Hörspiel Feature Radiokunst Das Feature Paul und Paula wohnen nicht mehr hier Über die Liebe im Osten Autorin: Hannelore Hippe Regie: Heike Tauch Redaktion: Hermann Theißen, Wolfgang Schiller Produktion: Deutschlandfunk 2009 Erstsendung: Dienstag, 16.06.2009, 19.15 Uhr Wiederholung: Dienstag, 08.08.2023, 19.15 Uhr Es sprachen: Anja Herden, Philipp Schepmann und Edda Fischer Ton und Technik: Hans-Martin Renz und Gaby Traichel Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. (c) - unkorrigiertes Exemplar - MUSIK /ATMO Ausschnitt: aus: "Die Legende von Paul und Paula" Starke: Wir haben solche Untersuchungen gemacht, dass wir gesagt haben: Welche bevorzugten Eigenschaften hätten sie denn gerne an dem Partner? Wie soll denn der Partner sein? Und da stand an der Spitze der Rangliste: ein liebevoller Vati, eine liebevolle Mutti sein, familienfähig sein, liebevoll, zärtlich und Beruf und Geld kamen eben erst ganz hinten. MUSIK/ATMO Christine: Mit dem Ende der DDR war auch meine Ehe beendet. Wollen wir das mal so darlegen. Christian: Ich war verheiratet von 1986 bis 1993. Es war eine sehr schöne Zeit. Ich habe meine Frau Kerstin sehr gemocht. Dass es anders kam, lag für mich auch, nach meiner Vermutung - ich werde es nicht beweisen können - meinem Bauchgefühl nach zu urteilen, lag es an dem Ereignis der Wende. Petra: Es ist alles ein bisschen schlechter geworden in punkto Liebe. Sprecherin: Paul und Paula wohnen nicht mehr hier. Über die Liebe im Osten. Ein Feature von Hannelore Hippe MUSIK Sprecherin: Wie es begann oder: als die Liebe grenzenlos war. Christian: ... dass man sich plötzlich Strukturen gegenübersah, neuen Strukturen, die man überhaupt noch nicht kannte. Die Scheidung kam ja nicht über Nacht. Es zeichnete sich ab, dass man sich weniger im Bett traf als im Diskutierpodium. Dass sich Streit und Leid breit machte aufgrund verschiedener Auffassungen. Angefangen von der Kindererziehung über gesellschaftliche Fragen. Wie entwickle ich mich weiter? Was will ich? Hast du einen Plan für die Zukunft? Wir haben uns in andere Richtungen entwickelt. Als wäre das Geflecht der Gemeinsamkeit durchzogen von einem Schimmelpilz. Um das bildlich auszudrücken. Und der Schimmelpilz hat sich breit gemacht und das Geflecht brechen lassen. Autorin: Christian Bechtel aus Dresden ist Theatertechniker und 49 Jahre alt. Gelernt hat er, wie er es selbst nennt: Christian: Mein Ausbildungsberuf war Nachrichtentechniker, sprich: Strippenzieher bei der Post. Autorin: Heute lebt der langhaarige Mann, der gern in der Freizeit im Elbsandsteingebirge oder in Norwegen unter freiem Himmel schläft, allein in einer bunten Neubauwohnung unweit des Elbeufers. Seine Freundin lebt in ihrer eigenen Wohnung und seine erwachsene Tochter ein paar Straßen weiter. Zu seiner geschiedenen Frau, die ebenfalls in Dresden wohnt, hat er keinen Kontakt mehr. Dabei hatte es einmal so romantisch angefangen. Christian war in DDR-Zeiten christlich engagiert, in der der jungen Gemeinde. Christian: Eigentlich ausschlaggebend bei uns war ein Konzert einer DDR-Liedermacherin damals, Konzert von Bettina Wegener in einer Dresdner Kirche und ich hab eine Kassettenaufnahme gemacht. Diese Kassette war Gold wert. Die wurde dann kopiert, soweit das damals ging, und wurde im Freundeskreis herumgereicht. Das war bei uns der Aufhänger, dass ich meiner damaligen Frau näher kam und man sich austauschte, natürlich über das Konzert. Das war die Eintrittskarte zu ihr hin, für mich. Autorin: Liebe und Partnerschaft zu Zeiten des realen oder von einigen herbeigesehnten Sozialismus in Deutschland. Frank Naumann hat sie beschrieben in seinem Essay "Der erste Blick, das erste Wort" in der Anthologie "Erotik macht die Hässlichen schön, sexueller Alltag im Osten." MUSIK Sprecher: "Wie lernt man sie kennen, die zauberhaften fremden Geschöpfe, die ihre weichen, sanften Körper an meinen schmiegen würden? Ich erfuhr: Der natürliche Weg zum Herzen der Zukünftigen führt über den Arbeitsplatz. Dort haben junge Leute Gelegenheit, einander nach und nach in ihren Charaktereigenheiten kennenzulernen. Abzuraten sei dagegen von Kontakten beim Tanz. Beim Tanz ließ man sich nur vom äußeren Eindruck leiten. Ebenso verwerflich sei es für einen Mann, ein Mädchen in der Öffentlichkeit anzusprechen. Das sei unhöflich, frech und aufdringlich. Schon damals, zwölfjährig und ohne eigene Erfahrung, schienen mir diese Ideen grotesk." ATMO Annette: Zum weggehen da war sicherlich mehr los wie jetzt. In jedem Vorort hat es ja ein Clubhaus gegeben und da ging überall die Luzy ab! (sie lacht) Autorin: Für Annette Pfeifer, die heute vierundvierzig ist, ging die Luzy in Dessau ab. Dort lebt die Mitarbeiterin im Fachbereich Architektur an der Fachhochschule mit ihrem nicht angetrauten Mann Volker seit über zwanzig Jahren immer noch. Mit erwachsener gemeinsamer