Hörspiel Feature Radiokunst Das Feature Sterben nach Plan Protokoll einer letzten Reise Autor: Stefanie Müller-Frank Regie: Matthias Kapohl Redaktion: Karin Beindorff, Wolfgang Schiller Produktion: Deutschlandfunk/WDR 2017 Erstsendung: Dienstag, 10.01.2017, 19.15 Uhr Wiederholung: Dienstag, 08.01.2019, 19.15 Uhr Wiederholung: Dienstag, 19.09.2023, 19.15 Uhr Sprecherin: Sigrid Burkholder Ton und Technik: Ernst Hartmann und Jens Müller Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. (c) - unkorrigiertes Exemplar - O-Ton Erika Preisig Grüezi, hier spricht Preisig. Ich möchte gerne eine Freitodbegleitung melden in Liestal. - Preisig mit P wie Peter, Erika. Und das ist eine Doppelbegleitung, das heißt, es ist noch jemand verstorben: ihr Ehemann. Wunderbar, danke Ihnen ganz herzlich. Wie ist Ihr Name? Fürs Protokoll? - Danke. Jetzt müssen wir warten, bis die Polizei kommt und die ganzen Unterlagen noch bereitstellen. Bei Doppelbegleitungen haben wir auch doppelt so viele Papiere zu besorgen. Dass immer alles richtig funktioniert. Gut ich gehe dann die Dinge kopieren, damit alles bereit ist. Musik Ansage Sterben nach Plan Protokoll einer letzten Reise Ein Feature von Stefanie Müller-Frank Autorin Gerda und Hubert Bleibtreu. Vor zwei Monaten habe ich das Ehepaar erst kennengelernt. Da stand der Termin, an dem die beiden gemeinsam sterben wollten, schon fest. Zuvor hatten wir nur knappe, direkte Mails gewechselt: "Wenn Sie noch mit uns sprechen wollen", schrieb mir die 81-Jährige, "müssen Sie uns in Bonn besuchen kommen. Ich hole Sie am Bahnhof ab." Eine Zusage, die fast wie ein Befehl klingt. Und so bin ich in Basel in den Zug gestiegen. Ich lebe seit drei Jahren in der Schweiz. Sterbehilfe ist hier nicht nur gesetzlich erlaubt, sondern auch gesellschaftlich akzeptiert. Und so höre ich immer wieder von Menschen, die sich heimlich zu ihrer letzten Reise in die Schweiz aufmachen, um hier in Anspruch zu nehmen, was in Deutschland verboten ist. Mich hat das beschäftigt. Was heißt es, zum Sterben an einen unbekannten Ort zu fahren und sich dafür in fremde Hände zu begeben? Wie ringt man sich zu so einer Entscheidung durch? Und was bedeutet das für die Angehörigen? Also bat ich mehrere Sterbehilfeorganisationen, mir Kontakte zu vermitteln. Nach zahlreichen Absagen und vielen Monaten Wartezeit waren Gerda und Hubert Bleibtreu die Einzigen, die bereit waren, mit mir zu sprechen. Ich fand das mutig. Auf dem Standstreifen hinter dem Bahnhof steht also Gerda Bleibtreu in einer roten Jacke - kurze Haare, lebhafte Augen - und winkt mir zu. Ihr Mann wartet im Auto. Auch bei der Fahrt teilen sie sich die Aufgaben: Er lenkt, sie passt auf. Wenn ich wieder weg bin, wollen sie beide ihren Führerschein abgeben. Vor der Wohnungstür steht ein Rollator - ungenutzt. O-Ton Gerda Bleibtreu Also ich bin inzwischen 81 Jahre alt, mein Mann 83 Jahre, und wir sind nicht todkrank. Und trotzdem wollen wir in die Schweiz fahren und wollen um eine Sterbebegleitung bitten. Autorin Fast 50 Jahre sind Gerda und Hubert Bleibtreu miteinander verheiratet, für beide ist es die zweite Ehe. Auf mich wirken sie wie Großeltern aus dem Bilderbuch: Er kann nicht mehr so gut laufen, sie nicht mehr gut hören. Wenn er zu erzählen beginnt, ergänzt sie, und wenn sie erzählt, ist er manchmal mit den Gedanken ganz woanders. Dafür, sagt sie, findet er alles wieder, was sie verlegt hat. Gemeinsam meistern sie ihren Alltag ohne Hilfe. Noch, sagen sie beide. Denn das könne sich jeden Tag ändern. Oder noch mehrere Jahre gutgehen. Bald könnten sie Goldene Hochzeit feiern. O-Ton Gerda Bleibtreu Wir haben mindestens jetzt zwei Jahre immer wieder überlegt: Sollen wir es machen, sollen wir es nicht machen? Man wird irre, wenn man nicht einmal sagt: So, jetzt ist Schluss. Jetzt wollen wir es tun. Autorin Die Fotos im Bücherregal erzählen Familiengeschichte: Aus seiner ersten Ehe hat Hubert Bleibtreu zwei Töchter und auch schon erwachsene Enkel, gemeinsam haben die beiden eine Tochter, die wiederum auch schon Kinder hat. O-Ton Gerda Bleibtreu Ich will nicht verblöden. Und außerdem habe ich das Gefühl, das Leben war schön, wie ich es gelebt habe. Und das reicht. Es ist genug. Autorin Hubert Bleibtreu hievt sich schwerfällig aus dem Stuhl und hangelt sich an der Wand entlang in die Küche. Er will die Kaffeemaschine in