich früher viel hatte: Dass ich beim Schlafen gehen sexuelle Fantasien hatte mit Kindern zum Beispiel, das hab ich nicht mehr, das hab ich mit der Spritze verloren alles. Damit konnte ich auch schlagartig aufhören, nach Kinderbildern zu suchen im Internet und hab das erste Mal so ein Gefühl der Freiheit. Sprecherin Auch Max nimmt am Programm "Kein Täter werden" teil. Das Ziel der Therapie ist, Selbstwahrnehmung, Empathie und Impulskontrolle zu stärken. Sie soll aber auch die Lebensqualität der Patienten verbessern und Zukunftsperspektiven schaffen. Die behandelnden Sexualpsychologen und -mediziner sind überzeugt: Ein zufriedenes Leben verringert das Risiko, übergriffig zu werden. Max lernt, dass seine Pädophilie weder gut noch schlecht ist. Dass sie sich wie jede Sexualpräferenz bis zum 20. Lebensjahr entwickelt hat. Und sich seitdem auch durch eine Therapie nicht grundlegend verändern oder gar ins Gegenteil verkehren lassen kann. Sie ist Bestandteil der Persönlichkeit und soll als solche akzeptiert werden. Max: Es ist halt wichtig, dass sexuelle Empfindungen oder Fantasien Kindern gegenüber im Kopf, in der Fantasie bleiben. Da sind sie okay, da tun sie niemandem was. Das, wo man was tun kann, ist am Verhalten und nur darauf kommt's an. Sprecherin Seit 2011 haben bei "Kein Täter werden" etwa 320 Menschen eine Therapie abgeschlossen. Die Männer, die vor der Therapie keinen sexuellen Kindesmissbrauch begangen hatten, wurden auch danach nicht übergriffig. Die Sexualforschung unterscheidet heute zwischen einer unproblematischen Pädophilie und einer pädophilen Störung. So steht es bereits im nordamerikanischen Diagnosemanual "DSM-5". Die Unterscheidung soll bald auch in der nächsten Ausgabe des für deutsche Ärzte bindenden Diagnosesystems der WHO, dem ICD-11, gelten. Amelung: Konkret in der Pädophilie heißt das, dass ein Mann sich sexuell durch Kinder angesprochen fühlen kann. Solange ihn das selber nicht stört, nicht beeinträchtigt, in seiner Beziehungsgestaltung, in seinem normalen sozialen Leben nicht beeinträchtigt und er daran nicht leidet, ist das nicht als psychische Erkrankung diagnostizierbar nach DSM. Sobald aber das mit einem Leidensdruck, also mit Einschränkung in sozialen Beziehungen, mit Einschränkung im sozialen Funktionieren oder aber mit einer Gefährdung für Kinder durch konkrete Übergriffe oder durch die Nutzung von Missbrauchsabbildungen einhergeht, dann wäre es diagnostizierbar als psychische Störung. Sprecherin Die meisten der 8.000 Menschen, die sich bis heute hilfesuchend an "Kein Täter werden" gewendet haben, leiden unter ihrer Pädophilie oder sind eine Gefahr für Kinder. Für die anderen gilt: Amelung: Jemand, der eine Pädophilie hat ohne pädophile Störung, wäre dann auch nicht therapiebedürftig. Sprecherin Pascale entscheidet sich für eine tiefenpsychologische Therapie. Um die Pädophilie geht es nur am Rande. Ihm wird eine langanhaltende Depression und eine schizoide Persönlichkeitsstörung diagnostiziert. Diese Kombination - Pädophilie und Persönlichkeitsstörung - steigert nach Einschätzung von Fachleuten das Risiko eines Übergriffs. Pascale: Am Ende hat es trotzdem sehr geholfen, dass ich mich an einen Therapeuten gewandt habe, der verstanden hat, was eigentlich mein Problem ist. Dass es gar nicht darum geht, dass ich jemandem schaden möchte oder geschadet