Hörspiel Feature Radiokunst Feature "Wir haben uns vor diesem Sommer nicht gekannt" Aufstand in Belarus Autorin: Inga Lizengevic Regie: die Autorin Redaktion: Wolfgang Schiller Produktion: Deutschlandfunk 2020 Erstsendung: Dienstag, 01.12.2020, 19.15 Uhr Wiederholung: Dienstag, 10.08.2021, 19.15 Uhr Wiederholung: Dienstag, 13.08.2024, 19.15 Uhr Es sprachen: Anna Grisebach, Lisa Hrdina, Bettina Kurth, Inka Löwendorf, Cornelia Schönwald, Boris Aljinovic, Philipp Engelhardt, Wilfried Hochholdinger, Marlon Kittel, Wanja Mues und die Autorin Ton: Jean Szymczak Redaktionelle Mitarbeit: Dörte Fiedler Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. (c) - unkorrigiertes Exemplar - Musik Autorin: "?? ?? ????? ???? ????? ?? ????? ????" - "Wir haben uns vor diesem Sommer nicht gekannt." Diese Zeile sehe ich immer wieder auf den Plakaten der Demonstranten. Eine Kuschelrockschnulze aus den frühen 2000-ern. Musik Autorin: Zu diesem Soundtrack bin ich am 9. August 2020 in Berlin zum Treptower Park gefahren. Mit 39 bin ich in diesem Jahr zum ersten Mal wählen gegangen. Weil ich zum ersten Mal dachte, mit meiner Stimme etwas verändern zu können. Ich hatte nicht gehofft, dass die Stimme korrekt gezählt würde - so naiv bin ich nicht. Ich bin zur Wahl gegangen, um die anderen Wähler zu sehen, und mich ihnen zu zeigen. Wir hatten uns verabredet: Ein weißes Bändchen am Arm, den Stimmzettel zu einer schmalen Ziehharmonika gefaltet. Die Schlange reichte von der Botschaft um die Straßenecke herum und noch einen halben Block weiter - Wartezeit drei Stunden. Ähnliche Schlangen gab es vor vielen Botschaften, vor den Wahllokalen daheim waren sie länger. Nach Jahren des Boykotts hatten wir das Experiment gewagt - wir wollten wissen wie viele wir tatsächlich sind. Als wir da standen, konnten wir es selbst kaum glauben - reihenweise weisse Bändchen, die durchsichtigen Urnen später voll mit schmalen Ziehharmonikas - ganz klar die Mehrheit. Musik 00_Ansage Sprecher 5: "Wir haben uns vor diesem Sommer nicht gekannt" Aufstand in Belarus ein Feature von Inga Lizengevic 01_O-Ton Maria Moroz Sprecherin 1 Es ging damit los, dass die anderen Länder Covid-Maßnahmen eingeleitet haben. Bei uns hieß es, dass sei keine Krankheit, Traktor und Vodka seien die beste Medizin. Die Menschen wurden nicht geschützt, und die Menschen starben. Autorin: Maria Moroz, Unternehmerin aus Minsk. 02_O-Ton Jurij Rovovoj Sprecher 1 Im März wurde uns gesagt, dass die Produktion angehalten wird. Es war auch so klar, dass sich die Produktion nicht rentiert. Autorin Jurij Rovovoj, Mitarbeiter des belarussischen Stickstoffdünger-Herstellers Grodno Azot. 03_O-Ton Jurij Rovovoj Sprecher 1 Bezahlt wurde nur noch der Grundlohn, zeitweise nur 2/3 davon. Da fing es an. Uns wurden Märchen erzählt, dass alles gut sei und wir es später wieder auf die Reihe kriegen würden. 04_O-Ton Maria Moroz Sprecherin 1 Die Geschäfte brachen ein. Es gab keine Unterstützung. Wir haben unsere Kinder nicht mehr in die Schule und zur Kita geschickt. Die Eltern wurden eingeschüchtert, sie sollten ihre Kinder doch zur Schule bringen. Wir haben es aber nicht getan. Warum sollten wir das Risiko auf uns nehmen? Weshalb? Nur weil Lukashenko sich das wünscht? 05_O-Ton Jurij Rovovoj Sprecher 1 Noch vor einigen Jahren hat meine Mutter gemeint: Warum soll man schlecht über ihn reden, über Lukashenko also. Bis ich ihr zu Weihnachten einen internetfähigen Fernseher geschenkt habe. Das hat alles verändert. Sie hat erfahren, dass es nicht nur das staatliche Fernsehen gibt, sondern auch Youtube-Kanäle. Und dann hat sich ihre Rhetorik verändert. Sie meinte auf ein Mal, man solle etwas ändern. Atmo_02 You-Tube-Kanal (Ansage Tikhanovskij: Sprecher 2 Das hier ist Belarus. Eines der besten Länder zum Leben) 06_O-Ton Maria Moroz Sprecherin 1 In Sergej Tikhanovskijs Youtube-Kanal ging es anfangs um Business-Themen. Da wir auch Geschäftsleute sind, haben wir uns das angeschaut. Meistens hat er einen Geschäftsmann besucht, und es ging darum, wie der seine Firma aufgebaut hat. Und in fast jeder Sendung wurde klar, dass die Probleme in unserem Land damit zusammenhängen, dass die Gesetze nicht für das Business, nicht für die Menschen, sondern nur für einen gut sind. 07_O-Ton Jurij Rovovoj Sprecher 1 Ich habe Tikhanovskijs Sendungen auf Youtube angeschaut, und, obwohl er mir nicht besonders sympathisch war, fand ich gut, was er macht. Weil es an der Zeit war, dass jemand die krankhaften Sachen in diesem Staat aufdeckt. Weil das staatliche Fernsehen zeigt, dass alles gut ist. Wo Lukashenko hinkommt, ist alles gestrichen und hergerichtet, Arbeiter und Ärzte stehen in schönen Uniformen da... 08_O-Ton Maria Moroz Sprecherin 1 Und dann hat Sergej in seiner Sendung gesagt, dass er kandidieren will und eine Initiativgruppe braucht. Wir haben uns in der Küche beraten und beschlossen, dass einer von uns mitmacht. Einer von uns war ich, weil ich schnell schreibe. Wir haben uns angemeldet, aber gleich am nächsten Tag wurde Sergej verhaftet. Es wurde schnell klar, dass er sich wahrscheinlich nicht registrieren lassen kann, und dass Svetlana Tikhanovskaja an seiner Stelle kandidieren würde. Unser erster Gedanke: das war´s. Wir wollten, dass es Sergej wird... Aber dann haben wir gedacht, sie ist doch seine Frau, dann sind wir für sie. Ich kannte Svetlana nicht. 09_O-Ton Svetlana Tikhanovskaja Sprecherin 2 Ich bin 10 Jahre zu Hause geblieben, weil unser erstes Kind eine Behinderung hat... Ich habe das übrigens bisher niemandem erklärt.Ich wollte nicht dafür bemitleidet werden. Autorin: Svetlana Tikhanovskaja. 09_a_O-Ton Svetlana Tikhanovskaja Wenn ich als Hausfrau mit Bouletten bezeichnet werde, bitte schön. Ich war damals nicht aktiv - weder in der Politik, noch sonstwie. Mein Mann war Geschäftsmann, er hatte sein eigenes Studio und hat Werbung produziert. Vor zwei Jahren wollte er ein Haus kaufen, und ist dabei auf die Korruption und die Bürokratie gestossen. Das war der Beginn seiner politische Kariere... 