Hörspiel Feature Radiokunst Das Feature Die grüne Mauer (3/5) Klimakrise, Konflikte und Wege zum Frieden Autorin: Bettina Rühl Regie: Anna Panknin Redaktion: Wolfgang Schiller Produktion: Deutschlandfunk 2024 Erstsendung: Dienstag, 18.06.2024, 19.15 Uhr Es sprachen: Jean-Paul Baeck, Hüseyin Michael Cirpici, Justine Hauer, Jochen Langner, Claudia Mischke, Heiko Obermöller und die Autorin Ton und Technik: Christoph Rieseberg und Thomas Widdig Faktencheck: Leo Becker, Jule Dieterle, Johanna Klenke, Andreas Schöllig Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. (c) - unkorrigiertes Exemplar - ATMO Ankunft Shelter Belt Autorin: Wir treten durch ein Törchen auf das eingezäunte Grundstück neben einer Überlandstraße. O-Ton Autorin / Usman Alhadji Ali Autorin: Where are we? Usman Alhadji Ali: We are in Auno, Jakana Road, Maiduguri, Borno State. We are on one of our sites that was a shelter belt, along the roadside. Sprecher 1 Usman: Wir sind bei Auno, nahe der Stadt Maiduguri im Bundesstaat Borno. Wir stehen auf einem unserer Projektstandorte: einem Windschutzstreifen entlang der Straße. ATMO Shelter Belt Autorin: Usman Alhadji Ali steht auf nackter Erde, aber immerhin: rundherum wachsen Büsche und sogar ein paar kleine Bäume. Ihretwegen haben wir angehalten, an dieser Überlandstraße im kargen und nicht ungefährlichen Nordosten Nigerias. In der Region sind islamistische Terrorgruppen und kriminelle Banden aktiv. Ali will mir trotzdem zeigen, wie seine Regierung gegen den Vormarsch der Wüste und die Folgen des Klimawandels kämpft. Das Gestrüpp gehört zu einem Gürtel aus Bäumen und Grünflächen, der sich irgendwann einmal quer durch die Sahelzone Nigerias ziehen soll - das jedenfalls ist das Ziel. Ohne Alis Hinweis hätte ich allerdings nicht bemerkt, dass es hier etwas Besonderes zu sehen gibt. Dafür ist die sorgsam eingezäunte Vegetation dann doch zu spärlich. Ali räumt ein, dass der Bewuchs seine Hoffnungen enttäuscht. O-Ton Usman Alhadji Ali As you can see this thing, in ridges. Yeah, this was made by a farmers, To bring a farm machinery inside the plantation site. So that they go and harrow the place or ploughing the place. When they plough, when they see small, small plants like this, harrow will cut the plant. Illicitly. Even if we talk to them, they say that it was their land, so nobody can stop them. I say: We have informed the head and the district head before they issued this land for us. So there's no need to say that this one is your land. Sprecher 1 Usman: Die Furchen, die Sie in der Erde sehen, haben Bauern gezogen. Sie dringen immer wieder mit ihren Landmaschinen in unsere Pflanzung ein, eggen oder pflügen hier und zerstören dabei jedes Mal unsere Setzlinge. Natürlich ist das verboten. Wenn wir mit ihnen sprechen, behaupten sie, das Land gehöre ihnen, niemand könne ihnen das Pflügen verbieten. Wir erwidern dann, dass ihre Dorfältesten und Distriktvorsteher uns dieses Land zugewiesen haben. Es stimmt nicht, dass es ihnen gehört. Autorin: Ali, ein groß gewachsener, kräftiger Mann, wirkt etwas ratlos. Die Natur und deren Erhalt ist sein Leben, er hat lange studiert und viele Diplome: in Umweltwissenschaften und Ressourcenmanagement, Umweltgesundheit und Umwelttechnologie. In der Region Maiduguri leitet er die so genannte "Agentur für die Große Grüne Mauer". Ich treffe ihn auf der dritten Station meiner Feature-Reihe über dieses geradezu utopische Megaprojekt. Sprecher 2/Ansage: Die grüne Mauer - Wie der Sahel gegen die Klimakrise kämpft Eine Feature-Reihe von Bettina Rühl Folge 3: Nigeria - Klimakrise, Konflikte und Wege zum Frieden Autorin: Bis 2030 soll quer durch den afrikanischen Kontinent ein Gürtel aus Bäumen und Grünflächen entstehen, auf einer Länge von fast 8000 Kilometern. Das Ziel: den Vormarsch der Wüste zu stoppen und dem Klimawandel zu trotzen. Durch Re-Naturierung, Wieder-Aufforstung und die Regeneration von Böden sollen auf dem Kontinent entlang der "Grünen Mauer" 100 Millionen neue, grüne Jobs entstehen. Die Idee dazu hatte die Afrikanische Union - der Zusammenschluss aller Staaten des Kontinents - schon 2007. Nigeria gehört zu den elf Ländern im Sahel, die sich daran beteiligen. Aber hat das Projekt überhaupt eine Chance? Der Sahel ist mittlerweile das globale Epizentrum des gewalttätigen, islamistischen Terrorismus. Gibt es hier im Nordosten Nigerias einen Zusammenhang zwischen den Folgen des Klimawandels und dem Terror der islamistischen Milizen? Autorin: Ali steht zwischen den eingezäunten Büschen am Rande der Überlandstraße. O-Ton Usman Alhadji Ali If it was a shelter belt, this one is just to protect the wind doing that is coming and make the biodiversity. You can see some birds you cannot even see the species of some of the birds here that you can see it before due to, because of the open land. So we have to explain everything. But even when your farm now, if there's no trees, the farm is going to be degraded. You cannot even ... if there is tree, what you can get, if there is no tree, you cannot get it because of the water level, it can reduce the water level or make the water to be available in your area. Sprecher 1 Usman: Unsere Windschutzgürtel vermindern die Bodenerosion, außerdem finden hier viele Tier- und Pflanzenarten wieder Lebensraum. Man kann jetzt schon einige Vögel beobachten, die verschwunden waren, weil hier nichts mehr wuchs. Das erklären wir den Leuten alles, wir sagen ihnen auch, dass die Böden verarmen, wenn es auf den Äckern keine Bäume gibt, und dass der Grundwasserspiegel wieder steigt, wenn sie Bäume pflanzen. Autorin: Ali trägt einen locker geschnittenen Zweiteiler, darüber eine leuchtend grüne Arbeitsweste mit dem Aufnäher seines Arbeitgebers, der Agentur für die Große Grüne Mauer. Dazu die traditionelle Kopfbedeckung seines Volkes, der Kanuri. Die meisten Menschen, die hier siedeln, sind ebenfalls Kanuri. Dass Ali ihre Sprache spricht, verschafft ihm Respekt. Trotzdem: Die Realitäten, mit denen er es zu tun hat, lassen ihn manchmal fast verzweifeln. O-Ton Usman Alhadji Ali Just to be frank, most of the problem that we are facing is not from