habe, sondern es darum geht, mit mir selbst klarzukommen und nicht weiß: Was soll ich hier noch? Was bringt mir die Zukunft? Musikakzent Max: Ich möchte mit dir über was reden, was mich sehr bewegt und was wichtig ist und wo ich so ein bisschen Angst habe, wie du reagieren könntest. Sprecherin Max offenbart sich schon vor seiner Therapie engen Freunden und Verwandten: Max: Das Mindeste war immer: Aha! Okay! Teilweise ein bisschen skeptisch. Bei dem einem Outing war's so, dass erstmal Verständnis signalisiert wurde, dann aber klar gesagt wurde: Wenn wir jetzt im gleichen Umfeld wohnen würden und wir hätten ne Familie mit Kindern im Umfeld, dann würde ich mich moralisch verpflichtet sehen, denen das mitzuteilen, weil, der Halbsatz wurde nicht gesagt, aber da kam mit rüber: weil ich dich als eine grundlegende Gefahr sehe. Die anderen Reaktionen waren so sehr neutral. Müssen wir jetzt nicht weiter drüber reden so. Bis hin zu: Wow, interessant! Erzähl mal, wie hast du das selber gemerkt und so? Wo da wirklich ein Gespräch draus wurde. Franz' Tochter: Ich bin die Tochter von Franz, ich bin 26 Jahre alt und habe zwei Kinder im Alter von 5 und 3. Sprecherin Von der Pädophilie ihres Vaters erfährt sie mit 18 Jahren. Franz' Tochter: Als er mir mitgeteilt hat, dass er pädophil ist, hat das vieles erklärt (...). Dass er manchmal etwas verbittert wirkte und manchmal seine Ausraster oder seine Stimmungsschwankungen. Franz: Meine Kinder haben positiv reagiert, muss ich insgesamt sagen, weil wir über eigentlich alles offen sprechen können inzwischen. Franz' Tochter: Irgendwann kam die Situation, dass man überlegt hat, ein Enkelkind könnte mal bei ihm schlafen. Es gab dann noch ein paar Gespräche zwischen meinem Vater und mir, aber das hat es eigentlich mit der Zeit für mich deutlich gemacht, dass das geht. Er hat alle meine Fragen beantwortet, wenn ich auch meine Unsicherheit mal zugegeben habe, dann hat er vor allen Dingen verständlich reagiert und hat mir deutlich gemacht, dass immer wenn Situationen kämen, mit denen er überfordert würde, würden wir darüber reden. Franz: Ich hab das für mich als Unterstützung, weil die Leute ja auch ein Stück von außen meinen Umgang mit den Kindern sehen und falls da sich irgendwie was einschleichen würde oder so, dann würden sie mich darüber informieren. Franz' Tochter: Durch das Ganze wurde mir bewusst, dass ich im Grunde mein ganzes bisheriges Leben mit einem pädophil Veranlagten unter einem Dach gelebt habe und dass es ein Mensch ist, der mir ganz nahe steht und dass das funktioniert hat, dass da nichts passiert ist. Franz: Für mich ist das Gefühl wichtig, dass sie mich auch als Mensch sehen und nicht als das Monster, dass sie versuchen mit mir klarzukommen, und mir auch zeigen, wo ich meine positiven Seiten habe und wo ich mich einbringen kann, einfach als Mensch. Franz' Tochter: Für mich ist er der Vater und Opa für die Kinder. Wie ganz normal bei anderen auch. Sprecherin Nicht immer verlaufen Outings so positiv. Nach 22 Jahren Ehe offenbart sich Franz seiner Frau. Franz: Das einzige, was ich dann gehört habe: Ich weiß gar nicht, wie man so denken kann. Das hat mir letztlich nicht weitergeholfen. Sie hat es verdrängt, denke ich ganz einfach. Pädophilie hat nicht die Hauptrolle gespielt für die Scheidung. Aber es war sicherlich auch ein Punkt, dass ich endlich