Hörspiel Feature Radiokunst Das Feature "Weinen hilft dir jetzt auch nicht!" Gewalt in der Geburtshilfe Autorin: Marie von Kuck Regie: Beatrix Ackers Redaktion: Wolfgang Schiller Produktion: Deutschlandfunk/WDR 2017 Erstsendung: Dienstag, 21.11.2017, 19.15 Uhr Wiederholung: Dienstag, 04.07.2023, 19.15 Uhr Es sprachen Julia Schäfle, Carmen Heibrock, Rebecca Madita Hundt, Bruno Winzen und die Autorin. Ton und Technik: Ernst Hartmann und Hanna Steger Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. (c) - unkorrigiertes Exemplar - O-Ton Psych Schiller: Hebammen und Ärzte, Geburtshelfer, genießen natürlich einen sehr hohen gesellschaftlichen Status. Und die anzugreifen, ist ein massives Tabu. Einflüsterer: Die Psychotherapeutin Susanne Schiller. O-Ton weiter Und wenn die Frau wagt zu behaupten, mir wurde Gewalt angetan während der Geburt, - bricht sie dieses Tabu, - so wie die Frauen und Mädchen damals, in den Achtzigern, die gesagt haben: "Ich wurde vergewaltigt.", "Ich wurde sexuell missbraucht." Man hat nicht drüber zu reden! Frau 1: Liebe Marie von Kuck... Frau 2: Hallo Frau von Kuck... Frau 3: Sehr geehrte Marie von Kuck... Frau 1: ..die Erinnerungen lassen mich einfach nicht los... Frau 2: ...Es fällt mir schwer darüber zu sprechen... Frau 3: ..es schmerzt sehr... Frau 1:. .aber ich wäre bereit, ihnen alles zu erzählen... Frau 2:. .meine Geschichte öffentlich zu machen... Frau 3: ..es wäre so schön, wenn anderen Frauen dieses Leid erspart bliebe... Frau 1: Mein ganzes Leben... Frau 2: ...und vor allem die Bindung zu meinem Kind.. Frau 3: ...leiden unter dem, was geschehen ist... Autorin Brief lesend: Mein Name ist Greta Jülicher. Ich bin 38 Jahre alt, selbst Chirurgin, war kerngesund vorher, informiert und gut vorbereitet. Das Protokoll habe ich vier Tage nach der Geburt geschrieben, da ich den Ablauf ständig wie einen Film vor Augen hatte. Es mag sich etwas distanziert anhören, aber ich konnte es partout nicht in der Ich-Form schreiben. Titelansage: "Weinen hilft dir jetzt auch nicht!" Gewalt in der Geburtshilfe Ein Feature von Marie von Kuck Einflüsterer: Die Namen der Frauen, die den Mut hatten für dieses Feature ihre Geschichte zu erzählen, und auch die ihrer Partner, wurden geändert. Auch Hebamme Luise heißt in Wirklichkeit anders. Ihre richtigen Namen sind der Redaktion bekannt. O-Ton Greta: So. Tschüss Paul! Andreas: Magst du die mitnehmen? Auf Wiedersehen! . Paul tappelt herum. Sprecherin Geburtsprotokoll. Anmerkungen zum vorgeburtlichen Verlauf: Als Ärztin mit den Risiken einer Geburt vertraut, entscheidet sie sich für eine klinik-überwachte Geburt und hat dafür ein Haus gewählt, welches sehr deutlich damit wirbt, möglichst interventionsfrei vorzugehen. Anmeldegespräch sehr nett. O-Ton Oberärztin Frau entscheidet! Und das ist uns wichtig! Das ist der wichtigste Punkt vom Konzept. Also wir machen ne Hausgeburtshilfe im sicheren Krankenhaus. Unter dem sicheren Dach des Krankenhauses, mit maximalen Standards wir machen gar keine Maßnahmen, wir machen nur Überwachung. O-Ton Greta: Ich hab nachts Wehen bekommen so gegen 23 Uhr. Und wusste so nach ner Stunde: Das wird was! Also er kommt heute! Sprecherin Gegen 2.15 Uhr morgens trifft Patientin im Kreißsaal ein und wird von Hebamme freundlich in Empfang genommen. Abgabe Urin, Legen eines Venenzugangs, vaginale Muttermund-Tastung und Anschluss ans CTG in rechter Seitenlage. Atmo CTG- Herzton Einflüsterer Cardio-Toko-Graph. Ein Messgerät, das simultan die Herzschlagfrequenz des Kindes und die Wehen der Mutter aufzeichnet. Dafür bekommt die Schwangere einen Gurt mit zwei Sensoren um den nackten Bauch gelegt. Die dürfen nicht verrutschen, deshalb soll sie möglichst still liegen. Sprecherin Patientin kämpft etwas mit dem Liegen, da Wehen so deutlich unangenehmer zu tolerieren sind. Bekommt deshalb als Schmerzmittel Buscopan als Infusion in 500 ml Trägerlösung. Patientin trotz starker, regelmäßiger Wehen fit und gut gelaunt. Tanzt und hüpft durchs Zimmer, stützt sich an der Wand ab, hängt sich an den Hals des Partners und bemerkt schnaufend, das sei die härteste schwarze Buckelpiste, die sie je auf Skiern gefahren sei. Spaziergänge durchs Haus und Treppensteigen. Spricht innerlich mit ihrem Kind. Dass es kommen darf, sich alle freuen, und sie beide das machen werden. O-Ton Greta: Wehen im Liegen, - gerade aufm Rücken beim CTG sind eine Qual im Vergleich zu dem, was man machen kann, wenn man sich bewegen kann! Vor ner Wehe muss man keine Angst haben! Das baut sich langsam auf. Man gewöhnt sich an n gewisses Schmerzlevel. Also, die kommen nicht auf einmal wie n Tornado und wehen einen weg, und man braucht sofort Schmerzmittel. So isses nicht. Ich bin den Tag über gut durchgekommen damit. Wir waren gut gelaunt, wir waren fröhlich, wir haben gescherzt. Wir sind scherzend zum Kreißsaal runter. Ich habe zwischendrin getobt und geflucht äh...aber es war in Ordnung. Sprecherin Alle zwei Stunden CTG und vaginale Muttermundtastung. Gegen 15 Uhr überraschte Aussage der Hebamme: "Sechs Zentimeter schon! - Da gehen wir jetzt direkt in den Kreißsaal!" O-Ton Greta: Wir waren eigentlich glaub ich beide total überrascht und gespannt. Wir waren sehr innig miteinander, wir haben uns sehr gefreut, wir wussten: er kommt jetzt! Das läuft Bombe! Und wir