Hörspiel Feature Radiokunst Das Feature Ex-Steueroase Liechtenstein? Neue Regeln, alte Lasten, gute Geschäfte Autor: Matthias Holland-Letz Regie: Claudia Kattanek Redaktion: Thomas Nachtigall, Wolfgang Schiller Produktion: WDR/Deutschlandfunk 2022 Erstsendung: Dienstag, 22.02.2022, 19.15 Uhr Es sprachen: Jochen Langner, Hildegard Meier und Andreas Grötzinger Technische Realisation: Dirk Hülsenbusch und Jens Peter Hamacher Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. (c) - unkorrigiertes Exemplar - Musik: Peer Gynt Suite Nr.1, op.46_IV In der Halle des Bergkönigs - SWF Tanzorchester O-Ton (PR-Video "Mythos 7" von Liechtenstein Finance): "Der Finanzplatz Liechtenstein überzeugt durch Rechtssicherheit und hohe politische und wirtschaftliche Stabilität."/ "Mythen rund um Liechtenstein und seinen Finanzplatz gehören ins Reich der Phantasien." Zitator: "Gerade entfaltet sich im Fürstentum wieder ein Skandal, in den ein bekannter Treuhänder verwickelt ist." O-Ton Daniel Risch: "Wir hatten natürlich über Jahre so ein bisschen das Steueroasen-Image. Oder quasi, dass hier Geld versteckt wurde." O-Ton Andrea Matt: "Wir müssen dafür sorgen, dass wir Weißgeld haben und eine Weißgeldstrategie entwickeln." Zitator: Die Vorwürfe lauten: Intransparenz, Vorteilsnahme, Untreue. O-Ton Daniel Risch: "Mit dem Umbau des Finanzplatzes, mit der Konformität mit all den internationalen Regelwerken ist Liechtenstein ein Finanzplatz wie jeder andere auch." Musik: Hiro 3 - Battles Ansage: Ex-Steueroase Liechtenstein? Neue Regeln, alte Lasten, gute Geschäfte. Ein Feature von Matthias Holland-Letz. Musik: Do Köhr I Hi - Der Liechtenstein-Song - Rahel Oehri-Malin Autor: Der Liechtenstein-Song. Er zeichnet das Bild eines idyllischen Flecken Erde. Wo jeder jeden kennt und die Welt noch in Ordnung ist. Atmo: Strassenatmo in Vaduz, Kühe Autor: Auf den ersten Blick scheint das Land dem Klischee alle Ehre zu machen. Stattliche Bergkulisse, saftige Wiesen, freundliche Menschen, wenn ich nach dem Weg frage. Ein Mini-Staat im oberen Rheintal. Gerade einmal 40.000 Einwohner. Das sind weniger als im ostwestfälischen Lemgo. In der Hauptstadt Vaduz moderne Bürogebäude neben eher schlichten Wohnblöcken. Dazwischen eine Viehweide, ein Fachwerkhaus. Und über allem wacht - oben am Berg - das Schloss des Fürsten, eine wuchtige Trutzburg. Atmo: Fußgängerzone in Vaduz, Auto inne Autor: Ich bin im "Städtle", der Fußgängerzone von Vaduz. Gediegene Einkaufsatmosphäre. Vor einem Ristorante stehen Palmen in Blumenkübeln. Nebenan liegt die "World of Watches", in den Schaufenstern Uhren von Bulgari und Breitling. Ein wenig italienisches Flair. Anderseits läßt der Mann, der grüßend und ohne Eile mit einer Brötchentüte vorbeischlendert, eher an eine Kleinstadt in Österreich oder der Schweiz denken. Doch Liechtenstein unterscheidet sich in Vielem von seinen Nachbarn. Das deutsche Handelsblatt bezeichnet das Gebilde nur halbironisch als "Fürsten-AG". Sprecherin: Zwar gibt es in der konstitutionellen Erbmonarchie ein Parlament mit 25 Abgeordneten. Doch entscheidenden Einfluss hat der Fürst. Laut Verfassung kann er sein Veto einlegen gegen jedes Gesetz. Ein ziemlich einmaliges Privileg im Europa des 21. Jahrhunderts. Der Historiker Christoph Maria Merki urteilt: Zitator: "Die Liechtenstein sind eines der ältesten Adelsgeschlechter Europas, und sie sind eines von ganz wenigen Geschlechtern, die auch zwei Jahrhunderte nach der Französischen Revolution noch immer in voller Blüte stehen." Sprecherin: Das Staatsoberhaupt, Fürst Hans-Adam der Zweite, besaß 2017 laut US-Nachrichtenagentur Bloomberg ein Vermögen von 4,4 Milliarden US-Dollar. Der Fürstenfamilie gehören die Liechtensteiner Privatbank LGT, Kunstsammlungen, zwei Stadtpalais in Wien, Windkraftanlagen, Agrarbetriebe in Österreich und Uruguay sowie der US-amerikanische Saatgutkonzern Rice Tec. Der Herrscher und sein Sohn, Erbprinz Alois, zahlen keine Steuern. So will es in Liechtenstein das Gesetz. Und auch viele Untertanen sind wohlhabend. Das zeigt der Blick auf den angemeldeten Fuhrpark. Musik: Daphnis et Egle - Premiere et deuxieme gavotte en rondeau Zitator: 769 Porsche. 196 Jaguar. 101 Ferrari. 60 Bentley. 62 Maserati. 47 Rolls-Royce. 58 Aston Martin. 19 Lamborghini. Sprecherin: Liechtenstein hat keine Armee, keine Autobahn, keinen Flughafen. Dafür eine höchst schlanke Verwaltung. Das Fürstentum betont gerne, das Land sei schuldenfrei. Die Staatseinnahmen decken die Ausgaben. Und nimmt man die hier angelegten Gelder zum Maßstab, dann hat das sechstkleinste Land mit die höchste Vermögensdichte der Erde. ----- Autor: Ich will verstehen, wie Liechtenstein funktioniert. Wie das kleine Land zu dem wurde, was es heute ist. Ich weiß natürlich, dass dabei so genannte "Familienstiftungen" traditionell eine große Rolle spielen. Doch mehr darüber zu erfahren ist nicht einfach. Finanzgeschäfte sind immer noch gut gehütete Betriebsgeheimnisse; Trader und Treuhänder eher schweigsam. Doch schließlich empfängt mich der Rechtsanwalt Helmut Schwärzler. Er trägt sozusagen auf beiden Schultern - er