10_O-Ton Jurij Rovovoj Sprecher 1 Ich habe mich auch früher für Politik interessiert, doch ich habe nie darüber gesprochen, nie in der Öffentlichtkeit darüber diskutiert. Nicht aus Angst, sondern weil ich das Gefühl hatte, die anderen würde das nicht interessieren. Es hieß, es wird eh alles ohne uns entschieden. Und wenn das so ist, hat es keinen Sinn sich darüber zu unterhalten. Atmo_03 11_O-Ton Pavel Latuschko Sprecher 4 Es ist eine Diktatur. Alle Richter, angefangen von den Bezirksgerichten bis zum Obersten Gericht werden von der einen Person ernannt. Das gesammte Verfassungsgericht wird von der einen Person ernannt. Autorin Pavel Latuschko war Botschafter der Republik Belarus in Polen und in Frankreich. Dann war er Kulturminister, und zuletzt Intendant des renomierten Kupala-Theaters in Minsk. Er wurde entlassen, nachdem er die brutale Gewalt gegen friedliche Demonstranten öffentlich kritisiert hatte. 12_O-Ton Pavel Latuschko Sprecher 4 Das Parlament, die Abgeordneten - lassen sie uns offen reden - die werden nicht gewählt. Vor den Wahlen wird für jeden Wahlbezirk eine Liste mit Kandidaten vorgelegt. Und Aleksandr Lukashenko höchstpersönlich markiert die Namen derjenigen, die gewählt werden sollen mit Häkchen. Und glauben sie mir, es ist nicht ein einziges Mal jemand anderes gewählt worden. Die örtlichen Behörden tun alles, um das sicherzustellen. Die Angst regiert das Land. Atmo_04 Demo 13_O-Ton Svetlana Tikhanovskaja Sprecherin 2 Vielleicht muss man erklären, dass man bei uns 100.000 Unterschriften sammeln muss, um für die Präsidentschaft zu kandidieren. Ich war davon überzeugt, dass sie mich nicht mal dafür registrieren würden. Aber dann wurde ich doch registriert. Wahrscheinlich wollten sie sich über mich lustig machen. 14_O-Ton Maria Moroz Sprecherin 1 Unsere Stände zum Sammeln der Unterschriften haben wir in Minsk vor dem Komorovski-Markt gehabt und ich bin täglich hingegangen und habe die Listen ausgefüllt. Die Schlangen waren drei Kilometer lang. Die Menschen kamen eigentlich um für Sergej die Unterschrift abzugeben, aber irgendwie auch für Svetlana. Weil Svetlana ja kandidierte. 15_O-Ton Svetlana Tikhanovskaja Sergej Tikhanovskij, mein Mann, wurde inzwischen entlassen und hat die Leitung der Wahlkampagne übernommen. Er ist quer durch Belarus gefahren um für mich zu werben. 16_O-Ton Jurij Rovovoj Sprecher 1 Bei mir hat sich etwas geändert, als ich gesehen habe, dass andere Menschen sich auch dafür interessieren. Bei dem Treffen mit Tikhanovskij habe ich Kollegen gesehen. Aha, dachte ich, ihr interessiert euch also doch dafür, wenn ihr alle hier in der Schlange steht, um zu unterschreiben... Dann wurde Sergej wieder festgenommen. Atmo_05 Demo 21_O-Ton Techniker Sprecher 2 Paval, etwas näher zu Olga. 22_O-Ton Olga Kovalkova Sprecherin 5 Ich stehe hier auf einem Stapel Mode-Magazine. Wenigstens nicht auf der Verfassung, wie Lukaschenko. 23_O-Ton Techniker Sprecher 2 Kamera bereit, Ton bereit. Paval, bitte ein Mal klatschen. 24_O-Ton Paval Latuschko Sprecher 4 Sehr geehrte Bürger von Belarus. Heute früh hat sich Alexander Lukaschenko zum Präsidenten der Republik Belarus ernannt. Es hat es heimlich gemacht. 25_O-Ton Olga Kovalkova Sprecherin 5 Er hat den Eid auf die selbst geschriebene Verfassung geschworen, bewacht durch den OMON, im engen Kreis seiner Wähler. Autorin OMON - die berüchtigte Spezialeinheit der Polizei 26_O-Ton Pavel Latuschko Sprecher 4 Die Verfassung, auf die er schon wieder gespuckt hat. Schon wieder hat er seine Unzurechnungsfähigkeit bewiesen. 27_O-Ton Olga Kovalkova Sprecherin 5 Die Belarussen haben nicht für ihn gestimmt. Man kann diese Farce nicht Mal als Wahl bezeichnen. Als Atmo weiter laufen lassen Autorin: Ein Flur in der zwölften Etage eines Hotels im Zentrum von Warschau. Der belarussische Koordinierungsrat hat hier Büros gemietet. Pavel Latuschko und Olga Kovalkova sprechen in die Kamera. 28_O-Ton Olga Kovalkova Sprecherin 5 Jetzt ist es Zeit, die wichtigste Frage zu beantworten. 29_O-Ton Pavel Latuschko Sprecher 4 Wen liebst du? 30_O-Ton Olga Kovalkova Sprecherin 5 Ich liebe Belarus. 31_32_O-Ton Olga und Pavel Latuschko Sprecherin 5 Sprecher 4 Das beruht auf Gegenseitigkeit. Autorin Diese in Belarus berühmte Losung stammt von Kastus Kalinouski, dem Nationalhelden aus dem 19. Jahrhundert. Die Vereidigung Lukaschenkos an diesem 23. September 2020 hätte laut Gesetz vom Staatsfernsehen live übertragen werden müssen. Stattdessen gab es später nur eine kurze Meldung in den Nachrichten. Atmo_06 Demo 35_O-Ton Maria Moroz Sprecherin 1 Am 29. Mai wurde Sergej wieder festgenommen. Ich komme vom Unterschriftensammeln nach Hause und mein Mann sagt, Sergej wurde wieder festgenommen. 36_O-Ton Svetlana Tikhanovskaja Sprecherin 2 Seit diesem Tag, dem 29. Mai, habe ich ihn nicht mehr gesehen. Er sitzt in Untersuchungshaft. Es ist ein ständiger Druck. Aber ich habe verstanden dass ich die, die an Sergej geglaubt haben nicht verraten kann. Weil sie jetzt an mich glauben, weil ich statt seiner dort stehe. Später habe ich von vielen gehört, dass sie Sergej vielleicht gar keine Unterschrift gegeben hätten, oder vielleicht auch gar nicht zur Wahl gegangen wären. Aber ausgerechnet die Tatsache, dass ich anstelle meines Mannes kandidiert habe... die Menschen haben erkannt, wenn so etwas in unserer Familie funktioniert, kann es auch im ganzen Land funktionieren. 37_O-Ton Olga Kovalkova Sprecherin 5 Ich habe sogar Anzeige gegen Lukashenko erstattet, weil er bei seinem Auftritt die Frauen als "bedauernswert" bezeichnet hat, und meinte, dass die Verfassung nicht für eine Frau geschrieben wäre, dass eine Frau damit nicht zurecht kommen würde... das ist absoluter Sexismus. Autorin Olga Kovalkova ist Mitglied des Koordinierungsrats. Sie ist eine der wenigen aus Tikhanovskajas Team, die bereits vor dem Sommer 2020 politisch aktiv waren. 