that committee that the people are staying. There are IDPs that broke from another site. Insecurity, due to insecurity. They are the people vandalising all our .... most of our district. So from there, you know that he is the person that is vandalising this, even our fences - they are the ones that are removing it and go and sell it. They just have to go and do their own thing, they have to go in here and sell for their livelihood, and they will just remove it and go and sell it. This for their livelihood, so that maybe they can go and buy food or something of that. Sprecher 1 Usman: Um ehrlich zu sein: Die Dorfbewohner sind nicht unser größtes Problem. Sondern die Vertriebenen, die vor der weit verbreiteten Gewalt hierher geflohen sind. Sie sind es, die den größten Teil unserer Projekte zerstören. Sie reißen sogar unsere Zäune ein und verkaufen das Holz. Sie versuchen irgendwie, ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Von dem, was sie für das Holz kriegen, kaufen sie sich etwas zu essen oder was sie sonst dringend brauchen. Autorin: Feuerholz ist begehrt, je mehr Vertriebene in einer Gegend Zuflucht suchen, desto mehr Menschen sind zum Kochen darauf angewiesen. Das trockene Holz, das früher im Buschland herumlag, ist längst verschwunden: Es gibt zu wenig Bäume für zu viele Menschen. Aber ohne Zäune hat Aufforstung keine Chance, die Setzlinge fallen Ziegen, Schafen und Rindern zum Opfer. Immerhin: zu den neuen "grünen" Jobs gehören auch Wächter, die Windschutzstreifen, Baumschulen oder Obstgärten bewachen. Aber nur tagsüber, die Holzdiebe kommen nach Dienstschluss. Die Regierung zahlt den Wächtern 20.000 nigerianische Naira im Monat - nur zwei Drittel des gesetzlichen Mindestlohns, umgerechnet rund 20 Euro. Womöglich werde der Lohn ja bald erhöht, verteidigt sich Ali. Autorin: Wir fahren weiter, Ali möchte mir noch ein anderes Projekt zeigen, das zur Großen Grünen Mauer gehört. Unser nächstes Ziel, der Ort Konduga, ist rund 60 Kilometer entfernt. Auf der Strecke fallen mir die vielen schwarzen SUVs auf, die im Schatten von Bäumen am Straßenrand warten. Je näher wir Konduga kommen, desto häufiger werden sie. Das sei eine Sondereinheit zum Schutz von Bäuerinnen und Bauern auf dem Feld, erklärt Ali. Auch die Zahl der Straßensperren und militärischen Kontrollposten nimmt zu. O-Ton Usman Alhadji Ali Because this is one of the most serious insecurity area. Because - I think that you have been hearing of Sambisa forest. Sprecher Usman: Weil die Sicherheitslage hier in der Gegend besonders schlecht ist. Sie haben doch bestimmt schon mal vom Sambisa-Wald gehört? Autorin: Ja, das habe ich: Im Sambisa verschanzt sich die islamistische Terrorgruppe Boko Haram, der 1300-Quadratkilometer große Wald ist ihr wichtigster Rückzugsraum. Die Miliz führt im Namen der Religion seit 2009 einen brutalen Krieg gegen den nigerianischen Staat und die Armee, will unter Zwang die islamische Ordnung einführen. Und sie verbreitet Schrecken unter der Bevölkerung: Zehntausende wurden bei Anschlägen der Gruppe getötet, Tausende wurden vergewaltigt und schwer verletzt - körperlich und psychisch. Mehr als tausend Frauen und Kinder wurden entführt, zum Leben mit der Miliz im Sambisa-Wald gezwungen. Vor einigen Jahren hat sich Boko Haram gespalten, die neue Gruppe ist ein Ableger des so genannten Islamischen Staates und nennt sich Islamischer Staat Provinz Westafrika. Ein gnadenloser Kampf der beiden Gruppen gegeneinander hat Boko Haram vor allem seit 2021 geschwächt. Trotzdem hat die Miliz nach Schätzungen immer noch mehrere tausend Kämpfer. O-Ton Usman Alhadji Ali Sambisa is not far from this main town. If you go, at least 15km, you will enter Sambisa. 10 to 15 km from here. So that is why most of these boys are coming through this place. So that is why there is more checkpoints and this thing there. Any road they see, they will put checkpoint so that these people - Boko Haram - are coming to the road so that they will pass here, even from here to Dukwa, Mafa - up to Tchad, they will follow this side. Because of the will be abducting people or they will come and even close the road, so that even foods supplies that these vehicles are bringing in, they will take it and go into the bush. You know, they don't have food. Sometimes when they see it, then they will pick even with the car completely, they will go with it. Sprecher 1 Usman: Sambisa ist nicht weit von Konduga entfernt, höchstens 15 Kilometer. Deshalb komme viele von denen hier durch. Das ist der Grund dafür, dass es hier besonders viele Kontrollpunkte gibt. An jeder Stichstraße hat die Armee einen Checkpoint eingerichtet, weil die Leute - Boko Haram - sonst über diese Verkehrsachse bis in den Tschad gelangen könnten. Sie entführen viele Menschen. Und immer wieder blockieren sie die Straße, überfallen LKWs mit Lebensmitteln, verschleppen die Ladung in den Wald - sie haben dort sonst nichts zu essen. Manchmal nehmen sie das komplette Fahrzeug mit in den Busch. Autorin: Wir halten kurz vor Konduga. Am Eingang des Ortes sehe ich eine Art Gatter. Dieses Tor werde nachts geschlossen, sagt Ali. Die Stadt versucht, sich gegen die bewaffneten Islamisten zu verschanzen. Ein paar hundert Meter weiter arbeiten Menschen auf den Feldern. ATMO Ort in Konduga. Schritte über Feld, Stroh raschelt O-Ton Usman Alhadji Ali This is the orchard. This is Konduga local government. As you can see, we have ten hectares of orchard here, ten hectares of orchard. We have mango, we have orange, that was citrus. And we have date tree. but the date trees have problem. Because the time that they have planted, there is termite here. They put this thing, and the termite they are eating it. So there's only this mango and the citrus. Sprecher 1 Usman: Das ist unser Obstgarten, zu unserem Projekt gehören hier in Konduga zehn Hektar. Wir haben Mangos, Orangen, Zitronen. Wir hatten auch Dattelpalmen gepflanzt, aber die wurden von Termiten befallen. Deshalb haben wir nur noch Mangos und Zitrusfrüchte. ATMO Feldarbeit Bakura lockert mit einfachster Hacke den Boden auf Autorin: Auf dem Feld mühen sich