bricht eine Lanze zugunsten des modernen Finanzplatzes Liechtenstein, vertritt aber auch Klienten, die sich von Treuhändern betrogen fühlen. O-Ton Helmut Schwärzler: "Wir haben Strukturen, die stammen aus den 1940er Jahren. Die sind wirklich über Generationen hinweg aufgebaut worden./ Und grundsätzlich ist schon der Großteil dieser Strukturen aus den 1990er Jahren, würde ich sagen. Es war eine Hochblüte der liechtensteinischen Stiftung." Autor: Der Anwalt scheut kein klares Wort, wenn es um die Motive geht, aus denen diese Stiftungen damals geschaffen wurden. O-Ton Helmut Schwärzler: "Das muss man beim Namen nennen: Der Sinn und Zweck für diese Anleger und Kunden war über Jahrzehnte hinweg, Gelder vor dem Fiskus, vor den Steuerbehörden im Heimatland, im Heimatstaat zu verstecken." Autor: Helmut Schwärzler will mir einen Überblick verschaffen, zunächst einmal geografisch. Er lädt mich zu einem Ausflug ein. Atmo: Fahrgeräusche Tesla Autor: Wir steigen in seinen Tesla und fahren hinauf in die Berge, nur 15 Minuten von Vaduz entfernt, auf 1.400 Meter Höhe. Musik: Alphorn Serenade - Alphorn Ensemble Atmo: Kuhglocken läuten Autor: Wir wandern entlang sattgrüner Wiesen. Passieren einzelne Bauernhäuser. Der schmale Weg ist nass. Und plötzlich von Kühen blockiert. Hier könne Liechtenstein richtig gefährlich werden, scherzt der Anwalt: Atmo: Kuhglocken/ schmatzende Schritte auf nassem Weg Autor: Wir halten Abstand zu den Kälbern, zwängen uns vorbei. Wenige Minuten später schauen wir hinunter in ein Tal. Ein idyllischer Blick. Bauernkaten im Karree angeordnet. In der Mitte die gemeinsame Weidefläche. Steg heißt der alte Weiler. Ich erfahre: Auch Herbert Batliner, ein Urgestein der liechtensteiner Treuhand-Szene, besaß hier ein Haus. Musik: Divertissements for 3 Bassoons Allegro giocoso - Eugen Bozza Sprecherin: Herbert Batliner gilt als Erfinder des lukrativen Modells der Familienstiftung. Sein Name ist nicht nur im Fürstentum ein Begriff. Deutsche Medien berichteten zur Jahrtausendwende: Zitator: "Allein die Kanzlei Batliner verwaltete etwa 10.000 Stiftungen für Kunden aus aller Welt, darunter sehr viele Deutsche". Sprecherin: Der wohl prominenteste Deutsche mit guten Verbindungen zu Batliner war Helmut Kohl. Zitator: "Der Kanzler pflegte seit den achtziger Jahren freundschaftlichen Kontakt zu dem hilfreichen Treuhänder Batliner. Im Januar 1993 durfte der Liechtensteiner in Bonn bei einer Benefizveranstaltung unter dem Motto "Alles Kohl" am Tisch neben dem großen Vorsitzenden Platz nehmen. Kohl reiste seinerseits des Öfteren zum Wandern und zu Geburtstagsfeiern von Batliner nach Vaduz." Musik: Hiro 3 - Battles O-Ton 8a Collage aus Nachrichten zum CDU-Parteispendenskandal Sprecherin: Doch erst 1999 wurde bekannt, dass der Treuhänder seinem Wanderfreund Kohl auch dabei behilflich gewesen war, die schwarzen Spendenkassen der CDU in Liechtenstein zu verstecken. Nur eines der Geschäfte, die den promovierten Juristen und Ökonomen ins Visier deutscher Staatsanwälte rücken ließ. Musik: Divertissements for 3 Bassons - Eugene Bozza Zitator: "Herbert Batliner, die Schlüsselfigur der großen deutschen Parteispendenskandale, der Treuhänder illegaler CDU-Parteistiftungen und Schwarzgeldverstecke. Unter seiner Obhut entstanden Stiftungen mit Namen wie "Norfolk", "Staatsbürgerliche Vereinigung" und "Alma Mater", in denen Hunderte Millionen Euro Schwarzgeld vor der Steuer versteckt und gewaschen wurden." Sprecherin: Nicht nur beim CDU-Spendenskandal sorgte Batliner für Schlagzeilen. Bereits 1996 landeten vertrauliche Daten seiner Kunden in der deutschen Öffentlichkeit. Die Steuerfahndung ermittelte gegen Prominente wie Springreiter Paul Schockemöhle und den Privatagent Werner Mauss -und -ihrem Liechtensteiner Helfer. Zitator: "Sieben Jahre dauerten die Ermittlungen wegen Beihilfe zur Hinterziehung in mehr als 200 Fällen, im Sommer 2007 wurden sie gegen eine Zahlung von 2 Millionen Euro eingestellt." Autor: 2009 stand Batliner dann auch in Liechtenstein vor Gericht. Der dortige Staatsgerichtshof verurteilte ihn wegen sittenwidriger Geschäfte. Batliner, so der Richterspruch, habe den Gesundheitszustand einer dementen Witwe ausgenutzt, um sich persönlich zu bereichern. Der Treuhänder musste eine Million Euro an die Erben zurückzahlen. Haft oder Berufsverbot blieben ihm jedoch erspart. Er starb 2019. Vermögend, hochgeehrt und - hochdekoriert: ----------------------------- Musik: Die Reisenden 1 - Ben Frost Sprecherin: Köln, Stadtteil Marienburg, 14. Februar 2008. Vor laufenden Kameras wird Klaus Zumwinkel, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Post, verhaftet. Wegen des Verdachts, er habe mit Hilfe seiner Stiftung in Liechtenstein Steuern hinterzogen und damit die Bundesrepublik Deutschland geschädigt. O-Ton : Collage: Nachrichtenmeldungen zur Verhaftung von Zumwinkel Sprecherin: Zumwinkel erhält eine Bewährungsstrafe und muss eine Million Euro zahlen. Deutsche Gerichte verurteilen hunderte weitere Steuerhinterzieher. Es hagelt Selbstanzeigen. Die Bochumer Staatsanwaltschaft erklärt, dass bis 