38_O-Ton Olga Kovalkova Sprecherin 5 Sobald Lukashenko über eine soziale Gruppe redet, kommt eine Beleidigung. Aber so viele Beleidigungen wie dieses Jahr haben wir noch nie gehört: Schafe, Prostituierte, Junkies, das Völkchen, Bedauernswerte, Ratten... die Anzahl der Beleidigungen ist unglaublich. 39_O-Ton Maria Moroz Sprecherin 1 Samstags und Sonntags hatte ich Angst. Autorin Maria Moroz leitet jetzt das Wahlkampfteam von Svetlana Tikhanovskaja. 40_O-Ton Maria Moroz Sprecherin 1 Immer wieder kamen Minibusse mit Milizionären in zivil. Die stellten sich mit ihren Videokameras um uns herum. Sie folgten uns auch auf dem Heimweg. Ich hatte Angst, nicht zu Hause anzukommen. Atmo_07 41_O-Ton Ivan Kolos Sprecher 5 Die Vorbereitungen begannen eineinhalb Monate vor den Protesten. Bei uns in Gomel fand das auf einer Militärbasis statt. Autorin: Ivan Kolos arbeitete bei der Miliz in einem Bezirk der Stadt Gomel. 42_O-Ton Ivan Kolos Sprecher 5 Es ging darum, Demonstrationen aufzulösen. Es ging darum die Demonstranten zu zerstreuen, sie zu schlagen, die Arme bei der Festnahme zu fixieren. Das wurde gezeigt, wir haben es trainiert. Die Trainings dauerten immer 4-5 Stunden. Die Übungen fanden wöchentlich vom 20. Juni bis zum 23. Juli statt. 43_O-Ton Svetlana Tikhanovskaja Sprecherin 2 Ich wurde ich von einem Unbekannten angerufen. Eine Männerstimme sagte, wenn ich weitermachen würde, würde ich verhaftet werden, die Kinder würden mir weggenommen und ins Heim gesteckt werden. 44_O-Ton Maria Moroz Sprecherin 1 Mein Mann rief an. Er meinte, Svetlana werde die Unterschriften wohl doch nicht einreichen. Da haben wir geglaubt, dass alles umsonst war, die ganzen Unterschriften, die wir seit Mai gesammelt hatten, die Nächte, die wir trotz der Angst durchgearbeitet hatten. Dass so viele von uns festgenommen wurden. 45_O-Ton Svetlana Tikhanovskaja Sprecherin 2 Aber es haben sich Menschen gefunden, die bereit waren zu helfen und die Kinder wegzubringen. So waren die Kinder kein Druckmittel mehr. Ich habe die Unterschriften eingereicht. Selbst wenn sie mich verhaftet hätten, - ich wusste, sie müssen nicht ins Heim. Und mir wurde klar, ein System, das bereit ist, mit solchen Mitteln zu kämpfen, das muss beseitigt werden. Atmo_08 46_O-Ton Jekaterina Sprecherin 3 Vor der Wahl haben wir einen Bezirks-Chat gestartet, in dem wir bestimmte Sachen diskutiert haben. Mit dem ersten Chat haben wir die ersten Aktionen organisiert. Wo trifft man sich? Warum? Was wird gebraucht? Wem kann geholfen werden? Mit Telegram ist das einfach. Bereits vor der Wahl haben Nachbarn Geldstrafen bekommen, und wir haben schnell Geld zusammengelegt, um sie zu begleichen. 47_O-Ton Jurij Rovovoj Sprecher 1 Ich habe mich entschlossen, als Wahlbeobachter mitzumachen, weil klar war, dass man uns hier wieder betrügen wollte. Ich wollte mir persönlich anschauen, wie sie es dieses Mal machen würden. Ich glaube, kaum jemand hat damit gerechnet, dass man so viele Fälschungen aufdeckt, dass es so vielen Menschen nicht egal ist, dass sie sich als Beobachter melden und berichten, welcher Schuldirektor und welcher Werksdirektor die Wahl gefälscht hat. Auch ich habe mich als Wahlbeobachter beworben, für das Wahllokal in dem Haus, wo ich wohnte. Atmo_09 48_O-Ton Jekaterina Sprecherin 3 Ein Nachbarschafts-Chat eignet sich am besten, um die Menschen zu informieren. Wer aus dem Fenster einen Bus mit OMON sieht, schreibt dem Administrator. Der Admin filtert die Informationen, prüft sie, fragt nach Belegen, Fotos... Die Verifikation läuft im Eiltempo, und die Menschen werden innerhalb von wenigen Minuten informiert, dass es besser ist, den Hof zu verlassen oder einfach vorsichtiger zu sein. Atmo_10 49_O-Ton Maria Moroz Sprecherin 1 Dann haben wir uns gerroffen. Maria Kolesnikova, Veronika Tsepkalo, Svetlana Tikhanovskaja und die Teams. Die drei wollten sich besprechen. Eine viertel Stunde später war die Entscheidung getroffen. Die Mädels haben sich zusammengetan und es ging weiter. Wir haben auch eine Crowdfunding - Kampagne ausgerufen... In zwei bis drei Tagen haben wir alles gesammelt. Der Wunsch nach Veränderungen war so groß. Die Wahlveranstaltungen wurden dann von diesem Geld bezahlt. 50_O-Ton Svetlana Tikhanovskaja Sprecherin 2 Ich bin noch nie vor so vielen Menschen aufgetreten. Auf der Bühne war ich in einem Zustand, ich habe kaum realisiert was passiert.... Ich konnte kaum glauben, dass mich so viele Menschen unterstützen. Anfangs habe ich den Text vorgelesen. Sehr emotional, weil das Thema der politischen Gefangenen mich ja persönlich betrifft. Später fiel mir das Reden leichter. 51_O-Ton Jevgenij Ossinskij Sprecher 2 Die Männer aus unserer Abteilung wurden zusammengerufen, und man sagte uns, dass hier Männer fürs Training ausgesucht werden. Uns wurde nicht gesagt, dass es um die Auflösung von Protesten geht, um Vorbereitungen für die Wahl und die Zeit danach, aber allen war klar, dass es darum ging. Wir wurden gefragt, wer aus Gewissensgründen nicht teilnehmen könne. Ich habe die Hand gehoben. 52_O-Ton Svetlana Tikhanovskaja Sprecherin 2 Ich hatte Angst. Aber während der Kampagne war mir bewußt, das wir zu dritt waren. Das die Aufmerksamkeit auf uns drei gerichtet ist. Seitens der Machthaber wäre es aus taktischen Gründen nicht besonders günstig gewesen, zu diesem Zeitpunkt eine von uns zu entfernen. Dennoch hatten wir jeden Tag Angst. Wir hatten immer Rucksäcke mit Kleidung zum Wechseln dabei. Wir hatten mit den Anwälten Verträge geschlossen... weil wir damit gerechnet haben. 