machen das zu zweit! Und mein Mann beschreibt diesen Moment, wenn man ihn fragt: "Was war für dich der schönste Moment an der Geburt?" - dann beschreibt er diesen Moment. Sprecherin: 15.15 Uhr. Patientin wird in den Kreißsaal gebeten. Atmo Ticken einer Uhr Sprecherin: Hebamme weist Patientin an, Hose und Unterhose auszuziehen und sich aufs Bett zu legen. Patientin zögert. Empfindet den Gedanken unangenehm, sich noch die ganze Zeit dann so halb nackt im Raum bewegend, Wehen verarbeiten zu sollen, eventuell den Ball nutzen wollend usw. Folgt der Aufforderung aber und rückt sich für Untersuchung auf Bett zurecht. O-Ton Greta: Und sie hat untersucht, und saß zwischen meinen Beinen und war total verwundert und sagt: Ach mein Gott! Wir sind schon bei 8,5 cm!! - Und die Fruchtblase ist jetzt auch geplatzt! Sprecherin: Partner umarmt Patientin. Beide sind zuversichtlich für den Endspurt. Patientin wird erneut ans CTG angeschlossen. Bemerkt, weil zwangsweise liegend, sie könne jetzt etwas an Schmerzmittel gebrauchen. O-Ton Greta Sie fragte mich, was ich haben will. - Buscopan? Das hatten Sie ja morgens schon? - Machen wir Buscopan. Hab ich gut vertragen. Nehmen wir. Und dann sagte sie eben, sie kann auch noch Meptid spritzen. Ich wusste in dem Moment nicht ganz genau, was es ist,- mir war aber schon klar, dass das was Stärkeres sein muss. Ich sagte dann: Nein! - Und sie sagte: Ja, - wollen sie nicht?! Und ich sagte: Nein! Will ich nicht! Brauch ich aktuell nicht, - und da sagte sie: Gut, dann machen wir Buscopan. Sprecherin: Hebamme schließt Buscopan über Drei-Wege-Hahn mit kleiner Verlängerung links an und geht hinaus. Patientin kommt sich sehr verkabelt vor. Schwierigkeiten, durch dauernde Beachtung der Infusionsleitung und CTG-Kabel. Fühlt sich in ihrer Bewegungsfreiheit stark eingeschränkt. O-Ton Greta Diese Infusion mit Buscopan lief vielleicht zehn Minuten. Wenn überhaupt. Sprecherin Hebamme kommt zurück. Sagt: "Also das Buscopan hat jetzt die Wehen gehemmt. Wir werden das jetzt beschleunigen. Wir brauchen mehr Druck. Wir wollen ja nicht bis dreiundzwanzig, vierundzwanzig Uhr im Kreißsaal sein!" Patientin sehr überrascht, aber zu schwer mit den durchaus starken und regelmäßigen Wehen beschäftigt, um schnell genug reagieren zu können. O-Ton Greta Ich habe das nicht verstanden! Buscopan ist kein Tokolytikum. Also: Kein Wehenhemmer! Einflüsterer: Buskopan ist kein Wehenhemmer. Sprecherin: Buscopan wird verworfen. Hebamme hängt eine neue Glasflasche an. Patientin fragt, ob das Oxytocin sei. Dies wird bejaht. Einflüsterer: Oxytocin. Sogenannter Wehentropf. Kommt bei Wehenschwäche zum Einsatz um die Geburt voranzutreiben. Sprecherin: Patientin will etwas entgegnen. Wird aber von Hebamme abgewürgt mit: "Der Oberarzt hat`s abgesegnet". Patientin komplett verblüfft. O-Ton Prof. Abou-Dakn In Deutschland meinen alle, sie müssten eben den Wehentropf geben, um den Druck zu erhöhen und übersieht, dass eigentlich nur die Frequenz erhöht wird. -... Einflüsterer: Also die Wehenhäufigkeit. - Prof. Abou-Dakn. - Chefarzt der Gynäkologischen Klinik St. Joseph in Berlin, eine der renommiertesten Geburtskliniken Deutschlands O-Ton Prof. Abou-Dakn ...Und das Hauptproblem dabei ist eben, wenn Sie häufige Wehen haben, dann bedeutet das fürs Kind, dass die Erholung fehlt, - die Gebärmutter wird schlechter durchblutet, und dann kommt's irgendwann zur CTG-Veränderung. Einflüsterer: - Zu Herztonabfällen beim Kind. Ein Wehentropf ohne Risikoaufklärung und Zustimmung der Patientin wäre aber gar nicht erlaubt. Deshalb schreibt die Hebamme um 16.15 Uhr in die Dokumentation: "Wehentropf an. - Patientin einverstanden". O-Ton Hebamme Luise: Und man wird auch wirklich in der Ausbildung immer angehalten, zu dokumentieren, dass man hinterher keinen Strick draus gedreht bekommt. Das ist normal. Einflüsterer: - Hebamme Luise. Sprecherin: Patientin will verbalisieren, dass sie keinen Wehentropf möchte, er sofort wieder entfernt werden soll. Ist aber gerade unter sehr starker Wehe und kann nicht so schnell reagieren. Hebamme inzwischen schon wieder am Tresen, zieht eine Spritze auf. Kommt zurück, vor sich hinmurmelnd: "Ich gebe das jetzt doch". Nimmt linken Arm, öffnet oberen Zugang der Braunüle und stöpselt Spritze auf mit den Worten: "Das macht alles etwas weicher. Ich spritze das auch ganz langsam." Patientin von dieser überfallartigen Vorgehensweise total überrumpelt. O-Ton Greta Ich kann nicht sagen, ob's Meptid war, - aber es war irgendwas Opiat-Art-Verwandtes. Definitiv! Das Bett hat sich gedreht. Ich war wie im volltrunkenen Zustand! Einflüsterer: Von dieser Spritze steht nichts in der Dokumentation. O-Ton Luise: Denn es gibt Gründe, warum die Hebamme das nicht hätte spritzen dürfen. Und sie hätte dann damit im Prinzip der Klage freien Lauf gegeben. Hebammen dürfen Infusionen anhängen, aber nicht Medikamente so spritzen. - Das ist untersagt. Und wenn der Muttermund fast ganz offen war, hätte sie's nicht mehr geben dürfen. Definitiv nicht. Weil es eben zu Atemdepressionen beim Kind führen kann. Das Kind war genauso betrunken, wie die Mutter. Das Kind schwebt in andren Sphären. Das weiß gar nicht, was es machen soll, weil das nicht weiß, wie ihm geschieht. Sprecherin: Patientin kann nicht mehr den Blick fixieren, ist massiv