Hörspiel Feature Radiokunst Das Feature Merkel-Jahre Der unwahrscheinliche Weg der Angela M. Feature-Serie in sechs Teilen von Stephan Detjen und Tom Schimmeck (2/6) - Ein plötzlicher Aufbruch Regie: Tom Schimmeck Redaktion: Wolfgang Schiller Produktion: Deutschlandfunk 2021 Erstsendung: Dienstag, 20.07.2021, 19.15 Uhr Es sprachen: Annette Burchard und die Autoren Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. (c) - unkorrigiertes Exemplar - Atmo Bornholmer Straße, Berlin: Autos, Straßenbahn, S-Bahn Eppelmann "Da vorne hab' ich gestanden. Da ist die Stelle an der Kreuzung, wo die Straßenbahn früher rumfuhr. Also vor der Haltestelle das Schild, dass du da siehst. Bis dahin durftest du als DDR-Bürger. Und dann war es im Grenzbereich. Und hier waren die Grenzkontrollanlagen." D Rainer Eppelmann steht an der Bösebrücke. Über viele Bahntrassen hinweg verbinden die genieteten Eisenbögen die Berliner Stadtteile Prenzlauer Berg und Gesundbrunnen. S Ost und West. Bis 1989 ein schwer bewachter Grenzübergang. Eppelmann "Auto abgestellt und dann hier die Bornholmer Straße hochgelaufen, naja. Und dann kamen wir hier an und dann standen da schon so, vielleicht 100, so und dann haben wir sanft nach vorne gedrängelt, weil wir natürlich auch was sehen wollten. Und dann standen wir in der ersten Reihe." Tagesschau Eppelmann "Uns gegenüber in dem Abstand die Armierten. Die alle so ein bisschen komisch dastanden. Und erst beim zweiten Mal merkte ich, warum die so komisch dastanden. Die waren unbewaffnet." Tagesschau Eppelmann "Und wir standen doch nur zwei, drei Schritte weiter. Und: ‚na nun mach doch mal uff!!' ‚Der Schabowski hat gesagt wir dürfen rüber!!' Und so ging das immer wieder, immer wieder. Es wurden immer mehr. Die ganze Straße, ich weiß nicht ob du die Ecke kennst, das sind geschätzte fünf Kilometer bis oben an der Weißenseer Spitze." D Pastor Eppelmann ahnt noch nicht, dass er bald der letzte Verteidigungsminister der DDR sein wird. Eppelmann "Diese Straße war voll mit Leuten und Autos, die Hupen und Auto Autos die sagten wir wollen rüber. Und dann hat er es aufmachen müssen." Atmos [Nachrichten, alte Originale / Tagesschau / Schabowski / Aktuelle Kamera Hajo Friedrichs in den Tagesthemen vom 9. November 1989 D Eppelmann schaut über die Brücke nach Westen. S Dann dreht er sich um, streckt eine Hand gen Osten. Eppelmann "Circa 500 Meter zurück ist eine kleine Sauna. Und in der saß Angela Kasner und saunierte, während wir hier für die Freiheit kämpften. Und ohne den Tag hätte ich die nie kennen gelernt und wäre sie vermutlich nie Bundeskanzlerin der Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland geworden." Merkel "Der Mauerfall hat uns gezeigt: Träume können wahr werden. Nichts muss bleiben, wie es ist. Mögen die Hürden auch noch so hoch sein." D/S Ansage Merkeljahre Feature- / Podcast-Serie von Stephan Detjen und Tom Schimmeck Folge 2: Ein plötzlicher Aufbruch D An der Geschichte von Angela Merkel ist bis heute so erstaunlich, wie da innerhalb weniger Jahre eine totale Außenseiterfigur aus dem Nichts auf die Mitte der politischen Bühne katapultiert wird. Mushaben "Sie war ein Nobody aus einem no-place. Ich auch." S Die US-Politologin Joyce Mushaben schreibt 1990 an einer Monographie über ostdeutsche Identitäten. D Sie irrt durch die Büros der frei gewählten Volkskammer - auf der Suche nach einer Liste der neu gewählten Abgeordneten. Mushaben "Ich weiß noch, wie die CDU mir damals gesagt hat: "Ja, wenn Sie eine kriegen, die hätten wir auch mal gerne!" S Am 12. Juni läuft sie mit ihrem langen Fragebogen wieder einmal durch Ostberlin, will eigentlich den Ministerpräsidenten Lothar de Maizière interviewen. Und landet bei seiner Mitarbeiterin Angela Merkel. Mushaben "Ich fand sie einfach ehrlich. Sie war ganz sachlich. Die complaints, die sie hatte, waren eher auf Redefreiheit, Reisefreiheit und solche Sachen gerichtet." D Der Umbruch macht auch in der alten Westrepublik Dinge möglich, die bis dahin undenkbar schienen. Merkel "Liebe Freunde, meine Damen und Herren. Ich bin Physikerin..." S Angela Merkel wird im April 1990 stellvertretende DDR-Regierungssprecherin, im Dezember Bundestagsabgeordnete, im Januar 1991 Bundesministerin. D Schon Ende 1991 ist sie Stellvertreterin