53_O-Ton Maria Moroz Sprecherin 1 Bei den Wahlkampfveranstaltungen gab so eine Aufbruchstimmung, wie bei einer Feier, vereint ... Alle Menschen lächelten sich an, Omas, Opas, Menschen in Rollstühlen, ein Gebärdendolmetscher war oft dabei... Es gab auch Verhaftungen. Menschen, die die Veranstaltungen gestreamt haben, wurden festgenommen, überhaupt wurden ab Mai viele Blogger festgenommen. In Minsk gab es beim ersten Treffen 20.000, beim nächsten 60.000 und das dritte fand nicht statt. Eigentlich läuft die Anmeldung über eine Bekanntmachung. Doch plötzlich fanden an dem Tag andere Veranstaltungen statt, ein Kinderfest oder so. 54_O-Ton DJ Vladislav Sokolovskij Sprecher 3 03:18 Am 6 August stand auf unserer Dispo ein Abstecher zum Kinderfest im Kyiver Park. Das war es ein Routineauftrag - ein weiteres Kinderfest, das keiner braucht. Wir haben gerade den Ton aufgebaut, als Olga Kovalkova zu uns kam und fragte, was hier abgehe. Sie hat mir erklärt, dass hier eigentlich eine Wahlveranstaltung geplant war. Da wurde mir klar, woran ich gerade teilnehme, und dass die Menschen nicht zu unserem Kinderfest gekommen sind, sondern um zu protestieren. Da haben wir uns entschlossen, "Wandel, wir warten auf den Wandel!" zu spielen, Viktor Tsois Protest-Song aus den 80-ern, und dazu die weißen Bändchen hochzuhalten. Atmo_11 Musik "Wandel, wir warten auf den Wandel!" Ich habe play gedrückt, bin die Treppe hoch und habe den Arm ausgestreckt - mit einem Stück weißen Stoff, ich hatte kein richtiges Bändchen, wir haben improvisiert. Da sehe ich die Menschenmenge, die auf uns zuströmt mitsingt, jubelt und klatscht. Das alles hat keine 40 Sekunden gedauert... ich hatte direkt beim Refrain gestartet. Und in diesem Augenblick wurde mir klar, dass es ernste Folgen haben würde. Musik Abbruch 55_O-Ton DJ Vladislav Sokolovskij Sprecher 3 Plötzlich war der Sound weg. Später habe ich Aufnahmen gesehen, die zeigen wie der Bürgermeister des Zentralbezirks von Minsk die Kabel aus den Boxen reißt. Atmo_12 Jubeln und Klatschen 56_O-Ton DJ Vladislav Sokolovskij Sprecher 3 Auf der Polizeistation war es seltsam. Es gab ganz viele gleichaltrige, gleichgroße ähnlich aussehende Männer, mit gleichem Haarschnitt, die sich dauernd gegenseitig abwechselten. Der eine fragt nach dem Namen und fängt an zu schreiben, dann übernimnt sein Kamerad, und so weiter... Nachts wurde ich ins Gefängnis Akrestina gebracht. Atmo_13 Demo 57_O-Ton: Frau Sprecherin 3 Haben wir auch eine englischsprachige Version? 58_O-Ton: Frau Sprecherin 4 Klar, Belarussisch, Russisch, Englisch... 59_O-Ton: Mann 1 Sprecher 3 Es geht um die Haltung. Welche Sprache erscheint als erste. Belarussisch oder Russisch? Autorin Vilnius, ein Bürohochhaus 30. September 2020. Die meisten hier in diesem Großraumbüro sind um die 30 und tragen Jeans. Es geht um den Internet-Auftritt von Svetlana Tikhanovskaja, die von manchen als Oppositionsführerin, von anderen als gewählte Präsidentin von Belarus bezeichnet wird. 62_O-Ton: 4:51 Mann 1 Sprecher 3 Alle haben den Vorschlag gehört? Machen wir es so? Der Entschluss ist gefasst! 63_O-Ton: Frau 4 Sprecherin 4 Moment Mal! Die Seite wird ja in Belarus bald blockiert werden, und man wird dann über VPN reingehen müssen... 64_O-Ton: 05:21 Mann Sprecher 3 Aber die Cookies werden es sich schon gemerkt haben. Kein Problem. Autorin Tikhanovskaja nickt, es geht weiter zum nächsten Punkt, dem Auftritt in den sozialen Netzwerken... Ihr Tag ist eng getaktet - Besprechungen, Interviews, Zoomkonferenzen, Treffen mit Staatsoberhäuptern. Erst gestern hat sie Staatspräsident Macron getroffen, ein Treffen mit Kanzlerin Merkel wird nächste Woche stattfinden. Atmo_15 65_O-Ton Maria Moroz Sprecherin 1 Kaum steige ich aus dem Auto, rennt ein riesiger Mann auf mich zu. Ich denke, er will bestimmt ein Foto mit Svetlana machen. In nächsten Augenblick werde ich bereits in einen Minibus gepackt. Er sagt: OMON, sie sind festgenommen. 66_O-Ton Jurij Rovovoj Sprecher 1 Dann wollte ich mich als Wahlbeobachter anmelden. Doch jetzt stand COVID im Weg, das ja von Lukashenko sonst geleugnet wird. Aber Frau Jermoschina, die Vorsitzende der zentralen Wahlkommission hatte die Gefahr erkannt und die Anzahl der Wahlbeobachter auf fünf Personen pro Wahllokal begrenzt. Und - welch ein Zufall - als ich den Antrag eineinhalb Monate vor der Wahl einreiche, stellt sich heraus, ich wäre wohl der 6. Die ersten fünf waren: Mitarbeiter der Bezirksverwaltung, der stellvertretende Generaldirektor für Ideologie, der Leiter der Zeitung Grodno-Chemiker, der nach der Entlassung aus dem KGB sein literarisches Talent entdeckt hat, und deswegen nun die Zeitung leitet. 67_O-Ton Maria Moroz Sprecherin 1 Ich glaube, ich wurde festgenommen, weil ich Ausweise an neue Vertrauenspersonen verteilt habe. Vertrauenspersonen dürfen ohne Voranmeldung in jedes Wahllokal zur Wahlbeobachtung. Das war nicht erwünscht. Im Gefängnis habe ich sieben Wahlbeobachterinnen kennengelernt, die es nicht Mal in die Wahllokale geschafft haben, sondern präventiv festgenommen worden sind. 68_O-Ton Jurij Rovovoj Sprecher 1 Ich war von der Öffnung bis zu Schließung vor Ort. Ich hatte mich mit anderen Hausbewohnern verabredet, um auch die Nacht über Wache zu halten, um den Austausch der Wahlurne zu verhindern. Jeder hat für zwei bis drei Stunden aufgepasst. Ich kam gegen 8 Uhr und habe die Urne mit dem Foto vom Vortag verglichen. Ich habe mich vergewissert, dass die Wahlzettel noch genauso da lagen. 70_O-Ton Pavel Liber Sprecher 3 Ich bin Pavel Liber, Gründer der Plattform "Golos" - "die Stimme". Diese Plattform wurde von Freiwilligen in Belarus entwickelt, um die Zentrale Wahlkommission zu kontrollieren. Bei uns haben sich innerhalb von wenigen Wochen 1,2 Millionen Menschen angemeldet. Sinn und Zweck der Plattform war, dass die Menschen ihre Wahlzettel fotografieren, und sie uns zuschicken. Die Wahlbeobachter haben uns Fotos der offiziellen Protokolle geschickt. So konnten wir Wahlzettel und Protokolle einzelner Wahllokale mit den offiziellen Ergebnissen dieser Wahlokale vergleichen. 