2010 Steuern in Höhe von 626 Millionen Euro nachgezahlt wurden. Auslöser für die Ermittlungen sind diesmal Daten der LGT Treuhand, Tochter der fürstlichen LGT-Bank. Ein ehemaliger Mitarbeiter, Heinrich Kieber, hatte sie dem Bundesnachrichtendienst angeboten. Gegen Geld. Eine Lawine kommt ins Rollen. Medien in vielen Ländern berichten. Liechtenstein gerät unter enormen internationalen Druck. Der Fürst zeigt sich nicht amüsiert. Atmo: Strassenatmo in Liechtenstein Autor: Ich treffe Andrea Matt, eine ehemalige liechtensteinische Politikerin. Die 60-Jährige arbeitet heute als Coach und beschäftigt sich mit Nachhaltigkeit. Doch im turbulenten Jahr 2008 war sie Landtagsabgeordnete und Fraktionssprecherin der Oppositionspartei Freie Liste. Matt erinnert sich noch gut an die Parlamentssitzung, einen Monat nach der Verhaftung von Zumwinkel. O-Ton Andrea Matt: "Ich war, glaube ich, ziemlich die erste, die überhaupt das Tabu gebrochen hat, im Landtag zu sagen: Bei uns gibt es Schwarzgeld. Und darauf aufbauend zu sagen: Wir müssen dafür sorgen, dass wir Weißgeld haben und eine Weißgeldstrategie entwickeln." Autor: Matt und ihre Parteifreunde stoßen auf heftige Kritik. Vor allem im Wahlkampf, der Monate später in Liechtenstein beginnt. O-Ton Andrea Matt: "Und so hat man dann im Wahlkampf mir gesagt: Andrea, wir sind ja wie eine Familie. Und wer ausländischen Journalisten sagt oder öffentlich sagt, wir haben Schwarzgeld und wir müssen das ändern. Und dieses Thema ans Licht bringt, der verrät seine Familie." Autor: Im Frühjahr 2009 wird der neue Landtag gewählt. O-Ton Andrea Matt: "Und wir haben dann auch in den Wahlen verloren. Damit war ich auch nicht mehr Landtagsabgeordnete und konnte mit einem neuen Leben beginnen." Musik: Bacino Di San Marco - Das Institut Sprecherin: Der Datenklau von Heinrich Kieber sorgt trotzdem für einen radikalen Wandel am Finanzplatz Liechtenstein. Das Stiftungsrecht wird reformiert, das Bankengeheimnis abgeschafft. Erbprinz Alois und der damalige Regierungschef bekennen sich im März 2009 öffentlich zur so genannten Weißgeld-Strategie: Künftig werde man internationale Standards zu Transparenz und Informationsaustausch in Steuerfragen einhalten. Gelder aus kriminellen Geschäften verstecken, Steuern hinterziehen, Geld waschen - das soll Vergangenheit sein. Tatsächlich arbeiten heute rund 100 Mitarbeiter für die Finanzmarktaufsicht. Eine Kehrtwende, die nicht allen gefällt: In den Folgejahren ziehen zahlreiche Stifter ihre Gelder ab. Die Zahl der so genannten Strukturen, also der Stiftungen und Trusts, sinkt von rund 50.000 auf etwa 18.000. Erstaunlich allerdings: Im Jahre 2019 - neuere Zahlen sind nicht publik - verwaltet Liechtensteins Finanzindustrie schon wieder Vermögen in Höhe von mehr als 217 Milliarden Schweizer Franken. Und allein die Treuhandbranche erwirtschaftet ein Viertel der Staatseinnahmen. Autor: Bevor ich versuche, hinter das Geheimnis von Liechtenstein 2.0 zu kommen, will ich mehr vom Land und den Quellen seines Wohlstands kennen lernen. Atmo : Maschinen im Hilti-Werk. Autor: Besuch beim Hilti-Konzern in der Gemeinde Schaan, bekannt für Bohrmaschinen und Bautechnologie. Hier werden Schrauben und Bolzen für den Weltmarkt produziert. Autor: Liechtenstein legt großen Wert darauf, dass es AUCH ein Industriestandort ist. 625 Industrie-Unternehmen gibt es im Fürstentum. Sie alle profitieren von den niedrigen Steuern auf Unternehmensgewinne: 12,5 Prozent. Musik: Alphorn Serenade - Alphorn Ensemble Autor: Wie die Berge und das Skigebiet sind die alten Liechtensteiner Dörfer ein Ziel für Touristen - die allerdings meist nur für ein oder zwei Tage vorbeischauen. Autor: Bettenburgen und lautstarken Feiertourismus will man hier nicht. Allerdings haben sich Fürst und Bevölkerung nach dem ersten Schock über den Abfluss von Schwarzgeld dann doch einer Neuerung geöffnet, die im streng katholischen Glaubenskanon als Sünde gilt. 150 Jahre lang war Glücksspiel verboten, doch 2017 eröffnete mit dem Casino Admiral im 2.300 Einwohner zählenden Ruggell die erste Spielbank. Autor: Fünf Spielbanken sind in Betrieb. Nochmal fünf sind in Planung, und so dürfte Liechtenstein auch in dieser Beziehung bald Weltspitze sein. Atmo: Roulette-Kugel rollt/ Einarmige Banditen im Betrieb Musik: Casino - Ensemble Autor: Kein Zweifel: Das Land beweist eine bemerkenswerte Anpassungsfähigkeit - trotz oder gerade wegen seiner Tradition, wie ein Blick in die Geschichte des Fürstentums lehrt. --------------- Sprecherin: In Österreich-Ungarn gehört das Geschlecht der Liechtensteins zu den drei größten Grundbesitzern der Doppelmonarchie nach dem Fürsten Esterhazy und dem Fürsten Schwarzenberg. Die Wälder und Ackerflächen der Liechtensteins liegen allerdings vor allem in Mähren, heute Tschechien. Der Flecken weit im Westen rund um Vaduz ist eher ein Anhängsel und Armenhaus. Atmo: historische Aufnahmen marschierende Soldaten Sprecherin: Österreich-Ungarn zählt zu den Verlierern des ersten Weltkrieges, die Doppelmonarchie geht unter. Der neue Staat Tschechoslowakei setzt eine Bodenreform durch. Die