Helmut Kohls an der Spitze der CDU. Parteitag Es wurden abgegeben für Frau Angela Merkel 621 Stimmen. Beifall S Eine Frau, die sich erst im letzten Moment, als die Revolution eigentlich schon vorbei ist, zaghaft einmischt. D Als die Wirren der Revolution schon von den Anfängen einer neuen Ordnung überlagert werden. Als es kein Risiko mehr gibt, auf den Straßen von Sicherheitskräften zusammengeknüppelt oder verhaftet zu werden. Parteitag "...ob sie Wahl annehmen." Merkel "Ja, ich nehme die Wahl an." Eppelmann "Hat sie ja zum Glück auch nie behauptet, im Unterschied zu vielen anderen, die da ein Problem damit hatten, hat sie ja nie behauptet, dass sie ein widerspenstiges Wesen in der DDR gewesen ist. Sie war ehrgeizig und wissbegierig und hat sicher den einen oder anderen Kompromiss eingehen müssen, wie alle DDR-Bürger. Daran ist, finde ich, noch nichts Unanständiges." S Erst spät, Ende 1989, verlässt Merkel den Schutzraum ihres Instituts. Sucht Anschluss an die Bewegung. Merkel "Vielleicht gerade, weil ich aus einem Pfarrershaushalt kam und das Christsein noch anders erlebt habe, war ich besonders wütend auf die die CDU. Also ich wäre noch eher in jede andere Partei gegangen, aber niemals in die CDU." D Ein Kollege nimmt sie mit zur neu gegründeten sozialdemokratischen SDP. S Merkel dockt nicht an. Das Geduze der Genossen ist ihr fremd. D Sie stößt zum Demokratischen Aufbruch. Eppelmann "Frau Merkel kam in irgendeine leerstehende Wohnung, die wir dann quasi besetzt haben und dann Miete bezahlt haben..." D Einige Akteure dort kennt sie, viele kommen aus dem kirchlichen Umfeld. Rainer Eppelmann, auch der Vorsitzende, Wolfgang Schnur, der regelmäßig Kontakt mit Merkels Vater, Horst Kasner, hatte. Merkel entschließt sich, beim DA mitzumachen - und fällt auf: Eppelmann "Dann hat sie angefangen zunächst da Elektronik, die sie uns..." S Wohltäter aus dem Westen hatten den neuen Parteien der DDR Computer gespendet. Die junge Physikerin weiß, wie man sie bedient. Eppelmann "Und wir haben mit Blaupause und Kugelschreiber gearbeitet. Wir haben doch gar nüscht gehabt." Maaß "Und im Vorzimmer von Schnur sah ich dann erstmalig eine junge Dame, die gerade frisch gelieferte Computer auswickelte. Und ich habe dann also versucht mit der Dame ein erstes Gespräch zu führen. Möglicherweise habe ich das didaktisch nicht so besonders schlau angestellt, denn später hat sie gesagt, ich sei etwas hochnäsig gewesen. Aber, ja, auf jeden Fall fiel sie mir auf und ich hab' mir sofort Notizen gemacht. Und sie war damit nun für mich registriert." D Das ist Hans Christian Maaß. Auch ein Pfarrerskind aus Brandenburg. S Aber mit mehr Distanz zum Apparat. Inklusive Knasterfahrung. Maaß "Ich bin dann aus politischen Gründen - wieder eine extra Geschichte - mit drei anderen Kommilitonen kurz vor dem Examen gefeuert worden. Habe dann einen Fluchtversuch mit dem Schlauchboot über die Ostsee... Inhaftiert nach 24 Stunden. Norwegischer Frachter in der Mitte der Ostsee mit DDR-Besatzung auf Probefahrt. Freikauf." Wahlspot DA "...entscheiden sie sich gegen den Sozialismus. Der Sozialismus hat uns Armut und Elend gebracht. Der Sozialismus..." S Ende 89 gehört Maaß zu einer Truppe Berater, die CDU-Generalsekretär Volker Rühe als politische Entwicklungshelfer nach Berlin schickt. Wahlspot DA "Wir werden es schaffen. Demokratischer Aufbruch, sozial, ökologisch..." S Der DA schließt sich mit der Ost-CDU zur Allianz für Deutschland zusammen. Wahlspot DA "Stoppt die sozialistischen Parteien!" D Wenige Tage vor der freien Volkskammerwahl am 18. März 1990 wird der DA-Vorsitzende Schnur als Inoffizieller Mitarbeiter der Stasi enttarnt. Atmo 14.3.1990 Tageschau Schnur gestürzt. Nach tagelangem Bestreiten... und Bericht Kohl "Was hier geschehen ist, ist menschliches Versagen. Es ist eine bittere Erfahrung." D Helfer und Paten der West-CDU übernehmen das Ruder. Einer von ihnen ist Thomas de Maizière, damals 25 Jahre alt. Sein 14 Jahre älterer Vetter Lothar tritt bei der Volkskammerwahl als Spitzenkandidat der Ost-CDU an. S Zusammen mit dem West-Berliner CDU-Chef Eberhard Diepgen soll Thomas de Maizière das Problem Schnur lösen. De Maizière "Es kam auf jeden Tag an. Und dann sind Eberhard Diepgen und ich in das Krankenhaus gefahren der