benommen und schwindelig. Kann Zweifel oder Fragen nicht mehr sortieren oder artikulieren. Ihr wird übel. Gegen die Schmerzen hilft das Mittel nicht. O-Ton Greta Und ich konnte mich tatsächlich dann nicht mehr wehren, gegen gar nichts mehr! Weil ich nicht mal mehr sprechen konnte. Sprecherin: Gleichzeitig setzt die Wirkung des Wehentropfes ein. Patientin innerhalb von Minuten unter schmerzhaftesten, krampfartigen Wehen und mit bretthartem Bauch. Kann nicht mehr adäquat atmen. Fühlt sich wie von Tsunami überrollt. Zugleich vaginale Untersuchung des Muttermundes unter Anweisung ruhig zu liegen und Becken unten zu lassen. - Unerträglich schmerzhaft. Einflüsterer: Manuelle Muttermunddehnung. Dafür werden 1..2..3...4 Finger in den Muttermund eingeführt. Sprecherin: Patientin schreit auf, weicht mit dem Becken zurück. Hebamme fährt fort. Patientin kann sich nicht artikulieren. Weiß nicht wohin mit sich vor Schmerz. Hebamme erklärt, dass Muttermund nun bei neun Zentimeter sei und zur vollständigen Öffnung nicht mehr viel fehle. Patientin völlig verkrampft. Einflüsterer: Dokumentiert werden diese Manipulationen nicht. O-Ton Greta Dokumentiert sind drei Untersuchungen im 20-Minuten - Abstand oder so. Ich behaupte, dass es mehr warn. Sie kam gefühlt alle 10 Minuten. Sprecherin: Patientin vor Schmerzen kaum noch klar ansprechbar windet sich auf dem Bett in erneuter heftiger Wehe. Soll für erneute vaginale "Untersuchung" die Beine öffnen. Will nicht. Hat größte Angst. Kann sich aber nicht artikulieren. Klappt Bein am ganzen Körper zitternd nach innen, versucht sich gekrümmt auf linke Seite zu drehen. Hebamme nimmt zupackend rechte Hand vom Partner, legt diese flächig auf die mediale Knieseite und drückt seine Hand mit Bein nach außen mit den barschen Worten: "Jetzt halten Sie mal hier ordentlich das Bein fest!" Partner folgt verunsichert den Anweisungen. O-Ton Greta Also er hat mein linkes Bein nach außen weggedrückt, und sie das rechte unter sich eingeklemmt. Und dann hat sie's durchgezogen. Sprecherin: Hebamme führt erneut mehrere Finger vaginal ein. Patientin wehrt mit "Nein" ab. Hebamme fährt fort. Gefühl des "Herumfuhrwerkens" in ihr. Patientin schreit, stößt sich mit den Händen beidseits am Bett ab, versucht nach oben wegzurutschen und mit aller Macht die Beine zu schließen. Partner lässt schließlich verunsichert linkes Bein der Patientin los. Patientin dreht Oberkörper zur rechten Seite, übergibt sich. Einflüsterer: "Birth rape" - "Vergewaltigung unter Geburt". Umstrittener Begriff. Kritiker argumentieren, zur Vergewaltigung gehöre eine sexuelle Motivation. O-Ton Greta Ich habe-gewürgt, heftigst gewürgt, also... mir sind die Tränen gerollt, und da hat sie dann zurückgezogen. Guckte mich an, rollte die Augen nach oben und sagte: "Ja, wenn das so nicht geht, dann brauchen wir jetzt hier ne PDA! Einflüsterer: Peri-Dural- Anästhesie. Methode zur Schmerzausschaltung. Dafür wird über einen Katheter ein Medikament zwischen die Schutzhäute des Rückenmarks in Höhe des 3. und 4. Lendenwirbels gebracht, das die Empfindungen unterhalb der Einstichstelle blockiert. O-Ton Greta Ich möchte auf allen Vieren aus diesem Kreißsaal kriechen! Ich habs bildlich vor mir gesehen, wie ich in meinem Hemd und mit nacktem Unterkörper auf allen Vieren einfach nur zu dieser Tür will. Zu diesem Vorhang und raus. Und weg. Ich habs vor mir gesehen. Und... ich hab keine Chance gehabt. Keine Chance. Man hat keine Chance. Sprecherin: Patientin spürt, wie sie fortgleitet. In ihr wird alles dumpf und leer. Sie dissoziiert. Einflüsterer: Dissoziation. Flucht der Seele. Psychische Notfallreaktion, wie man sie auch von Folteropfern, Opfern von Kriegsverbrechen oder Naturkatastrophen kennt. Ein Rettungsversuch, wenn Todesnot und Ausweglosigkeit aufeinandertreffen. Sprecherin: Patientin erlebt alles Weitere, wie unter einer Glocke aus dickem Milchglas. Als nicht mehr zu sich oder ihrem Leben gehörig. Manchmal sieht sie sich von oben. Nur ihr innerer Wächter registriert präzise jedes Detail. Patientin stimmt der PDA ... Einflüsterer: Der Peridural-Anästhesie... Sprecherin: ... unter Tränen zu, obwohl sie keine will. Weiß, dass sie damit ihre initial so komplikationslose Geburt endgültig begräbt. Weiß aber keinen Ausweg. O-Ton Prof Abou-Dakn- Weil sie zwar auf der einen Seite tatsächlich weniger Schmerzen haben, oder - wenns mal klappt auch gar keine Schmerzen, - auf der andern Seite aber nicht mehr die Wehenausschüttung haben, - die Hormone haben und auch gleichzeitig diese Glückshormone dazu haben. Die Frau ist also neutralisiert, wenn Sie so wollen. Und damit wird natürlich der Geburtsverlauf langsamer, damit wird natürlich die Notwendigkeit häufiger, dass man Medikamente einsetzen muss, also Wehenmedikamente, damit wird häufiger die Situation, dass ebend am Schluss vaginal operativ entbunden werden muss, - also letzte Phase auch nicht mehr funktioniert, die nen eigenen Reflexbogen hat, -ist n großes Thema. O-Ton Greta Also ich...ich meinte innerlich schreiend: Nein! Auf gar keinen Fall! - Aber es ist ja eh schon alles kaputt, und es wird eh nicht mehr gut! Lasst mich in Ruhe! - Ich wusste nicht mal mehr, dass ich n Kind kriege. Sprecherin: 17.30 Uhr Anästhesist kommt zur PDA-Anlage. Partner soll den Raum verlassen. Patientin, mit