71_O-Ton Evgenij Ossinskij Sprecher 2 Am Wahltag, dem 09.August, bin ich zu spät zur Arbeit gekommen, weil ich gewählt habe. Sie brachten eine junge Frau, die angeblich irgendwo die öffentliche Ordnung verletzt hatte. Ich habe mich geweigert, das Protokoll aufzunehmen. Dann hat sich jemand anders gefunden. Sie hatte vor einem Wahllokal gestanden und die Menschen aufgefordert, ihre Wahlzettel genau zu inspiziren, dass es da keine Markierungen gibt, sonst würden diese Wahlzettel für ungültig erklärt werden. Dass die Menschen das Recht haben, ihre Wahlzettel zu fotografieren. Sie hat sie über ihre Rechte aufgeklärt. Die Vorsitzende des Wahlvorstands fand das nicht gut, und hat die Miliz gerufen. 72_O-Ton Anastasiia Kostiugova Sprecherin 4 Zuerst haben wir weiße Bändchen gekauft... Wir kamen in einen Blumenladen und haben gesagt, wir wollen weißes Band kaufen. Die Antwort: Aus einem Meter kriegt man vier Armbändchen - wieviel brauchen sie? Plötzlich war so ein neuronales Netz zwischen den Menschen entstanden. Im Blumenladen wurden uns die Bändchen direkt zurechtgeschnitten. Meine Freundin und ich, wir haben die Bändchen in unserem Bezirk verteilt. Die Menschen kamen scharenweise und wollten welche haben. 73_O-Ton Olga Kovalkova Sprecherin 5 So etwas hat es in den 26 Jahren nie gegeben. Die Menschen standen Schlange, um ihre Stimme abzugeben. Vor meinem Wahllokal war eine Schlange mit 100 Menschen. 100 Menschen stehen Schlange, um einen Wahlzettel zu bekommen. 74_O-Ton Anastasiia Kostiugova Sprecherin 4 Die Beobachter wurden nicht reingelassen. Sie standen draußen. Aber wenn du deinen Wahlzettel in die durchsichtige Urne wirfst, siehst du dass alle, alle Zettel genauso gefaltet sind - zu einer schmalen Ziehharmonika. Atmo_16 75_O-Ton Jurij Rovovoj Sprecher 1 Am 9.8. um 20:00 werden die Türen geschlossen, die Wahl ist vorbei. Von 1200 Wahlberechtigten haben 1050 teilgenommen. Ich versuche reinzukommen, erkläre, dass die Anzahl der Wahlbeobachter im Wahllokal während der Wahl begrenzt sei, aber nun nach der Wahl dürfe ich ja wohl bei der Auszählung dabei sein. Nein. Die Glastüren werden geschlossen, an jeder Tür steht ein Milizionär. Die Bewohner der umliegenden Häuser kommen, um die Protokolle anzuschauen. Wir stehen an diesen Glastüren und beobachten den Wahlvorstand. Und die begreifen, dass sich die Hausbewohner diesmal sehr für die Wahl interessieren. 76_O-Ton Evgenij Ossinskij Sprecher 2 Am Abend des 9. August ging es dann los. Die Menschen sind rausgegangen, um bei ihren Wahllokalen die Ergebnisse anzuschauen. Bei der Hälfte waren die Ergebnisse gar nicht ausgehängt. Dann ging es mit den Massenfestnahmen los. Die Menschen wurden scharenweise zu uns gebracht, fünzig Personen, hundert Personen... Ich habe mich von vorne herein geweigert, Protokolle zu schreiben und weder an den Festnahmen, noch an den Durchsuchungen teilgenommen. 77_O-Ton Jurij Rovovoj Sprecher 1 Der Wahlvorstand hat den Raum eilig verlassen. Sie haben sogar teilweise ihre Sachen vergessen. Alle Schilder wurden im Nu abgerissen, als ob es hier niemals ein Wahllokal gegeben hätte. Der Vorsitzende des Wahlvorstands ging in Begleitung eines jungen Mannes in Sportbekleidung, der ein paar Stunden vorher hier erschienen war. Sie setzten sich in einen Multivan und er fuhr in Begleitung dieses KGB-Mannes im Sportanzug davon. 78_O-Ton Ivan Kolos Sprecher 5 Irgendwie haben sie gedacht, das nur eine Minderheit auf die Straße gehen würde. Aber die Menschen sehen die Menge, die da rausgekommen ist. Das ist nicht wie 2010 oder 2005... Jeder hat ein Handy und filmt alles... es gibt unzählige Videos, wo man sieht, wie viele Menschen auf der Straße sind, und was für schreckliche Sachen die Miliz macht. Ich verstehe meine Kollegen nicht mehr. Wenn man versucht mit einem zu reden, ist er wie benebelt, unter Hypnose. Er meint, nein, das ist alles Vieh, Missgeburten, man sollte sie alle umbringen. Genau das hat mir einer gesagt. Atmo_17 79_O-Ton Mann Sprecher 2 Ruhe! Ruhe! Autorin Die Nacht vom 09. auf den 10. August 2020 vor einem Wahllokal in Minsk. 80_O-Ton Mann Sprecher 3 132 81_O-Ton Mann Sprecher 4 Sind hier Prozente gemeint? 82_O-Ton Mann Sprecher 3 Lukashenko 132 Stimmen! 83_O-Ton Mann Sprecher 2 Ruhe! Ruhe! 84_O-Ton Mann Sprecher 3 Tikhanovskaja 2341 Stimmen. Das bedeutet 90 Prozent. Atmo_18 85_O-Ton Svetlana Tikhanovskaja Sprecherin 2 Dann haben wir erfahren, dass in einem der Wahllokale echte Wahlergebnisse ausgehängt wurden... das waren solche Gefühle! Wir wussten noch nicht, dass das in vielen Wahllokalen passierte. Als uns klar wurde, daß diese Menschen die Kraft hatten, ehrlich auszuzählen und die Ergebnisse auszuhängen, war das ein Fest für uns. 86_O-Ton Ivan Kolos Sprecher 5 Ich habe ein Mitglied eines Wahlvorstands gefragt, wie viele für Tikhanovskaja gestimmt hätten. Er hat mir anvertraut, dass 90% für sie waren, dass sie aber das Gegenteil ins Protokol geschrieben haben. Ich hatte ja gesehen, dass viele Menschen weiße Bändchen trugen, auch ältere... Er hat sich verplappert. Die Wahlvorstände werden immer mit Direktoren von Schulen und von Werken besetzt. Die haben Angst vor einer Kündigung, oder dass sie in den Knast gesteckt werden. 87_O-Ton Jurij Rovovoj Sprecher 1 Als letzte geht die Sekretärin raus und hängt das Protokoll auf. Im Protokol steht, dass 1050 Personen an der Wahl teilgenommen haben. 207 davon waren für Tikhanovskaja, 583 für Lukashenko. Die Menschen, die da stehen, fangen an zu lachen, oder sich an den Kopf zu fassen. 88_O-Ton Olga Kovalkova Sprecherin 5 Um Mitternacht, kurz vor der Pressekonferenz, kamen Anrufe von den Wahllokalen. Tikhanovskaja gewinnt... in vier Wahllokalen, in fünf Wahllokalen... wir begreifen, das System fängt an zu bröckeln. Atmo_19 Demo 89_O-Ton Svetlana Tikhanovskaja Sprecherin 2 Die Journalisten sind während unserer Pressekonferenz aufgestanden und rausgerannt. Wie wir später erfahren haben, um die schrecklichen Ereignisse dieser Nacht zu dokumentieren. In dieser Nacht haben wir nicht geschlafen. Wir haben Schüsse gehört. Und wussten nicht, was los war. 90_O-Ton Ivan Kolos Sprecher 5 Ich war auf einem Platz meiner Stadt im Einsatz. Wir sollten die Proteste auflösen. Wir wurden auf dem Platz rausgelassen und uns wurde gesagt, die Menschen müssen in die Gefangenentransporter gepackt werden. Die Bürger riefen "Miliz, sei mit dem Volk". 