Hedwig Straße. Und dann hat es der Eberhard Diepgen es geschafft - das war dann unter vier Augen - Wolfgang Schnur zum Rücktritt zu bewegen. Und dann kam Rainer Eppelmann dazu. Dann haben wir das erläutert. Im Nachhinein war das natürlich auch sehr westlich übergriffig, muss man mal kommentierend dazusagen. Aber so war es eben." D Eilig wird eine Pressekonferenz einberufen. De Maizière "...Und dazu musste ich Kontakt aufnehmen mit der Pressesprecherin des Demokratischen Aufbruchs, die ich nicht kannte. Das war Angela Merkel. Dann haben wir das gemacht - auch fälschlicherweise, in den Räumen des Landesverbandes der West Berliner CDU. Richtiger wäre gewesen ist in den Räumen des Hauses der Demokratie zu machen, wo der Demokratische Aufbruch war. Ich glaube Angela Merkel war darüber auch nicht ganz glücklich." S Rainer Eppelmann ist Schnurs Vize. Vier Tage vor der Wahl muss er übernehmen. Eppelmann Und dann haben sie alle mich angeguckt. Ich war der Vorsitzende des Demokratischen Aufbruchs und sie war meine Pressesprecherin. Ich sehe das heute noch vor mir, als sie die Presseleute einlud. Nachdem wir Wolfgang Schnur rausgeschmissen haben und ich meine erste große Pressekonferenz machte und erklärte warum wir den rausgeschmissen haben, der zwei Tage vorher noch vortausenden von Menschen verkündet hatte: ‚Vor ihnen steht der zukünftige Ministerpräsident'. Da stand ich daneben, bin fast in Ohnmacht gefallen, dachte: Mensch, spinnst du? Nachrichten verkünden Ergebnis der Volkskammerwahl vom 13. März 1990 / Bericht D Merkels Demokratischer Aufbruch geht mit 0,9 Prozent der Stimmen unter. Doch es gibt keine Sperrklausel. Noch am Wahlabend ist klar: der DA wird mit vier Abgeordneten kleinster Regierungspartner in der Koalition von Lothar de Maizière. De Maizière "...und wir waren freudestrunken und hatten gefeiert und irgendeiner hatte dann die Idee: Wir gehen noch mal zum Demokratischen Aufbruch. Lothar de Maizière und ich. Und dann sind wir da, ich glaube: zu zweit, hingegangen Das war in einer dunklen Kneipe. Ich erinnere mich noch an einen ganz langen Flur, bis man dann in einen hinteren Raum kam. Und da waren ein paar ganz traurige Gestalten da haben wir dann sozusagen ein Beileidsbesuch gemacht. Und sicher auch nicht den richtigen Ton getroffen, weil wir halt freudestrunken waren. Und da war Angela Merkel. Und Angela Merkel hat dann beim Rausgehen mir gesagt - das sagt sie immer, ich kann mich nicht so ganz genau erinnern: ‚Vergesst uns nicht, wir waren auch wichtig.'" TV-Ton Elitz "Die Mehrheit der Wähler wollte keine Experimente. Sie will leben wie im Westen, ohne über die Grenze zu müssen..." S Eppelmann wird Minister für Abrüstung und Verteidigung. Atmo DDR-Admiral Hoffmann übergibt das Büro. "Ich wünsch' ihm in seinem Amt viel Erfolg, Weisheit bei der Führung der vielen Menschen, die ihm anvertraut sind und immer eine Handbreit Wasser unterm Kiel." Eppelmann "Danke Ihnen herzlich." D Er protegiert Merkel. Eppelmann "Ich schlage einfach mal vor: Sie machen Angela Merkel zur Regierungssprecherin. Und da sagte er zu mir: "Das geht nicht mehr. Das habe ich schon einem versprochen. Aber sie kann stellvertretende Regierungssprecherin werden. Da sage ich: ‚Na gut, ist auch in Ordnung.'" Maaß "Und da bin ich natürlich zum Herrn Ministerpräsidenten - damals noch Herr Ministerpräsident - und habe gesagt: ‚Herr de Maizière, Sie werden jetzt 'ne Menge Auslandsreisen machen müssen und da muss ein Regierungssprecher immer mit und wir brauchen einen zweiten Regierungssprecher hier, sonst geht das überhaupt gar nicht.' Und da hat er natürlich gesagt: ‚Na, das machst Du doch.' Und ich sag: ‚Nein, sie haben das immer noch nicht verstanden. Ich bin hier für Hilfeleistung aller Art zuständig. Ich mache jeden Scheiß. Aber auf die Bühne gehe ich nicht. Da müssen nur DDR-Bürger. Ja er wüsste - von der SPD käme überhaupt niemand infrage. Und DSU schon gar nicht. Und beim Demokratischen Aufbruch kenne er niemanden. Und ich sage: ‚Na ich schon.' Und da bin ich zu zur Angela in die Wohnung, irgendwo, wo die damals wohnte und habe gesagt: ‚Du kommst jetzt mal mit.' Wollte sie erst gar nicht. Und dann hat sie nur immer gesagt sie sei Physikerin und sie könne sowas gar nicht. Und da hab ich gesagt: Das werden wir jetzt erst mal feststellen. Und dann bin ich mit ihr in das Büro des Herrn Ministerpräsidenten und bin dann raus. Er hat mit ihr geredet. Und dann hat er gesagt: ‚Die ist doch ganz nett, und ganz kompetent. Die nehmen wir. Der Vater ist zwar ein bisschen komisch, als Theologe. Aber die nehmen wir. Stell' Sie ein.' So, dann habe ich mit Staatssekretär Moritz den Arbeitsvertrag gemacht. 