ausgestreckten Beinen und im Flügelhemd auf dem Bett sitzend, wünscht seine Nähe. Doch Partner wird durch Hebamme aus dem Kreißsaal komplimentiert. Bleibt allerdings zögernd an der Tür hinter dem Vorhang stehen. Patientin, kann so wenigstens seine Füße sehen. Einflüsterer: Patientin bekommt - zusätzlich zum schon vorhanden CTG-Kabel und Wehentropf-Schlauch- einen Clip zur Kontrolle der Sauerstoff-Sättigung an den linken Zeigefinger, eine Manschette zur kontinuierlichen Blutdruck-Kontrolle an den linken Oberarm, eine Vollverpflasterung der PDA-Leitung über die linke Schulter, eine Pumpe an die rechte Bettseite - und eine ausführliche Einweisung in die Betätigung der Pumpe. Sprecherin: 18.30 Uhr. Füße werden kribbelnd taub. Ebenso Oberschenkel und Bauch bis zum Nabel. Patientin erschöpft und weiterhin benebelt im Bett. Wehentropf wird wieder eingeschaltet und gesteigert. Patientin verspürt wieder deutliche Verhärtung des Uterus in relativ kurzen Abständen. Hebamme wirkt zunehmend nervös. Ist mit CTG nicht zufrieden. Das Kind müsse wacher werden und sich mehr bewegen. Einflüsterer: Ein Blick aufs CTG verrät: Es besteht schon seit etwa 16 Uhr eine "Herzton-Einengung". Also seit etwa eineinhalb Stunden. - Seit der Betäubungsmittel-Injektion. O-Ton Greta Sie hat mich dann angeherrscht, ich soll ihn wecken, auf meine gewohnte Art. Und ich habe versucht, ihn zu wecken mit der Hand und den Bauch anzustupsen, - eben wie ich es gewohnt immer gemacht habe und wie's auch immer gewohnt funktioniert hat. - Da kam gar nichts. Da kam keine Reaktion. Sprecherin: Hebamme will Kind nun über mehr Druck wach bekommen und dreht den Wehentropf hoch. Patientin bekommt panikartiges Gefühl. Bauch wird sehr hart und wölbt sich. Patientin tastet Bauch vorsichtig ab. Kind scheint weit weg. O-Ton Greta Sie hat ihn so hoch gedreht, dass ich zeitweise dachte, irgendwann reißt diese Gebärmutter oder es gibt definitiv noch ne Komplikation. Sprecherin: Hebamme immer nervöser. Patientin soll sich umgehend bewegen. Wird angehalten, erst linke Seitenlage, dann rechte einzunehmen. Dann Vierfüßlerstand. Dann auf Hacken sitzend. O-Ton Greta Mit fünf Kabeln, zwei Infusionen und unter Wehen mit ner PDA-Verpflasterung, einem Flügelhemd, - und das bei offenen Türen, wo nur ein Vorhang davor hängt, - ist unsagbar. Sprecherin: 20.30 Uhr: Muttermund vollständig eröffnet. Autorin: Für die ersten achteinhalb Zentimeter hat Greta etwa sechs Stunden gebraucht. Für die noch fehlenden eineinhalb Zentimeter fast fünf Stunden! - Seit sie im Kreißsaal ist, geht es kaum noch voran. Als wolle sie ihr Kind festhalten. Sprecherin: Schichtwechsel. Hebamme verabschiedet sich. Neue Hebamme übernimmt. Spricht Patientin gut zu, deutet Fortschritt an, unterstützt nach Kräften. Patientin registriert das, hat aber aufgegeben und ist abgekoppelt vom Zusammenhang: Pressen- Kind kommt. O-Ton Greta Auf einmal da haben sie mich für en Moment wieder als Person wahrgenommen! Ich war wieder da. Ein bisschen wenigstens. Sprecherin: Patientin rafft sich auf, versucht mit beiden Händen auf dem Bauch das Kind mit herauszudrücken. O-Ton Greta: Ich weiß bis heute nicht, wie er runter gekommen ist. Ich hab ja nichts gespürt. Und dann sagte sie: Guck aufs CTG oder ich sag dirs. Presst du grade? - Jetzt ist keine Wehe! Ich hatte überhaupt...- Ich habe nie eine Presswehe...ich weiß nicht, wie sich das anfühlt. Kann ich nicht sagen. Diesen Abschnitt der Geburt kenn ich nicht. Sprecherin: Hebamme Nummer zwei fragt, ob sie den Oberarzt dazu holen soll, ob er mitdrücken soll. O-Ton Greta Ich hatte am Ende keine Kraft mehr. Sprecherin: Oberarzt kommt für sogenannte Kristellerhilfe. Lehnt sich mit Unterarm und Händen auf oberen Bauch und drückt mit Kraft das Kind zweimal in zwei Wehen nach unten. Patientin kann nicht suffizient Luft holen. Fühlt erneute Panik in sich aufsteigen. Verspürt heftige Schmerzen. Köpfchen geboren. Patientin kann der Begeisterung der Anderen nicht folgen. Irgendein Köpfchen. Irgendwo. Wird mit Kind, - dem Kind, ihrem eigenen Kind nicht mehr in Verbindung gebracht. Irgendwo weit weg wird weiter agiert. Spürt dumpf, wie etwas Langgezogenes aus ihr heraus gleitet. Kind liegt zwischen ihren Beinen. Gurgelt und bewegt sich leicht. Kind wird von Hebamme zur Untersuchung gebracht. Arzt und Hospitant sind zwischendurch hereingekommen. Beide stehen im Raum, schauen. O-Ton Greta Und ich lag da, ich war blutverschmiert, aus mir hing die Nabelschnur raus, ich hatte weit gespreizte Beine. Und es hat keiner auch nur mit der Wimper gezuckt, mir ne Decke zu geben, oder mich abzudecken, oder sich wegzudrehen. Sprecherin: Partner legt Patientin schließlich ihr altes Hemd über den Oberkörper. Das Klinikhemd mit Erbrochenem hängt noch an ihrem linken Arm. Patientin hört ihr Kind jetzt das erste Mal schreien. Autorin: Der Geburtsbericht notiert: "Komplikationslose Spontangeburt eines männlichen Neugeborenen am 19.02. um 22.44 Uhr. Mutter und Kind wohlauf." - Das nennt man also "eine komplikationslose Spontangeburt"?! O-Ton Oberärztin Ja. Spontane Geburt. Normale Geburt. Ja? Also vaginale Geburt. Und wir sind damit sicherlich gut aufgestellt. Einflüsterer: Die zuständige Oberärztin. - Eine natürliche Geburt ist: eine vaginale Geburt ohne Zange oder Saugglocke. O-Ton