zwei junge Männer, sie wollen Möhren säen. Die Samen haben sie von der Agentur für die Große Grüne Mauer bekommen. Der eine bereitet den steinharten Boden tief gebückt mit einem gekrümmten Stock für die Aussaat vor, er lockert die Erde auf und gräbt Furchen. Der andere, er heißt Bakura, folgt ihm ebenfalls gebückt, aus einem Kochtopf legt er die Möhrensamen in die Furchen. Auf dem Feld stehen auch einige Setzlinge: Mangobäume, wie Bakura erklärt. O-Ton Bakura Bakura Sprecher 2 Bakura: Die Agentur hilft uns sehr. Vor allem durch den Brunnen für die Bewässerung. Guck Dir die Mangobäumchen an, sie wachsen gut! O-Ton Usman Alhadji Ali There is a tap, which is a solar borehole. If they wanted to come and water this thing, they will come and fix the panel, --- So after watering these things, they will remove the panel and take it to their house. ---- Because if they leave the panel, they will come and steal it. Sprecher 1 Usman: Da drüben ist der Wasserhahn, der Brunnen ist solarbetrieben. Wenn die Bauern ihn nutzen wollen, montieren sie das Panel, anschließend nehmen sie es wieder mit nach Hause. Wenn sie es auf dem Feld lassen würden, würde es gestohlen. ATMO Möhren-Säen Autorin: Bakura ist 18 Jahre alt, geht aber noch in die Grundschule. Die Terrorgruppe Boko Haram hat im Bundesstaat Borno immer wieder Schulen angegriffen, manchmal hunderte Schülerinnen und Schüler entführt: Weltliche Bildung sei Sünde, erklärt die Miliz. Die Kidnappings nutzt sie allerdings auch, um sich durch Lösegeldzahlungen zu finanzieren. Wegen der Angriffe auf die Schulen und der schlechten Sicherheitslage fiel der Unterricht im Bundesstaat Borno häufig aus. Bakura will das Versäumte unbedingt nachholen. Er hofft, dass er durch den Verkauf von Möhren, Mangos und anderen Feldfrüchten bald etwas verdient, davon will er sein Schulgeld bezahlen und weiter lernen. Ob die Arbeit auf dem Acker wirklich etwas einbringt? Er und sein Freund säen heute zum ersten Mal. O-Ton Bakura Sprecher 2 Bakura: Noch vor kurzem hätten wir das Feld nicht betreten können, es wäre zu gefährlich gewesen. O-Ton Usman Alhadji Ali / Autorin Now look at the people - they are on their farm, everywhere. From here you can see: 500 meters. From 500m, you cannot see anybody.--- Nobody can go there.--- So look at it. And their place is very good land, very fertile land: Mango, pepper and everything they used to do it here. Sprecher 1 Usman: In einem Umkreis von 500 Metern sieht man jetzt überall Menschen auf den Feldern. Aber weiter als 500 Meter entfernt siehst Du niemanden, dort ist es zu gefährlich. Dabei ist die Erde sehr fruchtbar, die Leute haben hier früher alles Mögliche angebaut: Mangos, Paprika, Zwiebeln. Autorin: Die Menschen bestellen ihre Felder im Schutz der Militärs, die den Ort Konduga und die Überlandstraße sichern. Jenseits der Reichweite ihrer Waffen liegen die Äcker weiterhin brach. O-Ton Usman Alhadji Ali Let me tell you one thing: As we are staying here, you cannot go here five kilometres from here. You will meet that boys. Sprecher 1Usman: Von hier aus könnten wir keine fünf Kilometer weitergehen, ohne diese Jungs zu treffen. O-Ton weiter Autorin: The Boko Haram? Usman Alhadji Ali: Boko Haram. You will meet them. Five kilometres. They are abducting people from that place. A lot of people are being abducted, when looking for firewood, when they enter the bush. // Even some are saying: even three kilometres from here, you will meet them. Sprecher 1 Usman: Nur fünf Kilometer von hier entfernt entführen sie die Leute, sie haben da schon viele Menschen gekidnappt, die im Busch nach Feuerholz gesucht haben. Manche sagen sogar, dass Du nur drei Kilometer von hier entfernt auf sie stößt. ATMO Ankunft bei Balki Ibrahim Autorin: Balki Ibrahim öffnet das Eisentor zu dem Grundstück, auf dem sie in Maiduguri wohnt, der Hauptstadt des Bundesstaats Borno. Dort bewachen sie und ihr Mann einen Rohbau, der Besitzer wohnt in einer anderen Stadt. Als Lohn für den Wachdienst erhalten sie im Monat 15.000 Naira, umgerechnet keine 15 Euro. Dafür dürfen sie auf dem Grundstück wohnen: Sie haben sich in einer Ecke eine Hütte gebaut, haben rohe Ziegel aufeinandergeschichtet, das Ganze mit Wellblech gedeckt. Ihr Mann sei derzeit in der Stadt, erzählt Balki, auf der Suche nach einem Job. ATMO Balki breitet Bastmatte aus Autorin: Sie breitet Bastmatten im Schatten vor dem Haupthaus aus - ein Zeichen des Willkommens und der Fürsorge für ihre Besucher, mich begleitet mein Kollege Ismai'el Alfa Abdulrahim. Balki will sich auf einen Schutthaufen neben die Matten setzen - eine Geste der Bescheidenheit, die wir nicht annehmen wollen. Balki ist eine Überlebende - der Klimakrise und des Terrors von Boko Haram. O-Ton Balki Ibrahim Sprecherin 1 Balki: Wir haben früher als Bauern gelebt, in der Nähe des Tschadsees. Die Erde war fruchtbar, wir haben Mais und Bohnen angebaut. Mein Mann ist außerdem zum Fischen auf den See gefahren, durch alles zusammen hatten wir ein gutes Leben. Autorin: Balki ist 30 Jahre alt, trägt ein buntes Kleid und einen beigen Umhang, der zugleich ihre Haare bedeckt. Sie zieht das weite Gewand immer wieder um sich, als fände sie darin eine Zuflucht. O-Ton Balki Ibrahim Sprecherin 1 Balki: Dann wurde der Klimawandel zum Problem, vorher hatten wir sehr gute Ernten. Dann passierte es immer wieder, dass wir Mais oder Bohnen pflanzten, aber nichts ernten konnten, weil der Regen aufhörte, bevor die Ernte reif war. Autorin: Zwischendurch litten sie unter dem anderen Extrem: Überschwemmungen zerstörten, was sie gesät hatten. Nach einer dieser Überschwemmungen gaben Balki und ihre Familie vor elf Jahren auf. Danach begann für sie und ihre Familie ein regelrechter Alptraum. Sie zogen in einen Ort in der Nähe von Maiduguri. O-Ton Balki Ibrahim Sprecherin 1: Das Land dort ist fruchtbar. Wir pachteten einen Acker und bestellten ihn, wir hofften auf eine sehr gute Ernte. Kurz bevor wir sie einbringen konnten, überfielen Kämpfer von Boko Haram das Dorf. Sie fuhren unsere Ernte ein und zwangen meine gesamte Familie, ihnen in den Busch zu folgen. Autorin: Ihren Ehemann, ihre