2500 Ostmark. Das war 'ne Menge Geld für damalige Verhältnisse. Und es wurde die stellvertretende Regierung Sprecherin Angela Merkel." Atmo Maaß Straße S Die Zentrale dieser letzten DDR-Regierung ist das Ministerratsgebäude im Alten Stadthaus an der Jüdenstraße. Ein grauer, wilhelminischer Verwaltungsklotz mit einem neobarocken Turm auf dem Dach. Heute Sitz des Berliner Innensenators. Maaß "Das war mein Arbeitsplatz. Hier sind wir rein." D Mit Ministerpräsident Lothar de Maizière ziehen seine engsten Mitarbeiter und die Berater aus dem Westen ein, darunter Hans Christian Maaß. Atmosphäre, Gang, Schritte Maaß "Das war mein Zimmer. Und hier war der Sitzungsteil gehen wir mal darüber. Hier - ach du liebe Zeit - hier war der Sitzungssaal für den Ministerrat. Alle diese Bereiche, die mit rotem Kokosläufer ausgelegt waren, waren im Grunde öffentlich nicht zugänglich. Es gab Leute in diesem Ministerrat, die uns glaubwürdig erklärt haben, dass sie Herrn Ministerpräsidenten Stoph, obwohl sie hier schon 20 Jahre gearbeitet haben, noch nie gesehen hatten." S Links das Büro des jetzigen Berliner Innensenators Geisel. Ein langer, breiter Gang. Alles sehr schmucklos. Maaß "Und auf der Seite Thomas de Maizière, Fritze Holzwarth, also die Berater für Wirtschaft und so. Und da auf der Seite war Matthias Gehler und Angela. Die saßen hier." Detjen: "Hier?" Maaß: "Hier!" Detjen: "Zimmer 4214, Büro des Staatssekretärs." Maaß "Ich bin ja immer zu Gela rein. Hier haben wir immer Morgenbesprechung gemach, in so'm größeren Saal. Und hier habe ich den ersten Xerox Fotokopierer aus Bonn aufstellen lassen. Und wir haben hier die erste Telefonleitung aus West-Berlin mit einer Muschel verbunden, um dpa Nachrichtenagentur zu bekommen. Ja? Und ein Faxanschluss, was ganz wichtig war, sodaß wir direkt ins Bundeskanzleramt von hier hin- und herfaxen konnten. Das war meine erste Arbeit." D Andere Berater aus dem Westen kommen an. Elmar Brok gehört dazu, später CDU-Europaabgeordneter und Strippenzieher der Christdemokraten in Brüssel. Brok "Ich hab' damals mitgearbeitet an der Regierungserklärung von Lothar de Maizière. Ich war ja Wahlkampfleiter der CDU in Brandenburg. Und dann sagte der: ‚Ich habe zwei tolle Frauen bei mir, die müssen sie kennen lernen.' Und dann rief er sie. Und dann standen da zwei junge Damen nebeneinander. Die eine war Petra Erler, die andere war Angela Merkel. Das war die erste Begegnung." D Petra Erler wird später Kabinettschefin und Lebenspartnerin des deutschen EU-Kommissars Günther Verheugen. Die andere Frau wird Bundeskanzlerin. S Wie wirkte Merkel damals auf Brok? Brok "Junge Frau, noch DDR-mäßig von den Klamotten her aussehen, so wie es so ist. Aber sehr schnell begreifend, worum es geht." D Dabei hatte sie schon immer West-Jeans getragen - die kamen im Paket von den Hamburger Cousinen. S Auffällig: Bei den wichtigen Verhandlungen über den Einheitsvertrag taucht meist die Vize-Sprecherin an der Seite des Ministerpräsidenten auf. Eppelmann "Und dann haben wir beide ungeheures Glück gehabt: der Regierungssprecher hatte Flugangst." D Merkel ist bei Auslandsreisen und den Verhandlungen zum Abschluss des Zwei-plus-Vier-Vertrages in Moskau an der Seite Lothar de Maizières. Maaß "Und im September, also einen Monat vor dem 3. Oktober rief dann Gela an und klagte, niemand würde sich um sie kümmern und am 3. Oktober seien sie beide arbeitslos." S Sie wird im Bundespresseamt als Referentin geparkt. D Günther Krause, Vorsitzender des neu gegründeten CDU-Landesverbandes Mecklenburg-Vorpommern, bietet Merkel einen Wahlkreis an der Ostsee an. Sie fragt ihren Mentor Maaß. Maaß "Da hab ich gesagt: ‚Angela das ist ein wunderbarer Vorschlag und mehr als schief gehen kann es gar nicht. Du nimmst die Kandidatur an!' Und habe dann den damaligen Pressefotografen, mit dem ich befreundet war und bin, Michael Ebner von der Bild-Zeitung, gesagt Michael: du fährst jetzt mit der Angela auf die Insel und machst ein paar anständige Fotos. Und dabei ist dieses berühmte Foto mit den Fischern entstanden (D: Acki Bull ...!) Ja, genau." Atmo S: Ist das Acki? Bull: Ja. Kaffee? S In Lobbe, am südöstlichen Zipfel der Insel Rügen. Ein Dörfchen. Gediegen. Bull "Scheißwetter. Naja gut. Is so. Können wir nicht ändern." S "Wer ist wer?" Bull "Das ist Eberhard Heuer, das ist mein Vater, das ist Rainer Ehlers, das ist Martin Holz und hier hinter, dahinten, das bin ich." S Ein Stück weg von hier , Richtung Strand, ist das Merkel-Bild entstanden. 