ehrlich leben wollte. Sprecherin Franz geht noch einen Schritt weiter: Er bittet den Pastor seiner Kirchengemeinde um ein Seelsorge-Gespräch. Unter dem Schutz der theologischen Schweigepflicht offenbart sich Franz. Der Pastor reagiert verständnisvoll. Pastor: So wie ich die Familie wahrnehme, gibt es da keine Gefahren, keine Vorbehalte, sondern ich beobachte, wie das Enkelkind mit seinem Opa normal lebt und die Tochter Bescheid weiß, ja auch das Kind bei dem Opa lässt. Das find ich, ist ein ausgesprochen gutes Zeichen. Sprecherin Anschließend informiert Franz drei weitere Personen in der Gemeindeleitung. Pastor: Wenn nun Andere, wie man so schön sagt, dahinter kommen, dann werden wir in aller Gelassenheit sagen: Ja, wir wussten es und wissen es! Und stehen also dazu, dass wir ihn gerne in unsere Gemeinde aufgenommen haben und wünschen auch, dass das von denen, die meinetwegen an der Stelle sich kritisch äußern, genauso gelebt wird. Ahlers: Ich höre die Uhr ticken. Sprecherin Christoph Ahlers ist skeptisch. Er empfiehlt ein Outing nur dann, wenn das Gegenüber sicher mit der "Wahrheit" umgehen kann. Wenn nicht mit massiven negativen Konsequenzen, einer Kündigung oder dem Wegbrechen sozialer Kontakte zu rechnen ist. Ahlers: Mit der Eröffnung pädophil zu sein, sind 99, 9 % der Gesamtbevölkerung strukturell überfordert. Die Menschen sind nicht in der Lage, das zu verstehen und das zu integrieren. Sprecherin Den Wunsch, sich nach dem sozialen auch im beruflichen Umfeld zu outen, redet der Psychologe seinen Patienten für gewöhnlich aus. Ahlers: Dann frage ich: Welche Informationen verfügen Sie über die Sexualpräferenz Ihres Chefs? Dann stellt sich raus: Keine. Ja, warum möchten Sie sich demgegenüber outen? Wozu braucht der Informationen über Ihre Sexualpräferenz? Da merkt man schon, da wird's ganz irrational, und dann schaffen die Betroffenen unter einer solchen Unterstützung in der Regel das Coming In, das ist die eigentliche Aufgabe, und dann vielleicht im unmittelbaren sozialen Umfeld und mehr bedarf es nicht. Sprecherin Pascale ist Erzieher in einer Förderschule. Er arbeitet mit Kindern zwischen 10 und 16 Jahren. Auch um diese Stelle nicht zu verlieren, erzählt er niemandem von seiner Pädophilie. Aus Angst vor dem "sozialen Selbstmord", wie er sagt. Pascale: Ja, wenn das jemand wüsste, ich wär derjenige, den sie raustreiben würden. Fantasien von Polizei vor der Tür, die Nachbarn gucken und jetzt wirst du verhaftet, weil du gefühlt hast. Sprecherin Ist es richtig, dass Pascale mit Kindern arbeitet? Amelung: Ich denke, man macht sich das Leben unnötig schwer als pädophiler Mann, wenn man sich tagtäglich mit dieser Situation auseinandersetzt, nämlich mit den gewünschten Sexualpartnern zusammen zu sein, ohne da jemals was ausleben zu können. Es ist einfach die maximale Herausforderung, da willensstark zu bleiben. Sprecherin Alle Patienten von Till Amelung, die zum Zeitpunkt ihrer Therapie Erzieher waren, haben sich beruflich umorientiert. Amelung: Weil sie selbst gesagt haben: Das ist mir zu viel Stress. Sprecherin Trotzdem, vermutet auch Christoph Ahlers, arbeiten viele Pädophile im Bildungsbereich und haben täglich Kontakt mit Kindern. Ahlers: Die sind gerne da, wo Kinder sind, weil die das gut finden und sich da wohlfühlen, und nicht, weil sie ausnahmslos das sinistre Ansinnen haben, sich