Tochter, zwei Pflegekindern im Kindergartenalter und großem schwarzen Hund. Annette: Wir haben immer Frauentag gefeiert und da haben, meine Freundin und ich, da haben wir uns, als wir noch nüchtern waren, einen ausgeguckt und mit dem sind wir nachhause gegangen. Das hat immer geklappt (sie lacht ) Volker: Die wurden dann ausgesucht und die sind dann mitgegangen. Hat auch keiner ein Problem mit gehabt. Bisschen gesundes Selbstbewusstsein hat noch niemandem geschadet. Die wussten alle, was sie wollten. MUSIK Sprecher: 1973 veranstaltete die FDJ in meiner Heimatstadt den ersten Lehrgang für Schallplattenunterhalter. Das war die offizielle Bezeichnung für Discjockeys. Und ich beteiligte mich. Denn die Jugendclubs schossen wie Pilze aus dem Boden, ohne die wachsende Nachfrage zu befriedigen. Nur 40 % der Musik durfte aus dem Westen stammen. Nach östlicher Rockmusik ließ sich meist schlecht tanzen. Eine weitere DDR-typische Besonderheit beim Kennenlernen war sicher auch das wachsende Selbstbewusstsein der Frauen. Das gutbürgerliche Ideal, dass dem Manne der erste Schritt gebühre und die Frau ihn in seine Schranken verweisen muss - zumindest zum Schein - verlor an Bedeutung. Ich beobachtete, wie Mädchen schüchterne Knaben nahmen - eine echte Chance für ängstliche Jungs mit Selbstwertproblemen. Annette: Und wir waren nicht so prüde wie die heute sind. Das haben wir grade heute noch auf der Arbeit durchdiskutiert. Dass die Jugendlichen nicht an FKK gehen, dass denen das peinlich ist, wenn wir mal irgendwo baden fahren, dass die Eltern dann nackig in den See springen. Das wollen die Jugendlichen heute nicht mehr. Das war früher, als wir in dem Alter waren, üblich, da ist man an die Ostsee, zack, Sachen runter, rinjehoppst in Berlin da auf dem Zeltplatz. Da hat überhaupt gar keiner drüber Nachgedacht, das war total unkompliziert, sag ich mal so. Autorin: Zu DDR-Zeiten hüpften drei Viertel aller DDR-Bürger, also geschätzte zehn Millionen nackt in heimische Gewässer. Annette: Wir hatten zwar keene Pralinen und Pornos gehabt, aber das war unkompliziert. Die Pille hatte man, da ist man zum Arzt gegangen, das war auch so eine Sache, die unkompliziert war und das hat alles nichts gekostet. Autorin: Zum Vergleich: Erst Mitte der siebziger Jahre wurde in der alten Bundesrepublik der so genannte Kuppelparagraph abgeschafft, der es unter Strafe stellte, Unverheiratete im selben Zimmer übernachten zu lassen. Bis in die späten siebziger Jahre war es für nicht verheiratete Frauen in der Bundesrepublik schwierig, die Pille vom Arzt verschrieben zu bekommen. In der Großstadt war es etwas einfacher, auf dem Land fast unmöglich. Aber wo auch immer, bekam man schließlich das Rezept, musste man die Pille selbst teuer bezahlen. Besonders für junge Frauen ein großes Problem. Annette: Wir sind durch die Republik gereist, wo was los war. Da waren wir dabei. Da sind sehr lustige Geschichten passiert, das war immer sehr locker. Ich kann mich erinnern: wir sind immer nach Ungarn gefahren, und dort hieß es immer: Wir müssen Bundis aufreißen. Weil die haben ja für 5 Westmark haben die ja alles gekriegt und für war das ja alles sehr teuer. Das war unkompliziert, weil wir hatten ja kein Sprachproblem. Und die waren überrascht, wie locker wir waren. Wie unkompliziert das war und dass Frauen oder Mädchen Alkohol getrunken haben, das kannten die scheinbar gar nicht. Das war hier Gang und gäbe, sag ich mal, wenn man wegging, wurde fröhlich einen über den Durst getrunken. Egal ob Junge oder Mädchen. Starke: Am agilsten, am frühesten haben mit dem partnerschaftlichen Sexualleben die ostdeutschen Frauen begonnen, dann die ostdeutschen Männer. Autorin: Die waren im Schnitt zwischen 14 und 16, also knapp zwei Jahre jünger bei den ersten sexuellen Kontakten als ihre Pendants in der BRD. Der Jugend und Partnerschaftsforscher Kurt Starke untersucht seit den siebziger Jahren das Partnerverhalten in der DDR, seit 1991 das der gesamten BRD. Starke: Und in meinen ersten Untersuchungen habe ich das auch gebraucht, Einstellungen zum vorehelichen Geschlechtsverkehr. Und da lachten die Befragten und sagten, was soll das denn sein? Selbstverständlich, das war nicht nur eine Einstellung, das war auch eine Verhaltensweise. Was man in ganz Deutschland seit langem beobachtet, dass die Ehe die Funktion verloren hat, Sexualität zu legitimieren, das war frühzeitig in der DDR vorhanden. Autorin: Die biedere, muffige DDR oder besser, ihre traurigen verklemmten Bürger, war ein gängiges Bild, das sich die Bundesdeutschen gern in fröhlicher Unkenntnis von ihren armen Brüdern und Schwestern machten. Dass vieles ähnlich war in der Liebe in Ost und West oder sogar viel mehr möglich war als man sich das so dachte, ahnen viele bis heute nicht. Christian: Bei langen Rotweinnächten und bei philosophisch tiefgreifenden und ausladenden, manchmal