91_O-Ton Anastasiia Kostiugova Sprecherin 4 Ich war mit meinen zwei Freundinnen neben dem Stella-Denkmal als wir von Sicherheitskräften umzingelt wurden. Von überall kamen Menschen dazu, gefolgt von OMON mit Schilden. Wohin sollten wir laufen? Wir hatten Angst. Dann haben wir zum ersten Mal die Blendgranaten erlebt, haben Schüsse gehört. Wir waren am Wasser. Da kam ein Boot und zuerst dachte ich, so jetzt werden wir festgenommen. Ein Rettungsschwimmer hat uns angesprochen: Mädels, ihr müsst hier weg, der OMON wird gleich hier sein. - Wir - ja, aber wir sind umzingelt und wissen nicht wohin. - Der Rettungsschwimmer springt rein. Wir bringen euch ans andere Ufer. Da ist es auf jeden Fall ruhiger, als hier. Wir wurden rübergebracht und es war sogar lustig: Oh Gott, wir werden mit dem Boot der Rettungsschwimmer vor dem OMON gerettet. 93_O-Ton Aleksej Sprecher 2 Die Milizonäre haben uns mit Stöcken geschlagen. Wir haben keinen Widerstand geleistet, aber das hat sie nicht gekümmert. Sie haben weiter zugeschlagen. Ich wurde auf den Boden geworfen und geschlagen. Der eine hat sein Knie auf meinen Steis gestellt, der andere den Fuß auf den Hinterkopf. Ich wurde als Spion und Provakateur beschimpft. Sie haben mich im Auto vor den Rücksitz gelegt, zu ihren Füßen, und unterwegs weiter geschlagen. Sie haben gefragt, ob ich Belarus liebe, und gedroht, mir den Schlagstock in den Hintern zu stecken. Warum auch immer. Als wir ankamen, haben sie mir eine Tüte über den Kopf gestülpt, und meine Arme hinten fixiert, bei einem Arm haben sie mir die Bänder gerrissen und es gab einen Riss im Schlüsselbein. 94_O-Ton Ivan Kolos Sprecher 5 Der Plan war, den Protesten mit größter Härte entgegenzutreten. Dass alle Angst bekommen. Dass jeder Mensch Angst hat, dass er geschlagen, misshandelt, verhaftet und gebrochen wird, wenn er zum Protestieren auf den Platz geht. Am 10. August hat mir mein Chef aufgetragen, einen Bericht über Widerstand bei einer Festnahme zu schreiben, obwohl ich gar nicht dabei gewesen war, und niemanden festgenommen hatte. Ich habe mich geweigert. Da hat er hat mich als Hosenscheißer beschimpft. Am diesem 10. August habe ich beschlossen, dass ich nicht länger Teil dieses Systems sein will. Atmo_20 95_O-Ton Pavel Latuschko Sprecher 4 Als ehemaliges Regierungsmitglied kenne ich mich aus. Ich kenne die Menschen, die an der Macht sind. Man sieht in den Sitzungen Männer in Uniform und Männer in zivil. Ich kann ihnen versichern, alle, die da in zivil sitzen, haben unter den Sakos Sterne. Lukashenko positioniert sich als militärischer Mensch. Er möchte gerne als Genosse Oberbefehlshaber angesprochen werden. Armee, militärische Einheiten, Paramilitärs und Sicherheitskräfte sind Machtinstrumente, die er jederzeit einsetzen kann, ohne darüber nachdenken zu müssen. Jeder Befehl wird ausgeführt. Der Verteidigungsminister hat gesagt, man solle jeden Befehl ausführen, ganz gleich ob er verbrecherisch ist, oder nicht. Atmo_21 96_O-Ton Maria Moroz Sprecherin 1 Am 10. August wurden wir zum Gericht gebracht. Als ich anschließend nach Akrestina zurückkam, geriet ich in Panik. Da ist so ein Flur - schmal und lang. An der Wand stehen Menschen hinter einer Linie, orange oder rot, man darf nicht über diese Linie kommen. Man muss mit der Stirn zur Wand und den Händen hinter dem Rücken stehen. Ich kannte den Flur bereits, damals war er leer. Und jetzt sehe ich da 15 oder 20 Menschen, sie bluten, sie sind geschlagen worden, das war tagsüber. Blut überall auf dem Boden. Plastiktüten mit den Sachen der Festgenommenen - der ganze Flur voll mit diesen Tüten... und die Handys klingeln. Die Menschen sind verhaftet worden, aber sie haben ihre Handys nicht abgeschaltet, und die klingeln jetzt durchgehend. Unterschiedliche Melodien. Ich habe dieses Bild noch immer im Kopf... Was passiert in unserem Belarus? Ich kann es nicht fassen. Atmo_23 97_O-Ton Svetlana Tikhanovskaja Sprecherin 2 Hallo Berlin! Autorin Vom 5. bis zum 7. Oktober besucht Svetlana Tikhanovskaja Berlin. Sie trifft Bundeskanzlerin Angela Merkel und Außenminister Heiko Maas. Vor dem Branderburger Tor wird Tikhanovskaja von berliner Belarussen begrüßt. Anschließend geht es zu einer Podiumsdiskusison der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde. Atmo/ Musik Kupalinka / Konferenz 98_O-Ton Svetlana Tikhanovskaja Sprecherin 2 Der Schlüssel zur Lösung der Krise in Belarus befindet sich in Belarus. Wir denken, das nur die Belarussen allein entscheiden können, wie sie ihre Zukunft sehen Aber da wir bereits beobachten, dass sich bestimmte Länder einmischen, rufen wir die Länder denen die Menschenrechte wichtig sind, dazu auf, sich darum zu kümmern, das man sich nicht in unsere innenpolitischen Angelegenheiten einmischt. Sie könnten Möglichkeiten bereit stellen, andere Länder als Mediatoren einladen, um den Dialog innerhalb unseres Landes voran zu treiben. Autorin: Tikhanovskajas Berater Franak Viachorka 101_O-Ton Franak Viachorka Sprecher 4 Russland möchte dass sie denken, der Schlüssel liege in Moskau. Das stimmt aber nicht. Russland möchte vermitteln, damit es das Ticket zurück nach Europa bekommt. Sie werden Deals vorschlagen. Wir werden Belarus in einem Jahr loslassen, dafür verzeiht ihr uns Navalny. Man sollte nicht darauf eingehen. Das ist ein Spiel, Manipulation. Man muss sehr vorsichtig sein. Ohne Moskau würde Lukaschenko keinen Monat überstehen. Wir müssen zwischen Moskau und Minsk eine Firewall aufbauen, damit es für Putin teurer wird, sich da einzumischen. Dann wird das Lukaschenko-Regime innerhalb von zwei Monaten stürzen. Und Svetlana Tikhanovskaja wird dafür sorgen, das Neuwahlen stattfinden. Atmo_24 102_O-Ton Maxim Sprecher 1 Die Tür geht auf und ein Uniformierter kommt rein. Er sagt raustreten, Sachen suchen. Ich hoffe, dass sie keinen Platz