Gang setzen. O-Ton Hubert Bleibtreu Wenn ich nicht mehr in der Lage bin, mich selbst zu organisieren, meinen eigenen Körper, dann möchte ich abtreten. Deswegen habe ich gesagt, ich schließe mich an. Weil ich einmal, ohne meine Frau mir gar nicht vorstellen kann zu existieren. Und ich habe diese Polyneuropathie, die Gangunsicherheit wird immer schlimmer, ich kann nicht mehr schreiben, ich kann nicht mehr - Vieles kann ich nicht mehr, was ich früher konnte. O-Ton Gerda Bleibtreu Mein Kopf zittert. Nicht immer gleich stark, aber es ist vorhanden. Und das finde ich grauenhaft. Es geschieht etwas in meinem Kopf, was ich nicht beeinflussen kann. Autorin Sie zögert kurz, ein prüfender Blick, ob ich zuhöre - erst dann spricht sie weiter. O-Ton Gerda und Hubert Bleibtreu GB: Und ich will keine komische Figur sein. Ich will nicht, dass man sich anstößt und sagt: Guck mal, die wackelt mit dem Kopf. - HB: ich habe dann darauf geachtet und habe manchmal ein bisschen Wackeln festgestellt, aber meistens, wenn sie meinte, sie hat stark gewackelt, überhaupt nicht. Mein Wackeln beim Gehen ist viel schlimmer. - GB: Ich stehe vor ihm und sage, so jetzt probieren wir das. Jetzt gehst du in den Vierfüßlerstand und hier, ich schiebe dir den Sessel hin und dann nimmst du die Sessellehne und ziehst dich daran hoch. Ich halte den Sessel fest. Das ist eine Situation, die ist scheußlich. Autorin Keiner von beiden leidet unter einer lebensbedrohlichen Krankheit, unter unerträglichen Schmerzen. Gemeinsam sterben bedeutet für sie: Sie wollen den Moment nicht verpassen, in dem sie beide noch sterben dürfen. In der Schweiz kann nur einen sog. ‚assistierten Suizid' in Anspruch nehmen, wer noch urteilsfähig ist und in der Lage, das Sterbemedikament einzunehmen bzw. den Hahn der Infusion selbst ohne Hilfe zu öffnen. Was, haben sich die beiden gefragt, wenn Hubert Bleibtreu stürzt und sich von einem auf den anderen Tag nicht mehr bewegen könnte? Was, wenn Gerda Bleibtreu ihren klaren Verstand verlöre? Bei einer Untersuchung wurden in ihrem Hirn schon vor Jahren weiße Flecken entdeckt, die sich ausbreiten. Das qualvolle Sterben ihrer Mutter steht ihr vor Augen. O-Ton Gerda Bleibtreu Die ist 1973 an Krebs gestorben, und das war ein sehr qualvolles Abschiednehmen. Und sie hat uns angefleht, meinen Stiefvater und mich: Besorgt mir Tabletten, ich halte es nicht mehr aus! Und dann habe ich gedacht: Du liebe Zeit, wo soll ich denn jetzt Tabletten herbekommen? Jedenfalls die richtigen Tabletten. Und mein Stiefvater hat gesagt: Du willst doch einen alten Mann nicht ins Gefängnis bringen. Und daraufhin hat sie nicht mehr geklagt. Und von da an hat mich dieses Thema beschäftigt. Autorin Als ich die beiden besuche, steht das Datum für die Reise in die Schweiz schon fest, es sind nur noch knapp zwei Monate bis dahin. Alle ärztlichen Dokumente liegen vor, Geburts- und Scheidungsurkunden sind besorgt, auch ein Testament haben die beiden aufgesetzt. Jetzt müssen sie noch ein Hotelzimmer buchen. Die Zeit dafür drängt, weil in Basel eine große Messe vor der Tür steht und dann immer alles ausgebucht ist. Trotzdem haben sie bis heute gezögert. O-Ton Gerda Bleibtreu Der Grund war natürlich: Können wir es unseren Kindern antun? Und wir haben mit ihnen darüber gesprochen und natürlich war die Reaktion: Nein, was können wir tun, um Euch das Alter schön zu machen? Also es war unendlich viel Entgegenkommen da. Und es ist für sie bis heute im Grunde genommen unvorstellbar. Aber wir bleiben jetzt dabei. Autorin Ist nun alles vorbereitet? Unser Gespräch stockt - ohne, dass ich mir erklären kann, warum. Zweifeln sie doch noch, den letzten Schritt zu tun? Verschweigen sie mir etwas? Gerda Bleibtreu holt einen Brief mit den Statuten der Sterbeorganisation hervor: O-Ton Gerda Bleibtreu "Es ist zwingend, dass Sie eine Begleitperson mitbringen. Diese muss nach Ihrem Tod den Leichnam identifizieren. Sie dürfen auch von mehreren Personen begleitet werden." Das hat uns Life Circle geschickt. Und wir sind jetzt, wie man im Rheinland sagt, wir sind am Beraten, wer da mitkommt. Ob meine Tochter nun wirklich mitkommt, weiß ich nicht. Unsere Tochter. Autorin Sie sind entschlossen, ihrem Leben ein Ende zu setzen, jetzt fehlt ihnen noch jemand, der nach ihrem Tod ihre Leichen identifiziert. Die Staatsanwaltschaft in der Schweiz verlangt