auch ausufernden Gesprächen, dann doch eigentlich immer nur die eine Absicht dahinter stand, die Frau anzubaggern. Meistens ging es schief, aber manchmal gelang es, das Spiel zu gewinnen. Und die Dame mehr als in den Arm zu bekommen. Das setze sich dann fort in unserer Kommune. Autorin: Kommune eins in Dresden Neustadt? Christian: Angelehnt an Westberliner oder Westdeutsche Vorbilder und da in einer Kommune, in Dresden, in einem alten besetzten Haus. Mit meiner Frau in einer Wohnung und die anderen Pärchen in ihrer Wohnung. Es gab klare Abgrenzungen. Es wurde da auch nicht quer geschlafen. Der Feind, der Satan am Wegesrand kam nicht aus dieser Nische, aus einem Wohnhaus mit sechs oder sieben Pärchen und der alten Frau, die sich immer freute, dass wir sie beschützten. Bernd: Solche alternativen Lebensformen wurden vom Staat sehr beargwöhnt und entsprechend schwierig war es, solche Dinge umzusetzen oder zu leben. Autorin: Bernd Wenzel ist Mitte fünfzig und leitet heute ein bilinguales Gymnasium in Pirna. Er ist mit seiner Frau seit 1982 verheiratet. Sie haben zwei erwachsene Kinder. Dem grauhaarigen Bartträger würde man heute durchaus eine 68er Vergangenheit zutrauen, wenn er damals auf der anderen Seite der Mauer statt in Sachsen gelebt hätte. Bernd: Die Partnerschaften waren nach außen hin bieder. Dass man das in seinem persönlichen Leben nicht immer so bieder gehandhabt hat, war noch eine zweite Variante. Man hat schon seine Räume ziemlich ausgelotet, die möglich waren. Sexualität gehörte mit zum Leben dazu, das war nichts Fremdes oder dass man da befangen war. Man hatte so eine Idealvorstellung. Die hatte ich immer gehabt. Man wünschte sich immer eine feste Partnerin, die zu einem passte. Das ist aber nicht immer verwirklicht gewesen. Die Ehe war eigentlich eine feste Institution und eine wirtschaftliche Komponente. Es gab einen Ehekredit und für die entsprechende Kinderanzahl gab es dann auch die Möglichkeit, einen Rabatt oder einen Erlass bei der Rückzahlung zu bekommen. Es war auch in der Hinsicht interessant zu heiraten. Christian: Es ging nicht um das Ich. Es war für uns undenkbar, am Rande stehen zu bleiben, sprich Single zu sein. Irgendwie musste man sich kümmern, dazu zu gehören, es traten immer nur Pärchen auf. Es existierte kaum jemand, der übrig geblieben war. ATMO/MUSIK Sprecherin: Amors Nische als kleine Bastion oder: wenn Liebe schützt. Mathias: Früher war die Beziehung eben das Rückzugsgebiet. Man konnte sich ja in der Öffentlichkeit nicht frei äußern und musste sich immer etwas bedeckt halten, aber die Beziehung und der Freundeskreis, das waren immer Rückzugsgebiete, wo ich auch offen reden konnte und wo ich mich austauschen konnte. Autorin: Mathias Seymer ist das jüngste von zehn Kindern einer sehr katholischen Familie aus Sachsen. Heute lebt er als freier Rundfunkregisseur und Produzent in Leipzig. Er ist Ende vierzig und war nie verheiratet. Der gelernte Techniker schloss seiner ersten Ausbildung noch zu DDR-Zeiten ein Gesangsstudium an. Musik bestimmte lange sein Leben. Er verliebte sich einst in eine "Flöte". Dann kam das Mädchen mit der Oboe. Weitere Damen und schließlich nach der Wende eine lange Zeit als Single wider Willen folgten. Mathias: Es ging wirklich um Beziehungen. Wie kommt man mit dem anderen klar? Diese ganze Wertigkeit, dass nach der Wende auf einmal das Geld so einen großen Stellenwert einnahm, das hat natürlich abgefärbt, dass die Beziehung nicht mehr das Ein und Alles war. Im Nachhinein waren die Erwartungen an eine Beziehung schon etwas anders. Ob eine Beziehung überhaupt gehen kann? Geht eine Beziehung auf eine lange Zeit? Autorin: Hat er sich diese Fragen zu DDR-Zeiten nie gestellt? Mathias: Nee. Das war das angestrebte Ziel und das war klar. Irgendwann geht's, so nach dem Motto: Andere können es ja auch. Man musste auch nicht so aussehen, wie weß ich nicht. Da war mehr Natürlichkeit da. Das gab´s nicht. Was Kleidung anging, gab's das nicht. Klar war man stolz, wenn man eine Jeans aus dem Westen hatte, aber sonst nichts, ich kann das auch schlecht nachvollziehen, auch heute nicht. Aber das war völlig uninteressant. Autorin: Und was kam beim anderen Geschlecht an? Mathias: Dass man irgendeinen Spleen hatte. Annette: Ich guck mir noch heute gern diese DDR-Filme an. Das sind ja so normale Leute, so wie du und ich. So haben wir ausgesehen zu DDR-Zeiten, wirklich mit Kittelschürze. Heute sind alle so aufgestylt mit Top Figur, braungebrannt. Das gibt's doch gar nicht im wirklichen Leben. Also wer mal in ne Sauna ringeht - ich weiß nicht, das sind vielleicht ein, zwei, die da so aussehen und der Rest sieht eigentlich auch normal aus, aber die werden nicht mehr abgebildet. Da wird den Leuten was vorgegaukelt. Ausschnitt: "Die Legende von Paul und Paula" Komm her, Paul, komm her! Ich bin so allein. Völlig allein. Komm, lass