Claudia Watzel: Ja? Also das ist, glaub ich, häufig für die Frauen auch so n besonders großer Schock. Einflüsterer: Die Aktivistinnen Claudia Watzel und Denise Wilk. Sie kämpfen für Einhaltung der Menschenrechte im Kreißsaal. Nach ihren Schätzungen sind in Deutschland 40-50 % aller Gebärenden von Gewalt betroffen. O-Ton Claudia Watzel: Ganz viele Kliniken sagen: Wir unterstützen eine natürliche Geburt! Es steht eigentlich auf jeder Homepage. Zugleich weiß man, - Denise, du bist da ja auch Expertin: 4% der Geburten? Ohne Intervention in Deutschland? Denise: Etwa 3. .. Claudia: Etwa 3 % so. Und dann rechne man bitte aus diesen noch die sowieso schon außerklinischen Geburten weg, wo einfach bestimmte Dinge gar nicht passieren können, dann können wir uns überlegen, wieviel Prozent der Geburten in Kliniken ohne Intervention laufen. Ist ne Diskrepanz zur Selbstdarstellung der Klinik. Einflüsterer: In ihrer Dissertation an der Fakultät für Gesundheitswissenschaften der TU Berlin von 2008 kommt Clarissa Schwarz zu einem ähnlichen Ergebnis. Bis 1988 konnten die Geburtsrisiken deutlich gesenkt werden. Seit dem nimmt Deutschland im Weltvergleich einen Spitzenplatz ein. Danach hätten die invasiven Maßnahmen weiter massiv zugenommen, so Schwarz, ohne dass sich das in einer weiteren Verbesserung wiederspiegeln würde. Natürlich sind Interventionen, - also: Geburtseinleitungen, PDA-Einsatz, Dammschnitt, Kaiserschnitt und so weiter nicht mit Gewalt gleichzusetzen. Medizinisches Eingreifen kann hilfreich und lebensrettend sein. Die Gewalt beginnt, wenn es ohne zwingende Notwendigkeit, respektlos, ohne Einverständnis oder sogar gegen den Willen der Frauen geschieht. O-Ton Luise: Wir machen Werbung und erzählen: Wir machen ne klinische Hausgeburt, ja?! Mir gehts immer so, wenn ich Kreißsaalführungen mache, ich hab immer den Eindruck, ich muss lügen. Ich steh da und erzähl ihnen, wie toll es läuft, - weiß aber, dass es vielleicht nicht so läuft. Die Geburt...hat wirklich ne sehr hohe Wahrscheinlichkeit, dass in irgendeiner Form Gewalt ausgeübt wird. Und das kann man aber nicht sagen! Das kann ich in keinem Kurs sagen! Weil, so würden die Leute ja erst recht Angst bekommen davor, Kinder zu bekommen! Einflüsterer: Ein Aufruf der WHO aus dem Jahr 2014: Viele Frauen in aller Welt erfahren unter der Geburt in geburtshilflichen Einrichtungen eine missbräuchliche und vernachlässigende Behandlung. Diese Erklärung ruft zum Engagement im Hinblick auf dieses gravierende Problem auf. Frau 1 ...Ich bekam neben der PDA noch einem Zugang, einen Wehentropf... Frau 2....eine PDA, einen Blasenkatheter, eine Sauerstoffmaske und einen Wehentropf... Frau 3: ... Bei 4 cm Muttermund sprengte die Hebamme meine Fruchtblase... Frau 1 ...Ich lag auf dem Rücken, meine Beine in Schalen... Frau 2... Meine Beine wurden festgeschnallt... Frau 3 ...Eine Ärztin drückte mir die Knie so weit nach oben, wie es ging, die andere griff ohne Vorwarnung in meine Vagina... Frau 1 ...Sie bohrte in mir herum. Ich weiß nicht mehr, wie laut ich geschrien habe.... Frau 2 ...Es wurde mir nur immer wieder gesagt, dass ich mich nicht so anstellen soll... Frau 3 ...Lehn dich nach vorne! Geh in die Knie und atme, wie wenn du kackst. ..- So atmest du dabei also ?! ...- Na also. Geht doch." Autorin: Warum ist das so? - Warum schreitet niemand ein? O-Ton Luise: Ich habs im eigenen Kollegium probiert, anzusprechen. // Ich weiß, ich hab geweint, - ich hab gesagt, dass es mir ganz schlecht damit geht, und ich nicht weiß, wie ich damit umgehen soll, Einflüsterer: Hebamme Luise O-Ton Luise: und ich wurde wirklich abgewimmelt mit...äh...: Sie findet das jetzt...krass, dass Gewalt jetzt ja da echt ein hartes Wort ist, und dass sie nicht empfindet, dass wir hier Gewalt an Frauen ausüben. Es ist schwierig. Also die Ärzte sehen es zum Teil nicht, die sehen das nicht als gewaltvoll an. Die sagen: Ja das muss halt sein, - das ist zum Wohle des Kindes. Autorin Zum Wohle des Kindes. liest: Mein Name ist Lena Schmidt. Ich bin 35 Jahre alt, von Beruf Lehrerin und wohne in einer gemütlichen Kleinstadt. Seit etwas mehr als zweieinhalb Jahren bin ich Mutter einer kleinen süßen Tochter. O-Ton Lenas Haus. Sophia läuft herum, verhandelt mit Papa und Mama über Eiscreme. Autorin Lena und ihr Mann Thomas haben ein Haus mit Garten bezogen. Denn sie wollen Kinder. Viele. Mindestens drei oder vier. Als Lena schwanger wird, ist die Freude riesengroß. O-Ton Lena Ich war ganz viel in dem Zimmer, dass unsere Tochter später bekommen hat, gesessen, da saß so n großer Sessel drin und auf dem saß ich immer und hab meinen Bauch gestreichelt und mich total drauf gefreut, oder mir so vorgestellt, wies wohl sein wird, ...wenn sie denn dann da ist. Autorin Zur Geburt ist Lena im einzigen Krankenhaus der Stadt angemeldet. Alternativen gibt es im näheren Umfeld sowieso nicht. Die Schwangerschaft verläuft ohne Probleme und die Geburt beginnt pünktlich. Gegen sechs Uhr früh setzen leichte Wehen ein und werden über den Tag stärker. Gegen neun Uhr abends fahren Lena und Thomas in die Klinik. O-Ton Lena Die Hebamme meinte, da ist schon viel passiert. Autorin Lena ist die einzige Gebärende in dieser Nacht. Die Hebamme ist ganz für sie da und sehr nett. Optimal. Alles läuft gut. O-Ton Lena Ich war gestanden die