1990. Fünf Mann in einem dunklen Schuppen. Dazwischen, mit Jeansrock und einer weinroten Strickjacke, die junge Bundestagskandidatin Angela Merkel. D Gut 30 Jahre ist das her. Von den Männern auf dem Foto leben nur noch zwei. Bull "Wieso kam die hierher? Die war damals auf Wahlkampf für Mecklenburg-Vorpommern. Wir kamen vom Wasser, und dann stand da mit einmal ein Auto. Naja, gut, können ja auch Urlauber, sein, die mal gucken wollen. Und dann kamen wir dann in unseren Schuppen. Und dann kam sie rein. Und da hat erstmal Eberhard gefragt, wer sie denn ist. Man musste das ja nun wissen. Das war ja alles nicht so einfach. Und dann hat sie sich dann eben vorgestellt, wer sie ist. Und dann hat er gesagt: Wenn Du schon hier bist, denn musst Du auch 'n Schnaps mit uns trinken. Und das hat sie auch gemacht und dann kam so ein Wort ins andere. Ja, sie kandidierte ja für die CDU damals. Stimmenfang hat sie gemacht. Sie hat bei uns gefischt, ja." S Sie tranken "Goldkrone" Bull "Man kann mit ihr als Mensch gut reden. Wir jedenfalls in Lobbe kamen mit dieser Frau gut zurecht..." S Acki Bull holt den Kaffee. Sie war ein Mensch, sagt er. Man kam mit ihr klar. Er war später mit ihr Kaffee trinken. Er mochte sie. Er kann nichts Schlechtes sagen. D Hans-Joachim Bull ist sogar in die CDU eingetreten. Das war eine CDU-Hochburg hier, meint er. Sein Opa war einst in der Block-CDU. Atmo Bull raschelt im Papier S Er kramt eine Mappe hervor mit Merkel-Andenken. Zeitungsschnipseln, ein paar Schnappschüssen. Einer ist von Angela Merkel signiert. Merkel "Und dann hab ich so ein ganz bisschen in meinem Hinterkopf meinen Wahlkreis - da wohnen Fischer, auf der Insel Rügen..." S Angela Merkel hat unheimlich gezogen im Wahlkreis Stralsund-Rügen-Grimmen, sagt er. Atmo "Und hier... Merkels enttäuschte Männer..." D Noch vor der Wahl reist Angela Merkel nach Bonn. Helmut Kohl hat Bundestagskandidaten aus dem Osten eingeladen. Maaß "Und als sie zurückkam, rief sie mich wieder an: du ich muss dir was erzählen. Ich sage: was denn? Ja, der Helmut Kohl hat mich in den Arm genommen. Ich sage: ‚Das ist aber ein sehr gutes Zeichen.' ‚Ja, das sagen die anderen auch alle!' Ich sage: ‚Das ist mindestens parlamentarischer Staatssekretär.'" S Es wird mehr. Kohl verteilt nach der Bundestagswahl Ende 1990 das alte Ministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit an drei Frauen. D Gerda Hasselfeld von der CSU wird Gesundheitsministerin, die hessische CDU-Abgeordnete Hannelore Rönsch erhält das Ressort Familie und Senioren.) Angela Merkel, 36 Jahre alt, wird Bundesministerin für Frauen und Jugend. Maaß "Da hab' ich dann allerdings gesagt, das sei nun eine Position, vor der sie möglicherweise fachlich die größtmögliche Entfernung hätte. Meine Frau machte am Wannsee bei meiner Schwiegermutter Tee. Und dann lagen wir - der Fritz Holzwarth, Angela und ich - auf dem Fußboden und haben das Organigramm dieses Frauenministeriums ausgebreitet, um ihr klarzumachen, wie das überhaupt läuft und was da läuft und nach Bonn und so weiter. (...) Und so hat sie dann angefangen, ja. Das war unglaublich." Merkel "Wir sitzen da zu Siebzehnt - und dann gibt's den Bundeskanzler. Gelächter Ja..." Süssmuth "Kohl hat ja auch immer Menschen geholt, die nicht so dachten wie eher, oder ein Teil nicht so dachten wir eher. Er war viel liberaler als wir annehmen. Der hatte mehrere Gesichter." Atmo Tür Guten Tag... S Besuch bei Rita Süssmuth in Neuss. Durch die weit geöffnete Gartentür scheint die Sonne ins Esszimmer. Im Garten blüht es. Sie hat Kuchen und Gebäck besorgt. Szene am Tisch, Kaffee, Plunder Sü: "Ich hol mal eben den Kaffee." D: "Kann ich