das. Ihre Tochter zögert mitzukommen, dem Pfarrer verbietet der Glaube einen Selbstmord zu begleiten, in der Nachbarschaft und im Freundeskreis soll niemand davon wissen. Also bitten sie mich, eine Fremde, ihren Tod zu bezeugen. O-Ton Gerda und Hubert Bleibtreu - HB: Würden Sie uns identifizieren? Würden Sie das tun? Sie kennen ja jetzt uns. Autorin Auf einen Schlag stehe ich vor einer schweren Entscheidung. Wie soll ich beurteilen, ob ein anderer Mensch das Recht hat, sein eigenes Leben zu beenden? Mir scheint das anmaßend. Wer bin ich, den beiden alten Menschen diesen Wunsch abzuschlagen? Ich kann mich in die Gefühle der beiden über 80-Jährigen nicht wirklich hineinversetzen - geschweige denn mit der Aussicht auf die eigene Hilflosigkeit und Abhängigkeit, vielleicht unerträgliche Schmerzen, den Tod vor Augen. O-Ton Gerda Bleibtreu Guten Tag, Frau Dr. Preisig. Wäre es Ihnen recht, wenn Frau Müller-Frank mitkäme am 16.06., um uns zu identifizieren? - Wäre Ihnen recht. - Ja. - Eventuell kommt auch noch unsere Tochter mit, aber das ist noch etwas unklar. Auf jeden Fall wir haben die Zimmer reservieren lassen in diesem Hotel da in Liestal. Da werden wir, mein Mann und ich, und wahrscheinlich auch unsere Tochter am 14.06. auftauchen. Ja, ja. Gut. Ich danke Ihnen herzlich. Und: Auf ein gutes Wiedersehen! Musik O-Ton Peter Gill Die Rechtslage ist sehr klar: Die Staatsanwaltschaft ist verpflichtet, jeden außergewöhnlichen Todesfall zu untersuchen. Und auch ein Suizid ist ein außergewöhnlicher Todesfall. Also, wenn wir Kenntnis von einer toten Person erhalten, dann rücken wir aus, wir gehen vor Ort und klären ab, wie ist diese Person zu Tode gekommen. Weil das Wichtigste für uns ist zu wissen, liegt ein Verbrechen vor. Und darum wird jeder außergewöhnliche Todesfall automatisch zwingend abgeklärt. Autorin In Basel habe ich einen Termin bei der Staatsanwaltschaft vereinbart: Assistierter Suizid, Beihilfe zur Selbsttötung, Tötung auf Verlangen - ich muss wissen, was genau strafbar ist und was nicht. Peter Gill sortiert für mich die Begriffe, er ist Kriminalkommissar und Sprecher der Staatsanwaltschaft. Eine Tötung auf Verlangen, also jemanden auf seinen Wunsch hin umzubringen, ist auch in der Schweiz strafbar. Nicht strafbar dagegen ist es, jemandem das Medikament nur bereitzustellen. Solange kein egoistisches Motiv vorliegt. Und ob man auch tatsächlich nicht nachgeholfen hat, das untersucht dann die Kriminalpolizei? O-Ton Peter Gill Die Polizei schickt dann eine Patrouille vor Ort. Dann wird der Rechtsmediziner aufgeboten durch uns. Das heißt, es wird eine Legalinspektion gemacht. Man schaut, wie ist die Person zu Tode gekommen. Und wenn Zweifel über die Todesart besteht, dann entscheidet der Staatsanwalt, ob eine Obduktion angeordnet wird. Dann wird dann der Tote, die Leiche beschlagnahmt und das Institut für Rechtsmedizin führt dann in unserem Auftrag eine Obduktion durch. Autorin Um sich rechtlich abzusichern, hält Erika Preisig jeden Suizid, bei dem sie assistiert, für die Behörden auf einem Video fest. Sie ist Hausärztin im Umland von Basel und hat vor vier Jahren eine Sterbehilfeorganisation gegründet, die auch Ausländer in den Tod begleitet. O-Ton Erika Preisig Eternal Spirit ist die einzige Organisation, die den freien Willen des Betroffenen und die eigenhändige Zufuhr des Medikamentes filmisch festhält. Das heißt, wenn jemand sterben will, machen wir einen kurzen Film für die Behörden. Wir fragen den Patienten: Wie ist Ihr Name? Wann sind Sie geboren worden? Warum sind Sie hierhergekommen? Wissen Sie, was passiert, wenn Sie diese Infusion aufmachen? Und wir filmen, wie er mit seiner Hand diese Infusion aufmacht, wie sie zu laufen beginnt. Autorin Vier Sterbehilfeorganisationen gibt es in der Schweiz: Am bekanntesten ist EXIT, ein Verein mit über 100.000 Mitgliedern. Beitreten kann jedoch nur, wer einen Schweizer Wohnsitz hat. Die anderen drei Organisationen: Dignitas, ExInternational und Eternal Spirit begleiten auch Ausländer in den Tod. "Going to Switzerland" hat sich in Großbritannien längst als Euphemismus für begleiteten Suizid eingebürgert, aber auch viele Franzosen, Italiener und Deutsche reisen zum Sterben in die Schweiz. Weil dafür viel Geld verlangt wird und die Sterbehilfeorganisationen nicht staatlich kontrolliert werden, stehen sie im