da ein Kind zu schnappen, um es zu missbrauchen. Musikakzent Max: Was mir auch sehr geholfen hat und was auch viele andere berichten, ist, dass ihnen einfach realer Kontakt zu Kindern hilft. Sprecherin Max und auch Pascale "erlauben sich" heute den Kontakt zu Kindern, wie sie sagen. Wenn sie unsicher sind, helfen ihnen bestimmte Verhaltensstrategien. Dass ihm der Kontakt zu Kindern gut tat, davon berichtet auch Franz, wenn er an seine Arbeit mit Kindern zurückdenkt. Während der Chor- und Musicalarbeit in seiner Kirchengemeinde hatte er den Eindruck: Franz: Die Kinder sind eigentlich nicht gefährlich für mich. Das war so der Punkt, wo ich gemerkt habe, dass das mit meinen Fantasien eigentlich absurd ist. Sprecherin Sicherheitsmaßnahmen ergreift er damals trotzdem: Franz: Ich hab immer darauf geachtet, von Anfang an, dass ich nie mit Kindern alleine bin. Das war auch so machbar gut. Sprecherin Heute, in einer neuen Gemeinde, hat er sich dagegen entschieden, weiter mit Kindern zu arbeiten. Franz: Weil ich das auch verstehen kann, dass Leute davor große Ängste haben. Es kann ja doch irgendwann mal rauskommen. Und wenn ich dann in dem Moment Kinderarbeit machen würde, dann wär das sehr viel schlimmer. Sprecherin Umgang hat Franz heute nur mit seinen Enkeln - auch um selbst ein Stück Kindheit nachzuholen. Franz: Wenn ich mit meinen Enkeln im Sandkasten sitze und wir bauen da irgendwas zusammen, das finde ich nach wie vor toll. Das gibt mir im Nachhinein ganz viel. Wenn ich merken würde: Ich hab ein Kind auf dem Schoß sitzen und da würde wieder eine sexuelle Komponente reinkommen, dann breche ich das natürlich ab. Sprecherin Pascale erlebt solche Grenzmomente. Sie stellen ihn auf die Probe. Jedes Mal aufs Neue muss er die Situation wieder unter Kontrolle bringen. Pascale: Ich weiß zum Beispiel, dass ich mit einem Kind Fernsehen geschaut habe und das neben mir saß und ich habe das Kind am Kopf gestreichelt. Und das Kind hat den Kopf zur Seite gedreht, hat mich angeguckt: Was ist denn jetzt los? Hat es nicht verstanden, weil der wollte ja Film gucken. Und ich wollte aber so gerne diese Nähe. Ich wollte ihn berühren, einfach eine Zärtlichkeit auch von seiner Seite vielleicht auch auslösen, bis ich dann gemerkt hab: Pass auf hier, das geht nicht. Das sind Fehler, die man macht. Die man hoffentlich nie zu weit treiben lässt. Max: Dadurch, dass ich jetzt in einer gewissen Regelmäßigkeit Umgang mit Annas Kindern habe, hat das mich in meiner persönlichen Entwicklung auch gehörig weitergebracht. Dass sich immer weiter das bestätigt hat, was ich so ganz am Anfang mal erträumt habe, dass ich eigentlich völlig normal mit Kindern zu tun haben kann. Franz: Ich hab diesen Satz: Ich will da nicht mehr hin. Dass also fast mein ganzes Denken von irgendwelchen sexuellen Sachen bestimmt wird. Es ist als wenn ich mit mir selber zusammengewachsen bin. Und diese dunkle Seite kenne und inzwischen auch weiß, dass die jeder letztlich irgendwo hat. Das werde ich natürlich letztlich nicht los. Erst dann, wenn ich mal gehe von dieser Welt. Musikakzent Absage Unter Kontrolle - Wie Pädophile mit ihrer Neigung leben Feature von Philine Sauvageot Es sprach: Claudia Mischke Ton und Technik: Gunther Rose und Kathrin Fidorra Regie: Claudia Kattanek Redaktion: Wolfgang Schiller Eine Produktion des Deutschlandfunks 2018. 1