drei Kinder zwischen zwei und acht Jahren, ihre Mutter, ihre Brüder. Nach drei Jahren sprechen die Entführten über eine mögliche Flucht. Balkis ältester Bruder hat sich mittlerweile den Islamisten angeschlossen und verrät die Pläne seiner Familie an die Milizionäre. Die kommen und erschießen Balkis damaligen Ehemann, vor ihr und den Kindern. Drei Monate später wird Balki einem Milizionär als Frau zur Verfügung gestellt. Das ist der Auslöser dafür, dass sie nun doch die Flucht wagt - obwohl sie weiß, dass sie getötet werden wird, falls man sie erwischt. Die Flucht aus dem Camp der Islamisten gelingt, danach folgt ein tagelanger Fußmarsch. Ihre beiden jüngeren Kinder überleben die Strapazen und den Hunger nicht. Auch Balki und ihre Tochter sind dem Tod schon sehr nah und kommen nur durch, weil sich Menschen in den Dörfern, durch die sie kommen, ihrer fürsorglich annehmen. Später erfährt Balki, dass sich auch ihr jüngerer Bruder den Islamisten angeschlossen hat. Inzwischen hat sie wieder geheiratet, gemeinsam kämpft das Paar in Maiduguri jeden Tag aus Neue um genug zu essen. Was sie kriegen, reicht nicht immer, um den Hunger zu stillen. Dass sie überhaupt überleben, verdanken sie Nachbarn, die immer wieder ihre Mahlzeiten mit ihnen teilen. O-Ton Balki Ibrahim Sprecherin 1 Balki: Hätten wir unsere Felder nicht aufgeben müssen, wäre uns das alles erspart geblieben. Und meine Brüder hätten sich Boko Haram nicht angeschlossen. O-Ton Ibrahim Umara My name is Ibrahim Umara. I am professor of international relations and strategic studies with the University of Maiduguri. Sprecher 3 Umara: Mein Name ist Ibrahim Umara, ich bin Professor für internationale Beziehungen und strategische Studien an der Universität von Maiduguri. Autorin: Umara ist ein groß gewachsener, freundlicher Mensch mittleren Alters. Wenn irgend möglich, nimmt er sich Zeit für Besucher und ihre Fragen. Der Klimawandel treibt ihn um, mit seinen Studierenden pflanzt er Bäume. O-Ton Ibrahim Umara Let me tell you the link between climate change and terrorism or insecurity. In this country and in this part of this country in particular, we had a time when the local government chairman and then the State Executive Council are not sensitive to the sensibilities of people. When farmers will toil to put in their energy and resources to engage in agricultural production, and if these agricultural products are attacked by pests, they may not be sensitive enough to respond by pesticides. Sprecher 3 Umara: Lassen Sie mich Ihnen den Zusammenhang zwischen Klimawandel und Terrorismus oder einer schlechten Sicherheitslage erklären. In Nigeria und vor allem hier bei uns im Nordosten des Landes waren die Regierungen auf Landes- und auf Bundesebene lange nicht besonders empfänglich für die Empfindlichkeiten und Probleme der Bevölkerung. Die Landwirte bemühten sich, ihren Feldern etwas abzuringen, sie steckten ihre ganze Energie und Ressourcen in die landwirtschaftliche Produktion. Wenn ihre Ernte dann beispielsweise von Schädlingen befallen war, hat die Regierung das nicht ernst genug genommen, hat die Bauern nicht beim Kauf von Pestiziden unterstützt. Autorin: Gleichzeitig habe die politische Elite Geld für ihren eigenen Luxus ausgegeben. Das hat in der Bevölkerung zu Frustration und Wut auf die Regierung geführt, sagt Umara. O-Ton Ibrahim Umara Two: The local government sometimes does not even function effectively. It is only at the end of the month when the salaries are being paid, that is where you see the local government officials trooping into local government headquarters. And this also gives impression to the people that these people are not working. They are only coming to local government headquarters to share the money. 29:27 And since they are not effectively functioning, provision for water, both for human and animal consumption, health care delivery are also depriving people. Sprecher 3 Umara: Zweitens: Die örtliche Regierung von Borno funktioniert nicht einmal ansatzweise. Die Bevölkerung sieht die Vertreter des Staates nur, wenn sie am Ende des Monats in ihre Büros strömen, wenn die Gehälter ausgezahlt werden. Die Menschen haben den Eindruck, dass diese Leute nicht arbeiten. Dass sie nur auftauchen, um das Geld unter sich zu verteilen. Tatsächlich bleibt die Regierung den Menschen viele staatliche Dienstleistungen schuldig: Es gibt nicht genug Wasser, weder für Menschen noch für das Vieh. Die Gesundheitsversorgung ist schlecht. Autorin: Mittlerweile, so Umara, lehnten viele Menschen die Regierung ab. O-Ton Ibrahim Umara That ressentiment was activated through ideology that is tied to a particular religion. And those elderly whose means of livelihood were lost as a result of recession of water, who has nothing doing. You know, they are oddly redundant. So they become susceptible and vulnerable. And then they use that circumstances as a mobilising force by pointing the government for being corrupt. Not only that! That the democratic system itself is full of haresy and full of corruption. The only way to take out the people from such difficulties is only to bring in Sharia. And, you know, Muslim, when you are talking about sharia, they are talking about justice. Sprecher 3 Umara: Die Vorbehalte gegen die Regierung wurden außerdem durch eine Ideologie geschürt, die mit einer bestimmten Religion verbunden ist. Viele Menschen haben durch die Trockenheit ihre Lebensgrundlage verloren, sie haben nichts mehr zu tun und fühlen sich überflüssig. In diesem Zustand sind sie für alle möglichen Ideen empfänglich. Das haben die Milizionäre genutzt, um Menschen zu mobilisieren. Sie bezeichneten die Regierung als korrupt, und nicht nur das: Sie predigten, dass das demokratische System an sich korrupt und eine Irrlehre sei. Der einzige Weg, die Menschen aus solchen Schwierigkeiten herauszuholen, sei die Einführung des islamischen Rechts, der Scharia. Und wenn Muslime von der Scharia hören, ist das für sie gleichbedeutend mit Gerechtigkeit. ATMO Kakaphonie der Prediger Autorin: In der Religion - der christlichen wie die muslimischen - suchen viele Menschen in