Ihnen helfen?" Sü: "Ich glaube nicht, nee." S Als Merkel Ministerin im Kabinett von Helmut Kohl wird, ist Süssmuth seit einem guten Jahr Bundestagspräsidentin. Süssmuth "Ich fand es von ihm klug. Das war ja ein Schock für den Rest. Was soll die denn da? Kann die das überhaupt? Denn das war ja das Mädchen. Kann die das? Für solche Überraschungen war Kohl oftmals gut. Gute Entscheidungen. Und riskante Entscheidungen." D Kurz vor dem Fall der Mauer, im September 89, hatte Süssmuth zusammen mit Heiner Geißler und Lothar Späth versucht, den Patriarchen zu stürzen. Die Revolte sei nicht besonders professionell gewesen, sagt Süssmuth im Rückblick. Süssmuth "Der Druck von Helmut Kohl konnte schon sehr groß sein. Wenn er seine Ziele hatte und auch die Gefolgschaft in der Erwartung war, die tun was ich will." Merkel "Ich hab' auch keine Hemmungen, dort das, was ich denke, zu sagen. Und insofern kann ich erstmal kein größeres Problem in der Kabinettsrunde erkennen." S Ein anderer Besuch. Feldafing am Starnberger See. Ein gemütliches Einfamilienhaus. D Sabine Leutheusser-Schnarrenberger saß zwei Mal als Justizministerin mit Angela Merkel am Kabinettstisch. Anfang der neunziger Jahre bei Kohl in Bonn. Dann ab 2009 im zweiten Kabinett Merkel. S: "Was kann sie nicht? Leutheusser-Schnarrenberger (lacht) "Ja, sie merken, ich bin da eher positiv gestimmt. Was ist eine Schwäche? Es kann auch eine Schwäche sein, sehr routiniert eine Aufgabe wahrzunehmen und vielleicht zu wenig das auch emotional zu teilen mit anderen." S In Bonn erlebt Leutheusser-Schnarrenberger einen der seltenen Momente, in denen die junge Ministerin von Gefühlen überwältigt wird. Leutheusser "Sie war die führende Ministerin und hatte mehrere Anläufe unternommen, eine Verordnung endlich in die Kabinettssitzung zu bringen, hatte sie auch angekündigt. Endlich..." S Merkel ist inzwischen als Nachfolgerin von Klaus Töpfer Umweltministerin und hat nach langen Abstimmungen mit den anderen Ministerien einen Verordnungsentwurf in die Kabinettssitzung eingebracht. Leutheusser "Und eigentlich ist der normale Ablauf der: Wenn ein Punkt da steht, kann der Minister / die Ministerin kurz noch was sagen und dann geht man zum, nächsten über. Weil es ist ja alles klar inhaltlich durch die vorherigen Abstimmungen. Und da rief Bundeskanzler Helmut Kohl den Punkt auf und sagte: ‚Der wird noch mal zurückgestellt' - weil es doch noch neue Aspekte gegeben hat, über die man noch mal reden müsse." D Merkel wird klar: Kollegen - vielleicht Verkehrsminister Wissmann, vielleicht Wirtschaftsminister Rexrodt - hatten hinter ihrem Rücken die direkten Drähte ins Kanzleramt genutzt, um Merkels Umweltverordnung zu stoppen. Leutheusser "Und das war aus ihrer Sicht wirklich eine Desavouierung. Und da war sie dermaßen auch emotional erzürnt, dass sie aufstand und rausging." S Das hatte es an Kohls Kabinettstisch noch nicht gegeben. Leutheusser "Man geht normalerweise bei diesen kurzen Kabinettssitzungen nicht zwischendurch raus und kämmt sich oder so. Und das war eine extreme spannungsgeladene, emotionale Situation. Gucken da alle ganz betreten. Hab ich mir gedacht, das kann man doch so nicht stehen lassen. Und dann habe ich gedacht, jetzt stehe ich auch auf und gehe mal raus, wo Frau Angela Merkel geblieben ist. Wenn man rausgeht, wo geht man hin? Damentoilette. Kann man sich da noch mal schön ärgern. Und da war sie auch. Da haben wir uns dann ein bisschen unterhalten. Weil ich ihr auch gesagt habe, ich könnte das überhaupt nicht nachvollziehen, fände das auch - ohne dass ich in der Sache Ahnung hätte - einfach ...eine Art des Umgangs, entsetzlich. So, da haben wir uns ein bisschen unterhalten und dann sind wir wieder zurück in die Kabinettssitzung gegangen." S Die Geschichte macht die Runde. Bannas "...und sie dann, was wohl stimmt, in Tränen ausgebrochen seie und das dann natürlich wieder nach draußen getragen wurde, was ja auch schon wieder eine Frechheit ist. Aber so war es halt." Süssmuth "Mir ist es auch oft schwergefallen, wenn ich so verzweifelt war. Machst'e weiter? Machst'e nicht weiter? Das gibt es. Wo man dann sagt: Mensch, wieder nicht! Und wieder war's falsch!" D Auch Rita Süssmuth bekam die Tränen mit. Süssmuth "Ich erinnere mich, als sie das erste