Liechtensteins müssen große Teile ihrer Ländereien abgeben. Die Fürstenfamilie residiert weiterhin in ihren Palästen in Mähren und in Wien. Erst 1938, nach dem Einmarsch von Hitlers Wehrmacht in Österreich, zieht sie nach Vaduz. Musik: die Jugend marschiert O-Ton: Hitler-Rede Sprecherin: Unter Naziherrschaft möchte man nicht kommen; andererseits spricht nichts gegen gute Geschäfte. Ab 1942 produziert die liechtensteiner Firma Presta, im Auftrag des Schweizer Rüstungskonzerns Oerlikon-Bührle, Waffenteile für Deutschland. Musik: Liechtenstein Nationalhymne Sprecherin: Die Fähigkeit zur geschickten Nutzung von Chancen führt nach 1945 zu einem atemberaubenden Aufstieg. Das Armenhaus wird reich. Eine verschwiegene Finanzindustrie ohne übergroße moralische Skrupel, gepaart mit Niedrigsteuern, lässt Geld aus aller Welt ins Land strömen. Ob legal oder illegal erworben, spielt keine Rolle. Zumindest bis zur Krise von 2008 und dem offiziellen Abschied vom Titel "Steueroase". Musik: Dark Hole - Sicker Man Autor: Wie ist sie gelungen, die Neuerfindung des Finanzplatzes Liechtenstein, diesmal mit Weiß- statt mit Schwarzgeld? Immerhin betreuen hier weiterhin 190 Treuhänder und 276 Treuhandgesellschaften rund 18.000 Stiftungen und Trusts, die so genannten Strukturen. Atmo: Strassenatmo vor dem Gebäude der First Advisory Autor: Ich habe einen Termin bei der First Advisory Group in Vaduz. Eine Größe in Liechtenstein. 240 Beschäftigte, Zweigstellen in Genf, Zürich, Hongkong und Singapur. Als nach dem Zumwinkel-Skandal die fürstliche LGT-Bank ihre Treuhandfirma verkaufte, bekam die First Advisory den Zuschlag. Im Konferenzraum, mit Zugang zur weitläufigen Terrasse, warte ich auf die Miteigentümerin, die auch als Präsidentin der Treuhandkammer fungiert. Sie heißt Angelika Moosleithner und ist - das Fürstentum ist eine überschaubare Welt - die Tochter von Herbert Batliner, dem einstigen Wanderfreund und Kassenverwalter von Helmut Kohl. Die Umwälzungen seien für die Familie nicht leicht gewesen, betont die resolute Dame im weißen Kostüm. O-Ton Angelika Moosleithner: "Also mein Vater ist 2019 verstorben. Er hat sehr viele Veränderungen noch selber mitbekommen. Und ja, es ist sicher schwieriger für einen älteren Herrn, diese gravierenden Veränderungen mitzumachen, aber man hat sich dann halt ins Schicksal gefügt, sozusagen." Autor: Auf den Rückzug von Kapital nach der Aufhebung des Bankgeheimnisses habe man schnell reagiert. O-Ton Angelika Moosleithner: "Wir bieten Buchhaltungen an, Vermögens-Strukturierungen, Reportings, Steuerberatung, digitale Archivlösungen, Versicherungsberatung und weitere verwandte Finanzdienstleistungen." Musik: Chaloupée - Rene Aubrey Autor: Doch heute seien auch Stiftungen und Trusts wieder gefragt. O-Ton Angelika Moosleithner: "Wenn es da für einen Kunden einen Mehrwert gibt, wenn er sein Vermögen oder ein Teil seines Vermögens in eine Nachfolge-Planung mit einer Struktur in Liechtenstein - oder irgendwo auf der Welt - anlegt, dann stehen wir ihm zur Seite. Das ist sicher klar./ Weil der Vermögensschutz, der Schutz der Privatsphäre für wohlhabende Klientel halt immer noch sehr große Nachfrage hat." Autor: Wie funktioniert nun das Treuhandwesen? Was geschieht mit den Milliarden-Vermögen, die hier vermehrt werden sollen und wer verdient daran? Es sei wichtig zu unterscheiden, erläutert mir Rechtsanwalt Helmut Schwärzler, zwischen frischem Geld nach EU-konformen Regeln und Vermögen, das bereits vor Jahrzehnten in Liechtenstein geparkt wurde. Doch zunächst müsse ich die Konstruktion einer Familienstiftung verstehen. Sprecherin:. Der Stifter überträgt sein Vermögen, "zu treuen Händen" an eine rechtlich eigenständige Körperschaft. Ganz oder teilweise, Wertpapiere, Bankguthaben, Immobilien, Anteile an Unternehmen. Er ist damit nicht mehr der Eigentümer. Das Geld soll gewinnbringend verwaltet werden. Die Erträge - abzüglich der Honorare für Treuhänder - fließen an die so genannten Begünstigten. Das kann der Stifter selbst sein. Oder dessen Familie. Oder Freunde und Geschäftspartner. Oder alle zusammen. Ein so genannter Stiftungsrat, in dem mindestens ein Liechtensteiner Treuhänder vertreten ist, wacht darüber, dass der Wille des Stifters erfüllt wird - auch nach dessen Tod. Autor. Das Geschäft auf liechtensteiner Seite beruhe nun aber nicht allein auf Honoraren, Spesen und Abgaben. Insbesondere wenn der Stifter bereits verstorben ist, könnten die "Strukturen" schnell ein überraschendes Eigenleben entwickeln, weiß Anwalt Schwärzler. O-Ton Helmut Schwärzler: "Da ziehen sich gewisse Treuhänder auf den Standpunkt zurück: Tut mir leid. Ich verwalte diese Stiftung. Das ist mein Auftrag gemäß Wunsch des Stifters. Ich sehe nicht, wie sämtliche Vermögenswerte oder mehr als gewünscht ausgeschüttet werden könnten." Autor: Auf manche Treuhänder seien daher Begünstigte und insbesondere Erben nicht gut zu sprechen. Oft werde mangelnde Transparenz beklagt. Informationen über Honorare, aber auch über die im Namen der Stiftung getätigten Geschäfte, gäben einige Vermögensverwalter nur nach aufwändigen