Verdacht, ein Geschäft mit dem Tod zu machen. O-Ton Erika Preisig Die Presse schreibt auf der ganzen Welt: Frau Preisig, Eternal Spirit begleitet gesunde Leute in den Freitod. Autorin Das hat auch die Staatsanwaltschaft Basel alarmiert. O-Ton Peter Gill Eine Schweizer Zeitung hat den Vorwurf erhoben, dass hier sich jemand bereichert, dass die Kosten intransparent sind. Dass man mit sterbewilligen Menschen ein Geschäft macht. Wir haben daraufhin ein Verfahren wegen Verdachts des Strafbestands der Verleitung und Beihilfe zum Selbstmord eröffnet. Und unsere Abteilung für Wirtschaftsdelikte hat sämtliche Unterlagen dieser Sterbehilfeorganisation minutiös angeschaut, abgeklärt - O-Ton Erika Preisig Die hat unseren Anwalt und unseren Buchhalter im Stiftungsrat vorgeladen, die waren zweimal vier Stunden auf der Staatsanwaltschaft, haben die Bücher alle vorgelegt. Autorin Bis November 2015 hatten die Bleibtreus gehofft, dass sie eines Tages zuhause sterben dürfen. Dann aber lehnte der Deutsche Bundestag eine Gesetzesänderung ab. Geschäftsmäßige Sterbehilfe steht in Deutschland unter Strafe. Dem Ehepaar blieb nur der Weg in die Schweiz. Der neue Paragraph 217 bedeutet: Zwei betagte Menschen müssen zum Sterben in ein fremdes Land fahren, sich in die Hände einer Organisation begeben, die sie nicht kennen und der sie auf guten Glauben 20.000 Franken überwiesen haben. Sie kennen weder die Ärzte, die ihnen zum Tod verhelfen noch den Ort, an dem sie sterben werden. Es gibt keinen TÜV für Sterbehilfe, kein Preisregister, keine staatliche Aufsicht. Auch für die Staatsanwaltschaft war das Neuland, erzählt mir Peter Gill. O-Ton Peter Gill Was kostet die eigentliche Sterbebegleitung? Wie sind die Personalkosten? Was sind die Transportkosten? Was sind die Beratungskosten? Was ist die ganze Administration? Da musste man auch schauen: Was wird mit dem Geld gemacht? Bereichert sich allenfalls jemand von einer Organisation? Und das konnten wir ganz klar verneinen. Und wir haben dann das Verfahren mit einer Nichtanhandnahme eingestellt. Warum? Weil wir keine finanzielle Unregelmäßigkeiten feststellen konnten. Autorin 10.000 Franken kostet einen Ausländer der begleitete Freitod - die Abklärung mit den Schweizer Ämtern, Sarg, Leichentransport und Kremation eingerechnet. Für Reisekosten und Hotel muss der Sterbewillige auch selbst aufkommen. Doch kann sich das jemand nicht leisten, übernimmt "Eternal Spirit" die Kosten. Bei fünf von 50 Freitodbegleitungen hat Erika Preisig im vergangenen Jahr auf die Bezahlung verzichtet, sagt sie. Atmo Autorin Auch in der Schweiz muss, wer noch zu gesund zum Sterben ist, selbst aktiv werden und einen harten Suizid riskieren. Nicht selten werden Fälle bekannt, in denen das mit großem Leid einhergeht, jemand erst Tage später unter Schmerzen stirbt oder sogar überlebt. Bekannte erzählen mir von einem Schweizer Paar, das seit Jahrzehnten Mitglied im Verein EXIT war. Trotzdem wurde ihnen keine Sterbehilfe gewährt, weil beide - den internen Richtlinien nach - noch zu gesund waren, um sterben zu dürfen. Altersmüde zu sein, ohne größere gesundheitliche Einschränkungen, reicht da offenbar nicht. Daraufhin nahm das Paar sich im Frühjahr ohne fremde Hilfe das Leben. Ich verabrede mich mit ihrem Sohn und verspreche ihm, seinen Namen nicht zu nennen. Die Staatsanwaltschaft hat ihre Ermittlungen noch nicht abgeschlossen. Wir treffen uns an einem Ort, wo niemand dem Gespräch zuhören kann. O-Ton Alain B. Die Detektive, also das war noch auf Polizeiebene, haben recherchiert in Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft. Und der zuständige Polizist hat auch mit mir telefoniert und gesagt, sie hätten ein Problem. Weil sie das Medikament nicht gefunden haben im Körper meines Vaters und seiner Partnerin, sagten sie, es hätte manipuliert werden können. Also sie hatten Zweifel. Autorin Zweifel daran, ob sie das Gift tatsächlich selbst eingenommen haben oder ob sie vielleicht jemand beeinflusst oder gar nachgeholfen hat. Ob auch keiner der Söhne vielleicht ein Interesse am Tod des Vaters gehabt haben könnte. Er wäre in diesem Jahr 80 Jahre alt geworden. O-Ton Alain B. Mein Vater wusste schon länger, dass er nicht in einen pflegebedürftigen Zustand kommen wollte, und das war mit ein Grund, dass er sich entschieden hat zu gehen. Und er konnte nicht mit EXIT gehen