ganze Zeit, das war für mich am schönsten auszuhalten, Thomas hat mich immer in den Arm genommen oder so von vorne gestützt, und mir immer wieder ein Glas Wasser gereicht, und hab immer einen Schluck Wasser genommen und die nächste Wehe abgewartet, tief geatmet und dann wieder n Schluck Wasser, und so ging das dann immer weiter. Irgendwann...wollte ich dann allerdings gern ne PDA haben, - weil ich irgendwie ...'s Gefühl hatt', ich mag die Schmerzen jetzt so nicht mehr weiter ... aushalten. Autorin: Es ist 24 Uhr, der Muttermund erst vier Zentimeter geöffnet. Einflüsterer: Aufklärungsbogen für PDA: "Liebe werdende Mutter, anders als unter Narkose erleben Sie die Geburt bewusst mit, können sich aber entspannen. Dies ist günstig für Ihren Geburtsverlauf und nützt ihrem Kind. Die PDA gilt für die Schmerzlinderung bei einer natürlichen Geburt als Verfahren der ersten Wahl... Autorin: Von der Interventionskaskade, die mit der frühen PDA so oft ihren Anfang nimmt, erfährt Lena hier nichts. Einflüsterer: Risiken und mögliche Komplikationen: Nervenverletzungen, Blutungen, Nervenschäden, Infektionen, Übelkeit, Erbrechen, Kreislaufprobleme, starke Kopfschmerzen, Herz-Kreislauf- und Atemstörungen, Rückenschmerzen, vorübergehender Harnverhalt, ..." Autorin: Nichts von geburtsverlängernder Stör-Wirkung, nichts vom hohen Risiko für Geburtsverletzungen, Saugglocken- oder Zangengeburt und Kaiserschnitt, nichts von Stresswirkungen auf ihr Baby. Im Gegenteil. "...Bitte lassen Sie sich von der Fülle der genannten Risiken nicht beunruhigen. Wir führen hier auch sehr seltene Risiken und Komplikationen auf!" Autorin: Lena unterschreibt. Die PDA-Anlage und entsprechende Verkabelung erfolgt. Lena ist froh, die Schmerzen los zu sein. Vertraut voll aufs klinische Prozedere. Es geht auch alles weiter gut. Sechs Stunden später ist der Muttermund vollständig geöffnet. Es ist 6.10 Uhr. O-Ton Lena Und irgendwann danach, meinte die Hebamme, jetzt gehts n bisschen langsam voran. - Da hatt ich mir aber keine Gedanken gemacht, denn mein inneres Gefühl war: Ich brauch noch ein bisschen Erholung. Und mir gings ja gut,- und ich hatte auch das Gefühl, dass es meiner Tochter gut geht. - Und eben einfach, dass ich noch nicht fertig bin mit Ausruhen. Autorin Die Hebamme schließt den Wehentropf an. Regelt die Dosis stufenweise immer weiter hoch. Zwei Stunden später - um 8.10 Uhr - dokumentiert sie einen Geburtsstillstand. Sie ruft den Oberarzt hinzu. Der bietet Lena einen Kaiserschnitt an. O-Ton Lena Kam für mich völlig aus dem Nichts. - Und dann hab ich ihn gefragt warum, - na, weils grad bisschen langsam geht. Und dann hab ich gesagt: Nee! Möcht ich nicht! Er hat dann auch schon gemeint: Bis Mittag machen wir hier nicht rum! Und vom inneren Gefühl hab ich mir gedacht: "Wir machen hier genau so lang rum, solang ich brauch!" Autorin Der Wehentropf wird weiter und weiter hochgeregelt. Um 8.30 Uhr setzen endlich Presswehen ein. Fünfzehn Minuten später ist Schichtwechsel. - Die nette Hebamme verabschiedet sich. Die Nachfolgerin stellt sich kurz vor. Die neue Hebamme verlässt den Kreißsaal. Lena ist mit ihrem Ehemann allein. Die Presswehen werden immer heftiger, immer drängender. O-Ton Lena Soll ich drücken, soll ich net drücken...? Alleingelassen. ...Unsicher hab ich mich gefühlt.- Und gewartet! Autorin: 15 Minuten. 20... 30.... 35....40... O-Ton Lena Ich hab die ganze Zeit gewartet. - Ich hatte das Gefühl, ich kann mein Kind nicht kriegen, weil ich muss erst warten, bis jemand Zeit hat für mich. Autorin: Lena gerät in Not. Ihr Mann läuft los, die Hebamme zu suchen, kann sie aber nirgends finden. Unverrichteter Dinge kommt er zurück. Beide sind ratlos und verzweifelt. O-Ton Lena Und dann kamen sie wieder. Autorin: Die Hebamme und der Arzt. Nach über 40 Minuten. O-Ton Lena Und dann ist n Film abgelaufen, den kann ich bis heut nicht verstehen: Man hat mich mit zwei Händen gepackt, in die Rückenlage gedreht, ... Alles geht jetzt sehr schnell. Greta kann sich nicht wehren. Thomas schaut hilflos zu. O-Ton Lena Keine Sorge, ich weiß was ich tu,- hat er noch gesagt - Einflüsterer: - der Arzt - O-Ton Lena ... die Schere wurde ausgepackt, und...dann mit seinem ganzen Oberkörper...isser auf mich drauf, - und hams Kind mit aller Gewalt rausgedrückt. O-Ton Hebamme Luise Weils die meisten auch noch falsch machen, das Kristellern, - kristellert wird eigentlich mit den Händen,... Einflüsterer: ...Gegenhalten des kindlichen Podex, um ein Zurückrutschen in der Wehenpause zu verhindern, und damit sich das Baby besser abdrücken kann. O-Ton Hebamme Luise Und da ist überhaupt keine Anstrengung da, - geschweige denn Körpergewicht, weil das Kind wiegt was? Dreieinhalb Kilo? - Das hält man mit der Hand, ohne dass man da jetzt irgendwie groß Muskeln braucht! Dieses falsche Kristellern, - das ist so gewaltvoll! Für die Frau! Die sehen nur noch den Arzt, der auf einem drauf liegt, mit dem Unterarm, mit vielleicht nem Laken, - das macht ja jeder, wie er möchte, - so ungefähr,- die schaffen's meistens nicht mehr zu schieben, zu pressen, weil sie einfach nur Schmerzen empfinden, - die können dann gar nicht mehr anders, außer zu schreien. Einflüsterer: Kristellern, wie hier durchgeführt, ist mit großen Risiken verbunden: Bei der Mutter kann es zu