Gerichtsverfahren heraus. O-Ton Helmut Schwärzler: "Andererseits wird auch gezielt - und das erleben wir tagtäglich, leider Gottes - gezielt auf Konflikte gespielt." O-Ton Helmut Schwärzler: "Und die Begünstigten müssen auch noch teures Geld in die Hand nehmen, um in Liechtenstein Anwälte zu engagieren, um an ihr Geld zu kommen." O-Ton Helmut Schwärzler: "Und ich würde sagen, dass wir in den letzten Jahren weit über 150 Mandate in dieser Richtung betreut haben." Autor: Aus welchen Ländern kommen die Begünstigten, die sich von ihm vertreten lassen? O-Ton Helmut Schwärzler: "Weltweit." O-Ton Helmut Schwärzler: "Ich war jetzt ein paarmal schon in Deutschland. Aber davor waren wir in Sao Paulo, New York, USA, Moskau. Es geht weltweit, ja." O-Ton Helmut Schwärzler: "Wir haben Mandanten, da geht es um 150 Millionen Euro./ Wenn ein ganzes Firmen-Konglomerat in einer Struktur steckt, können das schnell zighundert Millionen Euro sein." Autor: Auch Schwärzlers Berufskollege David Christian Bauer in Wien vertritt Kläger, die sich betrogen fühlen. Er berichtet mir von höchst originellen Praktiken, mit denen Treuhänder zum eigenen Vorteil hantieren würden. Eine sei das so genannte "Dekantieren". Der Begriff steht normalerweise für das vorsichtige Umfüllen von Wein, aus der Flasche in eine Karaffe. O-Ton Rechtsanwalt David Christian Bauer: "Tja, also der Begriff Dekantieren ist ein etwas sarkastischer Begriff in dem Zusammenhang mit Stiftungen. Es geht hier darum, dass man eine bestehende Stiftung hat. Und diese Stiftung gründet dann, durch Initiative der Treuhänder, eine oder mehrere Substiftungen. Und das Vermögen wird dann in diese Substiftungen transferiert." Autor: Treuhänder, die untreu werden? Solche Vorwürfe gibt es, seitdem die Branche existiert. Lauter, ja fast schrill sind sie geworden, seit zwei Erbinen der mit Spirituosen reich gewordenen Bacardi-Dynastie die Öffentlichkeit im Jahr 2020 mit einer international verbreiteten Presseerklärung überraschten: Musik: Summer dreaming, Bacardi feeling - Kate Yanai Zitator: "Maria Luisa und Lady Monika Bacardi leiten rechtliche Schritte gegen mutmaßlich kriminelles Netzwerk ein." Sprecherin: Es geht um eine halbe Milliarde Dollar - mindestens. Soviel sind die Konzern-Aktien wert, die der Rumkönig Don Luis Bacardi vor seinem Tod in eine liechtensteiner Stiftung mit dem Namen "Bastille Trust" steckte. Zu den Begünstigten zählen Tochter, Maria Luisa Bacardi, geboren 2001, und die in Monaco residierende Witwe des Stifters, Monika Bacardi, Lady of Bayfield Hall, eine bekannte Größe im Filmbusiness und Jetset. Mutter und Tochter erheben schwere Vorwürfe vor allem gegen den Treuhänder Bernhard Lorenz. Er habe bei einer früheren juristischen Auseinandersetzung eine gegnerische Partei vertreten und dies verschwiegen. Nun wolle er illegitimer Weise noch Jahrzehnte am Bacardi-Vermögen verdienen. Gestritten wird um Vieles. Unter anderem um eine ausgebliebene Millionen-Zahlung an die Tochter zur Volljährigkeit. Thomas Nigg, der Anwalt von Lady Bacardi, erklärt, man strebe die Abberufung von Bernhard Lorenz an. O-Ton Thomas Nigg, Anwalt: "Er hat sich nach Ansicht der Mandantschaft in wichtigen Entscheidungen gegen die Mandantschaft verhalten und dementsprechend ist das abberufungswürdig. Und das ist eigentlich der wichtigste Vorwurf." Atmo: Bus fährt ab Autor: Vaduz, September 2021. Ich steige in den Bus, fahre zu Bernhard Lorenz. Lorenz versichert: Maria Luisa bekomme seit ihrem 18. Geburtstag regelmäßig Geld aus ihrem Erbe - allerdings dosiert. O-Ton Autor: "Können Sie was sagen zu der Höhe?" - Bernhard Lorenz: "Ich möchte zu den Beträgen eigentlich nichts sagen. Ich will nur so sagen: Wenn ähnlich große Beträge oder gleich große Beträge eines meiner Kinder bekäme - und ich habe Kinder im gleichen Alter - dann würde mich das als Vater eher beunruhigen." - "Warum?" - "Weil es hoch ist. Man muss damit umgehen lernen. Man muss vor allem, auch in jungen Jahren, natürlich wissen, wie man sich gegen falsche Einflüsterer sozusagen schützt." Autor: Treuhänder Lorenz sieht sich als Vollstrecker des Stifterwillens. Dem sei daran gelegen gewesen, dass Tochter Maria Luisa das gesamte, ihr zustehende Vermögen aus dem Trust erst bekommt, wenn sie 40 wird. Also erst in 19 Jahren. Lady Bacardi, die als Monika Waldner geboren wurde, wirft er Ungeduld vor - und eine Dämonisierung des Finanzplatzes Liechtenstein: O-Ton Bernhard Lorenz: "Ja, Frau Waldner hat ein Zerrbild von der Qualität und Unabhängigkeit der liechtensteinischen Gerichtsbarkeit. Im Prinzip gehen ihre Behauptungen dahin, dass das ganze Land ein korrupter Sumpf ist. Und nicht nur Treuhänder korrupt sind, sondern auch Gerichte und Staatsorgane und so weiter und so fort." Sprecherin: Absehbar ist im Moment nur eines: Anwälte werden noch eine gute Weile am Konflikt verdienen. In Liechtenstein dürfen sie Stundensätze bis zu 1.000 Schweizer Franken berechnen. Autor: In keiner Weise prominent ist ein anderer Fall, auf den ich bei meinen Recherchen stoße. Er beschäftigt seit Jahren Gerichte in Deutschland und