mich nicht allein! Mehr! Mehr! Starke: Es macht einen Unterschied, ob ein Körper, ob ein Stück Fleisch, ob ein äußeres Bild verkauft werden kann oder nicht. Es gab kein Sex Business und da die Sexualität nicht verkauft werden konnte, haben die Frauen damit auch kein Problem gehabt und erst nach der Wende merkten sie, dass man seine Haut zu Markte tragen kann. Das ist ein großer Unterschied. Und vieles im eigenen Körpergefühl oder der Entfremdung ist eben in der DDR anders gewesen als in den alten Bundesländern, eben weil das Geld fehlte. Das Geld fehlte zwischen Mann und Frau und das Geld fehlte auch sozusagen in Bezug auf den eigenen Körper. Nicht nur weil ne schicke Mode fehlte vielleicht, wurden die ostdeutschen Frauen auch eher als graue Mäuschen wahrgenommen, Autorin: - von den Altbundesdeutschen - Starke ...dass aber die Frau ein anderes Selbstbewusstsein hatte. Ausschnitt "Die Legende von Paul und Paula" Wir müssen umkehren, Paula! Weißt du, dass ich zum ersten Mal nicht mehr umkehren möchte, Paul? ATMO/MUSIK Sprecherin: Die Liebe im Schleiftest Oder:"La donna é mobile". Edith: Als ich mich getrennt hab, das ging von mir aus, habe ich sehr darunter gelitten, dass ich einen sehr guten Mann, den ich als Mensch unheimlich schätzte und immer noch schätze, dass ich den verlassen habe für eine nächste sehr große Liebe. Jetzt weiß ich das als reife Frau, warum das Erste nicht ging, das Zweite nicht ging, das Dritte gut geht. Wir müssen alle diesen Weg gehen bis wir das schaffen im Du nicht die andere Hälfte zu finden, sondern im Austausch. Autorin: Die Leipziger Künstlerin Edith Tar kann heute aus der zeitlichen Distanz sehr analytisch von ihren drei Ehen reden. Alle drei Partner hat sie zu DDR-Zeiten kennen gelernt und mit ihnen gelebt. Aus der zweiten Ehe stammt ein Sohn. Edith hat immer selbstständig und auch finanziell unabhängig von ihren Partnern gelebt. Ein Privileg, das sie in der DDR mit fast allen Frauen teilte. Bernd: Ein großer Faktor der recht zügigen Entscheidungen zu einer Trennung war die vollständige Selbstständigkeit der Frauen in der DDR. Wir hatten eine hohe Beschäftigungszahl der Frauen, wir hatten ja, nominell keine Arbeitslosigkeit. Jede Frau, die das wollte, hatte ein Arbeitsverhältnis und dadurch totale wirtschaftliche Unabhängigkeit. Die Kinderbetreuung war flächendeckend geregelt, dass die Frauen technisch und materiell die freie Entscheidung hatten, ob sie bei einem Partner bleiben oder nicht. ATMO/MUSIK Sprecher: "Verglichen mit dem Westen, heiraten die Ostdeutschen nicht nur früh, sie sind auch schneller wieder geschieden. 1989 beträgt die durchschnittliche Ehedauer in der DDR zum Zeitpunkt der Scheidung neun Jahre. Im Westen zwölf. Trauen wir veröffentlichten Daten, so sind die Ostdeutschen recht treue Sexualpartner. Treue steht hier nicht im Widerspruch zur größeren sexuellen Mobilität. Signalisiert diese Großzügigkeit einen Rückgang von Besitzdenken oder ist sie eine Strategie der Sicherung der dauerhaften Bindung?" Christian: Wir sind derart damit umgegangen, dass wir im Abstand von drei bis fünf Monaten auf dem heimischen Sofa, auf diesem roten Plüschsofa, tauschten meine Frau und ich uns aus über unsere Abschweifungen. Das wurde dann mehr oder weniger gebilligt und sich versprochen, das nie wieder zu tun. Dann ging der Ehealltag weiter. Autorin: Während im bundesdeutschen Westen in den siebziger Jahren, besonders in Studentenkreisen, die sexuelle Befreiung zumindest lauthals gefordert, wenn nicht schon etwas wackelig ausprobiert wurde, war sie, so erzählen viele aus der ehemaligen DDR, ganz still, ruhig und unspektakulär in der DDR bereits real praktizierter Alltag. Obwohl parallel dazu die sozialistische Moral existierte. Mehr oder weniger real. Aber Parallelwelten waren in der ehemaligen DDR nichts Ungewöhnliches. Christine: Wenn man in bestimmten Leitungsfunktionen war, war das nicht gern gesehen. Das entsprach nicht der sozialistischen Moral. Autorin: Christine stammt aus dem Erzgebirge. Nach ihrer Ausbildung als Erzieherin und später als Lehrerin, lebte sie lange in Dessau, war dort verheiratet und hatte zwei Kinder. Nach der Wende wurde sie geschieden und heiratete in den neunziger Jahren einen Westmann aus Rheinland Pfalz. Nach ihrer zweiten Scheidung blieb sie in der neuen Heimat. Heute leitet sie eine gemeinnützige Einrichtung an der Mosel. Christine: Das hat sich aber abgeschwächt. Ich kann mich noch erinnern, als ich Mitte der siebziger Jahre in eine Einrichtung kam, da hatte die Leiterin mit dem unmittelbar Vorgesetzten ein Verhältnis. Das wurde richtig öffentlich diskutiert. Da gab es richtige Gesprächsrunden und das war im Sinne der sozialistischen Moral verwerflich, weil der Kollege ja verheiratet war. Autorin: Was genau war denn eine sozialistische Moral? Christine: Dass du eine stabile Beziehung hast, dass du treu bist, im Sinne der sozialistischen Umsetzung auch dynamisch im Beruf bist und dass das eben durch die Familie gestützt wird. Das gehörte als Moralbegriff dazu: Der Sozialismus braucht auch stabile Familien um die Ziele umzusetzen. Sprecher: "Du sollst sauber und anständig leben und deine Familie achten." 