oder nicht mit einer Sterbehilfeorganisation gehen, weil er nicht in engerem Sinn unheilbar krank war. Autorin Das Paar hatte das Gift auf sich allein gestellt einnehmen müssen. Das bringt nicht nur den Arzt in Gefahr, der das Rezept ausgestellt hatte. O-Ton Alain B. Die haben das Ganze in der Nacht gemacht. Irgendwie hat die Polizei davon erfahren, ist am Donnerstagnachmittag in die Wohnung gegangen - und da lebte mein Vater noch. Er schlief, aber er war noch nicht gestorben. Die Sanitäter haben ihn ins Spital gebracht, und er ist dann zwei Stunden später verstorben. Aber das wäre fast schief gegangen. Autorin Wie das passieren konnte, ist ungeklärt. Das Rezept für Natrium-Pentobarbital wird bei einem begleiteten Suizid grundsätzlich auf 15 Gramm ausgestellt. Das ist eine sehr hohe Dosis, eigentlich reichen schon zwei Gramm, um Atmung und Kreislauf lahmzulegen. Nur wenn es falsch verwendet wird, zieht sich der Prozess des Sterbens quälend lange hin. Aber auch, wenn alles nach Plan läuft, dauert es in seltenen Fällen auch mal 24 Stunden, bis der Herzstillstand eintritt. Der Vater habe das gewusst, erzählt mir der Sohn, und hatte deshalb 36 Stunden Reserve eingeplant: Erst NACH Ablauf dieser Frist sollten die Söhne die Polizei rufen und seine Mail an die Staatsanwaltschaft weiterleiten. O-Ton Alain B. Er hat uns dann geschrieben, nachdem er es uns mündlich auch schon ein bisschen geschildert hatte, dass sie den Mittwoch ganz normal verbringen würden in ihrem Rhythmus und dass sie abends dann, was zum Ritual gehörte, einen Film schauen würden. Dass sie dann irgendwann ins Bett gehen würden und im Vorfeld schon Alkohol trinken würden, um mit der Situation umzugehen. Ich weiß nicht genau, was der Zweck. Und dass sie diese Antibrechtabletten nehmen müssten. Und dann wollten sie im Bett diese Medikamente einnehmen, die sie in Apfelmus gemischt hatten. Das war ihre Absicht. Also wir hatten ein erstaunliches präzises Bild, wie sie vorhatten zu gehen. Autorin Dass die Familie vom geplanten Freitod weiß, ist für die Ärztin und Sterbebegleiterin Erika Preisig unerlässlich. Sie ist an die ärztliche Schweigepflicht gebunden, darf also mit den Angehörigen nicht sprechen. Wenn jemand befürchtet, die Familie wolle den Freitod verhindern, sagt Erika Preisig, dann soll er oder sie mindestens einen Abschiedsbrief schreiben. Sie braucht diese Absicherung auch, um die eigene Organisation vor Vorwürfen und im Fall von Klagen zu schützen. O-Ton Erika Preisig Die Angehörigen müssen informiert sein, sonst mache ich die Freitodbegleitung nicht. Für mich zeugt es auch von einer Unreife, wenn man sich aus dem Leben davonschleicht und die Angehörigen nicht informiert. Ich kann das nicht akzeptieren. Der Unterschied zwischen Suizid und Freitodbegleitung ist ja gerade auch der, dass man sich verabschieden eben kann. Ich finde es schon sehr, sehr anspruchsvoll für die Kinder, wenn beide Elternteile zusammen gehen. Man verliert beide miteinander. Das ist noch schwieriger, als wenn man sie nacheinander verliert. Autorin Heute ist ein Feiertag in der Schweiz. Ich besuche Erika Preisig zuhause. Die Hausärztin führt eine eigene Praxis und lebt im Umland von Basel. Kinder und Enkel sind zu Besuch. Im Wohnzimmer steht ein Krankenbett, ihre pflegebedürftigen Schwiegereltern leben mit im Haus. Erika Preisig holt sich einen Tee aus der Küche, setzt sich an den Schreibtisch und greift zu einem Blatt Papier. Bevor sie beginnt, von sich zu erzählen, schreibt mir die 57-Jährige Namen und Kontaktadressen ihrer Gegner auf. Immer wieder wird gegen sie und ihre Organisation Anzeige erstattet. Nach Deutschland reist sie vorsichtshalber gar nicht mehr, weil sie befürchtet, man könnte sie an der Grenze verhaften. O-Ton Erika Preisig Für mich wäre es das Horrorszenario, wenn jetzt ein Sohn sagt: Vater, du gehst sicher nicht ins Pflegeheim, dann erben wir nichts. Dein Haus muss verkauft werden, das Geld ist sofort weg, wenn du im Pflegeheim bist. Komm, da hat es doch noch Frau Preisig, das ist doch viel angenehmer. Du bist jetzt 80, was willst du da noch? Das wäre für mich absolut schrecklich, wenn mir das mal passieren würde, und ich würde nachher nachträglich hören oder sogar sehen können, was hier passiert ist. Autorin In ihrem Alltag erlebt die Ärztin eher etwas anderes, dass Ehepartner oder Kinder