Leberriss, Milzriss, Rippenbrüchen, Rupturen der Gebärmutter, des Beckenbodens, des Dammes kommen. Auch das Kind kann verletzt werden. In England und Frankreich ist das Kristellern deshalb vielerorts verboten. In Deutschland ist die Häufigkeit der Durchführung statistisch nicht erfasst, aber laut Hebammen-Befragungen sehr groß. In den Geburtsprotokollen wird das Kristellerrn oft nicht dokumentiert. O-Ton Lena Ich hab ihn angeschrien, er soll aufhörn, ich hab "Pause! " geschrien, - ich hab geschrien, dass ich keinen Dammschnitt möchte. Autorin: Die Hebamme schneidet trotzdem. Vom Scheideneingang sieben Zentimeter seitlich. Tief ins Gewebe. Richtung linkes Bein. O-Ton Lena Der Arzt hat mich wiederum angeschrien, ich soll endlich drücken, und dann hab ich gehört, wies alles in mir zerfetzt. Und dann irgendwann wars Kind da. Mir war sofort klar, dass mir was echt Schlimmes grad passiert ist. Mir war sofort klar, dass es nie mehr so sein wird, wies war, - Ich hatte auch den Eindruck, ich steck jetzt unter ner Glocke. Alles weit weg von mir. Autorin Aus der verantwortlichen Klinik will niemand mit mir sprechen. Deshalb habe ich Prof. Abou-Dakn aus Berlin gefragt. Einen erfahrenen Geburtsmediziner, der für seine kritische Haltung gegenüber der gängigen Praxis bekannt ist. Einer der für Veränderungen steht. Er hat sich Lenas Krankenakte angesehen. Auch die CTG-Aufzeichnungen. O-Ton Prof. Abou-Dakn Wenn man das CTG ansieht muss man sagen: die Entscheidung, dieses Kind schnell zu kriegen war schon richtig! Meine Kritik wär, warum man sich sozusagen in die Situation hineinmanövriert hat. Das ist aber allgemein geburtshilfliches Handeln momentan, - dass aus meiner Sicht kritisch überdacht werden muss, aber sehr typisch ist für Geburtshilfe in europäischen Ländern, und ...ähm..- ja! - Ein sehr typischer Verlauf. Einflüsterer: Laut Bundesauswertung 2016 wurden bei etwa 30 Prozent aller vaginalen Geburten Wehenmittel verabreicht. Etwa ebenso häufig kommt die PDA zum Einsatz. Autorin: Und in dieser selbstproduzierten Notsituation sind dann gewaltsame Übergriffe auf den Körper der Frau auch gegen ihren Willen erlaubt? Sogar Schnitte in ihre Genitalien ? O-Ton Prof. Abou- Dakn Nein. .natürlich. .Das ist ja bei nichts erlaubt, - weil wir. .äh. .bei all den Dingen, die ..äh. .machen, ja immer n Einverständnis für die körperliche Unversehrtheit letztendlich brauchen ...- Naja, ein "Nein" unter der Geburt hat verschiedene Aspekte. Also es gibt Geburtsphasen, wo, wenn Frauen in dieser besonderen Welt sind,... Einflüsterer: ...durch Wehen, Schmerzen, Erschöpfung ... O-Ton Prof. Abou- Dakn so dass man da manchmal auch gegen ein..- "Ich möchte das jetzt eher nicht " entscheidet und sagt: Also ich helf jetzt da mit, ich weiß, dass die Frau gleich in n paar Minuten sehr glücklich ist, weil das Kind da ist, und ich es geschafft habe, dass äh... durchzuziehen. Und durch die Hormone und durch die Wehen isses eben tatsächlich so, dass vieles vergessen wird. Und die meisten dann einfach sagen: Oh, dann hab ich mein Kind gesehen und alles war gut! Und man kann viel Trauma erzeugen und trotzdem wird das vergessen, - also verniedlicht und ganz toll gemacht. Super für uns als Profis! Autorin Das "Nein" einer Frau gilt unter der Geburt also nicht? Weil sie im Ausnahmezustand ist und nicht versteht? Weil die Experten besser wissen, was gut für sie ist? - Und weil sie die Grenzverletzung hoffentlich vergisst und als "notwendige Hilfe" wegsteckt? Ein sieben Zentimeter langer Schnitt lässt sich allerdings nicht so leicht wegstecken. O-Ton Prof. Abou- Dakn Die Episiotomie... Einflüsterer: ...der Dammschnitt... O-Ton Prof. Abou- Dakn ist aus meiner Sicht für nichts nutze, außer dass der Damm geschädigt wird, - also das, was wir immer wollten, dass man durch nen Dammschnitt problematische Dammrisse vermeidet, stimmt nicht, - im Gegenteil: mit Dammschnitt kommen häufiger Darmeinrisse oder Schließmuskeleinrisse vor. Einflüsterer: 2016 wurde laut Bundeserhebung bei fast jeder dritten vaginal gebärenden Frau ein Dammschnitt durchgeführt. Autorin Für nichts nutze, von Lena laut und deutlich abgelehnt - und trotzdem durchgezogen? Einflüsterer: Dokumentiert wurde Lenas "Nein" im Geburtsprotokoll nicht. O-Ton Lena Die Hebamme hat im Nachgespräch noch zu mir gesagt: Ich soll doch froh sein, dass mein Kind gesund ist. Und das n Dammschnitt nicht so schlimm ist, und dass sie eben einen Dammschnitt auch niemals ankündigt, - denn da machen alle Frauen die Beine wieder zusammen. O-Ton Autorin Welche Geburtsverletzungen sinds letztendlich gewesen? Lena Riesiger Dammschnitt, ein Labienriss, ... Einflüsterer: ... ein Riss in den inneren Schamlippen... O-Ton Lena: Laut Geburtsbericht wars das, ... Autorin: ...offenbar ist es aber mehr. Ihr Intimbereich fühlt sich an wie in Fetzen. Sie hat quälende Schmerzen und leidet an Inkontinenz. O-Ton Lena: Ich wurde...dreieinhalb Monate nach der Geburt einmal nachoperiert, - danach ging so richtig die Hölle los für mich. Ich hatt einfach nur Höllenschmerzen! Ich konnt nicht sitzen, ich konnt mich nicht bewegen. Ich hab in der Zeit jeden Tag geheult, geheult, geheult, - mich im Bad eingesperrt, - das war unglaublich! Ich hab über Monate das Gefühl gehabt, wenn das so bleibt, - so kann ich nicht leben. Autorin: Eine schwere