9. Gebot der sozialistischen Moral und Ethik. Verlesen von Walter Ulbricht auf dem 6. Parteitag der SED 1958. ATMO/MUSIK Sprecher: Wer sich im Kollektiv wohl fühlte, stand kaum in Gefahr zu vereinsamen. Hinzu kam, dass sich wie im Westen die Scheidungsrate in nur zehn Jahren verdoppelt hatte; damit wuchs der Bedarf nach neuen Bekanntschaften. Die aufgebauschten Heldenstorys von Dienstreisenden, die ihre Nächte in der Hauptstadt verbrachten, drehten sich um klingelnde Tischtelefone, männerverschlingende Walküren und enge Tänze in parfümschwüler Atmosphäre. Spiess: Interessant war die Meinung, dass die Familien stabiler waren zu DDR-Zeiten. Das ist interessant, weil das nicht den Fakten entspricht. Die DDR stand auf der Rangliste in auf der Welt an Scheidungshäufigkeit. Autorin: Gesine Spiess ist Professorin für Geschlechterstudien, Kindheit und Familie an der Fachhochschule in Erfurt. Sie befragte ihre Studentinnen und Studenten nach der Liebe zu DDR-Zeiten. Heraus kamen Einschätzungen und Meinungen, die diese Generation nicht mehr aus eigener Erfahrung, sondern aus Erzählungen und Beschreibungen der Eltern und Großeltern ziehen. Spiess: In der DDR wurde heftig geschieden und es gibt eine These in der Wissenschaft, die sagt, das ist der Mobilitätsersatz gewesen für die Menschen. Die Menschen sind zutiefst immobil gewesen und haben sich dann wenigstens die Freiheit genommen. Das ist die eine These. Die andere These sagt, die Frauen waren halt finanziell unabhängig. Und wenn es Schläge gab, was übrigens nicht thematisiert wurde oder wenn die Ehe nicht erquicklich war, dann sind die gegangen oder haben gesagt: Geh du bitte. Petra: Ich hab das jetzt erst gelesen, dass die Scheidungsquote so hoch war in der DDR. Aber für mich selber war das mir gar nicht so bewusst. Eigentlich hab ich gedacht, die haben alle gut miteinander gelebt. Autorin: Die ehemalige Krankenschwester Petra Schulz hat auf dem Land bei Wittenberg einen unabhängigen Pflegedienst mit einigen Angestellten aufgebaut. Sie lebt mit zwei fast erwachsenen Kindern getrennt von ihrem Mann und wartet nun auf die Scheidung. Ihrem neuen Partner, dem Landarzt Thorsten Rabe, der drei Kinder aus zwei Ehen hat, war die hohe Scheidungsquote zu DDR-Zeiten nicht so neu. Vielleicht weil er selbst 1988 zum ersten Mal geschieden wurde. Zwanzig Jahre später, 2008, das zweite Mal. Thorsten: Ich kann ja nun aus Scheidungserfahrungen in beiden Systemen reden. Die Scheidung in der DDR war viel einfacher. Viel, viel weniger existenzbedrohend. Teilweise für Männer, für Frauen sicherlich auch. Aber ich sehe das jetzt aus meiner Sicht. Dass man bei der Eheschließung an einen Vertrag denken muss, die gab es damals nicht. Diese riesigen Unterhaltszahlungen gab es nicht. Autorin: Finanzielle Erwägungen und Verstrickungen waren mit Sicherheit in der DDR weder ein Grund zu bleiben noch zu gehen. Aber es gab und gibt noch andere Gründe, eine Ehe, die nur noch auf dem Papier besteht, weiterzuführen, egal in welchem System. Edith: Manche vegetieren ja auch dahin in einer Beziehung. Man glaubt ja, wenn man geht, kommt nichts mehr. Mir hat mal eine Freundin gesagt, der Partner ist der Schleifstein und wenn man geschliffen wird, freut man sich nicht immer. Bis zum Diamanten hin. Man kann ja auch ein bisschen selber schleifen. Wir als DDR-Frauen, wir sind so erzogen worden und geprägt, dass man von den Männern das erwartet, was sie auch von uns erwarten durften und das ist auch ein Grund, warum meine zweite Ehe mit einem Ausländer gescheitert ist. Weil der überhaupt nicht gewohnt war, dass eine Frau so selbstständig ist und denkt und in ihrem Horizont keine andere Möglichkeit hat, als dass man gleichberechtigt ist. Annette Es wurde noch nicht mal nach dem Vater des Kindes gefragt. Das konnte man später beim Jugendamt klären. Aber das war nicht überlebensnotwendig, weil um Geld ging´s ja nicht wirklich. Volker: Da kam ich von der Arbeit, so um sechs, und da hing ein Zettel an der Tür: "Du sollst deine zwei Bananen holen, die dir zustehen." Für meine Mutter und mich. Im Konsum. Und die haben sie dann zurück gelegt. Alles solche Sachen. (lacht) Autorin: Volker Schorf aus Dessau, heute Computerfachmann und das Pendant zu Annette, mit der er seit über zwanzig Jahren ohne Trauschein lebt, erinnert sich an den Beginn des gemeinsamen Haushalts, den die frisch gebackenen Eltern führen wollten. Was hatten sie denn beide von ihrer Partnerschaft erwartet? Annette: Dass der Mann mitmacht im Haushalt, dass beide an einem Strang