versuchen, einen Suizid zu verhindern oder zumindest, das Sterbedatum hinauszuzögern, indem sie sich weigern, mit in die Schweiz zu reisen. Die Ärztin versteht das, aber sie hofft trotzdem immer, dass die Angehörigen doch noch den Wunsch zu sterben akzeptieren können - und die Sterbewilligen bis zuletzt begleiten. Musik Autorin Und tatsächlich: Gerda Bleibtreu schreibt mir, dass sich ihre gemeinsame Tochter entschieden hat, in die Schweiz mitzukommen. Ich bin erleichtert: für die Familie Bleibtreu, aber auch für mich, dass ich ihre Leichen doch nicht identifizieren muss. Mehr erfahre ich aus der Mail nicht. Und mit mir persönlich sprechen will die Tochter da noch nicht. Atmo Autorin Nur noch ein Tag bleibt bis zum geplanten Sterben. Gerda und Hubert Bleibtreu sind gestern in ihrem Hotel angekommen. Erika Preisig ist auf dem Weg dorthin, sie will dem Paar den genauen Ablauf für morgen erklären. Sie nimmt mich im Auto zu dem Gespräch mit. Heute Nachmittag, erklärt sie mir, müssen noch zwei Schweizer Ärzte jeweils einzeln mit den beiden sprechen. Erst wenn alle zustimmen, dürfen Gerda und Hubert Bleibtreu morgen tatsächlich sterben. Nur die Tochter ist nun offenbar doch nicht mitgekommen. O-Ton Erika Preisig Das war so ein Hin-und-Her - also es wurde mir so mitgeteilt. Und ich habe gesagt, wir müssen aber jemanden haben, der die Identifikation macht nach dem Ableben. Und dann hat die Tochter zugesagt mitzukommen. Und jetzt hat mir aber das Ehepaar gesagt, sie haben der Tochter gesagt, sie solle nicht mitkommen. Weil sie den Eindruck hatten, die Tochter sei damit überfordert. Autorin Das wusste ich nicht. Auch Erika Preisig hat es erst gestern erfahren. O-Ton Erika Preisig Ich hatte den Eindruck, dass es eine Entlastung ist für die beiden, dass die Tochter nicht dabei ist. Aber ich frage mich, ob es nicht schwierig ist für die Tochter, dass sie nicht mit dabei sein darf. Und das ist etwas, das mir ein bisschen missfällt. Ich hätte die Tochter gerne dabei gehabt. Ich finde es nicht gut, wenn die Eltern darüber bestimmen, dass die Tochter nicht dabei sein darf. Autorin Gerda Bleibtreu sitzt kerzengerade auf einem Stuhl in der Hotel-Lobby, ihr Mann wartet auf dem Zimmer. Das Hotelpersonal soll nichts vom Grund ihrer Reise in die Schweiz erfahren, also setzen wir uns in ihr Zimmer zwischen Bett und Kleiderschrank. Die beiden wirken auf mich ruhig und gefasst. O-Ton Gerda Bleibtreu Wir haben mit unserer Tochter Diskussionen gehabt. Sie wollte uns begleiten, dann wollte sie nicht. Dann wollte sie wieder. Zuletzt haben wir gesagt: Bitte, fahr nicht mit uns. Das wird uns auch zu schwer. Autorin Sie haben ihrer Tochter die Entscheidung tatsächlich aus der Hand genommen. So nachvollziehbar das aus ihrer Sicht sein mag, ich stelle mir das für die Tochter schwierig vor: ausgeschlossen zu sein von den letzten Stunden der Eltern. Ebenso wie für all die Freunde und Nachbarn, denen die beiden nichts gesagt haben. O-Ton Hubert Bleibtreu Es ist natürlich ein trauriges Gefühl mit den Menschen, mit denen man gerade umgeht, wenn man sie zum letzten Mal sieht. Und wir sagen ja nichts. Also für mich war das Gefühl: Es ist eine schwere Zeit, aber da müssen wir durch. O-Ton Gerda Bleibtreu Also während der letzten 14 Tage hatte ich das Gefühl, es wird jetzt schwierig. Weil unsere Freunde sich mit uns treffen wollten und auch getroffen haben. Und dann wurde gesprochen über ganz alltägliche Dinge. Es wurde über die Enkel gesprochen, über die Schmerzen im Kniegelenk gesprochen. Also das normale Leben haben wir weitergeführt und gleichzeitig hatten wir andere Vorstellungen im Kopf - und das kreuzte sich. Das war sehr, sehr schwierig. Also am liebsten hätten wir den anderen reinen Wein eingeschenkt. Aber es wäre garantiert das Argument gekommen: Aber wir helfen Euch doch. Ihr fallt uns doch nicht zur Last. Auch wenn ihr todkrank werdet. Und dann kommt man in diese Verteidigungshaltung. Und das wollte ich nicht. Autorin: Gehen ganz ohne Abschied, ohne Erklärung? O-Ton Gerda Bleibtreu Ich lese mal gerade diesen Brief vor, den unsere Tochter verteilen wird an Freunde und Verwandte. Das ist ein kleines Stückchen. "Liebe Freunde, Verwandte und Nachbarn, einige von Euch werden schockiert sein, wenn Ihr diesen Brief lest, einige werden sagen, es überrascht uns nicht. Sie haben oft genug davon