Mal geweint hatte und das öffentlich wurde. Darüber zu sprechen: Was hat dich da so schockiert? Denn dieses Weinen wurde ja als immense Schwäche ausgelegt. Spöttelnd. Negierend. Und da sagt sie: ich werde nie wieder weinen. Achten Sie mal darauf. Sie hat eine extreme Selbstkontrolle." Bannas "...und Frau Merkel lernte ich dann kennen, als sie Jugendministerin war, also Ende 1990, Anfang 1991." D Günter Bannas, langjähriger Korrespondent der Frankfurter Allgemeinen in Bonn und Berlin, empfängt uns in seiner Berliner Wohnung. S Diesmal haben wir den Kuchen mitgebracht. Bannas "Und dann hatte ich auch ein Gespräch mit ihr und einen ziemlich selbstbewussten Eindruck. Also nicht das kleine, unbedarfte Mädchen, das da jetzt dankbar ist, am Tisch des Herrn einen Platz zu haben, erzählte sie, wie sie den Altvorderen, also dem Helmut Kohl und dem damaligen Finanzminister Waigel, erklärt hat, wie die DDR und die Wähler dort und die Menschen dort und die Verhältnisse dort, wie die zu verstehen sind. Und was die Wähler für Bedürfnisse haben und was die erlebt haben im Zusammenbruch der DDR, des SED-Regimes. Und das klang ganz und gar unbedarft, sondern eigentlich relativ selbstbewusst." S Bannas registriert schnell, wie machtbewusst Merkel ist. Bannas "Staatssekretär damals im Umweltministerium war Herr Stroetmann. Und cder war der Chef des Umweltministeriums oder er fühlte sich als der Chef schlechthin und mindestens genauso wichtig wie der Minister. Und dann hat Frau Merkel den innerhalb des ersten Vierteljahres entlassen. Und das fand ich damals ein echt tolles Ding. Weil damit hat sie klargemacht: ‚Die Chefin des Hauses bin ich.'" Bericht Kyoto/ O-Ton Merkel "Es geht bei so vielen Ländern schon manchmal ganz schön hektisch zu..." D Als Kohl im Herbst 98 abgewählt wird, stellt sich die CDU neu auf. Wolfgang Schäuble wird Parteichef. Macht Angela Merkel zu seiner Generalsekretärin. Scha¨uble "Sie war eine oder sie ist immer noch eine großartige Generalsekretärin. Ich bin ja von vielen schief angesehen worden, als ich sie vorgeschlagen habe als Generalsekretärin. Sie hat das hervorragend gemacht. Sie ist frischer, neuer. Und das ist eine großartige Chance für die Union. Feldmeyer "Sie ist besser als Kohl, weil sie weniger emotional handelt." Schavan "Sie ist nicht euphorisch in den Momenten des Erfolges aber dann auch nicht zerknirscht in den Momenten des Misserfolges..." D Merkel der Partei will ihren Stempel aufdrücken. Sie entwirft ein familienpolitisches Grundsatzpapier. Familie - so heißt es da - ist überall, wo Eltern mit Kindern zusammenleben. Die CDU soll Respekt vor Patchworkfamilien und gleichgeschlechtlichen Partnerschaften zeigen. Song Nockherberg 2000: "Ich bin die Zuckerpuppe aus der Schwarzgeldtruppe von der christlichen Union." S Doch wieder kommt es ganz plötzlich ganz anders: Forts. Song "Ich bin die Ossi-Biene mit der Pokermine aus der Bimbes-Bastion..." (Gelächter) Bericht Spenden Merkel O-Ton D Die Spendenaffäre stürzt die CDU in die tiefste Krise ihrer Geschichte, Merkel "Das ist ein Fehler." D Merkel wird sie als Chance für sich nutzen. Merkel "Jetzt kommt es darauf an, ob Helmut Kohl mehr wusste, mehr Details kannte. Und dann kann man nur sagen wäre es gut, er sagt es, weil für uns eine Menge auf dem Spiel steht. Und ich kann nur sagen, wer der CDU helfen will, wer ihr dienen will, der muss jetzt dazu übergehen, wirklich alles, was er weiß zu sagen. Denn sonst kommen wir in eine unglaubliche Schwierigkeit. Und ich glaube alle, die es gut mit der CDU meinen, dürfen das nicht zulassen." S Im Dezember 1999 veröffentlicht die Generalsekretärin einen Gastbeitrag in der Frankfurter Allgemeinen. Erklärt dort, dass die Partei lernen müsse, in Zukunft ohne das alte Schlachtross Kohl zu kämpfen. Und ihre eigenen Wege zu gehen. Bannas "Es war komplett unspektakulär, es war sowas von unspektakulär..." Feldmeyer "Frau Merkel rief mich damals an und sagte: ‚Ich würde gerne zu der Situation bei Ihnen im Blatt etwas sagen, wollen wir ein Gespräch führen, schlage ich vor oder, wenn Sie wollen, kann ich auch einen Artikel selber, also ein eigenes Stück schreiben.'" D Karl Feldmeyer war damals bei der FAZ damals für die CDU-Berichterstattung zuständig. Einige Jahre vor seinem Tod 2016 