mehr haben und uns gehen lassen. Ich komme als erster raus und sehe, am Ende des Korridors steht viel OMON. Da heißt es bewegt euch. Ich gehe am ersten OMON vorbei und bekomme einen Schlag auf den Solarplexus. Da stehen noch ganz viele von denen den Korridor entlang. Du rennst durch die Reihe und kriegst Stockschläge auf den Rücken, auf die Beine, Faustschläge... du rennst in den Gefangenentransporter rein, und da sind bereits ganz viele Menschen drin. Du denkst, da passt doch keiner mehr rein, aber es werden noch mehr reingestopft... Wir stehen buchstäblich auf einem Bein. Manche werden ohnmächtig, weil die Luft nicht reicht. Dann geht es in die Zelle. In der Zelle sind wir 126 oder 127 Personen. Wir stehen dicht nebeneinander, wie Pinguine. Unklar, was als nächstes kommt. Es gibt Menschen, die bereits vier Tage in dieser Zelle sind. Dann fangen sie an, kleine Gruppen von Menschen rauszuführen. Wir hören die Schläge und die Schreie. Das Zuhören tut weh. 103_O-Ton DJ Vladislav Sokolovskij Sprecher 3 Am dritten Tag habe ich Besuch im Gefängnis. Ich weiss nicht, wer dieser Mensch ist. Er ist in Zivil, hinter ihm sind noch weitere Menschen. Dann heißt es "Gesicht zur Wand". Er fragt seine Begleiter, ist er das? Sie meinen ja. Er meint, du hast das Lied gespielt? Du willst den Wandel? Wegen dir sind Menschen auf die Straße gegangen, wegen dir wurden Menschen verletzt, liegen in Krankenhäusern. Und ich wusste nicht, was die letzten Tage passiert war. Sei bereit, meinte er. Für dich fängt es erst an. Du wirst 10 Jahre bekommen. Er geht raus und meint: "Wieso sitzt er hier wie auf Kur? Macht es richtig." 104_O-Ton Jekaterina Sprecherin 3 Als die Videos von den Folterungen veröffentlicht wurden. Als die Verhafteten rauskamen, grün und blau geschlagen... Es gab es keinen Belarussen, der da nicht persönlich jemanden kannte. Da haben alle das Ausmaß der Verbrechen gesehen, und da verschwand plötzlich die Angst. Weil man so nicht leben kann. Atmo_25 105_O-Ton Tikhanovskaja Sprecherin 2 Wir tun alles, was nur möglich ist, damit ihr schneller befreit werdet. Ich weiß nicht, wie lange es dauern kann. Aber wir hoffen, dass es bald passiert. Autorin Am 10 Oktober bekommt Svetlana Tikhanovskaja einen Anruf von ihrem Mann aus dem Gefängnis. Den ersten seit seiner Verhaftung vor vier einhalb Monaten. 106_O-Ton Sergej Tikhanovskij Sprecher 2 Ich habe Macron gesehen, Merkel... 107_O-Ton Tikhanovskaja Sprecherin 2 Das sind gute Menschen. Sie unterstützen uns. Sie erkennen diesen Menschen nicht als legitim an. Sie glauben an unseren Sieg. Weil wir auf der guten Seite sind. 108_O-Ton Sergej Tikhanovskij Sprecher 2 Das ist gut. Ich glaube, alles wird OK. 109_O-Ton Tikhanovskaja Sprecherin 2 Ich glaube auch. Vielleicht, kann ich dich bereits irgendwo abholen? 110_O-Ton Sergej Tikhanovskij: Sprecher 2 Nein. 111_O-Ton Tikhanovskaja Sprecherin 2 Nein. 112_O-Ton Sergej Tikhanovskij: Sprecher 5 Du solltest irgendwie härter sein. 113_O-Ton Tikhanovskaja Sprecherin 2 Härter? Ich mache mir einfach Sorgen um alle, die im Gefängnis sind... Härter sein... Ich möchte nicht, dass es euch irgendwie trifft... Also, werden wir härter... Atmo_26 114_O-Ton Ivan Kolos Sprecher 5 Ich, Kolos Ivan habe bis zum 13. August 2020 als Milizionär gearbeitet. Am 12. August habe ich eine Videoansprache aufgezeichnet, die auf vielen Telegramkanälen veröffentlicht wurde. 115_O-Ton Evgenij Ossinskij Sprecher 2 Am 14. August bin ich aufgewacht und habe beschlossen, genug ist genug. Ich bin zur Arbeit, habe die Waffe abgegeben, die Papiere, und bin gegangen. Dann habe ich erfahren, dass ein Verfahren gegen mich eingeleitet werden könnte. 116_O-Ton Ivan Kolos 28:45 Sprecher 5 Ich hatte dazu aufgerufen, keine friedlichen Bürger zu schlagen. Darin besteht mein Vergehen. 20 Minuten nach der Veröffentlichung kamen die Kollegen. Sie wollten in die Wohnung rein, angeblich wollten sie mit mir reden. Ich habe nicht aufgemacht. Sie meinten, sie wollten die Marke, die Uniform und den Dienstausweis abholen. Ich habe gesagt, ich werde die Sachen vom Balkon werfen. Ich habe es geschafft, heimlich zu entkommen. Ich habe mich mit meiner Frau ins Auto gesetzt, und wir sind über Russland in die Ukraine und dann nach Polen geflohen... Atmo_27 118_Svetlana Tikhanovskja Sprecherin 2 Am nächsten Tag haben wir bei der Wahlkommission Beschwerde eingereicht. Noch in der gleichen Nacht bin ich dann weggefahren. Was da passiert ist, kann ich ihnen nicht erzählen. Es hat keinen Sinn, mich danach zu fragen. Um 15 Uhr bin ich rein und um 3 Uhr nachts habe ich die Grenze nach Litauen passiert. 119_O-Ton Olga Kovalkova Sprecherin 5 Die KGB-Miarbeiter kamen in die Zelle. Sie haben sich nicht vorgestellt. Sie haben sich hingesetzt und sagten: "Frau Kovalkova, Sie werden das Land verlassen." Ich habe geantwortet, ich werde nirgendwohin fahren. Sie sagten: "Sie haben keine Wahl." 120_O-Ton Maria Moroz Sprecherin 1 Ich wurde nach unten gebracht, und weiter darf ich nichts erzählen. Dann ging es los. Dass ich das Land verlassen muss - zusammen mit Svetlana - mit meinem privaten Wagen. Ich habe meine Kinder geholt. Und mir war klar, dass mein Auto... Mir war klar, dass sie Zugang zu meinem Auto hatten. Es stand draußen auf der Straße... Und ich sollte meine Kinder in dieses Auto setzen... 121_O-Ton Olga Kovalkova Sprecherin 5 Ich wurde in einen PKW gesetzt. Das war am späten Abend. Ich hatte einen Hoodie, und musste die Kaputze überziehen. Darüber wurde eine Maske gezogen, und ich wurde auf den Rücksitz gelegt. Rausgelassen haben sie mich dann an der polnischen Grenze. 122_O-Ton Maria Moroz Sprecherin 1 Warum ich Angst hatte, mich mit meinen Kindern in dieses Auto zu setzen? Ich dachte, sobald wir über die Grenze sind, werden sie das Auto in die Luft sprengen. Nachdem wir die Grenze überquert hatten, hat mein Mann uns in Empfang genommen... Ich habe die Kinder aus dem Auto geholt... ich war einfach nur glücklich. 