Prüfung, auch für ihre Ehe. O-Ton Lena Ich konnt keinerlei körperliche Nähe zulassen. Auch Streicheln ging absolut nicht. Und da waren wir oft an unserer Grenze. Autorin Lena Kämpft. Psychotherapie. Krankengymnastik. Akupunktur. Elektro-Stimulation. Bio-Feedback. Die Schmerzen bleiben. Unerträglich. Quälend. Erst nach mehr als zwei Jahren findet sie wirkliche Hilfe: In der Uniklinik Jena wird sie noch einmal nachoperiert. O-Ton Lena Eine Rundum-Erneuerung, meint mein Gynäkologe! Die Schmerzen bin ich jetzt schon nahezu los, und mein körperlicher Zustand ist deutlich... deutlich besser, - aber. .also Einschränkungen und Probleme hab ich nach wie vor. Es drückt mich beim Sitzen, ich spürs beim Laufen, - ich spürs sowieso immer, - die ganzen Narben, - Das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum ich mich jetzt erst, nach der letzten Operation wieder wie ne Frau fühl. Zwar immer noch verstümmelt, - muss ich scho sagn, - aber zumindest wie ne Frau. Autorin: Und was ist aus ihrem Wunsch nach einer großen Familie geworden? O-Ton Lena Ich denk, das ist so das Massivste. Letztendlich ist die ....Familienplanung völlig über den Haufen geschmissen worden....Eine weitere spontane Entbindung kommt absolut nicht in Frage, weder wär ich psychisch dazu im Stande, noch ...ähm würde das mein Körper mitmachen.. Autorin: Auch für Greta, selbst Ärztin, hat das Geburtserlebnis gravierende Folgen. O-Ton Greta Ich hab mich immer so gefühlt, als würde ich im abstürzenden Flugzeug sitzen. Und das wochenlang. Und jeden Tag, vierundzwanzig Stunden. (...) - Und du denkst: du bist verrückt. Und du weißt, dass auch dein Umfeld denkt: du bist verrückt. (...) Sprecherin Patientin wird suizidal. Beinahe kommt es zur Umsetzung. Partner kann Patientin nicht mehr alleine lassen. Beide bemühen sich verzweifelt um schnelle psychotherapeutische Hilfe. Stellen fest: Klinik oder Tagesklinik kommen nicht in Frage, da es für Patientin unmöglich ist, eine Klinik zu betreten. Telefonieren zig Psychotherapeuten durch. Patientin kommt auf Wartelisten. Schreibt Anträge. Wartet auf Bewilligungsverfahren. Die nach Wochen dann endlich beginnende Therapie muss sie schließlich aus eigener Tasche zahlen. O-Ton Greta Also die ganze Symptomatik ist besser geworden, aber trotzdem: isses so, dass ich immer noch n erhebliches Problem hab mit Krankenhäusern ... Sprecherin: Patientin kann ihren Beruf als Ärztin nicht mehr ausüben. Ihr Partner muss die Familie allein ernähren. O-Ton (...) Den Lebensstandard, den wir mal hatten, und den wir uns erarbeitet haben, den können wir nicht mehr halten. Das ändert im Prinzip das ganze Leben. Also ich musste umziehen, ... Sprecherin: Patientin gerät in Schulden. Muss die Therapie abbrechen, weil sie nicht mehr zahlen kann. Und muss mit 38 Jahren wegen schwerer posttraumatischer Belastungsstörung Rente beantragen. O-Ton Greta Die Paarbeziehung hat unter der Tatsache, dass mein Mann eben da involviert war, auch extrem gelitten. Also wir wissen nicht, ob wir's als Paar schaffen. Und da ist ne unglaubliche Trauer über diesen Verlust! Das war mein erstes Kind, - ich möchte noch n zweites, - ich weiß nicht wie ich's kriegen soll!! Autorin: Greta und Lena wollen sich wehren und die Kliniken verklagen. O-Ton Rechtsanwalt Benecke Das Hauptproblem bei Haftungsfällen wegen medizinischer Fehler liegt in der Beweislage: Der Patient muss beweisen, dass er vom Arzt in einer Weise behandelt worden ist, wie man schlechterdings nicht behandelt werden kann. Einflüsterer: Lenas Anwalt Benecke. Autorin: Und Gretas Anwalt schreibt: lesend...Die seelischen und psychischen Beeinträchtigungen spielen eine untergeordnete Rolle. In der gerichtlichen Praxis wird man damit nicht durchdringen. Mit freundlichem Gruß. Rechtsanwalt Näther. O-Ton Lena Irgendwann nach der Geburt hat ne Nachsorgehebamme zu mir gesagt: Irgendwann verzeihst du ihnen. Und dann ist gut mit der Geschichte. Warum muss ich denen verzeihen?! Ich muss ihnen gar nicht verzeihen! Es gibt unverzeihbare Dinge. Das ist etwas Unverzeihbares und ich muss gar nichts verzeihen. Autorin: Vor einigen Jahren haben betroffene Frauen weltweit begonnen, sich zu vernetzen. Einflüsterer: ...www.gerechte-geburt.de, www.humanrightsinchildbirth.org, www.motherhood.de... roses-revolution.... Autorin: Den 25. November haben sie zum "Globalen Tag gegen Gewalt in der Geburtshilfe" ernannt. Und zum Tag der "Rosen-Revolution". An diesem Tag legen Frauen als Zeichen der Würde und des Protestes rosa Rosen vor die Türen von Kliniken, Kreißsälen, Geburtshäusern oder Hebammenpraxen, hinter denen sie Gewalt erlebt haben. Manche legen einen Brief dazu. Sie machen ein Foto von Tür und Rose und stellen es als öffentliches Zeugnis auf der Facebook-Seite der Roses-Revolution online. Die Aktion wächst. 2016 wurden 22% aller deutschen Kliniken mit Rosen bedacht. Und auch das Gesundheitsministerium bekam Rosen über Rosen. Absage "Weinen hilft Dir jetzt auch nicht!" Gewalt in der Geburtshilfe Ein Feature von Marie von Kuck Es sprachen Julia Schäfle, Carmen Heibrock, Rebecca Madita Hundt, Bruno Winzen und die Autorin. Ton und Technik: Ernst Hartmann und Hanna Steger Regie: Beatrix Ackers Redaktion: Wolfgang Schiller Eine Produktion des Deutschlandfunks mit dem Westdeutschen Rundfunk 2017. 1