Liechtenstein. Der Kläger, Hermann P, Geschäftsführer eines Handwerksbetriebes, möchte seinen Namen hier nicht genannt wissen. P's Vater ist ein Großneffe des Bauunternehmers Hermann Hartlaub, der sein Vermögen in der Nachkriegszeit mit dem Wiederaufbau des zerstörten München machte: O-Ton Herr P: "Herr Hartlaub hat die Familie zu Lebzeiten großzügig direkt gefördert. Er hat zum Beispiel meinem Vater und dessen Bruder auch das Studium finanziert. Auch hat er meinen Vater dann Geld geschenkt, um das Familiendomizil der Hartlaubs ganz zu erwerben und wieder instandzusetzen." Autor: Ab 1969 legte Hartlaub sein Geld in drei Liechtensteiner Stiftungen an. Zitator: Altenburg-Stiftung. Hartlaub- Familienstiftung. Hartlaub-Immobilienstiftung. Autor: Mit dem Tod des Bauunternehmers im Jahr 2004 endete dann plötzlich die Unterstützung der Familie P. Ausschüttungen aus den Stiftungen habe es nie gegeben. Verantwortlich dafür macht P. zwei deutsche Anwälte, die Brüder Thomas und Alexander K. Sie hätten ihre Schlüsselposition in allen drei Stiftungsräten genutzt, um sich selbst zu bereichern. Hermann P. legt mir einen Kaufvertrag über eine Immobilie im schweizerischen Urlaubsort Silvaplana vor - besiegelt von einem Notar in Chur: Zitator: Die Altenburg-Stiftung, vertreten durch den Stiftungspräsidenten Thomas K, überträgt folgende Immobilie an die Privatperson Thomas K.: Villa mit Garage und Hallenschwimmbad, Weide, geschlossener Wald. Gesamtfläche des Grundstücks: 3.473 Quadratmeter. Autor: Möglich geworden sei das nur, weil die Treuhänder ihrer Aufgabe nicht nachgekommen seien: O-Ton Herr P: "Die liechtensteinischen Treuhänder sind meiner Meinung nach für den Missbrauch der Familienstiftungen des Dr. Hermann Hartlaub durch die Stiftungsverwalter voll verantwortlich./ Der Herr Thomas PIEP hat selbst mehrfach darauf hingewiesen, dass die liechtensteiner Treuhänder auch von Ausschüttungen profitieren würden. Also dass sie selbst sich Geld zukommen lassen würden." Autor: Ich bitte die beiden Rechtsanwälte und die Treuhänder um Stellungnahme. Die Gebrüder Thomas und Alexander K antworten nicht. Aus Vaduz bekomme ich die Erklärung, der Klagende habe gegenüber der Altenburg-Stiftung kein Auskunftsrecht. P. hofft nun auf ein Eingreifen der liechtensteinischen Treuhandkammer. Musik: Bacino Di San Marco - Das Institut Sprecherin: Schlagzeilen über derartige Rechtsstreitigkeiten schaden dem Bild vom sauberen Finanzplatz im Schatten der Fürstenburg. Im Mai 2018 beschloss daher die liechtensteinische Treuhandkammer, ihre Standesrichtlinien zu ändern. Sie führte eine Schlichtungskommission ein, damit Streitfälle nicht mehr öffentlich vor Gericht ausgetragen werden müssen. Begünstigte sollen mehr Möglichkeiten bekommen, den Treuhänder zu wechseln, wenn das Vertrauen verloren gegangen ist. Auch die Justiz zeigt sich nun weniger konziliant: Inzwischen sitzen zwei liechtensteinische Finanzjongleure wegen illegaler Bereicherung im Gefängnis. Der Treuhänder Harry Gstöhl wurde zu insgesamt acht Jahren Haft verurteilt. Sein Kollege Mario Staggl bekam sechseinhalb Jahre. Autor: Umstrittene Vermögen in Milliardenhöhe, um die zäh gerungen wird, sind eine liechtensteiner Altlast. Langfristig bedeutender ist die erfolgreiche Akquise neuer Gelder - offiziell als Weißgeld-Strategie bezeichnet. Denn auch wenn nun Daten EU-konform abgeglichen werden und Steuerflucht mit dem Bargeldkoffer passé ist, zieht das Fürstentum beträchtliche Vermögen an beziehungsweise aus anderen Ländern ab. Auch aus Deutschland. Musik: PR-Video von Steuerberater Christoph Juhn (YouTube, "Familienstiftung in Liechtenstein") Musik: I`m a Man - Spencer Davis Group O-Ton PR-Video von Christoph Juhn (YouTube, "Familienstiftung in Liechtenstein"): "Mein Name ist Christoph Juhn. Ich bin Steuerberater in Köln. Und für unsere Mandaten gründen wir regelmäßig sowohl Gesellschaften als auch Stiftungen in Liechtenstein..." Autor: Der 34-Jährige Finanzberater ist zudem Dozent für Steuerrecht an einer privaten Hochschule in Bonn. In seinem PR-Video kurvt er im Auto durch die Straßen des Fürstentums. O-Ton PR-Video von Christoph Juhn (YouTube, "Steuern sparen in Liechtenstein"): "Viele Grüße hier aus Liechtenstein. Ich muss gleich für einen Mandanten - ich sag' nicht was - eine gewisse Struktur gründen. Dafür sind wir hier, treffen uns mit den Beratern vor Ort." Atmo : Schritte auf einer knarrenden Treppe Autor: Christof Juhn hat nichts gegen Öffentlichkeit. Er empfängt mich in einer Bonner Villa, der Zweigstelle seiner Kanzlei, die inzwischen 50 Frauen und Männer beschäftigt. Sie erledigen auch Jahresabschlüsse und Lohnbuchhaltung, betont er. Allerdings sei Beratung zum Stiftungsrecht ein Schwerpunkt. O-Ton Christoph Juhn: "Das Image von früher, das hat Liechtenstein abgeworfen, sozusagen. Das ist jetzt alles 100 Prozent legitim. Alle Beratungsansätze sind immer mit den deutschen Finanzbehörden abgestimmt. Es gibt keine liechtensteinische Familienstiftung, die wir nicht mit dem deutschen zuständigen Finanzamt von dem Stifter einmal abgestimmt haben. Also, der Gedanke