gesprochen. Ja, so ist es. Wir sind nicht bereit, die Lasten, die uns das Alter schon jetzt aufbürdet, weiter zu tragen. Für uns ist es ein Geschenk, dass wir nach fast 49 Ehe Jahren gemeinsam einschlafen dürfen. Und dankbar sind wir, dass es uns die Gesetzgebung in der Schweiz ermöglicht, von einer Freitodbegleitung Gebrauch zu machen. Liebe Freunde, wir danken Euch, dass wir ein Stück unseres Weges mit Euch zusammen zurücklegen durften. Behaltet uns lieb - auch, wenn Ihr uns nicht ganz verstehen solltet." Autorin Wieder fällt mir auf, wie klar und entschlossen die Bleibtreus sind. Noch einen Tag vor dem geplanten Tod: kämpferisch, fast missionarisch. O-Ton Gerda Bleibtreu Diese Pflege, dieses Dahinsiechen, das wäre unmöglich. Ich bin autonom. Und ich will entscheiden, wann ich gehe. Und das lasse ich mir von keinem Arzt und keiner Kirche vorschreiben. Ich entscheide, ich will gehen. Und ich bin also dankbar, dass es hier in der Schweiz möglich ist. Autorin Erika Preisig macht sich noch ein paar Notizen, dann legt sie den Laptop zur Seite: O-Ton Erika Preisig Also wir werden morgen beiden eine Infusion stecken, mit Kochsalzlösung, da passiert überhaupt nichts. Und ich sage das jedem - auch wenn ich nicht daran glaube, dass Sie das nicht durchführen - ich sage jedem, im Moment, wo wir die Infusion gesteckt haben und das Kochsalz läuft, kann man immer noch Nein sagen. Kann man immer noch sagen: Jetzt machts mir plötzlich Angst, ich habe den Mut verloren, ich will wieder nach Hause gehen. Dann bauen wir alles ab, passiert nichts und Sie gehen nach Hause. Autorin Die Bleibtreus nicken, schweigen. O-Ton Erika Preisig Wir werden dann, wenn die Infusion liegt und gut läuft, werden Sie üben, das Ventil der Infusion selbst aufzumachen. Und wenn Sie das gut können, das ist ganz einfach, machen wir das Ventil ganz zu, schütten das Medikament in den Beutel der Infusion. Und danach dürfen absolut nur sie, jeder nur noch seine Infusion berühren. Wir dürfen die Infusion nicht mehr berühren. Das ist ganz wichtig, weil Sie bestimmen den Zeitpunkt - und ob Sie das aufmachen oder nicht. O-Ton Hubert Bleibtreu/ Erika Preisig HB: Wer ist zuerst? Die Frau kommt zuerst dran? Oder ich? - EP: Derjenige darf zuerst öffnen, dessen Infusion langsamer läuft. Dann schlafen Sie nachher vielleicht gemeinsam ein. - HB: Aber Sie sagen uns das? - EP: Das sage ich Ihnen. Autorin Keine Angst spüre ich bei den beiden - vielleicht ein wenig Ungeduld. Fürchten sie sich denn gar nicht vor dem Tod? O-Ton Gerda und Hubert Bleibtreu Nein überhaupt nicht, gar nicht, bei mir kam kein Zweifel mehr auf. - Bei mir auch nicht, weil die Wackligkeit der Beine immer größer wird. - Ich habe im Moment das Gefühl, ich bin hier in Kur. Es ist so friedlich hier oben, aber. Ich bin mit mir eins, ich habe keine Bedenken, dass es falsch sein könnte, was wir machen, wozu wir uns entschlossen haben. - Kann ich nur bestätigen, genau das Gleiche. Atmo Autorin Am nächsten Morgen wache ich mit dem seltsamen Gefühl auf, zu spät dran zu sein. Dabei ist es noch nicht mal sieben Uhr früh. Um 10:15 Uhr bin ich mit Erika Preisig verabredet, dann werden Gerda und Hubert Bleibtreu schon nicht mehr bei Bewusstsein sein, vielleicht schon nicht mehr leben. Die Ärztin hatte mir erklärt, sie setze die Sterbebegleitungen bewusst so früh an, um sie den Arbeitszeiten der Behörden anzupassen. Ich bin froh, dass ich die Leichen der Bleibtreus doch nicht identifizieren muss. Im letzten Moment hat sich ihr Pfarrer dazu bereit erklärt. Er will die beiden am Ende nicht im Stich lassen, obwohl er ihre Entscheidung nicht teilen kann. Atmo Autorin Ich nehme Bus und S-Bahn und laufe noch eine Viertelstunde im Regen durch das trostlose, graue Gewerbegebiet. Trotzdem komme ich eine Viertelstunde zu früh. Die Ferienwohnung liegt im ersten Stock über einer Werkstatt, eine Treppe führt nach oben auf eine Terrasse. Nebenan arbeitet ein Versicherungsmakler, es gibt ein Parkhaus, einen Bratwurststand. Ich streiche um das Haus und suche ein Vordach, das mich vor dem Regen schützen könnte, schaue auf die Uhr. Ob sie das Gift jetzt wohl schon eingenommen haben? Dreißig Sekunden dauert es, hat man mir gesagt, bis Natrium-Pentobarbital über die Infusion ins Blut gelangt ist und man einzuschlafen beginnt. Autorin Erika Preisig öffnet die Tür und nickt mir