ziehen, weil wir waren ja beide voll berufstätig. Ich habe in Schichten gearbeitet als Schichtingenieur und das hat super geklappt. Christine ist mit einem Jahr in die Kinderkrippe gekommen und mit drei Jahren in den Kindergarten. Das war alles unkompliziert. Autorin: Nun sind beide immer noch voll berufstätig, die Tochter ist erwachsen und beide haben ein Haus, einen großem Garten und Hund Jette zu versorgen. Und, was viele ihrer Kollegen verblüfft, sie sind Pflegeeltern für zwei Kindergartenkinder. Vor Jahren waren sie einem Aufruf in der Zeitung gefolgt, in dem Pflegefamilien dringend gesucht wurden. Sind solche Pflegeplätze ein Nachwende-Phänomen? Annette: Wenn Sie nicht zur Wiegestunde gegangen sind mit Ihrem Kind, sind die schon hellhörig geworden. In der Krippe sind die Erzieher richtig zu einem nach Hause gekommen. Die Kontrolle, dass da viel passieren konnte, das war viel enger. Heute ist, wer sich nicht kümmert, interessiert das einen auch nicht so richtig. Wenn Sie Ihre Kinder nicht in den Kindergarten bringen, zwingt sie keiner dazu. In der Wendezeit haben wir eine Reportage gesehen, da wurden Kinder in einem Heim gezeigt, die wurden von ihren Eltern einfach allein gelassen. Die haben die Flucht ergriffen und sind in die alten Bundesländer gefahren und nie mehr zurück gekommen, und da war ein Junge, der sagte: ‚Ich wünsche mir einfach nur neue Eltern.' Spiess: Die Familien und Paare waren versorgt. Sie hatten die patriarchale Fürsorge des Staates und die Menschen lebten doch ziemlich sicher. Und nach der Wende brach alles weg. Es gab eine große Orientierungslosigkeit und es gab massenhaft soziale Phänomene. Die Väter verließen ihre Familien. Die Männer gingen in den Westen und ließen einfach ihre Familien sitzen. Es war eine richtige Väterflucht. Die Gründe sind nicht erforscht. Autorin: Die von allen guten Frauen verlassenen Dörfer und Kleinstädte in Mecklenburg Vorpommern und Sachsen Anhalt sind auch keine Mär. Die massenhafte Abwanderung der Frauen setzte dort allerdings nicht in den Jahren unmittelbar nach der Wende, sondern erst zehn Jahre später ein. Vorher gab es eine andere Art der Verweigerung der Frauen. An Ort und Stelle. Spiess: Es gab eine große Geburtenverweigerung, man spricht sogar von einem Frauenstreik, einem stillen Frauenstreik. Frauen wollten erstmal in diesen unsicheren Zeiten keine Kinder bekommen und das ist auch nachvollziehbar. Autorin: Die Geburtenrate im Osten Deutschlands sank im Vergleich zu DDR-Zeiten nach der Wende um 50%. Das war historisch nie zuvor irgendwo in Europa registriert worden, außer in Kriegszeiten. Experten sprachen von einem demoskopischen Schock in den neuen Bundesländern. Mathias war weder verheiratet noch hat er Kinder. Mathias: Die Rollenverteilung in der DDR war ne ganz andere. Ich glaube, die Frauen in der DDR waren sehr belastet. Da waren die Kinder, der Haushalt und die Arbeit. Ich glaube, die Männer hatten ein ganz gutes Leben. Autorin: Wer auch immer das gute oder bessere Leben in der DDR hatte, die Frauen oder die Männer oder vielleicht sogar beide, nach der Wende veränderte sich für alle DDR-Bürger viel, am meisten für die Frauen. MUSIK Sprecherin: Geld oder Liebe. Oder: als die dreißig Jogurtsorten im Supermarkt auftauchten Bernd: Wir haben uns nie gegenseitig Geld vorgerechnet und trotzdem war es für meine Frau eine ganz eigenartige und unschöne Erfahrung, rein innerlich sich abhängig fühlen zu müssen. Autorin: Bernds Frau hatte als Schauspielerin fest an einem Theater gearbeitet. Nach der Wende gab es, für sie wie für die Kollegen nur noch Zeitverträge, die irgendwann bei dem Wechsel der Intendanz auch nicht mehr verlängert wurden. Bernds Frau wurde, wie so viele Frauen im Osten nach der Wende länger arbeitslos. Bernd: Das Geld wird redlich geteilt und trotzdem ist es vom Bewusstsein her eine andere Qualität und das muss man schon wissen, dass es für denjenigen, den es betrifft und da denk ich, ist es egal, ob es ein Mann oder eine Frau ist, dass das ein Faktor ist, mit dem man klar kommen muss. Wenn man sich auf einmal abhängig fühlt. Autorin: Welche Auswirkung diese neue Abhängigkeit auf die Partnerschaften hatte, darüber kann man spekulieren. Was danach die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt in den neuen Bundesländern für das Selbstbewusstsein der einst so selbstständigen Frauen tat, auch darüber mag man nachdenken. Nicht jede ist so autonom im Denken und Beruf geblieben wie Edith, die nach wie vor erfolgreich künstlerisch tätig ist. Was um sie herum passierte, war für sie trotzdem unvorstellbar. Edith: Das war völlig undenkbar, dass ne Frau weniger Geld bekommt für die gleiche Arbeit, das war undenkbar. Das haben wir geglaubt, dass das immer so ist. Dass Adam und Eva gleichwertig sind, Schlange hin, Apfel her. Letztendlich hab ich alles bekommen von dem Oststaat. Ich