von früher, der hat sich einmal komplett gewandelt." Autor: Wer kommt zu ihm und plant eine Stiftung in Liechtenstein? O-Ton Christoph Juhn: "Vom Alter gibt es da keine Beschränkung. Das sind Jungunternehmer mit Anfang 20, es sind aber auch Senior-Unternehmer mit 60 oder 70 aufwärts. Das ist alles dabei." O-Ton Christoph Juhn: "In der Regel wird man nicht das gesamte Vermögen auf eine Familienstiftung übertragen in Liechtenstein. Das macht man mit 20, 30, 40 Prozent seines Gesamtvermögens. Und gleichzeitig sollte man so zwei, drei Millionen Euro in die Stiftung schon investieren und anlegen, damit sich das rechnet. Also reden wir hier über Vermögenswerte 10 Millionen Euro aufwärts, die der Unternehmer haben sollte." Autor: Und wie werden die Gewinne versteuert? In Deutschland sind 15 Prozent Körperschaftssteuer das Minimum, mit der die Gemeinschaft am privaten Vermögenszuwachs partizipiert. Auch Liechtenstein kennt eine solche Abgabe. Die fällt allerdings nur auf Gewinne von Inlandsinvestitionen an. Liechtensteinische Familienstiftungen, erläutert Juhn, legen ihr Vermögen üblicherweise im Ausland an. O-Ton Christoph Juhn: "Mangels inländischen Einkünften, so sind die meisten Stiftungen strukturiert, zahlt man dann einen nahezu Nulltarif von 1.800 Schweizer Franken." Autor: Auch die Abgaben bei einer Erbschaft ließen sich verringern, wenn ein Teil des Vermögens vor dem Ableben des Erblassers nach Liechtenstein transferiert werde, ergänzt der Berater. Und dann gäbe es natürlich noch eine weitere Motivation seiner Kunden. Insbesondere vor den Wahlen sei die deutlich zu spüren gewesen. O-Ton Christoph Juhn: "Das ist die Angst vor der Einführung einer Vermögensteuer in Deutschland. Wenn Sie das Vermögen aber in einer liechtensteinischen Familienstiftung haben, müssen Sie nur noch auf das deutsche Vermögen deutsche Vermögensteuer zahlen und hätten ihr ausländisches Vermögen quasi verschont von der deutschen Vermögenssteuer." Musik: Goldfinger - Swinger Club Sprecherin: "Superreiche zieht es wieder nach Liechtenstein" betitelte die Süddeutsche Zeitung einen Bericht vom September 2021. Von 11,9 Milliarden Euro, die Deutsche in Liechtenstein gebunkert haben, berichtete nicht ohne Stolz im gleichen Monat die liechtensteinische Zeitung "Vaterland". Unter den Stiftern prominente Namen: Christian Birkenstock, Erbe des Sandalenherstellers Birkenstock. Hans-Peter Wild vom Saftproduzenten Capri-Sun. Erwin Müller von der Drogeriekette Müller. Harro Uwe Cloppenburg von Peek & Cloppenburg. Autor: Wie also ist das neue Liechtenstein zu beurteilen? Wie zukunftsfähig ist der eingeschlagene Weg? Für das Fürstentum selbst, aber auch für seine Nachbarn? Termin beim Regierungschef des Landes, bei Daniel Risch. Seine Residenz steht am Rand der Vaduzer Fußgängerzone. Erbaut von 1903 bis 1905, im Stil der Spätrenaissance. Kassettendecke, Parkettboden, hellroter Teppich. An den Wänden die Porträts von fünf verblichenen Fürsten. Eine Gedenktafel erinnert an die Verfassung des Landes. Regierungssprecher Roland Moser führt mich zunächst in den "Fürst-Johannes-Saal." Atmo : Schritte auf Parkett, leise Stimme. Musik: Daphnis et Egle - Wiener Symphoniker O-Ton Roland Moser (10/025): "Ich wollte Ihnen das kurz zeigen. Weil das wirklich ein geschichtlich schöner Raum ist. Mit sehr viel Historie." O-Ton Roland Moser: "Die oberste Aufgabe des Staates ist die Förderung der gesamten Volkswohlfahrt. - Das ist Artikel 14 der Verfassung von unserem Land, vom Fürstentum Liechtenstein. / Hier war früher der Landtagssaal. Also hier haben 15 Leute vom Parlament und fünf Regierungsmitglieder, waren hier hinein gezwängt. Heute dient der Saal repräsentativen Zwecken." Autor: Dann nimmt sich der Regierungschef Zeit, mir zu versichern, dass die Reformen ein voller Erfolg sind. O-Ton Daniel Risch: "Wir hatten natürlich über Jahre so ein bisschen dieses Steueroasen-Image. Oder quasi, dass hier Geld versteckt wurde./ Und mit dem Umbau des Finanzplatzes, mit der Konformität mit all den internationalen Regelwerken ist Liechtenstein ein Finanzplatz wie jeder andere auch." Autor: Viel Geld und Energie habe man investiert, um diese Botschaft zu verbreiten - auch via Internet: Musik: Ghosts 1 - Nine Inch Nails O-Ton YouTube-Video: "Mythos: Der Finanzplatz Liechtenstein wird nicht kontrolliert. Das stimmt nicht." Autor: Das Selbstverständnis seiner Exekutive sei kein Geheimnis, bedeutet mir der freundliche Herr Risch. Nachzulesen in der amtlichen Finanzplatz-Strategie, die als Broschüre ausliegt. Zitator: "Die Regierung stärkt die Außendarstellung des Finanzplatzes und stellt Ressourcen für die Finanzplatzkommunikation bereit." Autor: Von zentraler Bedeutung sei die... Zitator: "(...) positive Wahrnehmung durch Vertreter von Politik, Behörden und Medien wichtiger Partnerländer". O-Ton Autor: "Man könnte diesen Satz auch so lesen, dass Liechtenstein mit PR-Firmen zusammenarbeitet..." - (Daniel Risch lacht) - "...um für ein gutes Image in verschiedenen Ziel-Länden zu sorgen. Was können Sie dazu sagen?" - Daniel Risch: "Nein. So ist es nicht