Nigeria Zuflucht: vor den Zumutungen des Lebens, der wirtschaftlichen und politischen Ausweglosigkeit. Das Land ist das bevölkerungsreichste in Afrika, mit fast 230 Millionen Menschen. Rund die Hälfte von ihnen sind Christen, die andere Hälfte Muslime. Viele Konflikte werden religiös gedeutet, immer wieder gibt es blutige Kämpfe. Dabei geht es auch um die Verteilung von Macht und Ressourcen, es gibt große Vorkommen an Erdöl und Erdgas. Trotzdem leben rund 40 Prozent der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze. O-Ton Ibrahim Umara And then when the insecurity began, the response to contain the problem by the governance wasn't appropriate, because there are no actionable intelligence or excellent intelligence that makes the government to respond to the situation appropriately. Sprecher 3 Umara: Als der Aufstand von Boko Haram 2009 begann, war die Antwort der Regierung völlig unangemessen. Sie hatte keine Informationen darüber, wer die Täter waren, die Armee schlug blind zurück. O-Ton Maalim Bana Sprecher 4 Bana: Im Sambisa-Wald war mein Leben besser als jetzt. Es fehlte uns an nichts, wir verdienten Geld und machten unsere Geschäfte, sogar mit Partnern im Ausland. Wir bekamen auch finanzielle Unterstützung, aus Libyen, Somalia, Mali, Afghanistan. Um ehrlich zu sein: Wir hatten mehr als genug. Wir lebten wie in einem normalen Dorf. Einige Häuser waren aus Lehm gebaut, andere aus Ziegeln. Manche hatten Wellblechdächer, andere Dächer waren aus Stroh. Ganz so, wie jeder wollte. Mein Haus gefiel mir, es hatte ein Wellblechdach. Autorin: Maalim Bana spricht leise und scheut das Mikrofon, weicht immer wieder möglichst weit zurück - obwohl er dem Interview ja zugestimmt hat und auch im nigerianischen Radio immer wieder auftritt. O-Ton Maalim Bana Sprecher 4: Im Sambisa-Wald war ich Richter und so etwas wie der Generalinspekteur der Polizei. In der Hierarchie von Boko Haram stand ich an 4. Stelle. Autorin: Es fällt mir schwer, in dem sanft wirkenden Mann den Massenmörder zu erkennen, obwohl ich weiß, dass er einer ist. Bana ist Mitte 50, er trägt ein traditionelles, weißes Gewand. Der kurz geschnittene Bart ist schon ergraut. O-Ton Maalim Bana Sprecher 4: Ich hatte diese Position etwa zehn Jahre lang inne, in dieser Zeit habe ich über sehr viele Menschen geurteilt. Wir saßen alle zwei Wochen zu Gericht, wenn es nicht viele Fälle gab auch nur einmal im Monat. Die Angeklagten wurden aus unserem ganzen Hoheitsgebiet zu uns gebracht. Darunter waren Diebe, denen ließ ich die Hände abschlagen. Ehebrecher oder solche, die herumhurten, verurteilte ich zum Tod durch Steinigung. Drogendealer ließ ich erschießen. Es gab noch viele andere Fälle. Ich weiß beim besten Willen nicht mehr, wie viele Todesurteile ich ausgesprochen habe. Autorin Wir sitzen im Büro von Ismai'el Alfa Abdulrahim, dem nigerianischen Journalisten, der mich auf dieser Reise begleitet. Er kennt Maalim Bana schon länger und hat mich mit ihm in Verbindung gebracht, Abdulrahim hilft mir auch als Übersetzer. O-Ton Maalim Bana Sprecher 4 Bana: Ich habe mich zusammen mit anderen führenden Kommandanten und rund 3000 Mitgliedern ergeben. Das ist nur eine grobe Schätzung, vermutlich waren es noch mehr. O-Ton Autorin Why did you decide to leave the group? Autorin: Ich frage Maalim Bana, warum er ausgestiegen ist. O-Ton Maalim Bana Sprecher 4 Bana: Ich bedaure die Verbrechen sehr, die Boko Haram verübt hat. Hätte ich von Anfang an gewusst, dass solche Dinge geschehen, wäre ich der Miliz nicht beigetreten. Aber anfangs sprachen sie zu uns über Religion und forderten uns auf, den Koran und die Sprüche des Propheten zu befolgen. Aber Gott hat uns nie befohlen, anderen Leid zuzufügen. Später haben sie genau das getan. ATMO Test Mikropegel Autorin: Maalim Bana ist Studiogast in der Radiosendung von Babagana Bukar Wakil. ATMO Test Mikropegel Anfang: Hallo, hallo, testing, testing, testing... Autorin: Das ist der Radio-Journalist ATMO Sendung Programm fu¨r Frieden in Kanuri Autorin: Maalim Bana und Wakil treffen sich häufig im Studio des Senders Dandalkura, was übersetzt etwa heißt: "Stimme des Friedens". Maalim Bana ruft die verbliebenen Kämpfer von Boko Haram über den Sender immer wieder dazu auf, ihre Waffen niederzulegen und aus dem Busch zu kommen. Ein Amnestieprogramm des Bundesstaates Borno macht ihnen das seit 2021 leichter: Die Ex-Milizionäre bleiben straffrei, wenn sie sich von der Gruppe lossagen, ihre Waffen oder Sprengstoff abgeben, ein De-Radikalisierungsprogramm durchlaufen und ins zivile Leben zurückkehren. Ohne dieses Programm hätte sich auch Maalim Bana nicht ergeben. O-Ton Autorin Was it difficult for you in the beginning to sit close to people like him? Autorin: Nach der Sendung frage ich den Journalisten Wakil, ob es für ihn anfangs schwierig war, mit Leuten wie Maalim Bana im Studio zu sitzen - mit Menschen von Banas "Kaliber", wie Wakil sich mal ausgedrückt hat. O-Ton Babagana Bukar Wakil Yes. Honestly. Honestly, you cannot sit with the worst ones. You see them like it is end of your life. You cannot accept to sit with them, because they have been sent in a lot of videos beheading people, killing people, raping a woman, a lot of bad things to happen. So you would not like to stay with them. But sensitisation, media sensitisation has greatly changed the narrative. Greatly changed narrative! Sprecher 2 Wakil: Ja. Ehrlich gesagt habe ich es kaum ausgehalten, mit den Schlimmsten aus der Miliz in einem Raum zusammen sein. Sobald man sie sieht, denkt man, das Ende des eigenen Lebens wäre gekommen. Ich habe so viele Videos von ihnen gesehen, in denen sie Menschen enthaupten, auf andere Weise töten, eine Frau vergewaltigen - viele schreckliche Dinge tun. Deshalb ist die Nähe zu ihnen so schwer zu ertragen. Aber durch viel Aufklärungsarbeit hat sich das mittlerweile verändert, die Medien haben daran einen großen Anteil. Das hat das Narrativ wirklich verändert. Autorin: Maalim Bana wirbt nicht nur im Radio für Frieden, er predigt auch in Moscheen. Und weil er ehemaliger Kader von Boko Haram bekannt ist, hat seine Stimme Gewicht. Nach Angaben