durfte nicht raus, das war furchtbar, aber ich habe ein gewisses Selbstwertgefühl als Frau gehabt. Ein sehr hohes im Vergleich zu meinen Freundinnen im Westen. Das hab ich vom Osten bekommen und natürlich mit vollen Händen genommen, ohne dass ich es besonders geschätzt hätte. Weil, das lief ja unter Normalität und wenn du im Wald wohnst, zählst du auch nicht die Bäume. Das ist geblieben und ich kann mit dem, was ich mitgebracht habe, mit diesen Pfunden, kann ich alles machen. Bei uns, die wir so sozialisiert sind, ist es so geblieben und deshalb sind wir auch schwieriger für Westmänner. Obwohl Westmänner die Ostfrauen gut finden, überraschenderweise hab ich viel erlebt, viel erfahren. MUSIK Autorin: Die Liebe und der Individualismus oder: warum Selbstverwirklichung weh tun kann. Spiess: Eine Studentin sagte: "Die Welt ist groß geworden, wie kann man den anderen noch finden? Mathias: In dem Moment, wo der Individualismus aufbricht, bricht das auch in der Partnerschaft auf. Da wollte man, da konnte man, da waren die Möglichkeiten da. Das brachte eine Menge Konflikte in die Beziehung rein. Es war ja zu DDR-Zeiten alles geregelt und in dem Moment, wo die Freiheit anfing, war das sicherlich auch eine Reflexion in die Beziehung rein, dass man auf einmal auch mehr Möglichkeiten hatte. Ich könnte halt immer sagen, ich geh mal ein Jahr ins Ausland, was ja vorher...na ja, man hätte nach Rumänien gekonnt. Und auf einmal diese Freiheit, die sich alle gewünscht haben, auch wahrzunehmen... Bernd: Ich hab nicht erlebt im Freundeskreis, dass die unterschiedlichen beruflichen Entwicklungen so gravierend für die Partnerschaft waren. Es hat eigentlich mehr Herausforderungen für die Partnerschaften ergeben, weil die Wege weiter wurden, weil eine viel höhere Flexibilität von den Partnern abverlangt wurde. Autorin: Niemand hat die Trennungen und Scheidungen im Zuge der Wende und in den ersten Jahren danach zählen können, geschweige, sie irgendwo statistisch erfasst. Sie liegen in den dunkleren Bereichen der Herzen und des Gemüts der Betroffenen. Heute hat sich die Zahl der Scheidungen in Ost und West auf ein ähnlich hohes Maß bei 39,6% eingependelt. Das heißt konkret, jede dritte Ehe wird in den ersten fünf Jahren geschieden. Dabei geht längst nicht jeder zum Traualtar und ist trotzdem in einer Paarbeziehung. Es gibt je viele Varianten des Glücks. Heute in Ost wie West. Thorsten: Ich denke, dass sich das Angebot so breit fächert, dass man nicht mehr so tief eintaucht. Auch in Beziehungen. Manche gehen durchs Leben wie so ein Wasserläufer: auf der Oberfläche. Ja nicht irgendwo verweilen, um zu tief einzutauchen. Das hat auch damit zu tun, dass wir genusssüchtiger geworden sind und weniger fähig sind, dem Partner gegenüber tolerant zu sein und sich eine gewisse Tendenz des Egoismus durchsetzt und jeder was erleben will und seine Ziele durchsetzen will. Für mich spielt das nicht so eine große Rolle, ich war nie der Typ, der sich groß selbstverwirklichen will, wobei ich natürlich sagen muss, ich hab meinen Traumberuf bekommen. Ich denke, dass das Leben oberflächlicher geworden ist, aber ob das systembedingt ist, weiß ich nicht. ATMO/MUSIK Sprecherin: Der Mensch ohne Kollektiv und Sicherheitsnetz oder: das `zeitlose´ Individuum. Mathias: So verbreitet wie jetzt gab es damals keine Singles. Das ist offensichtlich. Und ich denke, das hängt auch damit zusammen, dass das Geld und die Arbeit einen Stellenwert eingenommen haben, die einen selbst heute ungeheuer unter Druck setzen. Wir haben nicht toll verdient, aber es hat immer gereicht. Es gibt so viele Faktoren, wo man sehen muss, wo man bleibt. Wo ist denn überhaupt noch Platz für eine Beziehung? Autorin: Mathias selbst, der sich kurz nach der Wende von der Partnerin mit der der zusammen gelebt hatte, trennte, war danach sieben lange Jahre Single. Ungewollt, wie er betont. Mathias: Danach wurde es schwierig. Da ging ja damals der erste Hype ums Geldverdienen los. Normalerweise hatte man zu DDR-Zeiten um 16 Uhr Feierabend und dann war nichts mehr. Dann war Freizeit. Edith: Ich weiß von Freunden, die Paare sind, Ehepaare, bei denen sind die Kinder aus dem Haus, die sagen, die wüssten gar nicht, wie sie das mit Kindern machen sollten. Wo da die Liebe noch Platz hat? Die sind todmüde, wenn wir uns sehen. Das ist dramatisch. Wir hatten viel Zeit in der DDR, und das ist sehr schön. Das heißt nicht, dass man diesem System nachtrauert, im Gegenteil. Autorin: Heute leben in einem Drittel aller Haushalte in Ost und West einzelne Menschen. In Großstädten gilt das sogar für die Hälfte aller Haushalte. Vor der Wende waren es im Osten ungefähr acht Prozent, meist über fünfundvierzig Jahre alt, geschieden oder verwitwet. Bernd: Da ist eine Menge an die Partnerschaften herangekommen, was vorher in dem Maße nicht notwendig war. Oder dass eben