gemeint. Als kleines Land mit 40.000 Einwohnern hat man nicht die lauteste Stimme. Aber wenn man sie erhebt, dann sollte man auch schauen, dass man auch gehört wird. Und deshalb ist es nicht so, dass wir hier jetzt eine Armada von PR-Beratern hätten. Sondern dass wir auch gemeinsam diese positiven Punkte nach außen kommunizieren." Musik: Peer Gynt Suite Nr.1, op.46_IV In der Halle des Bergkönigs - SWF Tanzorchester Autor: Ich frage den Regierungschef: Wird seine politische Handlungsfreiheit nicht eingeengt, wenn der Landesvater Fürst Hans Adam der Zweite zugleich Eigentümer der größten Bank Liechtensteins ist? Daniel Risch winkt ab. O-Ton Daniel Risch: "Zum Bankwesen und zur Bank, die auch dem Fürstenhaus gehört: Da gab es nie, dass ich das Gefühl hätte, es gäbe hier eine Einflussnahme. Im Gegenteil. Ich glaube, gerade auch die Bank des Fürstenhauses, die ist darauf angewiesen, dass wir international konform sind. Dass unser Finanzplatz sauber ist. Und ich glaube, da haben wir alle die gleichen Ziele im Kopf." Autor: Einen deutlich differenzierteren Blick auf ihr Heimatland hat die ehemalige Oppositionspolitikerin Andrea Matt, die vor gut einem Jahrzehnt erstmals im liechtensteiner Parlament von Schwarzgeldern sprach - und kurz darauf als Nestbeschmutzerin abgewählt wurde. O-Ton Andrea Matt: "Es ist eines damals schon spürbar gewesen: Direkt nach Zumwinkel gab es Treuhänder und viele Menschen, die ich kennengelernt habe und die tatsächlich schon lange daran gearbeitet hatten, ihre Geschäfte auf saubere Geschäfte umzustellen. Und es gab welche, die das einfach nicht gemacht haben. Die versucht haben, die alten Geschäfte weiterzuführen./ Und meine Wahrnehmung ist heute einfach so, dass es diese zwei Strömungen immer noch gibt." Autor: Kritisch ist auch die deutsche Soziologin Silke Ötsch, die an den Universitäten Göttingen und Hamburg über Finanzströme forscht. Ihr geht es allerdings weniger um den Unterschied zwischen Schwarz-oder Weißgeld. Entscheidend sei, dass das Fürstentum weiter auf Kosten anderer lebe: O-Ton Silke Ötsch: "Liechtenstein macht ja immer Werbung damit, dass das Land einen ausgeglichen Haushalt und keine Schulden hat. Da würde ich sagen, dass es auch keine große Kunst ist, wenn man - (lacht) - die Steuergelder aus der ganzen Welt quasi anzieht." Autor: Auch wenn eine Vermögensabgabe für Reiche und Superreiche zur Zeit nicht auf der Agenda der deutschen Bundesregierung steht, sei die Debatte um gerechte Verteilung der Lasten unvermeidbar: O-Ton Silke Ötsch: "Also gerade die ökologische Krise erfordert sehr hohe Investitionen. Und ich glaube, viele unterschätzen das heute noch. / Gerade in so einer Krise ist es äußerst plausibel, dass diejenigen, die sehr hohe Vermögen haben, eben auch einen Teil abgeben./ Und da gibt es eben auch Reformbedarf bei der Politik, überhaupt auch bei legalen Steuerpraktiken sich das nochmal genau anzusehen." Autor: Fürst Hans-Adam der Zweite und seine Untertanen müssten also damit rechnen, dass europäische Regierungen über kurz oder lang neue Regeln aufstellen. O-Ton Silke Ötsch: "Früher war vieles in Liechtenstein legal, was heute nicht mehr legal ist. Und deshalb sollte sich die Regierung dort auch darauf einstellen, dass andere Staaten ihre Gesetze nachschärfen können. So dass viele Steuersparmodelle in Zukunft auch nicht mehr möglich sein werden." Autor: Ähnlich sieht das der Finanzexperte Sven Giegold, langjähriger Abgeordneter der Grünen im EU-Parlament, mittlerweile Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium. Liechtenstein ermögliche auch heute Ausländern eine "aggressive Vermeidung von Abgaben" und sei daher weiterhin vor allem Eines: Eine Steueroase mitten in Europa. Das könne man sich schlicht nicht mehr leisten. O-Ton Sven Giegold: "International sind die Geschädigten von Steueroasen immer die Allgemeinheit. Denen das Geld im Staatssäckel fehlt. Oder eben was ausgeglichen werden muss durch Massensteuern auf Einkommen, auf Verbrauch. Und von daher sorgt das für mehr soziale Ungleichheit in der Gesellschaft. Und Liechtenstein ist ein dichter Nachbar Deutschlands. Und daher kann man davon ausgehen, dass auch ein erheblicher Teil des Schadens auch in Deutschland angerichtet wird." Autor: Ob das Konstrukt der Erbmonarchie selbst ein überlebtes Relikt aus feudalistischen Zeiten sei? Darüber möchte der Finanzexperte und Staatssekretär nicht urteilen: O-Ton Sven Giegold: "Ich finde, es ist die Souveränität Liechtensteins, ihre inneren Verhältnisse so zu ordnen, wie sie das wollen. Aber es ist unsere Verantwortung, dafür zu sorgen, dass Steueroasen nicht genutzt werden." Musik: Do Köhr I Hi - Der Liechtenstein-Song - Rahel Oehri-Malin Absage: Ex - Steueroase Liechtenstein? - Neue Regeln, alte Lasten, gute Geschäfte Von Matthias Holland-Letz Es sprachen: Jochen Langner, Hildegard Meier und Andreas Grötzinger Technische Realisation: Dirk Hülsenbusch und Jens Peter Hamacher Regieassistenz: Uwe Huth Regie: Claudia Kattanek Redaktion: Thomas Nachtigall Eine Produktion des Westdeutschen Rundfunks mit dem Deutschlandfunk 2022 2