der nigerianischen Regierung haben sich bis Ende November 2023 fast 7000 Kämpferinnen und Kämpfer ergeben. Ein Erfolg, der natürlich nicht nur auf Maalim Bana zurückgeht, andere ehemalige Milizionäre verbreiten ähnliche Botschaften. Trotzdem sind immer noch tausende im Busch: in Nigeria, im Tschad, in Kamerun, auch in Niger verbreitet Boko Haram Terror. Und während Tausende aussteigen, versucht die Gruppe weiter, ihre Reihen mit neuen Kämpfern zu füllen. Ich frage Maalim Bana, warum er sich der Miliz ursprünglich angeschlossen hat. Das sei 2012 gewesen, erzählt er mir. Bana, war damals schon Familienvater und als erfolgreicher Kosmetikhändler wohlhabend geworden. Als er mit dem Gründer von Boko Haram in Kontakt kam, schulte er auf Schweißer um: mit Kosmetikartikeln zu handeln, galt als Sünde. Auch als Schweißer hatte Bana viele Kunden, war anfangs als Anhänger von Boko Haram immer noch gut in die Gesellschaft integriert. O-Ton Maalim Bana Sprecher 4 Bana: Was mich und andere in den bewaffneten Untergrund trieb, waren die vielen brutalen Konflikte, die es schon damals zwischen Muslimen und Christen an vielen Orten gab, unter anderem im Bundesstaat Plateau. Autorin: Deshalb hätten er und andere sich bewaffnet: Um ihre Religion zu verteidigen und sich zu rächen. Menschenrechtsorganisationen werfen der nigerianischen Armee vor, sie verübe in ihrem Kampf gegen den Terror ihrerseits schwere Verbrechen, darunter außergerichtliche Tötungen, Vergewaltigungen, Folter und willkürliche Verhaftungen von mutmaßlichen Boko-Haram- Mitgliedern und Zivilisten. Ibrahim Umara O-Ton Ibrahim Umara Nigeria was operating Federal System. And the Federal Government in Abuja without proper apprehension of the situation on ground, without liaising with the state government, they now took disproportionate response to the security situation and that led to the deterioration of the security situation. Sprecher 3 Umara: Nigeria ist ein Bundesstaat, die militärische Antwort auf die Terroranschläge wurde von der Hauptstadt Abuja aus geleitet. Aber die Regierung in Abuja hatte keine Ahnung von der Situation vor Ort und setzte sich auch nicht mit der Landesregierung in Maiduguri in Verbindung. Deshalb verschlechterte sich die Sicherheitslage immer mehr. Autorin: Durch die exzessive Gewalt auch gegen Zivilisten lieferte die Armee der islamistischen Miliz immer mehr Argumente für ihren Krieg gegen den Staat, die Ungerechtigkeit trieb immer mehr junge Menschen zu Boko Haram. Aber noch etwas mache die Miliz attraktiv, sagt Maalim Bana: O-Ton Maalim Bana Sprecher 4 Bana: Es gibt viele arme Menschen. O-Ton Autorin: Does the group pay kind of a salary? Autorin: Ich frage ihn, ob die Gruppe eine Art Gehalt zahlt. Sprecher 4 Bana: Nein, sie zahlen kein Gehalt. Aber jeder, der für sie arbeitet, bekommt dafür etwas von der Regierung des Islamischen Staates. O-Ton Abdalla Ali Gambo Sprecher 2 Gambo: Ich war Bauer, wir haben in einem Dorf namens Boni gelebt. Wir haben Sorghum, Mais und Bohnen angebaut. In den ersten Jahren war unsere Ernte immer gut, wir hatten ein gutes Leben. Autorin: Auch Abdalla Ali Gambo treffe ich in Abduhlrahims Büro. Er möchte beim Treffen mit einer weißen Reporterin möglichst nicht gesehen werden, Gambo hat Angst vor der Rache seiner ehemaligen Kampfgenossen. Vor zwei Jahren ist auch er aus den Reihen von Boko Haram geflohen, davor war er acht Jahre lang einer ihrer Kämpfer. Ein hagerer, immer noch junger Mann, der zerbrechlich wirkt und zutiefst niedergeschlagen. O-Ton Abdalla Ali Gambo Sprecher 2 Gambo: Vor rund 25 Jahren fiel die Regenzeit zum ersten Mal aus - das habe ich gehört, ich erinnere mich nicht daran. Später blieb der Regen immer häufiger weg. In anderen Jahren haben Überschwemmungen unsere Ernte zerstört. Wenn das passierte, konnten wir vielleicht nur ein Drittel der üblichen Menge ernten. Manchmal lief alles gut, in anderen Jahren kamen wir kaum über die Runden. O-Ton Abdalla Ali Gambo Autorin Vor rund zehn Jahren seien die ersten Kämpfer von Boko Haram in seinem Dorf aufgetaucht, das vom Sambisa-Wald nicht weit entfernt ist. Während er spricht, schaut Gambo oft auf den Boden, er sitzt mit hängenden Schultern. Sprecher 2 Gambo: Anfangs waren sie eher zurückhaltend, sie haben niemanden zu irgendetwas gezwungen. Sie übernachteten im Wald, tagsüber kamen sie immer häufiger in unser Dorf, suchten den Kontakt. Sie kauften bei uns, suchten unsere Freundschaft. Dann fingen sie an, uns zu predigen. Sie sagten zum Beispiel, dass es den Gesetzen des Koran widerspreche, wenn Frauen auf den Feldern arbeiten, das dürften nur Männer, unsere Frauen mussten schließlich zu Hause bleiben. O-Ton Autorin Do you think you had joined if the harvest of your family fields would still have been proper as it used to be? Autorin Glauben Sie, dass Sie sich Boko Haram angeschlossen hätten, wenn ihre Ernte immer noch so gut gewesen wäre wie früher? O-Ton Abdalla Ali Gambo Sprecher 2: Nein. Das lag nur daran, dass wir nicht mehr über die Runden kamen, wir hatten noch nicht einmal genug zu Essen. ATMO weiter O-Ton Abdalla Ali Gambo Sprecher 2 Gambo: Sie schafften es nach und nach, uns zu überzeugen. Zuerst bestellten wir ganz normal unsre Felder weiter, aber dann verboten sie unseren Frauen, dabei mitzuarbeiten. So wurde es für uns immer anstrengender. Wir hatten nicht genug zu essen, und gleichzeitig wurde die Arbeit auf immer weniger Schultern verteilt. Die Milizionäre kamen immer öfter und gaben uns, was wir brauchten. Das gab uns den Eindruck, dass sie gute Menschen sind und das Richtige tun. Und eines Tages forderten sie uns auf, ihnen in den Sambisa-Wald zu folgen. Autorin: Gambo durchlief im Sambisa-Wald eine militärische Grundausbildung, dann war er Kämpfer: überfiel Militärposten und Dörfer, tötete, plünderte Vieh und Lebensmittel. O-Ton Abdalla Ali Gambo Sprecher 2 Gambo: Mit der Zeit fing ich an zu zweifeln. Ich fragte mich, ob die Gewalt gegen Zivilisten gerechtfertigt war. Im Koran gibt es eine Stelle, in der es um Angriffe auf andere Gemeinschaften geht. Darin heißt es, dass man zuerst auf den zentralen Platz des Dorfes