123_O-Ton Svetlana Tikhanovskaja Sprecherin 2 Erst zwei oder drei Tage später bin ich nach und nach zu mir gekommen. Zu dieser Zeit wurden die ersten Menschen aus dem Akrestina-Gefängnis entlassen. Nach diesen schrecklichen Misshandlungen. Es war furchtbar. Die Menschen haben trotzdem weiter protestiert. Ich würde gerne aus diesem Alptraum aufwachen, aber ich kann die Erlebnisse dieser drei Tage nicht aus dem Gedächtnis streichen. Zu diesem Zeitpunkt habe ich abermals verstanden, dass ich nicht das Recht habe, einfach alles hinzuschmeißen. Es gab einen Befehl, die Menschen so zu mishandeln. Mein Mann ist da in Geiselhaft, und meine Auftritte im Ausland können Konsequenzen für ihn haben. Du denkst zuerst an die, die dir nahe stehen. Dann verstehst du, dass es noch 70 andere politische Gefangene gibt, und jeder dieser Menschen hat auch Verwandschaft. 125_O-Ton Jurij Rovovoj Sprecher 1 Ich hatte überlegt, wie ich einen Streik organisieren könnte. Wir haben also mit der Bildung des Streikkomitees begonnen. Das war um den 20. August herum. Ich wollte bis Montag alle Papiere in Ordnung bringen und am Montag unsere Abstimmung durchführen. Aber am 21.08. am Freitag, klopfte man an meiner Tür. Ich habe verstanden, was los ist und wollte nicht aufmachen. Wir haben einen Chat mit 1200 Teilnehmern. Ich habe geschrieben, dass man mich mitnehmen will. Es haben sich 20 Personen unten versammelt und sie wollten mich wohl vor all diesen Menschen nicht mitnehmen. Autorin Wenige Tage später flieht auch Rovovoj nach Polen. 126_O-Ton Jekaterina 30:00 Sprecherin 3 Die Chats leisten psychologischen Beistand. Du findest hier immer Menschen, die dir helfen. Und wenn es ganz schwer wird, gehst du zum Tee trinken in den Hof. Das hilft. Du kannst wieder atmen. Du verstehst, du bist nicht allein. Konzerte und gemeinsam verbrachte Zeit bringen die Community zusammen. Sonntags machen wir die Märsche und sind danach energiegeladen. Am Mittwoch sind wir wieder trübseelig, weil Lukashenko wieder Quatsch erzählt. Aber wir muntern uns gegenseitig auf. Autorin Am 11. November erschien eine Gruppe maskierter Männer auf einem Minsker Hinterhofspielplatz, der als "Platz des Wandels" bekannt ist. Hier hatte es in den letzten Monaten immer wieder Hofkonzerte gegeben, die Anwohner hatten den Begrenzungszaun des Spielplatzes mit Bändchen in den Farben der Demokratiebewegung geschmückt, weiß und rot. Die Männer rissen die Bändchen ab. Als ein Anwohner sie ansprach, wurde er brutal zusammengeschlagen und in einem Minibus fortgebracht. Zweieinhalb Stunden später holte ihn eine Notarztbrigade von einer Milizstation ab. Roman Bondarenko hatte ein schweres Schädel-Hirn-Trauma. Einen Tag später erlag der 31. Jährige seinen Verletzungen. 127_O-Ton Pavel Latuschko Sprecher 4 Ich bin einmal in Lukashenkos Flugzeug mitgeflogen. Es gibt nur 50 Plätze. Wenn die Situation X kommt, und sie wird kommen, wird er nur seine Familie und die allernächsten mitnehmen können. Alle anderen werden nicht in das Flugzeug passen. Sie haben ihre Hände mit Blut besudelt. Im übertragenen Sinne, aber auch wörtlich. Leider, denn es gibt bereits Todesopfer. Tote und Verletze. Sie wissen, dass sie Gesetze verletzt haben, dass es 1700 Anzeigen von Bürgern gibt, und dass bisher kein einziger Fall untersucht wurde. Aber sie verstehen, dass in diesem Flugzeug kein Platz für sie ist. So sind sie bis zum Ende an diese Macht gebunden. Selbst wenn sie fliehen wollten, ganz gleich, wohin. Man braucht Geld für die Flucht und das Leben danach. Sie haben gute Löhne, aber das Geld reicht nicht, um im Ausland zu leben. So denken die höheren Ränge. Sie werden bis zum Schluß für Lukaschenko kämpfen. Sie haben keinen anderen Ausweg. Diese Chance haben sie sich verbaut. 128_ O-Ton Jekaterina Sprecherin 3 Ihnen wird das Geld ausgehen. Die Wirtschaft ist in einem schlechten Zustand, und die Menschen halten sich an die Regeln: Man kauft nicht in Pro-Regierungs-Läden. Es wird viel weniger steuerpflichtiger Alkohol gekauft. Das sind Kleinigkeiten, die aber wirtschaftlich nützlich sind. Wir wollen erreichen, dass er kein Geld mehr hat, um die Sicherheitskräfte zu unterhalten. Das ist einer der Schritte. Autorin Das Menschenmeer auf den Straßen, die weißen Bändchen, die weißen Kleider und die roten Streifen auf Weiß, die Hoffnung auf einen Neuanfang... Heute, ein Jahr später, scheint das alles in weiter Ferne. Die Träume auf den schnellen politischen Wandel sind zerplatzt. Am 23. Mai 2021 zwang Belarus ein Flugzeug der Ryanair während eines Überflugs zur Landung. Der regimekritische Journalist und Blogger Raman Pratassewitsch und seine Lebensgefährtin wurden aus dem Flugzeug geholt und verhaftet. Die EU reagierte mit Sanktionen. Das Regime Lukashenko schottet Belarus immer weiter von der Außenwelt ab. Die Grenzen sind geschlossen, die Zahl der politischen Gefangenen steigt, die Gerichtsurteile überraschen immer wieder mit ihrer Härte und Absurdität. Mittlerweile gibt es mindestens 603 politische Gefangene, gegen mehr als 4200 Menschen laufen strafrechtliche Verfahren, mehr als 40.000 wurden seit Beginn des Wahlkampfs wegen der Teilnahme an friedlichen Protesten festgenommen... Unabhängige Journalisten dürfen ihrer Arbeit nicht mehr nachgehen, unabhängige Informationsportale wurden als extremistisch erklärt und geschlossen, fast alle NGOs sind inzwischn verboten. Doch Aufgeben ist keine Option, denn jetzt, da wir uns kennengelernt haben, wissen wir, dass wir die Mehrheit sind. Musik Sprecher 5 "Wir haben uns vor diesem Sommer nicht gekannt" Aufstand in Belarus Ein Feature von Inga Lizengevic Es sprachen: Anna Grisebach, Lisa Hrdina, Bettina Kurth, Inka Löwendorf, Cornelia Schönwald, Boris Aljinovic, Philipp Engelhardt, Wilfried Hochholdinger, Marlon Kittel, Wanja Mues und die Autorin. Ton Jean Szymczak Mitarbeit Dörte Fiedler Regie die Autorin Redaktion Wolfgang Schiller Eine Produktion des Deutschlandfunks 2020 und 2021 21