erinnerte er sich im Deutschlandfunk: Feldmeyer "Da sag ich ‚Haben Sie denn schon eins?' ‚Ja', sagt sie, ‚ich hab' eins. Sag ich: ‚Geben Sie es doch her, ist doch viel authentischer in dieser Situation einen Namensartikel von Angela Merkel zu haben, als ein Gespräch mit Karl Feldmeyer.' Und dann hatte ich ein paar Minuten später das Manuskript und habe es nach Frankfurt geschickt und dann nahm das sofort seinen Lauf, was ja auch nicht so weiter verwunderlich ist. Und das war wirklich eine Zäsur in mehrfacher Hinsicht." Merkel "Es war also eine Notlage aus meiner Sicht. Und insofern empfand ich es als meine Aufgabe als Generalsekretärin, diesen Schritt zu wagen, ohne genau zu wissen, wie das endet." Süssmuth "Das war eine Schicksalsentscheidung. Denn sie hat darin den Mut gehabt zu sagen: So geht's nicht weiter." O-Ton Parkhotel Bremen 2000 / Kohl D/S Dialog: Ära Kohl Kohl "Für Sie bin ich nicht der Herr Kohl... Herr Dr. Kohl... So" Johlen "Wir wollen ein bisserl Ordnung zwischen uns reinbringen..." "Herr Dr. Kohl. Tut Ihnen..." "Ja, das will ich!" "...Tut Ihnen..." "Ich möchte keine Intimität mit Ihnen haben!" S Wenige Wochen später gerät auch Wolfgang Schäuble in den Strudel der Spendenaffäre. 15 Monate nach dem Ende der Regierungsära von Helmut Kohl steht die CDU erneut vor einem Neuanfang. CDU-Delegierte 2000 "Frau Doktor Merkel, sie sind die Kraft! Darum bitte ich sie, ziehen auch sie den Kampfanzug an! Es wird jetzt Zeit für die Frauen!" D Auf einer Reihe von Regionalkonferenzen wird Angela Merkel zur Hoffnungsträgerin der enthusiastischen Parteibasis. Die mächtigen Männer - Volker Rühe, Bernhard Vogel, Friedrich Merz, Roland Koch - wagen es nicht, den Hut in den Ring zu werfen. Bannas "Deren Kalkül war: naja, die Vorsitzenden-Zeit Frau Merkels in der CDU wird sich dann irgendwie nach zwei, drei Jahren erübrigen und dann kommen wir wieder dran - kommen wir dran. Und darin haben sie sich ja getäuscht." Rüttgers/Parteitag "Ich möchte das Ergebnis..." S Am 10. April 2000 wird Angela Merkel in Essen zur Vorsitzenden der CDU gekürt. Rüttgers/Parteitag "Das sind 95,94 Prozent..." Merkel "Ich nehme die Wahl an, ich bedanke mich für die große Unterstützung und bitte darum, dass sie noch eine Weile anhält" Gelächter, Applaus S Ziemlich genau zehn Jahre, nachdem sie als Vize-Regierungssprecherin im Alten Stadthaus zu Berlin die politische Bühne betreten hat. Merkel "Ich habe mir heute vor einem Jahr nicht vorstellen können, Mitglied der CDU-Ost zu sein." D Eine rasante Geschichte. Biedenkopf "Frau Bundesministerien Dr. Angelika Merkel..." S Man kann sie als zielstrebigen Aufstieg beschreiben. Kohl "...dass wir weibliche Kandidatinnen vorschlagen, also Frauen, die sich bewährt haben..." D Oder als Kette vieler historischer Zufälle. Obama "I like Chancellor Merkel a lot. Chancellor Merkel is smart, practical and I truth her when she says something." S Vielleicht als Auftakt einer Karriere, die erst jetzt wirklich beginnt? Merz "Wir können stolz darauf sein, Angela Merkel als die erste Vorsitzende einer der großen Volksparteien der Bundesrepublik Deutschland in unseren Reihen zu haben..." D Jedenfalls eine unwahrscheinliche Geschichte. S Michael Schindhelm, ihr Ex-Kollege und Freund, sieht es so: Schindhelm "Je weiter man sozusagen in diese Welt hineinkommt, umso mehr stellt man vielleicht auch fest: Da ist noch viel mehr und das Ganze bewegt sich auch. Es ist ja nicht so, dass diese alte Bundesrepublik stehenblieb und man hatte es mit einem Objekt zu tun, dass man nur erforscht als etwas statisches. Sondern diese alte Bundesrepublik war eine neue Bundesrepublik, die hatte eine Dynamik. Und in die wurde man hineingezogen. Und wenn man in der Position von Angela Merkel war, spürte man: Man hat sogar die Möglichkeit, diese Dynamik mitzugestalten. Und ich denke, dass für Merkel diese Art von Dynamik nie aufgehört hat, also das Gefühl: ‚Ich bin immer noch in diesem Flow, der eigentlich 1989 angefangen hat.'" Absage Merkeljahre Feature- / Podcast-Serie von Stephan Detjen und Tom Schimmeck Folge 2: Ein plötzlicher Aufbruch Ton und Regie: Tom Schimmeck Redaktion: Wolfgang Schiller Eine Produktion des Deutschlandfunks 2021. Teaser Podcast 3 HIER TITEL Seite 12 / 18 MERKELJAHRE Folge 2 Seite 2