gehen und auf sich aufmerksam machen soll. Man müsse das Gespräch mit den Menschen suchen. Erst wenn sie sich weigerten, dürfe man kämpfen. Wir dagegen töteten wahllos, verstümmelten sie, schlachteten sie regelrecht ab. Wir vertrieben sie aus ihren Dörfern. Ich fing an, nachts Alpträume zu haben, aber ich wusste nicht, wie ich der Situation entkommen könnte. Es gab niemanden, mit dem ich reden konnte. Ich hatte Angst, dass ich vom Militär getötet werde, wenn ich aus dem Sambisa-Wald fliehe. Und ich wusste nicht, wohin ich gehen sollte, selbst wenn mir die Flucht gelingen würde. O-Ton Joseph Bature Boko Haram has impacted, killed and brought a lot of suffering to the people here. Sprecher 3 Bature: Boko Haram hat das Leben der Menschen hier verändert, hat viele getötet und viel Leid gebracht. Autorin: Das ist Joseph Bature. Er sitzt an seinem Schreibtisch, trägt ein Collarhemd: schwarz mit weißem Stehkragen, Zeichen für sein geistliches Amt. Bature ist Priester. O-Ton Joseph Bature We have other conflict generating factors. Climate change is real. So when you when you look at Boko Haram as a crisis, it had this religious connotation. It has economic connotation. But the climate change that is causing a lot of drought and sometimes flood - because it is a mixture of both -, is driving poverty. And is a factor that drives conflict also. So insufficient resources, lack of proper grazing ground, lack of proper cattle routes. But when it is the farmer-herder clash, you know, that certainly - granted herders are predominantly, they are Muslims, in fact, 99 point something, hardly will you find a Fulani Christian. Maybe very little. So they are Muslims, and those that they come to fight, the farmers, sometimes they are Muslims, but mostly Christians, so it is seen as Christian-Muslim fight again. Sprecher 3 Bature: Aber es gibt noch andere Faktoren, die hier Konflikte anheizen. Der Klimawandel ist eine Realität. Der Terror von Boko Haram hat ein religiöses Element, aber auch ein wirtschaftliches. Der Klimawandel vergrößert mit dem Wechsel von Dürren und Überschwemmungen die Armut - und schürt dadurch ebenfalls Konflikte, nämlich zwischen Bauern und Hirten um fruchtbares Land, eine Ressource, die immer knapper wird. Wenn Bauern und Viehhalter gegeneinander um Land kämpfen, wird das hier bei uns auch schnell zu einem religiösen Konflikt, denn die Viehhalter gehören fast alle zum Volk der Fulbe und sind Muslime. Die Bauern, die gegen sie kämpfen, sind fast alle Christen. Der Kampf um Land sieht also aus wie ein Religionskrieg. Autorin: Bature ist im Bundesstaat Borno aufgewachsen und seit Jahren Zeuge von Vertreibungen und Gewalt. O-Ton Joseph Bature I myself, couple of times I had to escape death. One time we were almost ambushed along the Maiduguri Bama down to Madagali. But we narrowly escaped. And one Sunday, I was travelling from here down to Jos, and I narrowly escaped a bomb blast. And in 2015 or 14 or 15, again, when the insurgents came to break some of the inmates from the jail here in Giwa barracks, I escaped a stray bullet trying to protect children in school, because when the students were running away that direction, there was a gun battle between the government forces and the insurgents. Sprecher 3 Bature: Ich bin dem Tod ein paar Mal selbst nur knapp entkommen. Einmal wären wir auf der Straße von Maiduguri nach Madagali beinahe in einen Hinterhalt geraten. Ein anderes Mal war ich an einem Sonntag auf dem Weg von Maiduguri nach Jos, als ich nur knapp einer Bombenexplosion entkam. Und 2014 versuchten Milizionäre von Boko Haram, hunderte ihrer verhafteten Mitglieder aus dem Gefängnis in der Giwa-Kaserne in Maiduguri zu befreien. Eine verirrte Kugel hätte mich fast getroffen, als ich versuchte, Kinder in einer Schule zu schützen. Die versuchten wegzulaufen, rannten aber genau auf die Kämpfe zwischen den Regierungstruppen und den Milizionären zu. Autorin: Als er die Möglichkeit bekam, in Italien klinische Psychologie zu studieren, griff der Pater zu. Anschließend fing er an, mit der katholischen Nichtregierungsorganisation "Kommission für Gerechtigkeit, Frieden und Entwicklung" JDPC ein psycho-soziales Programm aufzubauen. Seitdem gehen von ihm und anderen geschulte Teams der JDPC in Vertriebenencamps, Stadtviertel und Schulen, laden die Menschen zu Gruppentherapie ein; die Sitzungen finden regelmäßig statt. ATMO "Mensch ärgere Dich nicht" Autorin: Einige Frauen sitzen auf Bastmatten, spielen Mensch-Ärgere-Dich nicht. Rund 40 sind heute gekommen, für mehr hätte der Platz auch nicht gereicht. Die Frauen sind ganz bei der Sache, freuen sich über kleine Siege, lachen über eigene Missgeschicke. Sie treffen sich wöchentlich in einem Stadtviertel von Maiduguri. ATMO Joseph Bature Autorin: Joseph Bature begrüßt sie, dankt ihnen für ihr Kommen, ihre Zeit. Heute trägt Bature Jeans, T-Shirt und eine olivgrüne Weste mit vielen Taschen - der Geistliche sieht an diesem Vormittag sehr zupackend aus. AT MO Spielen Autorin: Naomi Ayuba ist bereit, ihr Spiel zu unterbrechen und mir zu erzählen, warum sie hier ist. ATMO Gespräch Autorin: Martha Tumba übersetzt für mich, sie ist psychologisch geschult und leitet die Gruppe gemeinsam mit einer Kollegin. ATMO Gespräch Autorin: Ayuba erzählt, dass sie mit ihrer Familie in der Nähe des Tschadsees wohnte, sie lebten von der Landwirtschaft und vom Fischen. Vor etwa neun Jahren habe Boko Haram ihr Dorf überfallen, die Häuser und Hütten in Brand gesetzt, wahllos angefangen zu töten und den Besitz der Dorfbewohner geplündert. Ayuba und ihre Familie ergriffen panisch die Flucht, schafften es bis Maiduguri. Hier leben sie seitdem in einem Flüchtlingscamp. Vor fünf Monaten hat sie von dem Angebot der Gruppentherapie erfahren. Seitdem kommt sie regelmäßig. O-Ton Naomi Ayuba Sprecherin 2 Ayuba: Bevor ich hierher kam, konnte ich nachts nicht schlafen und musste ständig weinen. Ich war mutlos, weil wir allen Besitz verloren hatten und niemanden in Maiduguri kannten. Ich war ständig gestresst. In der Gruppe habe ich gelernt, mit meinem Stress umzugehen, jetzt geht es mir besser. O-Ton