größere Trennungszeiten in Anspruch genommen werden mussten, weil man eben der eine in München zu tun hatte und der andere in Dresden und man sich nur noch am Wochenende sah. Volker: Das machen auch jetzt noch viele. Ein Kumpel von mir fährt jede Woche nach Essen und arbeitet dort. Mein Schwager ist auch jahrelang überall hin gefahren bis nach Norwegen. Bernd: Ist bei uns auch so. Meine Frau arbeitet in Bautzen, ich in Pirna. Das verlangt schon eine bestimmte Offenheit, dass man damit vernünftig umgeht und aus dem Abstand eine Chance macht. Wir sehen uns vielleicht weniger als zu DDR-Zeiten, aber wir gehen bewusster mit der Zeit um, die man hat. Ich denke, das ist etwas, was man in jeder menschlichen Beziehung schenken kann, Wertschätzung und Zeit, Liebe und Wertschätzung als diese verbindenden Grundeigenschaften, und das wertvollste, was man einem Menschen mitgeben kann, ist Zeit. Wenn man sich darum bemüht und wenn man wenig Zeit hat, diese Zeit verantwortungsbewusst und qualitativ füllen, denke ich, egal in welcher Gesellschaftsform man lebt, dann hat man ein sicheres Grundelement für eine vernünftig gefüllte Partnerschaft. Ausschnitt "Die Legende von Paul und Paula" Ich bin völlig verrückt. Was ist das? Das ist normal. Du kennst das? Hm. Kann das lange dauern? Kann. Und woran merkt man, dass Schluss ist? Das merkt man dann schon. Wir wollen folgendes machen: Wir lassen es dauern so lange es dauert. Wir machen nichts dagegen und nichts dafür. Wir fragen uns nicht allerlei blödes Zeug. Nur die Namen: ich bin Paula. Paul. Autorin: Der Liebesfilm "Die Legende von Paul und Paula" wurde 1973, wie wir heute sagen würden, zum Kultfilm in der DDR und war weit über die scharf bewachten Landesgrenzen hinaus erfolgreich. Er wurde Leitmotiv für Liebende, für große Leidenschaft im beschaulichen Arbeiter und Bauernstaat. Ohne Happy End übrigens. Der Film zeigte sowohl ironisch die Einschränkungen in der sozialistischen Gesellschaft, wie auch mit viel Humor, was alles doch möglich war. Und welche Rolle die Liebe dabei spielte. Die ganz großen Gefühle. Wohnen Paul und Paula wirklich nicht mehr hier? Starke: Wenn Sie meinen, dass es diesen Paul und diese Paula nicht mehr gibt, diesen gesellschaftlichen Typus, dann haben Sie recht. Wenn Sie aber meinen, dass die Liebe ganz vergangen ist, dass die Menschen, die jungen Leute, sich nicht mehr verlieben können oder wollen, dann irren Sie sich gewaltig. Da gibt es nichts Stärkeres. Und ich denke, dass diese zarten und doch starken Gefühle viel stärker sind als gesellschaftliche Missstände. ATMO/MUSIK Sprecherin: Die Liebe und die Hoffnung. Kein Schwanengesang. Eine real existierende Chance. Thorsten: Man hat über Ost und West nachgedacht, über positives und negatives. Ich bin zu dem Schluss gekommen, eigentlich ist jeder dafür selbst verantwortlich und was er dafür macht und wie er sein Leben einrichtet und wie schwierig er sich das gestaltet, das ist seine Sache und man muss - und das bringt das Alter vielleicht mit sich, andere Prioritäten setzen und sich sagen: Du musst dir Zeit für die Partnerschaft nehmen und da muss anderes ein Stück zurückstehen, denke ich. Petra: Ich denke auch, die Gesellschaft spielt absolut keine Rolle. Ich denke schon, es kommt auf den Partner an, wo die Liebe grad hinfällt. ATMO Autorin: Sind Sie optimistisch? Petra: Ich bin optimistisch, ja. Thorsten: Hundertprozentig Christian: Ich sehe nichts wirklich Positives. Für mich ist ein ganz negativer Aspekt die enorme Individualisierung des Einzelnen, des Menschen, Männlein wie Weiblein. Das Modell der abendländischen Individualisierung ist weltweit für die Zukunft nicht tragbar. Ich denke, wir müssen wieder zu einer Familienbildung zurück. Das ist eine Familie, die beim Großvater beginnt und beim Enkel endet. Bernd: Ich glaube nicht, dass die Rahmenbedingungen die Liebe beeinflussen. Es ist schwieriger geworden, sich in manchen Punkten zu orientieren und es ist für junge Leute schon eine Schwierigkeit, die familiäre Entwicklung zu sicher zu gestalten. Was die jungen Leute heute sicherlich erwartet ist keine gesicherte Arbeitsstelle, sondern ein Job, und mit einem Job ist es schwierig, Familienplanung zu gestalten. Das Gefühl des Nestbaus, das wird den jungen Leuten heute schwerer gemacht. Das Gefühl der Liebe haben sie noch genauso, wie wir es hatten, unabhängig davon, wer gerade Kanzler oder Generalsekretär irgendwo ist. MUSIK Sprecherin Absage Paul und Paula wohnen nicht mehr hier Über die Liebe im Osten Ein Feature von Hannelore Hippe Sie hörten eine Produktion des Deutschlandfunks 2009. Es sprachen: Anja Herden, Philipp Schepmann und Edda Fischer Ton und Technik: Hans-Martin Renz und Gaby Traichel Regie: Heike Tauch Ausschnitt "Die Legende von Paul und Paula" Paula. Du kommst. Und wie du kommst, Paul. Sprecherin Absage Redaktion: Hermann Theißen 3