wortlos zu. Dann greift sie zum Telefon und informiert die Polizei von der Freitodbegleitung. Die Tür zum Hinterzimmer steht offen: Gerda und Hubert Bleibtreu liegen auf ihren Betten, reglos, die Augen offen, noch im Tod halten sie sich an den Händen. Atmo Autorin Nachdem sie aufgelegt hat, hält Erika Preisig kurz inne, streift sich die zierliche Armbanduhr vom Handgelenk und legt sie neben das Telefon auf den Tisch. Heute könnte es noch mühsam werden. Bei einer sogenannten ‚Doppelbegleitung' sind die Schweizer Behörden besonders streng. Und heikel war zudem: Gerda Bleibtreu hatte darauf bestanden, sich ein Stirnband um Kopf und Kinn zu binden, damit ihr Mund nach dem Tod nicht offenstehe, erzählt mir Erika Preisig. Für die Gerichtsmedizin könnte das nach Strangulation aussehen. Autorin Eine halbe Stunde später kommen zunächst zwei Polizisten, um den Tatort zu bewachen, kurz darauf dann Gerichtsmedizin und Staatsanwaltschaft. Sie schließen die Tür zum Hinterzimmer, um die Leichen zu untersuchen. Dann lassen sie sich die Papiere aushändigen und schauen sich das Video an. O-Ton E Preisig/G Bleibtreu. Ich habe ihnen eine Infusion gesteckt. Wissen sie was passiert, wenn sie diese Infusion öffnen? - Dann sterbe ich. Autorin Im Regen laufe ich zurück durchs Gewerbegebiet zum Bahnhof von Liestal. Erst im Zug merke ich, wie durchnässt ich bin. Am Tag vor ihrem Tod hatte mir Gerda Bleibtreu noch einen Zettel in die Hand gedrückt mit der Adresse ihrer Tochter. Ich beschließe, ihr einen Brief zu schreiben und sie um ein Gespräch zu bitten. Tatsächlich sagt sie zu - und wir treffen uns ein paar Tage nach dem Tod ihrer Eltern Mitte Juni. Johanna Bleibtreu organisiert gerade die Trauerfeier und ist noch ziemlich aufgewühlt. Deshalb möchte sie auch nicht, dass ich unser Gespräch aufzeichne. Atmo Autorin Ein halbes Jahr später aber ist sie bereit, nochmal mit mir zu sprechen - diesmal darf ich auch aufnehmen. An einem Nachmittag im Advent besuche ich sie zuhause, ihre Töchter sitzen im Wohnzimmer bei den Hausaufgaben. Wir ziehen uns unters Dach zurück. Johanna Bleibtreu wirkt erschöpft, angespannt. Sie bittet mich, für sich und ihre Eltern einen anderen Namen zu verwenden. Nicht, weil die etwas Unrechtes getan hätten, wozu man nicht öffentlich stehen könne. Aber sie sei müde vom Erklären, sagt sie, und wolle nicht auch noch von Fremden auf das Thema angesprochen werden. O-Ton Johanna Bleibtreu Also ich habe nur ganz selten: "Herzliches Beileid" gehört - also: NUR "Herzliches Beileid, einfach nur: "Es tut mir leid für dich." Sondern es kam eigentlich fast immer: "Mit großer Bestürzung haben wir erfahren.." oder "Theoretisch wussten wir.., aber warum denn schon jetzt?" Da spüre ich dann schon so einen Angriff auf meine Eltern. Und das kann ich nicht zulassen. Und es ärgert mich auch, dass so viele sich anmaßen, da ein Urteil fällen zu können oder das bewerten zu dürfen. Das macht mich sauer. Autorin Sie selbst war ja auch dagegen - trotzdem hat sie versucht, sich nicht in die Entscheidung ihrer Eltern einzumischen. Johanna Bleibtreu spricht kontrolliert, wägt ihre Worte genau ab. O-Ton Johanna Bleibtreu Dieser Spagat, der bei dieser Entscheidung entsteht zwischen einerseits: Respektieren des Wunsches des anderen und dadurch auf der anderen Seite das eigene Gefühl zurückstellen, ist ja schon so. Natürlich wollte ich eigentlich nicht, dass sie sterben - obwohl ich verstanden habe, dass sie das wollen. Und aus dem Spagat kommt man einfach nicht raus. Autorin Ich kann mir kaum vorstellen, dass sie nicht versucht hat, ihre Eltern doch noch umzustimmen: O-Ton Johanna Bleibtreu Doch, immer wieder. Das ist ja auch eine Sache der Tagesform, wo man sagt: Guck doch mal, wer sitzt nicht alles im Rollstuhl? Es gibt doch so viele Leute, die damit zurechtkommen. Was ich im Nachhinein als absolut übergriffig empfinde, jemandem so etwas einreden zu wollen. Das muss doch jeder für sich wissen, was er ein unakzeptables oder ein akzeptables Leiden für sich findet. Musik Absage: Sterben nach Plan Protokoll einer letzten Reise Ein Feature von Stefanie Müller-Frank Sie hörten eine Co-Produktion des Deutschlandfunks mit dem Westdeutschen Rundfunk 2017. Es sprach: Sigrid Burkholder Ton und Technik: Ernst Hartmann und Jens Müller Regie: Matthias Kapohl Redaktion: Karin Beindorff Musikausklang 1 1