Joseph Bature Obviously someone who has suffered violence or lost a dear one can go through a lot of shock, probably traumatic. But the person is able to cope if the economic condition is stable. But here, we have a double situation: being wounded - that's trauma - being wounded by this violence and death and loss. And at the same time, bitten by poverty, living in camps of displacement. Sprecher 3 Bature: Es ist klar, dass jemand, der Gewalt erlitten oder einen geliebten Menschen verloren hat, einen schweren Schock erleiden kann, womöglich ist er sogar traumatisiert. Aber ein Mensch kann damit umgehen, wenn seine wirtschaftliche Lage stabil ist. Hier befinden sich die Menschen aber in einer doppelt schwierigen Situation: Sie sind durch Gewalt und Tod und Verlust psychisch verwundet, und zugleich leiden sie unter Armut, viele leben in Vertriebenenlagern. O-Ton Naomi Ayuba Sprecherin 2 Ayuba: Ich habe in der Gruppe viel gelernt. Sie haben uns zum Beispiel gesagt, dass wir den ersten Schritt gesehen sollen, so klein er auch ist. Als mir jemand 2500 Naira geschenkt hat, habe ich davon Grashüpfer gekauft, sie frittiert und verkauft. Das Geschäft lief gut, von meinem Gewinn konnte ich auch Fisch kaufen, jetzt biete ich auch frittierte Fische an. Autorin: Seit sie wirtschaftlich wieder für ihre Familie sorgen könne, gehe es ihr viel besser, sagt Ayuba. Und wenn die Erinnerungen sie doch wieder zu überwältigen drohen, zieht sie sich nicht mehr zurück, sondern geht unter Menschen, lenkt sich ab, bis sie ruhiger wird. Zum Beispiel mit Spielen. ATMO Mensch ärgere Dich nicht O-Ton Joseph Bature If trauma or the mental health of the citizens from this region is not properly cared for, we will lose good citizens. This would be a region - I don't want to be bleak, I don't want to be sounding dismal about the situation, but that is what it may be degenerate into: that trauma, post-Traumatic stress will be transmitted from one generation to another, so there'll be a lack of productivity. People cannot work and people cannot live decently. So poverty will increase, hunger will be there, crime will increase. And of course, among them killing and all that. So then we have this cycle of violence and death and killing happening in the region. Sprecher 3 Bature: Wenn die Traumata der Menschen in dieser Region nicht angemessen behandelt werden, könnten wir eine Menge gute Bürger verlieren. Ich will nicht düster klingen, aber es könnte passieren, dass die Traumata, der posttraumatische Stress von einer Generation an die nächste weitergegeben werden. In der Folge wären die Menschen weniger produktiv, könnten nicht uneingeschränkt arbeiten, ihren Lebensunterhalt nicht richtig bestreiten. Die Armut würde zunehmen, ebenso der Hunger, und auch die Kriminalität. Und natürlich auch das Töten und all das. ATMO Feldarbeit Autorin: Immerhin: Rund um Konduga - dem Ort in der Nähe des Sambisa-Waldes - bestellen die Menschen wieder ihre Felder. Und Bakura wagt auch dank der Unterstützung durch das Projekt der Großen Grünen Mauer wieder etwas Hoffnung: auf eine einträgliche Möhrenernte und dadurch genug Einkommen, um seine Schulgebühren zahlen und weiter lernen zu können. Ali, der Projektleiter der Großen Grünen Mauer in Maiduguri, ist erleichtert, dass es solche Fortschritte gibt. Trotzdem: Für ihn und seine Kollegen ist fast ein Drittel des Bundesstaates noch immer zu gefährlich. Sie waren jahrelang nicht mehr dort - obwohl auch durch diese Regionen die Trasse der Großen Grünen Mauer verläuft. Aber es macht es sowieso keinen Sinn, dort im Schutz der Kalaschnikows Bäume zu pflanzen, während die Bevölkerung geflohen ist: Wer würde die Setzlinge wässern und großziehen oder Felder bestellen? Aber neuerdings ändert sich etwas: Mancherorts kehren die Dorfbewohner nach Hause zurück, so wie nach Konduga. Nun drängt Alis Chef, dass auch die Teams der Großen Grünen Mauer noch einmal wiederaufforsten, was dort durch die Kämpfe verloren ging. Also machen Ali und seine Kollegen immer wieder Vorstöße in Regionen, die bislang unter der Kontrolle der Islamisten waren. O-Ton Usman Alhadji Ali Yes, this situation is improving. As before, we can come here. We cannot even come here. And you cannot even see people here. It is only soldiers that you can see - only near road. Sprecher 1 Usman: Ja, die Situation verbessert sich. Noch vor kurzem hätten wir nicht nach Konduga kommen können. Hätten wir uns doch hierher getraut, hätten wir hier nur Soldaten gesehen, und auch die nur in der Nähe der Straße. Autorin: Nur: So ganz genau weiß niemand, bis wohin sich die Miliz unter dem Druck des Militärs und der Angriffe ihrer islamistischen Gegner zurückgezogen hat. Neulich wäre Ali mit seinem Team fast in einen Straßenblockade von Boko Haram geraten. Deren Kämpfer trugen militärische Uniformen, die hatten sie vermutlich bei Kämpfen von der Armee erbeutet. So waren sie von Soldaten kaum zu unterscheiden. O-Ton Usman Alhadji Ali To be frank: we are scared. We have to do it now. We have to do it. What would you do now? You must do your work. Sprecher 1 Usman: Um ehrlich zu sein: Wir haben Angst. Aber wir müssen in diese Regionen. Was sollten wir sonst tun? Schließlich müssen wir unsere Arbeit machen. MUSIK Sprecher 2 Teaser In der nächsten Folge O-Ton/Autorin Ausblick Tschad Sprecher 2 Absage: Die grüne Mauer - Wie der Sahel gegen die Klimakrise kämpft Feature Reihe von Bettina Rühl Folge 3: Nigeria - Klimakrise, Konflikte und Wege zum Frieden Es sprachen: Jean-Paul Baeck, Hüseyin Michael Cirpici, Justine Hauer, Jochen Langner, Claudia Mischke, Heiko Obermöller und die Autorin. Ton und Technik: Christoph Rieseberg und Thomas Widdig Faktencheck: Leo Becker, Jule Dieterle, Johanna Klenke und Andreas Schöllig Mitarbeit in Nigeria: Ismail Alfa Abdulrahim Regie: Anna Panknin Redaktion: Wolfgang Schiller Die Recherche wurde gefördert von der Film- und Medienstiftung NRW. Eine Produktion des Deutschlandfunks 2024 Die Recherche wurde gefördert von der Film- und Medienstiftung NRW. Alle Folgen auf hoerspielundfeature.de, in der Deutschlandfunk App und im Podcast DLF Doku 31